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EM 2024 | Slowenien, die herausragenden Schlüsselspieler & die besondere Ilicic-Geschichte

10. Juni 2024 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Nach dem Zerfall Jugoslawiens nahm Slowenien erstmals vor dem Endrundenturnier 1996 an der Qualifikationsrunde teil. Beim Turnier in Deutschland läuft die Auswahl zum zweiten Mal nach 2000 bei einer Europameisterschaft auf, damals war in der Vorrunde Schluss. 

Das soll sich diesmal ändern. Die Slowenen sind zwar Außenseiter in ihrer Gruppe, bringen aber nicht nur einige individuell hervorragende Schlüsselspieler, sondern auch eine ganz besondere Geschichte mit. Und sie könnten von ihrer Rolle profitieren. 

Slowenien: Nicht immer souverän, aber schwer zu schlagen

Die slowenische Nationalmannschaft setzt auf der Trainerbank auf Kontinuität. Schon seit 2018 hat Matjaz Kek das Amt als Cheftrainer inne und hat das Team über Jahre hinweg stabilisiert. Er lässt zwar nicht den allermodernsten Fußball spielen, das ist bei Nationalteams aber selten genug der Fall. Dafür weiß er genau, welche Spieler(-typen) er nominieren muss, um das Optimum aus dem vorhandenen Pool herauszuholen.



Und das lohnt sich. Sechsmal in Folge sind die Slowenen ungeschlagen. Zwar sind Ergebnisse wie das 2:1 gegen Armenien oder ein 1:1 gegen Bulgarien nicht besonders gut, ein 2:0-Sieg gegen Portugal kann aber sehr wohl hervorgehoben werden. Auch während der Qualifikationsphase blieb die Mannschaft weitgehend stabil, verlor nur die Auswärtsspiele in Dänemark und Finnland, gewann sonst sieben der acht verbleibenden Duelle. Leicht zu schlagen ist das Team nicht, die Gegner werden allerdings auch nicht reihenweise aus dem Stadion gespielt. Angesichts der Vorzeichen und der Erwartungshaltung ist das aber nicht zu kritisieren. 

Sesko-Brillanz und Oblak als Rückhalt: Schlüsselspieler vorne wie hinten

Wenn über die Schlüsselspieler im Team der Slowenen gesprochen wird, geht es zunächst einmal um Benjamin Sesko. Dieser Name fällt fast immer direkt, denn er ist das größte Talent im Land. Mit seinen 21 Jahren hat er sich bereits bei RB Leipzig etabliert, schoss 18 Pflichtspieltore in der letzten Saison und hat sich vor allem in der Rückrunde in seinem Spiel insgesamt verbessert. Er ist qualitativ der mit Abstand beste Spieler in der Offensive, entsprechend hoch sind auch die Erwartungen.

Mit Miran Zore, der in Slowenien als Sportjournalist für Nogomania tätig ist, haben wir unter anderem über die Schlüsselspieler im slowenischen Team gesprochen. “Benjamin Šeško ist Sloweniens Schlüsselspieler. Schon in der Qualifikation war er der wichtigste Spieler (fünf Tore und zwei Vorlagen), und das erwarten wir auch bei der EM von ihm. Mit ihm im Angriff ist Slowenien eine ganz andere Mannschaft als ohne ihn, und Šeškos brillante Torquote in Leipzig stimmt die slowenischen Fans optimistisch”, teilte er mit.

Sesko Slowenien

(Photo by Jurij Kodrun/Getty Images)

Sesko ist nicht nur ein guter Abschlussspieler, er kann auch mal Dinge aus dem Nichts kreieren. Das kann ein Vorteil sein, denn viele Chancen braucht er an einem guten Tag nicht. Zu erwähnen wären aber noch andere Schlüsselspieler, wie Miran Zore erklärt: “Jan Oblak (Torhüter von Atletico, Anm. d. Red.)  ist der Kapitän und in Anbetracht seiner Karriere der beste Spieler Sloweniens. Er ist der Eckpfeiler der slowenischen Defensive und jemand, der immer nach den höchsten Zielen strebt. Seine Mannschaftskameraden folgen seinem Beispiel. Jaka Bijol ist außerdem ein Schlüsselspieler in der slowenischen Verteidigung und jemand, der wahrscheinlich eine große Karriere vor sich hat. Angeblich sind Inter und Napoli an ihm interessiert, das spricht für sich.”

In der Tat kann vor allem Oblak das Zünglein an der Waage sein. Die Slowenen lassen in jedem Spiel die ein oder andere Chance zu und einen sicheren Rückhalt in den eigenen Reihen zu haben, der sowohl auf der Linie als auch in Sachen Strafraumbeherrschung hervorragend unterwegs ist, kann nicht schaden. Die gesamte Mannschaft kann sich auf ihn verlassen, zudem ist er ein Führungsspieler und defensiver Dirigent. Diese Spieler könnten das Team führen und stabilisieren, auch in den schwereren Momenten.

Die Rolle als Hoffnung für Slowenien?

Dänemark, Serbien und England lauten die Gegner der slowenischen Auswahl. Die Gruppe ist anspruchsvoll, aber es kann auch der dritte Platz reichen. Zudem haben weder die Dänen noch die Serben ihre beste Phase hinter sich, entweder zwischenmenschlich oder systemisch Probleme. Und dennoch sind beide Auswahlmannschaften besser besetzt als die Slowenen, was die individuelle Klasse im Kader angeht. Über England muss dabei ohnehin nicht geredet werden. Die besagte Rollenverteilung mit einem slowenischen Team als Außenseiter könnte aber genau die erhoffte Chance sein.

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Das bestätigt auch der Experte: “Slowenien ist normalerweise am besten, wenn man nicht der Favorit ist. Das war zum Beispiel im Spiel gegen Portugal der Fall. Slowenien stört es nicht, wenn der Gegner mehr Ballbesitz hat. Ihr Spiel ist reaktiv, übergangsweise, mit dem Ziel, ohne Gegentor zu bleiben, und dann im Angriff nach Möglichkeiten zu suchen. Die Gruppe mit England, Dänemark und Serbien ist für Slowenien zweifelsohne schwierig. Auch wenn die slowenische Nationalmannschaft wahrscheinlich die schwächste ist, betont Cheftrainer Matjaž Kek immer wieder, dass Slowenien sicher ein Wörtchen um den Ausgang der Gruppe mitreden wird.”

Immens wichtig wird der Auftakt gegen Dänemark. Die Dänen haben offensiv so ihre Probleme, wirkten in ihren letzten Partien immer mal wieder ideenlos. Hier kommt der slowenische Ansatz ins Spiel, denn die eigene Kompaktheit mit Nadelstichen im Spiel nach vorne könnte genau dazu passen. Gelingt ein Sieg gegen Dänemark, könnte bei den Slowenen schnell auch eine Art EM-Euphorie aufkommen. Und das wäre der wohl wichtigste Faktor, um den Traum von der K.O.-Runde auch Wirklichkeit werden zu lassen.

Josip Ilicic: Die besondere EM-Geschichte

Große Turniere sind häufig auch Schauplatz großer Geschichten. Eine ganz große wie besondere Geschichte schreibt Josip Ilicic. Er ist nämlich im Alter von 36 Jahren für das Turnier nominiert. Das alleine sorgt noch nicht dafür, dass dieser Umstand erwähnenswert ist. Es sind vielmehr die letzten Jahre, auch für ihn persönlich, die seine Berufung sehr besonders machen. Der Offensivspieler hatte vor wenigen Jahren noch die Serie A mit Atalanta auseinandergenommen, 2019/20 gelangen ihm dort 30 Torbeteiligungen, er schoss Traumtor um Traumtor und machte auch vor den größten Gegnern nicht Halt.

Ilicic

(Photo by Jurij Kodrun/Getty Images)

Doch er wurde rund um die Corona-Pandemie aus der Bahn geworfen, allen voran psychisch. Isolation, Einsamkeit, die schlimmen Bilder aus Bergamo, einem der Hotspots der Pandemie, nicht nur in Italien, all das wirkte sich negativ auf seine Verfassung aus. Depressionen waren die Folge, er musste sich behandeln lassen, setzte eine gewisse Zeit aus. Schließlich wurde der Vertrag in Bergamo aufgelöst, was aber in beidseitigem Einvernehmen geschah. Ilicic wollte Ruhe, wechselte in die Heimat zu Maribor, fernab des Rampenlichts.

Das war die beste Entscheidung, die er hätte treffen können. Alleine die Zahlen aus der abgelaufenen Saison mit neun Toren und zwölf Vorlagen sprechen für sich. Und wenn er nach 70 Minuten auf das Feld kommt, mit seiner sehr guten Schusstechnik, seiner Präsenz und seiner Aura, wird er von seinen Mitspielern gesucht. Aus gutem Grund, denn er mag zwar nicht mehr jede Woche 90 Minuten auf Topniveau agieren können, aber in einer Szene den Unterschied ausmachen kann er noch immer. Die Hauptsache ist aber, dass er wieder in der Lage ist, einem Turnier wie der Europameisterschaft als aktiver Spieler für Slowenien beizuwohnen.

(Photo by Jurij Kodrun/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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