Spotlight

EM 2024 | Spanien: Begeisternde Furia Roja oder doch blasse Iberer?

13. Juni 2024 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Zum zwölften Mal nimmt Spanien an einer EM-Endrunde teil. Bisher gewann die Furia Roja den Titel dreimal, zuletzt 2012. Beim letzten Turnier war im Halbfinale Schluss, in Deutschland verfolgt das Team große Ziele. Doch wie gut sind die Iberer wirklich? 

Die Ansichten dahingehend gehen weit auseinander. Nicht wenige Experten sehen Spanien als erweiterten Kandidaten für den Turniersieg. Wiederum andere monieren, dass es Schwächen gebe und der Kader nicht ideal zusammengestellt sei. Was entspricht denn nun eher der Wahrheit?

Spanien: Souveräne Qualifikation mit einer Ausnahme 

Die spanische Nationalmannschaft spielte eine sehr souveräne Qualifikation für die EM 2024, sofern das Spiel in Schottland im März 2023 (0:2) ausgeklammert wird. Alle anderen Spiele wurden gewonnen, diese weitgehend souverän. Die Gegner hießen neben den Schotten noch Norwegen, Georgien und Zypern. Pflichtaufgaben also. Das Jahr 2023 hielt allerdings auch einen ersten Härtetest in Turniercharakter bereit – und zwar einen aussagekräftigen. 



Im Finalturnier der Nations League ging es im Halbfinale gegen Italien. Hier konnte mit einem 2:1-Erfolg das Endspiel fixiert werden. Dort reichte es im Elfmeterschießen zum Triumph über Kroatien. Aussagekräftig ist das vor allem deswegen, weil sich die Wege all dieser Teams in der Gruppe kreuzen. Das Länderspieljahr 2024 verlief bis dato indes etwas durchschnittlicher. Gegen Kolumbien gab es eine 0:1-Pleite, gegen Brasilien ein teilweise wildes 3:3, es folgten deutliche Siege gegen Andorra und Nordirland (5:0, 5:1) in der Vorbereitung, bei denen sich vor allem die Offensivspieler Selbstvertrauen verschaffen konnten. 

Spaniens Topkader mit Überraschungen 

Trainer Luis de la Fuente hatte eine große Auswahl bei der Nominierung des Kaders. Diese nutzte er auch, setzte auf verschiedene, sehr wichtige Eckpfeiler. Zu den absoluten Topstars gehören Dani Carvajal (Real Madrid), der in der vergangenen Saison wieder auf höchstem Level agierte und Rodri, der unverzichtbare Anker im Mittelfeld von Manchester City. Außerdem können die Spanier auf einige Spieler zurückgreifen, die gerade eine sehr gute Saison hinter sich haben. Alejandro Grimaldo holte beispielsweise das Double mit Bayer Leverkusen, Nico Williams ging beim Athletic Club den nächsten Schritt und Alex Baena vom FC Villarreal will zeigen, dass er reif für einen Topverein ist. 

Nico Williams

(Photo by Rafa Babot/Getty Images)

Zudem scheint die Mischung aus jungen Spielern wie Lamine Yamal (16) und erfahrenen Altstars wie Jesus Navas (38) zu stimmen. Trotzdem war der Kader nicht gänzlich frei von Überraschungen. Aleix Garcia vom FC Girona, einer der spielstärksten Mittelfeldspieler in La Liga, wurde beispielsweise ebenso gestrichen wie Barça-Innenverteidigertalent Pau Cubarsi. Dass weder er noch Pau Torres nominiert wurden, dafür aber Aymeric Laporte, der sich mittlerweile vom europäischen Topniveau verabschiedet hat und in Saudi-Arabien spielt, überraschte nicht wenige. Allerdings: Es geht bei Nationalteams nicht darum, die in dem Fall individuell besten 26 Spieler zu nominieren, sondern einen Kader zu formen, der auch menschlich zusammenpasst, die idealen Spielerprofile miteinander vereint. Ob das gelungen ist, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. 

Spanien: Die Youngster im Fokus

Die gute Mischung im spanischen Kader wurde bereits angesprochen. Gleich fünf Spieler sind 22 Jahre alt oder jünger: Alex Baena, Nico Williams, Fermin Lopez, Pedri und Lamine Yamal. Trotzdem könnten einige von ihnen bereits eine Hauptrolle einnehmen. Unter anderem darüber haben wir mit Alberto Pereiro, der in Spanien für Onda Cero tätig ist, gesprochen. „Gerade Yamal ist potenziell schon einer der größten Stars des Teams, wenn man sich den Kader genauer anschaut. Sein Jahr und seine Leistungen in Barcelona reichen, um anzunehmen, dass er die Zukunft des spanischen Fußballs mitbestimmen kann.“

Doch nicht nur Yamal steht im Fokus: Auch andere Spieler in der Offensive werden von enormer Bedeutung sein: „Spieler wie Joselu und Morata im Sturmzentrum waren nicht immer in ihrer besten Verfassung. Auf die Flügelspieler wie Yamal, aber auch Nico Williams und Dani Olmo, die sehr gut zu ihm passen, wird vieles ankommen. Die jungen Spieler in der Offensive müssen sehr gut performen, damit Spanien eine gute Europameisterschaft spielt.“

Alles rund um die EM 2024 bei 90PLUS findet ihr hier 

Ein Vorteil hierbei sind die unterschiedlichen Spielertypen, die Spanien zur Verfügung hat. Yamal ist ein Instinktfußballer, ein total begabter, intuitiv agierender Offensivspieler, der seine Fähigkeiten schon jetzt sehr gut einzusetzen weiß. Nico Williams beispielsweise bringt immenses Tempo mit, Dani Olmo ist ein spielgestaltender Akteur, der sich im Zehnerraum sowie auf dem Flügel aufhalten und die engen Räume bespielen kann. Und ein Ferran Torres besticht mit Zug zum Tor, seiner Dynamik und seinen guten Entscheidungen im letzten Drittel.

Der Faktor de la Fuente

Viele Fußballfans haben, wenn sie an die spanische Mannschaft denken, noch die glorreichen Zeiten mit drei Turniersiegen in Folge um Protagonisten wie Xavi, Iniesta, Villa, Torres, Ramos, Busquets & co. vor Augen. Das kleinteilige Kurzpassspiel mit Dominanz auf allen Ebenen, viel Ballbesitz, zahlreichen Tempowechseln im Spiel mit dem Ball und der nötigen Geduld, um den Gegner müde zu spielen und auch psychisch zu fordern, war das Markenzeichen dieses Teams. Jetzt wäre es angesichts der vorhandenen Spielerprofile und der individuellen Qualität vermessen, zu sagen, die Spanier wären kein Team für Ballbesitzfußball und Dominanz mehr. Aber die Dinge haben sich ein wenig verändert.

Spanien EM 2024

(Photo by Rafa Babot/Getty Images)

Die Iberer haben verschiedene Spielertypen für verschiedene Ansprüche und Spielsituationen im Kader. Das kann zum Faktor werden, denn Trainer Luis de la Fuente kann je nach Gegner variieren und das Team mit wenigen Veränderungen in eine bessere Position bringen. Und ohnehin ist der Trainer eminent wichtig. „Ein Vorteil ist: Der Trainer kennt viele Spieler schon aus der U21, hat Turniererfahrung. Ich glaube, wir können dem Mix im Kader deswegen vertrauen, er weiß, worauf er hinaus will“, so Alberto Pereiro.

Spanien: Die Voraussetzungen für den Kampf um den Titel

Spaniens Kader kann sich sehen lassen, der Trainer ist turniererfahren, kennt seine Spieler gut und konnte mit dem Team vor dem Turnierstart Selbstvertrauen tanken. Hinzu kommt, dass die Furia Roja als eine von wenigen Auswahlmannschaften dazu in der Lage zu sein scheint, einen recht modernen Ansatz auf den Platz zu bekommen. Das sind wichtige Grundzutaten für den Erfolg.

Allerdings hat Spanien eine sehr schwere Gruppe erwischt, sodass die Belastungsfähigkeit sehr schnell auf die Probe gestellt werden dürfte. Schon der Auftakt gegen Kroatien, das sich in den letzten Jahren als Turniermannschaft einen guten Ruf erarbeitet hat, wird knifflig. Wird hier nicht gewonnen, kann das zweite Spiel gegen Italien schon zum Nervenkrimi werden. Und am Ende gegen eine defensiv kompakte und technisch nicht zu unterschätzende albanische Mannschaft unbedingt gewinnen zu müssen, ist ein Szenario, das das Team gerne vermeiden würde. 

Es ist wie so oft: Vieles hängt vom Start in das Turnier ab. Gelingt es Spanien, direkt nahe an den 100 Prozent der eigenen Leistungsfähigkeit zu sein, ist einiges möglich. Auch ein Turniersieg. Denn eine spielerisch so gute und talentierte Mannschaft, kann ein Momentum sehr schnell aufsaugen und durch eine solche EM-Endrunde fliegen. Klar ist aber auch: Die Gruppe birgt Gefahren, Stresstests für die Abwehr gab es zuletzt kaum und noch lässt sich nicht final abschätzen, in welcher Verfassung die Schlüsselspieler zum Start auf dem Feld stehen werden. Ein gutes, stabiles Fundament steht jedenfalls bereit.

(Photo by JAIME REINA/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


Ähnliche Artikel