Spotlight

FC Bayern | Titelunabhängig: Warum die Kovac-Trennung erforderlich ist

14. Mai 2019 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Spotlight | Die letzten beiden Pflichtspiele der Saison stehen für den FC Bayern an und sowohl in der Bundesliga als auch im DFB-Pokal ist der Titelgewinn noch möglich. In der Liga benötigt man einen Punkt gegen Eintracht Frankfurt, im Pokal bekommt man es mit RB Leipzig zu tun. Neben diesen Endspielen beschäftigt vor allem die Trainerfrage den Rekordmeister.

Die aktuelle Lage: Keine klaren Bekenntnisse

In den letzten Wochen, speziell im Verlauf der Saison nach dem Spiel in der Champions League gegen den FC Liverpool, als der FC Bayern München mit 0:0/1:3 ausschied, äußerten sich die Verantwortlichen des Rekordmeisters häufig zur Zukunft von Niko Kovac. Der Tenor: Man habe zwar keine Probleme mit dem Trainer, eine Jobgarantie gibt es in München aber auch nicht. Den Verantwortlichen soll – ebenso wie den Spielern – die destruktive Herangehensweise gegen die „Reds“ missfallen haben, das ließen beide Seiten in der Folge durchblicken. Schon die Aussagen von Karl-Heinz Rummenigge vor wenigen Wochen deuteten an, dass Kovac beim FC Bayern vor einer unsicheren Zukunft steht. Jeder, so Rummenigge, müsse liefern und mit dem Druck umgehen können, den es bei so einem Verein eben gibt.

In den letzten Wochen hatten neben Rummenigge auch Uli Hoeneß und Hasan Salihamidzic die Möglichkeit die Trainerfrage ein für alle Mal und in aller Definitivität zu klären. Sie taten es aber nicht. Von einer Analyse nach der Saison war die Rede, die zwei Titel müssen eben gewonnen werden, damit man von einer guten Saison sprechen kann. Hasan Salihamidzic ging sogar noch weiter, man müsse abwarten und „wir werden sehen“ waren seine Worte, als er im Aktuellen Sportstudio auf Kovacs Zukunft angesprochen wurde. Er sprach sogar von einer „Sch***-Saison“, wenn man die Titel nicht gewinnt.

(Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Diese Aussagen und die fehlenden, klaren Bekenntnisse, stützen die Medienberichte, die von internen Zweifeln handeln. Schon vor wenigen Wochen wurde berichtet, dass Rummenigge eher als Kovac-Kritiker, Hoeneß als dessen Befürworter gilt. Doch auch Hoeneß soll nach den letzten, teilweise mutlosen Auftritten wie beim 0:0 in Nürnberg vermehrt missstimmig gewesen sein. Beim FC Bayern habe man Zweifel daran, ob Niko Kovac der richtige Mann ist um den Rekordmeister durch die kommenden Spielzeiten zu führen und den Spielern die nötigen Impulse mit auf den Weg geben kann, damit man wieder zurück an „Europas Spitze“ kommt.

Die Entwicklung spricht nicht für Kovac

Der Weg dorthin soll – wie die „Bild“ zuletzt berichtete – mit einem offensiven Konzept und mitreißendem Fußball gelingen. Doch unabhängig von Medienberichten und Aussagen, die zumindest nicht für Klarheit sorgen und vieles offen lassen: Was spricht für Niko Kovac? Betrachtet man die Saison des FC Bayern noch einmal rückblickend, dann wohl lediglich die Tatsache, dass er den Rückstand von neun Punkten auf Borussia Dortmund aufgeholt hat und vorher noch keine Erfahrungen mit dem Trainieren einer absoluten Spitzenmannschaft sammeln konnte. Die Leistungen sind insgesamt zu durchwachsen, die Schwankungen zu hoch.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Dass es immer wieder einmal schwächere Spiele im Verlauf einer Saison gibt und geben wird, ist klar. Das war unter Carlo Ancelotti der Fall, das war unter Pep Guardiola der Fall und das war auch unter Jupp Heynckes der Fall. Ancelotti wurde die fehlende Entwicklung irgendwann zum Verhängnis, gleiches könnte bei Niko Kovac der Fall sein. Die Ziele, die er angesprochen hat, also Flexibilität auf dem Platz, mentale Stärke und eine stabile Defensive, konnte er mit seiner Mannschaft auf dem Platz zu selten umsetzen. Es waren diese Dinge, die sich durch die gesamte Saison 2018/19 zogen.

Die Remis zuhause gegen Mannschaften wie Freiburg, Augsburg oder Düsseldorf, in denen man entweder über weite Strecken keine Idee hatte, wie man eine gut gestaffelte Defensive auseinanderspielen sollte oder sich bei simplen langen Bällen des Gegners nahezu stümperisch hat auskontern oder überrennen lassen, taten ihr Übriges. Zu häufig war Niko Kovac in dieser Saison auf einen guten Plan A fixiert. Wenn dieser nicht aufging, dauerte es nicht selten zu lang, bis er überhaupt einmal reagierte. Und das geschah zu häufig nicht mit einer neuen Systematik, sondern dem sturen Beharren auf einer eingespielten Formation, bei der sich lediglich die individuellen Qualitäten eines Spielers verändern.

Die große Mär vom Umbruch

Viele Medien und teilweise auch die Verantwortlichen hielten Kovac in den schwächeren Phasen zugute, dass sich der FC Bayern schon im Umbruch befinde und die Situation nicht leicht sei. Abgesehen von den Abgängen Arturo Vidal, Juan Bernat und Sandro Wagner im Saisonverlauf und Renato Sanches, Serge Gnabry (die beide bereits dem FC Bayern gehörten) und Leon Goretzka als Zugängen änderte sich schlichtweg überhaupt nichts. Der Kader, der in der vergangenen Saison mit etwas mehr Glück das Finale der Champions League hätte erreichen und Real Madrid im Halbfinale bezwingen können, blieb größtenteils zusammen, spielte aber einen anderen Fußball, zumindest nach einer gewissen Zeit. Denn der Anfang unter Kovac war durchaus gelungen, in den ersten Wochen waren einige positive Elemente zu erkennen, die sich aber nach und nach legten.

(Photo by Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Zwar verfügt der FC Bayern über eine gute Basis an jungen Spielern, die über Jahre hinweg eine Rolle spielen können, der Kern der Mannschaft befindet sich aber im „besten Fußballalter“. Lewandowski, Thiago, Hummels, Müller, Boateng, Neuer und auch Martinez sind Beispiele für diese Spieler, die noch nicht in der Endphase sind und noch viele Titel gewinnen können und wollen. Der viel zitierte Umbruch ist also noch gar nicht so richtig im Gange, Kovac hat keine blutjunge, unerfahrene Mannschaft zur Verfügung, sondern einen Kader, der nachgewiesen hat, dass er zur europäischen Spitze gehört. Zudem schenkte Niko Kovac den jungen Spielern wie Renato Sanches zu selten das Vertrauen, einige Minuten für Jeong und ein paar Einsätze samt Tor von Alphonso Davies blieben die „Highlights“ der Einbindung der Jugendspieler, ein Lars Lukas Mai, der einige Male im Kader war und sicher einmal hätte belohnt werden können, wurde nahezu ignoriert.

Außendarstellung und falsche Ansprüche

Ein weiterer Punkt, der Niko Kovac insgesamt eher negativ ausgelegt werden dürfte, ist seine Außendarstellung. Wirkte er in der Hinserie, vor allem vor der ersten größeren Ergebniskrise, die er eigentlich souverän wegmoderierte, noch sehr entspannt, wurde er im Laufe der Saison immer nervöser, dünnhäutiger. Indirekte und teilweise direkte Vorwürfe an die Spieler, die seine Ideen nicht immer richtig umsetzten waren nur ein Teil der Aussagen von Niko Kovac, die zumindest für Irritationen sorgten. Auch mit seinem Ausspruch, dass die Defensive „das Handwerk“ sei und die Offensive die Kunst, tat er sich keinen Gefallen. Denn der FC Bayern hatte selten so große Defensivprobleme wie in dieser Saison. Drei Gegentreffer gegen Düsseldorf, Liverpool, Mönchengladbach, in Leverkusen, Dortmund und Amsterdam, ganze vier zuhause gegen Heidenheim sind mit den Ansprüchen nicht vereinbar. Ja, man hat es in das Endspiel um den DFB-Pokal geschafft, aber in vielen Spielen hatte man das nötige Quäntchen Glück auf der eigenen Seite, keines dieser Spiele konnte man mit mehr als einem Tor Unterschied gewinnen.

(Photo by GUENTER SCHIFFMANN / AFP) 

Das Anspruchsdenken, das Niko Kovac besitzt, passt augenscheinlich nicht zum FC Bayern. Gegen den FC Liverpool wollte er auswärts destruktiver spielen, was beim 0:0 zumindest defensiv aufging. Die Wahrheit ist aber, dass der Rekordmeister kaum eine Offensivaktion hatte, die gelang und dass man trotz allem einige Gelegenheiten der „Reds“ zuließ. Robert Lewandowski, der im Hinspiel komplett in der Luft hing, wurde auch im Rückspiel alleine gelassen, ein teilweise schwer anzusehendes Gebolze war die Folge, in dem Liverpool nur kurz einmal die Muskeln anspannen musste, um zu seinen Treffern zu kommen. Soll heißen: Wenn der FC Bayern wenigstens in der Lage gewesen wäre defensiv kompakt zu stehen und über 90 oder gar 180 Minuten diszipliniert zu verteidigen, wäre die Kritik an Kovac, was diese Spiele betrifft, auch intern nicht so groß, wie sie scheinbar ist.

Es passt nicht zu dem Verein und seinen Zielen, dass man in solchen Spielen abwartend spielt, nur auf den Gegner reagiert, auf Fehler lauert. Diese Art und Weise passt nicht zur DNA des Vereins und auch in der Bundesliga waren Ausnahmen, trotz einiger hoher Siege, eher die Seltenheit. Gegen Borussia Dortmund wurde vor heimischer Kulisse deutlich gewonnen, aber in Dortmund verlor man genau wie in Leverkusen, gegen Liverpool holte man ebenso keinen Sieg wie gegen Ajax Amsterdam. Ein Trainer beim FC Bayern wird immer auch an der Spielweise, der Ausrichtung und den Ergebnissen in den Highlightspielen gemessen. Und in diesen Spielen hat die Mannschaft unter Niko Kovac nur zu selten überzeugen können.

Was genau ist der „Kovac-Fußball“?

Fußballtrainer haben immer auch ihre eigene Art und Weise den Fußball zu denken und zu verstehen. Pep Guardiola setzt auf ein sehr druckvolles Ballbesitzspiel, das den Gegner komplett kontrolliert, während Jürgen Klopp nicht nur ein herausragender Motivator ist, sondern auch in gewissen Momenten eine immense Intensität mit seiner Mannschaft erzeugen kann, die jeden mitreißt. Und Niko Kovac? Diese Frage ist noch offen. Das Spiel des FC Bayern wirkte in dieser Saison zu selten wie eine Zusammenkunft hochkarätiger Musiker in einem Orchester, die eine homogene Masse ergeben, sondern vielmehr wie eine Ansammlung an einzelnen Künstlern, die nicht zusammenpassen, denen der Dirigent von Außen fehlt.

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images)

Dem Fußball des FC Bayern fehlt also eine Identität, die Niko Kovac vermutlich auch nicht herstellen kann. Und das deshalb, weil die Entwicklung in dieser Saison einfach nicht zu sehen war. Die angesprochenen Probleme, also der fehlende oder nur ungenügend erfolgreiche Plan B, die Ideenlosigkeit im eigenen Offensivspiel, das Suchen der Zuflucht in Flanken, die teilweise ohne Sinn und Verstand in die Mitte gebolzt werden und der immer wiederkehrende Verlust der Kompaktheit der Mannschaft, ziehen sich durch die gesamte Saison. Über einen längeren Zeitraum konnte Niko Kovac diese Probleme nicht abstellen.

Wegweisende Zukunftsentscheidungen – in allen Bereichen

Der FC Bayern steht vor einem wegweisenden Sommer, hat für Benjamin Pavard und Lucas Hernandez bereits viel Geld ausgegeben und wird noch weitere Transfers tätigen. Mit Arjen Robben und Franck Ribery verlassen zwei Schlüsselfiguren der letzten Jahre den Verein, auch Rafinha, der sich immer in den Dienst der Mannschaft stellte, wird gehen. Weitere Abgänge, darunter die von Jerome Boateng oder Renato Sanches sind möglich. Der wirkliche Umbruch beginnt jetzt und beim FC Bayern muss man sich die Frage stellen, ob man es aufgrund der im Text angesprochenen Vorzeichen und Begebenheiten riskiert, diesen mit Niko Kovac voranzutreiben.

Der Anschluss an die europäische Spitze wurde noch nicht dauerhaft verloren, sofern es dem Verein und den Verantwortlichen gelingt die richtigen Schlüsse zu ziehen und sich nicht durch etwaige positive Ergebnisse im Kampf um die zwei Titel blenden zu lassen. Denn selbst wenn Niko Kovac das Double gewinnt, täuschen diese Titel nicht über die fehlende Entwicklung hinweg. Der gesamte Entwicklungsprozess einer Mannschaft, im fußballerischen und taktischen Bereich, muss immer unter den zu berücksichtigenden Umständen analysiert und im Endeffekt auch höher als die Resultate gewichtet werden, zumindest wenn man den Anspruch hat, einen Fußball mit Wiedererkennungswert zu spielen, der „offensiv“ und „mitreißend ist“.

Eine Auflistung möglicher Nachfolger soll es hier bewusst nicht geben. Der FC Bayern wird – und das ist sicher – die Saison nach den beiden verbleibenden Pflichtspielen gemeinsam in aller Ruhe analysieren. Zu welchem Schluss man kommen wird ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Wenn man die eigenen Ansprüche als Maßstab nimmt, dann ist eine Trennung von Niko Kovac im Sommer erforderlich. Titel hin, Titel her.

Manuel Behlert

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)


Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


Ähnliche Artikel