Forest Green Rovers – Zeigt ein Viertligist die Zukunft des Fußballs?
14. Mai 2020 | Spotlight | BY Christoph Albers
Vor ungefähr zehn Jahren übernahm Energie-Unternehmer Dale Vince den Forest Green Rovers Football Club. Seitdem hat sich der Club radikal verändert, selbst das Logo und die Vereinsfarben wurden im Zuge der Neuausrichtung verändert. Doch was sich zunächst wie der schlimmste Albtraum vieler Fußballfans (man frage mal in Salzburg nach) anhört, dürfte ein Teil dessen sein, was sich viele Fans auch für ihren Verein wünschen würden.
Ein klassischer „Provinzverein“
Doch bevor wir uns um die Zukunft kümmern, lohnt sich noch ein kurzer Blick auf die Zeit vor der Übernahme. Die Forest Green Rovers sind ein kleiner Verein aus Nailsworth, einem kleinen Ort im Westen Englands, der nicht einmal 8.000 Einwohner beheimatet. Der Verein wurde im Jahr als Nailsworth & Forest Green FC 1889 gegründet, hieß inzwischen aber auch schon Stroud FC, ehe er zu seinem heutigen Namen fand.
Sportlich gesehen, war der Verein die meiste Zeit seiner Existenz in den unteren Ligen des englischen Fußballs beheimatet. Der Aufstieg in die Football League Two, der vierten englischen Liga, und damit auch in den professionellen Fußball, gelang erst zur Saison 2017/18. Zuvor konnte lediglich einmal die F.A. Vase, ein Pokal-Wettbewerb für Vereine der unteren Ligen, gewonnen werden – in der Saison 1981/82.
Von einer großen Historie kann, trotz des beträchtlichen Alters des Vereins, also nicht gerade gesprochen werden. Trotzdem drohte im Jahr 2010, kurz vor dem Einstieg des Investors, alles zusammenzubrechen. Der Verein stand finanziell vor dem Abgrund und brauchte dringend frisches Geld. Also begab man sich auf die Suche nach einem potenten Geldgeber und wurde schließlich in der benachbarten Stadt Strout fündig: Eben jener Dale Vince, Gründer von „Ecotricity“, einem Unternehmen für grüne Energie, war bereit dem Verein zu helfen. Zunächst als Geldgeber und ab Februar 2011 auch als „Chairman“. Und mit Vince sollte sich alles ändern.
Ein ungewöhnlicher Besitzer
Dale Vince wurde 1961 an der Ostküste Englands, in der Nähe von Norwich, geboren und war in seiner Jugend ein sogenannter „New Age traveller“. Er reiste durch Europa und frönte der Hippie-Kultur. Doch von 1991 an begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt. Zunächst mit einem Windpark, dann mit der Unternehmensgründung von „Ecotricity“ im Jahr 1995 und ab 1996 mit dem Launch seiner ersten Windkraftanlage.
In der Folge entwickelte sich ein florierendes Business, das Vince zum Millionär und zum Träger des „Order of the British Empire“ machte. Dabei waren es nicht nur seine wirtschaftlichen Leistungen, sondern vor allem seine Leistungen als Pionier und Idealist, die ihm viel Anerkennung und einen Ehrendoktortitel für Philosophie von der University of Gloucestershire einbrachten.
Vince ist also keineswegs ein gewöhnlicher Vereinsbesitzer und dementsprechend ungewöhnlich ist auch das, was er aus seinem Verein gemacht hat.
Ein großes Ziel
Am besten erkennbar wird die Vision anhand des selbstauferlegten Leitbilds:
„Nachhaltigkeit ist zentraler Bestandteil aller aktivitäten beim Forest green rovers FC. Von den Solar Panels und den elektrischen ladestationen am stadion „the new lawn“, bis hin zum veganen essen am spieltag – Wir streben danach der grünste fuẞballverein der welt zu sein.“
Forst Green Rovers – Offizielle Website
Und dieses Leitbild wird konsequent verfolgt. So wurde dem Verein im Jahr 2017 das „Vegan Trademark“ der „Vegan Society“ verliehen, wodurch die Forest Green Rovers zum ersten veganen Fußballclub der Welt ernannt wurden. Diesen Schritt begründet der Verein durch den positiven Einfluss auf die Umwelt, das Tierwohl und die Gesundheit, sowohl der Spieler, als auch der Fans. Dabei verweist der Verein auf seiner Website u.a. darauf, dass auch Sportler wie Lionel Messi, Lewis Hamilton oder Venus Williams eine vegan Ernährung übernommen hätten, um ihr Leistungsvermögen zu steigern.
Dieser Schritt war allerdings keineswegs unumstritten. Chairman Vince gab unumwunden zu, dass sich einige Fans dadurch beleidigt oder eingeschränkt gefühlt hätten, doch für den überzeugten Veganer konnte es keinen Kompromiss geben, zumindest für den Verein. Er bot den Fans an, dass sie sich natürlich ihr Fleisch mitbringen könnten, doch er wolle nicht, dass der Verein gegen die eigenen Überzeugungen handelt.
Statt den üblichen Essens-Angeboten, die man in englischen Stadien findet, servieren die Forest Green Rovers an Spieltagen unter anderem vegane Pizzen, Fajitas, Salate oder Süßkartoffel-Pommes. Ein veganer „Pie“ darf aber natürlich auch nicht fehlen, um den Bezug zum „typisch Englischen“ nicht zu verlieren. Das Essen wird darüber hinaus auch an öffentlichen Bildungseinrichtungen angeboten, um jungen Menschen einen leichten Zugang dazu zu ermöglichen.
Ein Stadion, das Maßstäbe setzt
Das Stadion ist an der Stelle aber auch schon ein gutes Stichwort. Der Verein plant den Bau eines neuen Stadions, das 5.000 Zuschauer (könnte auf bis zu 10.000 erweitert werden) fassen und fast vollständig aus Holz bestehen soll. Das Stadion soll in einer Parklandschaft liegen, für die ca. 500 Bäume um 1,8km Hecken gepflanzt werden sollen. Noch fehlt allerdings die Baugenehmigung.
Doch auch im derzeit genutzten Stadion, „The New Lawn“, setzt der Verein neue Standards, wenn es um die Umweltverträglichkeit geht. Der Strom kommt von Solarzellen, die auf dem Stadiondach platziert sind, vor dem Stadion gibt Ladestationen für Elektro-Fahrzeuge, für die Toilettenspülung wird zuvor gesammeltes Regenwasser verwendet, der Platz wird ausschließlich mit biologischem Dünger behandelt (frei von Pestiziden und Herbiziden) und gemäht wird der Rasen natürlich auch mit einem elektrischen Rasenmäher. Ach ja, die Tornetze sind im Übrigen auch kompostierbar.
Doch damit ist es noch lange nicht getan. Auf der Trikotbrust wirbt der Club, wie bereits erwähnt, für das „Ecotricity“, das Unternehmen von Besitzer Vince, das natürlich auch vor allem für ökologische Nachhaltigkeit steht. Auf der Rückseite ist zudem das Logo von „Sea Shepherd“ zu sehen, eine internationale non-profit Organisation, die sich für den Erhalt der maritimen Unterwasserwelt einsetzt. Das Trikot besteht übrigens zur Hälfte aus Bambus, um die Abhängigkeit von Plastik zu verringern. Ein recht auffälliges neongrün-schwarzes Zebra-Muster macht es zudem zu einem echten Hingucker (Wertung darf jeder für sich selbst vornehmen).
Der erste CO2-neutrale Verein der Welt
Neben all diesen Maßnahmen, ist der Verein auch sehr offen und transparent, insbesondere was seinen ökologischen Fußabdruck anbetrifft. So gelang es z.B. die Emissionen von der Saison 2017/18 zur Saison 2018/19 um ca. 30% zu reduzieren. Die Arbeit trägt also Früchte, was auch durch die Tatsache untermauert wird, dass die Forest Green Rovers als weltweit erster Fußballverein von den Vereinten Nationen als CO2-neutral zertifiziert wurde. Außerdem sind sie auch noch Gründungsmitglied des „Sports for Climate Action Framework“.
Um den ganzheitlich nachhaltigen Ansatz abzurunden, sollte auch nicht unter den Tisch fallen, dass sich der Verein auch sozial engagiert. Im Fokus stehen dabei die Gesundheits- und Kinder- bzw. Jugendförderung, vor allem für die lokale Community. Für einen Verein dieser Größe sind die Bemühungen ziemlich umfangreich und lobenswert, auch wenn sie inhaltlich sicherlich nicht so innovativ und drastisch sind, wie im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit. Nichtsdestotrotz zeigen die Bemühungen auch die großen Ambitionen, die der Verein verfolgt.
Das große Ziel Championship
Diese Ambitionen beziehen sich, ganz nebenbei, auch ausdrücklich auf den sportlichen Bereich. Auch hierbei kann das Trikot als Orientierung dienen, denn dort sind im Nackenbereich drei kleine Sterne zu sehen, die symbolisch für das große sportliche Ziel stehen: Drei Aufstiege, von den National League in die Championship, Englands zweite Liga. Ein Aufstieg ist bereits geschafft, zwei fehlen also noch.
Zur Zeit steht die Mannschaft in der Football League Two auf dem elften Tabellenplatz, neun Punkte hinter dem ersten Play-Off-Platz, allerdings auch mit einem Spiel in der Hinterhand. Zehn Spiele hätte Forest Green somit noch, um doch noch den Sprung in die Aufstiegsrelegation zu schaffen – sollte es weitergehen. Ansonsten müsste man es in der nächsten Saison nochmal probieren, es wäre der vierte Anlauf.
Die ersten beiden Anläufe, in den zwei Spielzeiten vor dieser Saison, zeigten aber bereits eine gute Entwicklung. In der Saison 2017/18, nach dem Aufstieg im Play-Off Endspiel gegen Tranmere, reichten 47 Punkte gerade mal so zu Platz 21 und somit zum Klassenerhalt (Absteiger Barnet hatte nur einen Punkt weniger). In der folgenden Saison erreichte die Mannschaft dann aber einen großartigen fünften Tabellenplatz und musste sich erst in den Play-Offs gegen den späteren Aufsteiger Tranmere geschlagen geben. (Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, dass Tranmere auch schon beim Aufstieg Play-Off-Gegner war. Das ist tatsächlich richtig. Tranmere schaffte, nach der Niederlage gegen Forest Green 2016/17, den Durchmarsch aus der National League in die Football League One).
Heimschwäche und Zuschauerschnitt
Angesichts des knapp verpassten Aufstiegs in der Vorsaison, ging Forest Green durchaus als einer der Aufstiegs-Favoriten ins Rennen, eine Rolle, der man bisher nicht wirklich gerecht werden konnte. Das liegt vor allem an der schwachen Ausbeute im eigenen Stadion. Auswärts sind die Rovers mit 30 Punkten aus 19 Spielen die derzeit beste Mannschaft der Liga, während sie in Heimspielen nur 19 Punkte in 17 Partien holen konnten und damit die viertschwächste Heimmannschaft stellen.
In diesem Zuge könnte man spekulieren, ob das an den Zuschauern liegt. Forest Green hat im Schnitt die viertwenigsten Zuschauer (nur etwas mehr als 2.500), während die Liga-Konkurrenz aus Bradford oder Plymouth im Schnitt sogar mehr als 10.000 Zuschauer in ihre Stadien zieht. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass Forest Green das zweitkleinste Stadion der Liga besitzt und den Zuschauerschnitt in den letzten Jahren fast verdreifacht hat. Und in Anbetracht der Tatsache, dass Nailsworth gerade mal 8.000 Einwohner hat, ist die Zuschauerzahl dann doch durchaus beträchtlich.
Nichtsdestotrotz ist das natürlich Wasser auf den Mühlen der Kritiker und Skeptiker, die dem Verein vorwerfen ein „Hipster-Verein“ zu sein und über keine „echte“ Fan-Basis zu verfügen. Und genau das setzt natürlich auch eine Frage an, die man sich im Zusammenhang mit diesem besonderen Club stellen muss: Ist es okay Fan eines anderen Vereins zu werden, weil dieser die eigenen Wertvorstellungen besser vertritt? Die Antwort dürfte natürlich ganz klar „Ja“ lauten, schließlich ist es mehr als nachvollziehbar und passt gut in das Bild eines modernen, mündigen Fußball-Fans, der sich auch über den Sport hinaus mit seinem Verein identifizieren möchte.
Ein Vorbild für die Bundesliga?
Deshalb passt dieses Beispiel auch umso besser in die aktuelle Situation, in der wir uns wohl alle die Frage stellen, ob wir den Fußball, so wie er ist, uneingeschränkt unterstützen möchten. Meiner Meinung nach ist es daher sinnvoll den Fußball dort zu unterstützen, wo er, den eigenen Vorstellungen nach, gut und sinnvoll gelebt wird. Damit haben auch wir Fans die Möglichkeit Einfluss zu nehmen und Modelle zu unterstützen, die wir für fördernswert halten, in der Hoffnung, dass die übrigen Vereine diese Bewegungen wahrnehmen und entsprechend reagieren. In meinen Augen ist es die deutlich bessere Alternative, als sich vom Fußball abzuwenden, den wir ja eigentlich trotzdem alle lieben, vielleicht nur nicht ganz so, wie er derzeit gestaltet wird.
Das Modell Forest Green könnte auch für die Bundesliga interessant werden, die ja durchaus Interesse an solchen Themen zeigt. Andreas Rettig, ehemaliger Geschäftsführer der DFL und des FC St. Pauli, formulierte es im Sommer 2019 beispielsweise wie folgt:
Die Liga braucht eine neue DNA. Wir brauchen nicht die Liga mit den teuersten Stars, sondern die nachhaltigste, vielleicht auch sozialste oder emotionalste Profiliga der Welt. Schon heute lassen viele Wirtschaftsunternehmen ihre Nachhaltigkeit zertifizieren. Warum soll das in einem Business wie dem Profifuẞball, das mit seinen ersten beiden Ligen mehr als vier Milliarden Umsatz macht, nicht funktionieren? Dieses Thema müssen wir angehen, und über diesen Imagetransfer könnte es gelingen, besonders junge Leute wieder gefühlsmäßig näher an den Profifuẞball heranzuholen. Ich denke, wir sind auf dem Weg der emotionalen Entfremdung vieler Fans vom Profi-Fuẞball.“
Andreas Rettig in der TAZ (Juni 2019)
Die Zukunft des Fußballs?
Dieses Statement bekommt momentan mehr Bedeutung denn je, Corona hat diese emotionale Entfremdung schonungslos offenbart. Die Zeit scheint gekommen zu sein, dass der deutsche Profi-Fußball die nötige Neuausrichtung vornimmt, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu sichern. Allerdings sollte man den Bundesliga-Clubs auch nicht unrecht tun. Viele Vereine tun schon jetzt sehr viel und vor allem der VfL Wolfsburg präsentiert sich in vielerlei Hinsicht vorbildlich. Es lohnt sich also auch ein Blick auf die bestehenden Strukturen – auch in Deutschland, auch in der Bundesliga.
Nichtsdestotrotz sind die Forest Green Rovers ein tolles Beispiel dafür, wie Profi-Fußball auch aussehen kann. Nachhaltig und sympathisch. Die konsequente Orientierung an echten, wahrnehmbaren Werten, im Sinne eines kohärenten Markenbilds, das sich auch an einem echten Social Case orientiert, könnte die Zukunft des Fußballs sein. Und wir Fans haben die Möglichkeit mitzugestalten, auf die eine oder die andere Weise.
Ich für meinen Teil werde die Forest Green Rovers weiter verfolgen und von nun an auch unterstützen. Das Trikot ist bestellt und ich freue mich den eingeschlagenen Weg, der hoffentlich bis in die Championship führt, zu begleiten.
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(Photo by Michael Steele/Getty Images)
Christoph Albers
Cruyff-Jünger und Taktik-Liebhaber. Mag präzise Schnittstellen-Pässe, schwarze Leder-Fußballschuhe, Retro-Trikots und hat einen unerklärlichen Hang zu Fußball-Finanzen. Seit 2016 bei 90PLUS.