Am Sonntag steht mit dem Super Bowl LIII das größte Einzelsportereignis der Welt an. Grund genug für uns, in der Kategorie „Abseits“ einen Ausflug fernab des Fußballs zu wagen.
Am 3. Februar 2002 besiegten die New England Patriots die damals noch in St. Louis angesiedelten Rams im Super Bowl XXXVI. Eigentlich nichts Besonderes, würde man heute meinen. Doch damals waren die Patriots um Neuling Tom Brady und Trainer Bill Belichick der große Außenseiter, die an diesem Tag den Startpunkt einer einzigartigen Dynastie setzten. 17 Jahre, acht weitere Final-Teilnahmen und vier weitere Titel später, stehen sie erneut im Super Bowl, ausgerechnet gegen die Franchise, gegen die alles begann…

Klare Rollenverteilung?
Februar 2002, Super Bowl XXXVI. Die St. Louis Rams, Sieger des Endspiels 2000, treffen auf die New England Patriots.
Die Rams, seit drei Jahren als „Greatest Show on Turf“ bekannt, stellten unter der Regie von Head Coach Mike Martz eine der besten Offensiven aller Zeiten. Der Kader war gespickt mit Starspielern wie MVP-Quarterback Kurt Warner oder „Offensiv Player of the Year“-Runningback Marshall Faulk. Mit einer Bilanz von 14-2 marschierten sie regelrecht durch die Regular Season. Auch in den Playoffs, sowohl gegen die Green Bay Packers als auch gegen die Philadelphia Eagles, hatte das Team aus Missouri keine Probleme.
Die New England Patriots, im Vorjahr noch mit einer Bilanz von 5-11, galten dagegen als überraschender Finalteilnehmer. Es war das zweite Jahr unter Head Coach Bill Belichek. Ein durchaus geschätzter Trainer, der jedoch von den Cleveland Browns gefeuert wurde und mit einem kuriosen Rücktritt von seiner eintägigen Amtszeit bei den Jets für Schlagzeilen sorgte. Es ist auch das zweite Jahr eines gewissen Tom Brady. Ein unscheinbarer Quarterback, der weder der größte Athlet war, noch über den stärksten Arm verfügte und somit erst an 199. Stelle im NFL Draft selektiert wurde. In Woche drei seiner mittlerweile zweiten Saison kam Brady durch eine schwere Verletzung der eigentlichen Nummer eins, Drew Bledsoe, zu seinem ersten Karriere-Start. Er spielte sich fest und führte die Patriots mit einer Bilanz von 11-5 letztendlich in die Playoffs. Dort überstand New England gegen die favorisierten Oakland Raiders nur durch viel Glück, einer kontroversen Schiedsrichterentscheidung (Tuck Rule) und dank Kicker Adam Vinatieri die Divisional Round. Das darauffolgende Conference Final gegen die Pittsburgh Steelers wurde ebenfalls zu einer Zerreißprobe. Bereits im zweiten Quarter verletzte sich Tom Brady am Knie und fiel für den Rest der Partie aus. Ausgerechnet Drew Bledsoe, der Mann, den Brady als Starter entthronte, führte die Patriots mit 24-17 ins Endspiel.
Auf der einen Seite also das dominanteste Team der Liga mit einem Hall-of-Famer als Quarterback. Auf der anderen Seite eine Mannschaft, die sich durch die Playoffs schleppte. Ihr Quarterback: Ein unerfahrener Sechstrunden-Pick, der sich gerade rechtzeitig von einer Knieverletzung erholte. Die Rollenverteilung im Super Bowl war also klar…
Der Start einer Dynastie
Obwohl die Buchmacher in Las Vegas die Rams zum 14-Punkte-Favoriten machten, entsprach genau das der zwischenzeitlichen Führung des Außenseiters im dritten Viertel der Partie. Kurt Warner und Co. kämpften sich allerdings zurück und so stand es in Super Bowl XXXVI 81 Sekunden vor Schluss 17-17.
Ballbesitz New England, keine Timeouts, eigene 17-Yard-Linie und ein unerfahrener Quarterback. Die meisten rechneten damit, dass die Patriots versuchen würden, sich in die Verlängerung zu retten. Selbst Trainer-Legende und Kommentator John Madden riet während der Übertragung mehrfach davon ab, in dieser Situation auf Sieg zu spielen. Coach Belichick wusste allerdings schon damals, was für einen besonderen Spieler er mit Brady in seinen Reihen hatte. Ein Spieler, so der Trainer, mit dem es „nicht gefährlich ist, auf Sieg zu gehen, da er keine Fehler macht“.
Er würde Recht behalten. Was in der Schlussphase der Partie folgte, war nämlich die erste eindrucksvolle Kostprobe einer ganz besonderen Qualität Tom Bradys. Es handelt sich hierbei um eine Qualität, die schwer in Zahlen zu messen ist, anders als seine durchschnittlichen körperlichen Attribute, die ihn im Draft so weit fallen ließen. Es handelt sich hierbei um „Clutchness“. Ein Wort, für das es weder eine offizielle Definition, noch eine passende Übersetzung gibt. Im US-Sport bezeichnet man damit die Gabe, in den wichtigsten Momenten des Spiels und unter hohem Druck liefern zu können. Genau das tat der damals 24-jährige in seinem erst dritten Postseason-Auftritt auf der größten aller Bühnen. Brady dirigierte unter dem immensen Druck der Rams-Defense einen makellosen „Game-Winning-Drive“, den Kicker Adam Vinatieri mit seinem Field Goal bei ablaufender Zeit erfolgreich abschloss. Es war das erste Mal in der Geschichte des Super Bowls, dass das Spiel mit dem letzten Play entschieden wurde.
Mit diesem Drive machte sich Tom Brady unsterblich. Er wurde der jüngste Quarterback aller Zeiten, der den Super Bowl gewann, und der MVP des Finals. Darüber hinaus bescherte Brady den New England Patriots die erste Lombardi Trophäe ihres 40-jährigen Daseins. Wichtiger noch, er demonstrierte dabei diese ganz besondere Qualität, die der Grundstein einer nie da gewesenen Dynastie werden würde. Zusammen mit Bill Belichick, dem Head Coach, der ihm das Vertrauen schenkte und auch in den darauffolgenden 16 Jahren so erfolgreich in Szene setzte, folgten sage und schreibe acht weitere Finalteilnahmen, vier weitere Titel und unzählige Rekorde.
Wiedersehen mit neuen Rollen?
Februar 2019. Super Bowl LIII. Die Los Angeles Rams, vor der Saison einer der großen Favoriten auf den Super Bowl, treffen auf den fünffachen Champion, die New England Patriots.
Vor drei Jahren zogen die Rams mit großen Ambitionen zurück nach Los Angeles. Geführt von Offensivgenie Sean McVay, dem jüngsten Head Coach in der Geschichte der Liga, verfügt die Franchise über eines der besten Fundamente der NFL. Mit 13-3 durchliefen die Rams souverän die Regular Season. Im Halbfinale setzte sich das junge Team beim so heimstarken NFC-Mitfavoriten, den New Orleans Saints, mit ungeahnter Nervenstärke durch.
Die New England Patriots dagegen sind etwas in die Jahre gekommen. Trotz der imposanten Erfolge der letzten Jahre wurde die Franchise aus Massachusetts daher von einigen Experten vor der Saison überstürzt abgeschrieben. Ein weiterer Grund dafür war die Tatsache, dass der Quarterback 41 Jahre alt ist, ohnehin nie der größte Athlet war und folglich auf dem absteigenden Ast sein musste. Diese eine außergewöhnliche Qualität aber, seine „Clutchness“, hat dieser Tom Brady nicht verloren. Im Gegenteil, die jüngste Kostprobe dafür gab es nach einer 11-5 Saison im Conference Final. Mit dem mittlerweile 44. Game-Winning-Drive seiner sagenhaften Karriere führte er die Patriots bei den heimstarken Chiefs zum Sieg. An der Seitenlinie steht immer noch dieser Bill Belichick, mittlerweile als einer der intelligentesten Trainer in der Geschichte des Weltsports geschätzt.
Auf der einen Seite Tom Brady und Bill Belichick, das erfolgreichste Trainer-Quarterback-Duo aller Zeiten, die einzig verbleibenden Protagonisten des Super Bowls 2002. Auf der anderen Seite eine Franchise, gegen die vor 17 Jahren alles begann. Die Rollenverteilung ist klar…oder?

