Die belgische Nationalmannschaft verfügt zurzeit über eine enorm talentierte Spielergeneration, die nicht zum ersten Mal als einer der Geheimtipps vor einem großen Turnier gilt. Doch im Vergleich zu den letzten Jahren sind Spieler wie Eden Hazard, Romelu Lukaku oder Dries Mertens gereift, zudem scheint Trainer Roberto Martinez eine gute Mischung im Kader gefunden zu haben.
Die zahlreichen fantastischen Einzelkönner miteinander harmonieren zu lassen ist eine interessante Aufgabe. Neben Trainer Martinez ist dafür auch ein ganz besonderer Spieler auf dem Platz verantwortlich: Kevin de Bruyne. Der Offensivstar von Manchester City ist nicht nur ein genialer Fußballer, sondern auch der wichtigste Mosaikstein im belgischen Gebilde, der Klebstoff der Nationalmannschaft, der alles zusammenhält, was zusammen gehört.
Die bisherige Karriere
Den größten Teil seiner Jugendkarriere absolvierte de Bruyne beim KRC Genk. Bereits 2008 unterschrieb der Belgier dort einen Profivertrag, machte in den Folgejahren durch gute Leistungen auf sich aufmerksam. Belgische Talente waren auf dem Vormarsch und der FC Chelsea erkannte das Potenzial von de Bruyne. Im Januar 2012 sicherten sich die „Blues“ die Dienste des Offensivspielers, verliehen ihn aber für die restliche Saison zurück nach Genk. Die Saison 2012/13 verbrachte de Bruyne in Bremen und die Bundesliga war für ihn ein absoluter Glücksfall. Er spielte befreit auf, sorgte immer wieder für die besonderen Momente, musste im Sommer 2013 aber wieder zurück nach England. Im folgenden halben Jahr fiel die Einbindung in das Chelsea-System schwer und der VfL Wolfsburg schlug im Winter 2014 zu, verpflichtete de Bruyne für 22 Millionen Euro. Mit den „Wölfen“ spielte er im internationalen Geschäft, entwickelte sich persönlich weiter und drückte der Mannschaft, dem Spielstil des VfL seinen Stempel auf. Im Sommer 2015 überwies Manchester City dann weit über 70 Millionen Euro an den VfL Wolfsburg – und die Erfolgsstory des Kevin de Bruyne sollte nun endlich auch in England ihr Kapitel finden.
Interessante taktische Rolle
Die belgische Mannschaft spielt eine einem 3-4-2-1-System, Kevin de Bruyne nimmt dort eine sehr spannende Rolle ein. Er läuft neben Axel Witsel im zentralen Mittelfeld auf, spielt also deutlich tiefer als bei Manchester City. Seine strategischen Fähigkeiten sind hier besonders gefragt, auch wenn de Bruyne Freiheiten genießt. Mit Witsel (oder auch Dembele) stellt ihm Roberto Martinez einen Spielertyp an die Seite, der für die Balance sorgt und sich offensiv eher zurückhält, was de Bruyne entgegen kommt.
(Photo by David Rogers/Getty Images)
Gegen den Ball ist die Rolle von de Bruyne unspektakulär, im defensivtaktischen Bereich hat er sogar die ein oder andere Schwäche, schließt manche Räume nicht schnell genug, aber das kann zum Teil von der starken Dreierkette aufgefangen werden. Seine Offensivqualitäten und sein Wert im strategischen Bereich überdecken diese kleineren Probleme ohnehin sehr gut. Die insgesamt vorherrschende Pressingproblematik der Belgier muss auch durch die Klasse des Mittelfelds kaschiert werden – aber wenn de Bruyne, Hazard & co. in einer guten Tagesform sind und ihr Ballbesitzspiel entsprechend aufziehen können, werden die Gegner große Probleme bekommen.
Dynamik, Offensivdrang, finale Pässe
Die tiefere Rolle im belgischen System stellt für de Bruyne kein Problem dar. Er ist ein unglaublich intelligenter Spieler mit einem hohen Grundverständnis für Taktik und strategische Anpassungen. Außerdem spielte er in den beiden vergangenen Jahren für Pep Guardiola, der ihn noch einmal auf ein anderes Level hievte, überdies ist mit Roberto Martinez bei der belgischen Nationalmannschaft im Vergleich mit Marc Wilmots ohnehin ein größerer Fokus auf die taktischen Aspekte entstanden, das System wirkt besser ausbalanciert, die Abstimmung unter den Spielern ist besser.
Je besser die Abläufe im Team funktionieren, je strukturierter das System ist, desto einfacher ist es auch, die individuelle Klasse von Spielern wie Hazard oder de Bruyne gewinnbringend einzusetzen. Und mit dem Ball kann Kevin de Bruyne ohnehin fast alles. Seine Ballführung ist eng und er verfügt über das notwendige Tempo, seine Dynamik sowohl im Konter- als auch im strukturierten Ballbesitzspiel ist fantastisch und sein Abschluss ist ebenfalls hervorragend. Das belegen auch die Statistiken der vergangenen Saison, in der der Belgier 12 Tore und 21 Torvorlagen erreichen konnte. Auch im Nationalteam ist er mit 14 Toren und 26 Vorlagen in 62 Spielen ein herausragender Akteur. Bei der Weltmeisterschaft 2014 überzeugte er mit einem Treffe rund 2 Vorlagen, 2016, bei der Europameisterschaft in Frankreich, bereitete er drei Treffer vor, ehe das Team überraschend an Wales scheiterte.
(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)
Doch das wichtigste Element im Spiel von Kevin de Bruyne sind die Pässe. Und das sind nicht irgendwelche Pässe, sondern Schnittstellenpässe, Bälle, die Torchancen kreieren, Tore vorbereiten und mit chirurgischer Präzision gespielt werden. Egal ob aus vollem Lauf oder in Ruhe, egal ob flach, halbhoch oder hoch: Kevin de Bruyne ist mit dem Ball am Fuß im letzten Drittel eine Waffe, ein Genie, ein Spieler, der den Unterschied machen kann – und auch häufig genug macht. Selbst in einem vergleichsweise schwachen Spiel kann er plötzlich eine Großchance kreieren, mit nur einem einzigen Pass. Genau deswegen ist es immens wichtig, dass die Belgier diesen Spieler so gut es geht einbinden und genau deswegen ist es unmöglich den 26-jährigen über 90 Minuten aus dem Spiel zu nehmen.
Abhängigkeit? Vorhanden!
Natürlich ist eine Mannschaft immer auch von ihren Topspielern abhängig. Nimmt man bei den Belgiern Hazard, Mertens oder Lukaku aus dem Spiel, ist der Effekt aber nicht so groß wie bei einem Fehlen von Kevin de Bruyne. Als strukturgebendes Element mit den Fähigkeiten ein Spiel zu entscheiden ist er der Fixpunkt im belgischen Spiel – und noch dazu in bestechender Form. De Bruyne fehlt nur selten, ist körperlich topfit, auch mental gewachsen und hat seit dem letzten Turnier deutlich mehr Erfahrung, auch in internationalen Topspielen. Das macht ihn noch stärker, noch gefährlicher, noch entschlossener.
Wie erwähnt, die belgische Mannschaft ist alles andere als eine One-Man-Show, im Gegenteil, auch ohne de Bruyne wäre diese Mannschaft in der Lage die Gruppenphase zu überstehen, den Gegner im Achtelfinale zu besiegen und danach vielleicht die ein oder andere Überraschung zu schaffen. Mit de Bruyne ist sie aber ein ganz heißer Kandidat um unter die letzten 4 Teams des Turniers zu kommen. Und genau deswegen ist der Mittelfeldspieler der wichtigste Akteur seines Teams.