Spotlight

FC Barcelona unter Xavi: Auf der Suche nach Balance

27. Oktober 2023 | Spotlight | BY Damian Ozako

Beinahe zwei Jahre ist Xavi mittlerweile Trainer des FC Barcelona. Wie hat sich Barca seitdem entwickelt und woran hakt es derzeit noch bei den Katalanen?

FC Barcelona: Xavi übernimmt kriselndes Barca

November 2021: Der FC Barcelona ist Tabellenneunter. Die stolzen Katalanen mussten eine Demütigung nach der anderen hinnehmen und waren nicht mehr wiederzuerkennen. Der einstige Topklub, der mit Spielern aus der eigenen Jugend nicht nur Spanien, sondern auch Europa eroberte, bot unter Ronald Koeman nur äußerst biederen Fußball an. Die Vereinsführung rund um Joan Laporta sah sich aufgrund der schwachen Leistungen gezwungen zu handeln und entließ den Niederländer. Unter Koemans Führung war ein Wandel zum Positiven nicht mehr vorzustellen. An Euphorie war nicht zu denken.

Dies änderte sich mit seinem Nachfolger. Die Fans erhofften sich von Xavis Rückkehr, der als einer der besten Mittelfeldspieler aller Zeiten über viele Jahre hinweg das Spiel der Blaugrana dirigierte, eine Rückbesinnung zur sportlichen Identität des Klubs: Schneller, technisch anspruchsvoller Fußball, der die Massen begeistert.

„Liebe Culers, ich komme zurück nach Hause“, ließ der neue Coach damals über Instagram verlauten und versuchte gleich den so gespaltenen Klub wieder zu einen: „Ich weiß, dass ich in einem schwierigen Moment ankomme. Aber ich gehe diese Aufgabe mit dem größten Enthusiasmus an. Ich werde hart arbeiten und zusammen mit euch darum kämpfen, wieder dort anzukommen, wo wir hingehören.“

Kein reibungsloser Reset

Die Magie, die Xavi als Spieler auf den Platz brachte, war erstmal überhaupt nicht zu finden. Die Realität war bitter. „Der Verein befand sich in einer ungünstigen Situation – in sportlicher, finanzieller und psychologischer Hinsicht“, blickte Xavi erst vor wenigen Wochen zurück.

Die ersten Schritte dieses langwierigen sowie komplizierten Prozesses galten der Stabilisierung. In der Saison 2021/22 ging es darum, den Absturz abzubremsen. Dies gelang teilweise. Es gab vereinzelte Highlights, wie beispielsweise die 4:0-Siege gegen Athletic sowie im Bernabeu gegen Real Madrid. Die Aufgaben in der Liga wurden zumeist ohne Bravour erledigt, aber am Ende stand die Vizemeisterschaft und somit die überlebenswichtige Qualifikation für die Königsklasse.

In dieser wurden Xavi, der zuvor nur Al-Sadd in Katar trainierte, zum ersten Mal in seiner jungen Trainerkarriere die Grenzen aufgezeigt. Hinter dem FC Bayern und Benfica schied Barca in der Gruppenphase aus. Zuletzt ereilte die Blaugrana dieses Schicksal in der Spielzeit 2000/01. In der Europa League folgte im Viertelfinale das Ausscheiden gegen Eintracht Frankfurt im Viertelfinale. Das Selbstverständnis der Katalanen wurde erschüttert und spätestens nun war allen klar, dass die Aufgabe, die Xavi übernahm, mehr als kompliziert war.

Mehr News und Storys rund um La Liga

Pragmatisches Barca holt Titel

Umso größer war die Spannung vor der Spielzeit 2022/23, der ersten Barca-Saison unter dem neuen Trainer, mit richtiger Vorbereitung sowie entsprechender Transferplanung. Letztendlich setzte der Ex-Profi auf Maßnahmen, die nicht beliebt, aber effektiv waren. Der Fokus lag auf der Defensive und somit auf Ergebnisfußball. Der Plan ging auf: In 38 Spielen kassierte Barca lediglich 20 Gegentore und Marc-Andre ter Stegen hielt in 26 Ligaspielen die Null – Rekord in La Liga!

In der Offensive sah es nicht ganz so rosig aus. Neuzugang Robert Lewandowski wurde zwar mit 23 Treffern Torschützenkönig in Spanien, aber mit der Quote hätte es zuletzt 2001 für den Platz an der Sonne gereicht. Insgesamt hatten die Katalanen mit 70 Treffern in 38 Spielen zwar die zweitbeste Offensive hinter Real Madrid (75), aber die von den Messi-Jahren verwöhnten Barca-Fans haben regelmäßig Spielzeiten erlebt, in der die 100-Tore-Marke geknackt wurde. Das Umfeld der Blaugrana ist anspruchsvoll: Xavi holte in seiner ersten vollständigen Saison zwar den ersten Meistertitel seit 2019, aber trotzdem gab es nicht wenige kritische Stimmen.

Und diese Kritik war nicht ganz ungerechtfertigt. In Topspielen brach Barcelona zu oft auseinander. Im Halbfinalrückspiel der Copa del Rey hagelte es vor den eigenen Fans im Camp Nou eine deutliche 0:4-Packung gegen den Erzrivalen aus der Hauptstadt. In der Champions League schied Barca wie im Vorjahr in der Gruppenphase aus – wieder hinter dem FC Bayern sowie dem späteren Finalisten Inter. In der Europa-League-Zwischenrunde flog Barca gegen Manchester United raus.

Supercup-Sieg als Schlüsselmoment: Barca auf dem richtigen Weg

Ein einschneidendes Erlebnis auf dem Weg zur Besserung war – so glaubt es zumindest Xavi selbst – der erste Titel: der Supercup im Januar 2023. „Der Gewinn war ein Wendepunkt. Damals haben die Spieler gesehen, dass wir konkurrenzfähig sind, nachdem wir mit Real Madrid eine großartige Mannschaft besiegt und guten Fußball gespielt haben“, ließ der Coach den überzeugenden 3:1-Sieg Revue passieren. „Wir gewannen an Glaubwürdigkeit“, betonte er.

Das Fundament, das er durch den pragmatischen sowie defensiven Ansatz bildete, soll nun in seiner zweiten vollständigen Saison als idealer Ausgangspunkt genutzt werden. Xavi will den FC Barcelona wieder attraktiver gestalten. „Es ist ein Prozess der Entwicklung und des Aufbaus, aber wir leisten gute Arbeit“, so die Barca-Ikone, die nicht müde wird, zu betonen, wie viel Arbeit noch vor dem Verein liege.

Xavi-Ball 2.0

Die finanzielle Ausgangssituation, die Xavi vorfand, war und ist weiterhin ein großes Hindernis dieses Prozesses. Natürlich gaben die Katalanen auch unter seiner Leitung nicht gerade wenig Geld aus, letztendlich wurden Akteure wie Lewandowski, Ferran Torres, Jules Koundé oder auch Raphinha verpflichtet, aber das schwer verschuldete Barca musste auch dringend darauf achten, Spieler, wie Ousmane Dembélé, Coutinho und Antoine Griezmann loszuwerden, um Platz auf der Gehaltsliste freizumachen. Nur so konnten auch ablösefreie Profis, wie DFB-Kapitän Ilkay Gündogan oder Andreas Christensen unter Vertrag genommen sowie die wichtigen Leihen von Joao Felix und Joao Cancelo realisiert werden.

Gerade die beiden Portugiesen stehen exemplarisch für Xavi-Ball 2.0. Während in den vergangenen Saison gelernte Innenverteidiger wie Koundé und Ronald Araujo als Rechtsverteidiger aufliefen, gibt es seit dem Sommer mit Cancelo jede Menge Offensivpower auf dieser Position. Mit Felix wurde der Angriff ebenso deutlich aufgewertet. Seine Kreativität kommt Spielern wie Lewandowski zugute, die mit seinen Zuspielen gefüttert werden.

FC Barcelona: Xavi setzt auf Cancelo und Felix

(Photo by JOSEP LAGO/AFP via Getty Images)

Beim Umgang mit diesen und weiteren Stars, die mitunter große Egos haben, wirkt der noch relativ unerfahrene Trainer sehr souverän. Barcelona wirkt so diszipliniert und geeint, wie seit Jahren schon nicht mehr. „Die Kabine in Schach zu halten, ist fast schon wichtiger als taktische Angelegenheiten. Am Ende des Tages sind wir zur einen Hälfte Trainer und zur anderen Psychologen“, erklärte der 43-Jährige vor einiger Zeit in einem Interview. Bei diesem Aspekt dient sein Ex-Trainer Luis Aragones als Vorbild, der als Spaniens Nationalcoach einen Kader voller Stars zu einer funktionierenden Einheit formte und die EM 2008 gewann.

Beim FC Barcelona sorgen allerdings nicht nur etablierte Stars für positive Schlagzeilen. Gavi, Lamine Yamal, Alejandro Balde, Fermin Lopez und zuletzt auch Marc Guiu, der wenige Sekunden bei seinem Profidebüt brauchte, um sich als Torschütze zu registrieren: La Masia ist (endlich) wieder richtig präsent. Finanzielle Not macht erfinderisch und dank des Eigengewäches auf der Trainerbank finden nun wieder regelmäßig Talente den Weg in den Profikader. „Was mich an dieser Generation so überrascht, ist, dass sie keine Angst hat“, erklärte der 43-Jährige verwundert. „Sie beweisen Charakter und Mut“, ließ Xavi beinahe wie ein stolzer Vater wissen: „Ich hab es bei Gavi, Balde, Lamine und zuletzt bei Marc [Guiu] gesehen. In seinem Gesicht war keine Angst zu sehen.“

Fehlende Balance beim FC Barcelona

Es gibt wirklich viel Anlass zur Hoffnung aus Culer-Sicht. Die Barca-DNA kommt wieder deutlich stärker zum Vorschein und die ersten Titel wurden bereits letzte Saison geholt. Jedoch gibt es auch Bereiche, die noch nicht Topniveau ausstrahlen. Der Wechsel vom defensiven Kontrollfußball hin zum fluiden Angriffsfußball verläuft holprig. Und zwar in der Hinsicht, dass die Balance im Spiel der Katalanen etwas verloren ging. Die Mannen von Xavi lassen sich zu oft auf einen offenen Schlagabtausch ein und kriegen keine Ruhe ins Spiel. Der Gegner wittert dann seine Chance, nutzt die sich häufenden Unachtsamkeiten und Barca muss dann wieder mehr Energie aufbringen, um Spiele doch noch zur eigenen Gunst zu entscheiden.

Spiele wie gegen Villarreal – nach 2:0-Führung in Rückstand geraten und dann den 2:3-Rückstand zum 4:3-Auswärtssieg gedreht – oder Celta Vigo, als in den letzten zehn Minuten aus einem 0:2-Rückstand noch ein siegreiches 3:2 wurde, geben zwar kurzfristige Euphorie und einen ordentlichen Adrenalinschub, aber kosten auch immer wieder Kraft. Barcelona muss derzeit zu viel investieren, um Partien zu gewinnen. Das kann spätestens im Frühjahr dazu führen, dass in der entscheidenden Phase der Saison die letzten paar Prozent fehlen und Titel dadurch verloren gehen könnten.

FC Barcelona unter Xavi: Auf der Suche nach Balance

(Photo by PAU BARRENA/AFP via Getty Images)

Xavi bewies bislang, dass er Lösungen findet, um das Spiel seiner Mannschaft Stück für Stück anzupassen. Jetzt geht es darum, die Balance zwischen Pragmatismus und Spektakel zu finden. Die Fans sehnen sich nach attraktivem Fußball, aber leistet sich Barca weiterhin defensive Aussetzer, kann die Stimmung schnell kippen.

Am Samstag wartet der Clasico gegen Real Madrid. Ein unspektakulärer 1:0-Sieg würde den Culers wohl reichen, wenn danach wieder Schritt für Schritt an der Offensive und der richtigen Balance gefeilt wird. „Es ist ein Prozess der Entwicklung und des Aufbaus“, wiederholt Xavi beinahe gebetsmühlenartig. Das Topspiel zwischen dem erstplatzierten Hauptstadtklub und den drittplatzierten Katalanen, die sich nur einen Punkt hinter Real befinden, wird die ideale Gelegenheit sein, um zu überprüfen, wie gut die offensiven Anpassungen auch auf dem höchsten Niveau funktionieren.

(Photo by Florencia Tan Jun/Getty Images)

Damian Ozako

Als Kind von Tomas Rosicky verzaubert und von Nelson Haedo Valdez auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht worden. Geblieben ist die Leidenschaft für den (offensiven) Fußball. Seit 2018 bei 90PLUS.


Ähnliche Artikel