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Wieso Antoine Griezmann seinen zweiten Frühling erlebt

3. Januar 2024 | Spotlight | BY Michael Bojkov

Mit mittlerweile 32 Jahren befindet sich Antoine Griezmann in der Form seines Lebens. Absehbar war das nicht, im Gegenteil: Eigentlich galt seine Zeit schon als abgelaufen. Wie der Franzose den vermeintlichen Fußballerwinter überstand und nun seinen zweiten Frühling lebt.

Der vermeintliche Fall eines Großen

Er gehörte zu den besten Fußballern des Planeten. Zwar blieb der Gewinn der Europa League sein bislang größter Erfolg mit Atlético, doch sorgte Antoine Griezmann (32) mit 183 Torbeteiligungen in 257 Spielen dafür, dass die Colchoneros zwischen 2014 und 2019 nicht nur stets unter den ersten Drei in La Liga landeten, sondern auch auf internationalem Parkett von jeder Mannschaft gefürchtet wurden. Zumindest angesichts seiner Leistungen schien auch das Paket von 120 Millionen Euro gerechtfertigt, das der FC Barcelona im Sommer 2019 für die Dienste des Franzosen nach Madrid überweisen musste.



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Einige sahen in diesem Wechsel den logischen nächsten Schritt, immerhin hat Barca nochmal eine höhere Strahlkraft als Atlético. Recht behalten sollten jedoch die Kritiker: Griezmann passte nicht optimal ins System der Katalanen und befand sich stets auf der Suche nach seiner Rolle im Team. Dass der Weltmeister von 2018 nicht so recht warm wurde mit Barcelona, untermauerten auch die Zahlen: 52 Torbeteiligungen in 102 Spielen sind zwar nicht besorgniserregend, gemessen an Griezmanns vorherigen Statistiken jedoch unterdurchschnittlich. Die Tatsache, dass er im Schatten von Lionel Messi (36) plötzlich nicht mehr der Protagonist war, sorgte außerdem dafür, dass Griezmann auch medial an Relevanz verlor. Die Augen waren fortan auf andere gerichtet, viele bezeichneten den Angreifer gar als den größten Transferflop des damaligen Barca-Präsidenten Josep Bartomeu (60).

Waren Griezmanns Tage im Kreis der ganz Großen also gezählt? Selbst im Rahmen seiner Rückkehr zu Atlético im Sommer 2021 herrschte Skepsis darüber, ob der Franzose wieder an frühere Zeiten anknüpfen könne. Eine durchwachsene Comeback-Saison mit lediglich drei Ligatoren – nie zuvor hatte Griezmann weniger – und Verletzungen bestätigte die Kritiker, bei vielen Anhängern war der Offensivmann seit seinem Abgang ohnehin in Ungnade gefallen. Seine zweite Ehe mit den Colchoneros schien im Grunde nach nur einer Spielzeit wieder in den Brüchen zu liegen. Dass der mit Barca verhandelte Leihvertrag von zweijähriger Dauer war, kann im Nachhinein als Schicksal betrachtet werden.

Auch in der Saison 2022/23 hatte Griezmann zunächst mit Ladehemmungen zu kämpfen, auch, weil er absichtlich nicht mehr als 30 Minuten Spielzeit pro Partie erhielt. Damit wollte Atlético eine im Leihvertrag festgesetzte Kaufpflicht umgehen und Barca unter Druck setzen. Im Oktober vergangenen Jahres sicherte sich Atleti die Dienste von Griezmann letztlich für 20 statt der festgeschriebenen 40 Millionen Euro – ein Schnäppchen, wie sich nur wenige Monate später herausstellen sollte. Mit losgelösten Handschellen und dem Gewissen, zumindest auf dem Papier wieder ein fester Bestandteil der Atlético-Familie zu sein, schien Griezmann auch wieder Spaß am Fußballspielen zu finden. So viel Spaß, dass Atleti eine herausragende Rückrunde spielte und Griezmann mit 15 Toren und 16 Vorlagen Topscorer in La Liga wurde.

Antoine Griezmann

Mimik als Symbol: In Barcelona war Griezmann nur Randfigur. (Photo by David Ramos/Getty Images)

Griezmann blüht neu auf

Entscheidend für die Leistungsexplosion war auch die Rolle, die Diego Simeone (53) seinem verlorenen Sohn gab. Fortan war der Franzose nämlich wieder der kreative Dreh- und Angelpunkt. Glänzte er in seiner ersten Ehe mit den Colchoneros eher als Vollstrecker, so beteiligt sich der 32-Jährige mittlerweile noch aktiver in der Inszenierung von Angriffen. Oder besser gesagt: Er ist die Inszenierung in persona. Nahezu sämtliche Offensivaktionen bei den Rojiblancos laufen über Griezmann, der mannschaftsintern nicht nur die meisten Schüsse abgibt, sondern auch in puncto Chancenkreation nahezu sämtliche Statistiken anführt.

In Simeones 3-5-2-System zumeist als hängende Spitze, vergangene Saison häufiger aber auch als Zehner, lässt sich der 127-fache französische Nationalspieler bei eigenem Ballbesitz meist etwas fallen, ehe er nach Zuspiel blitzschnell aufdreht. Seine Spielintelligenz und ein gutes Auge helfen ihm nicht nur, besser postierte Mitspieler in Szene zu setzen. Griezmann hat auch ein extrem gutes Raumverständnis, läuft sich in den richtigen Momenten frei, zieht gegnerische Verteidiger aus der Kette oder startet selbst in die Tiefe, um dann abzuschließen.

Im gegnerischen Strafraum profitiert der Topvorbereiter der vergangenen La-Liga-Saison vor allem von seiner Effizienz: Griezmann hat in der laufenden Spielzeit in allen Klubwettbewerben aus elf expected Goals bereits 16 Treffer erzielt, überperfomt seinen xG-Wert also fast um die Hälfte. Seine Polyvalenz im Offensivspiel gepaart mit Effektivität vor dem Tor machen ihn vor allem gegen tief stehende Gegner zur absoluten Waffe – Gegner, mit denen sich Atlético eigentlich traditionell schwertut. So hat die Nummer 7 der Colchoneros auch maßgeblichen Anteil daran, dass seine Mannschaft 2023 die mit den meisten Treffern in La Liga war (83, dahinter Real Madrid mit 79). Auch in den Individualstatistiken steht Griezmann ganz vorne: Kein Spieler der Liga kann im Kalenderjahr 2023 mehr Tore (21) und Assists (13) vorweisen als der 32-Jährige.

Griezmann, die Atlético-Legende

Dabei wird allen voran Simeone auch die defensiven Qualitäten seines Schützlings loben. Trotz seines riesigen offensiven Aktionsradius besticht Griezmann auch durch ein hohes Arbeitspensum gegen den Ball, scheut sich nach Ballverlusten nicht, seinen Gegner zu pressen oder einen längeren Sprint in die eigene Hälfte hinzulegen. Der perfekte Offensivspieler für Simeone also, wie sich schon früher gezeigt hat und aktuell nochmal eindrucksvoller bestätigt. Kein Wunder, war auch „El Cholo“ eine der treibenden Kräfte hinter Griezmanns Rückkehr – in einer Phase, in der der Franzose im Metropolitano mit Pfiffen bedacht wurde.

Die sind aber längst wieder verstummt. Die Colchoneros haben „ihren“ Antoine Griezmann neu lieben gelernt und wissen, dass er inzwischen auch in die Riege der ganz Großen gehört, die sich in der Vergangenheit das rot-weiße Trikot übergestreift haben. Und wie es sich für ihn gehört, belegt Griezmann auch das mit Zahlen: Beim 3:3 gegen Getafe im Dezember erzielte er seinen 173. Treffer für Atlético, zog mit Klubikone und Rekordschütze Luis Aragonés (†75) gleich. Als Griezmann 2018 über seine Zukunft nachdachte, soll ihm seine Frau Erika gesagt haben: „Wenn du nach Barcelona gehst, wirst du nur ein Spieler wie jeder andere sein, bei Atlético wirst du Geschichte schreiben.“ Sechs Jahre später weiß Antoine: Sie hatte recht.

Michael Bojkov

(Photo by Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images)

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 im Team. Hat unter anderem das Champions-League-Finale 2024 und die darauffolgende Europameisterschaft vor Ort für 90PLUS begleitet.


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