Spotlight

Barca und Flick? „Das birgt Gefahren“ – Das Experten-Panel zu La Liga 2024/25

15. August 2024 | Spotlight | BY Michael Bojkov

Das Warten hat ein Ende, La Liga ist zurück! Und mit ihr jede Menge spannende Fragen: Welche Auswirkungen haben der Kroos-Abgang und die Einbindung von Kylian Mbappé auf das Spiel von Real Madrid? Passt Hansi Flick zum FC Barcelona? Und kann Atlético mit der Verpflichtung von Julián Álvarez ganz oben angreifen? Unsere Experten diskutieren.

Vor dem Saisonstart am Donnerstag haben wir uns mit dem spanischen Sportjournalisten Marc Gironès (schrieb unter anderem für Mundo Deportivo) und Alex Truica unterhalten, der unter anderem den La-Liga-Podcast TIKI TAKA hostet. Für 90PLUS antwortete Spanien-Experte Christoph Albers.



Aktuelle News und Storys rund um La Liga

Wie steht es um die Big Player in La Liga?

90PLUS: Toni Kroos hat seine Karriere beendet, dafür hat Real Madrid in Kylian Mbappé nun den vielleicht besten Angreifer der Welt in den eigenen Reihen. Inwieweit wird sich dadurch das Spiel der Königlichen verändern?

Marc Gironès: Ich glaube nicht, dass sich der Spielstil des Titelverteidigers großartig unterscheiden wird. Das liegt zum Teil daran, dass sie einen großen Kader mit vielen technischen Spielern haben, die die Rolle von Toni Kroos ausfüllen können. Was ich allerdings sehe, ist ein vertikaleres Spiel mit der Hinzunahme von Kylian Mbappé. Etwas, das dem berühmten BBC (Bale-Benzema-Cristiano, Anm. d. Red.)) von damals ähnelt.

Alex Truica: Durch Kroos‘ Abgang verliert Real im Zentrum seinen großen Strategen, der Struktur, Ruhe, Abgeklärtheit und Ballsicherheit ins Spiel der Blancos brachte. Sicherlich könnte Real nun in der Folge häufiger vertikaler spielen und schneller den Zug vor des Gegners Tor suchen, denn beispielsweise Camavinga oder Valverde sind andere Spielertypen mit anderen Fähigkeiten und Vorzügen.

Christoph Albers: Darauf bin ich sehr gespannt. Da Kroos nicht 1:1 ersetzt werden kann, wird sich die Statik im Mittelfeld sicherlich verändern. Tchouameni könnte als tiefer Sechser mehr in die Verantwortung rücken. Camavinga, der dafür vermehrt in die Startelf drängen dürfte, könnte mit seiner Dynamik dagegen eine andere Facette betonen. In Kombination mit der Verpflichtung Mbappés könnte der Fokus noch mehr auf das offensive Umschaltspiel gelegt werden. Das bedeutet, dass Real auch defensiv tiefer stehen und auf ein eigenes Offensivpressing verzichten sollte. Das wiederum könnte vermehrt offene End-to-End-Spiele mit sich bringen. Angesichts der extremen individuellen Qualität könnte Real es sich wahrscheinlich sogar erlauben, es genau darauf ankommen zu lassen, aber für die Liga, in der Konstanz das höchste Gut ist, wäre das womöglich nicht förderlich. Die größte Herausforderung wird vermutlich darin bestehen, Lösungen gegen einen tief stehenden Gegner zu finden.

Erstes Pflichtspiel, erstes Tor, erster Titel: Kylian Mbappé erlebte beim UEFA Supercup gegen Atalanta (2:0) einen Traumstart im königlichen Dress.

Erstes Pflichtspiel, erstes Tor, erster Titel: Kylian Mbappé erlebte beim UEFA Supercup gegen Atalanta (2:0) einen Traumstart im königlichen Dress. (Photo by Adam Nurkiewicz/Getty Images)

Der FC Barcelona hat mit der Installation von Hansi Flick einen durchaus gewagten Kurswechsel vollzogen. Was erwartest du wir vom „neuen“ Barça? Kann der ehemalige Bundestrainer Blaugrana zurück an die Spitze führen?

MG: Ehrlich gesagt erwarte ich nicht viel von Hansi Flicks erster Saison in Barcelona. Hoffentlich kann er seine Ideen ohne den Druck, sofort Ergebnisse und Titel zu erzielen, umsetzen. Die Abgänge und die wenigen Neuzugänge lassen die außersportliche Leitung sehr schlecht dastehen und verdeutlicht die interne Krise des Vereins, die sich auch auf dem Platz widerspiegeln wird. Das Talent der jüngeren Spieler, die Qualität von Lamine Yamal, Pedri, die Rückkehr von Gavi und die Tore von Lewandowski werden für einen 2. Platz hinter Real Madrid reichen. Meister werden sie allerdings wieder nicht.

AT: Zuallererst eine bessere physische Vorbereitung, also neue Trainingsreize und -impulse. Im Spiel dann ein höheres und giftigeres Pressing, mehr Laufstärke, generell ein verstärktes Flügelspiel – hoffentlich aber ohne, dass es in Flanken-Spamming endet. Ob Barca dann erfolgreich sein wird und wie sehr, hängt ja immer auch von vielen anderen Faktoren ab – etwa auch der Stärke Real Madrids.

CA: Eine unmittelbare Rückkehr in den Kreis der Favoriten auf den Champions-League-Titel traue ich ihnen auf jeden Fall nicht zu. Die Mannschaft verfügt über extrem viele junge, talentierte Spieler, ist aber womöglich zu abhängig von ihnen. Einerseits müssen sie wahrscheinlich mehr Spiele spielen, als es für sie gut wäre, und andererseits wäre es auch einfach zu viel verlangt, permanent Spiele entscheiden zu müssen. Grundsätzlich kann ich mir Flicks Spiel, das vor allem auf einer schnellen Rückgewinnung des Ballbesitzes und einem vertikal angelegten Passspiel beruht, mit der vorhandenen Mannschaft gut vorstellen, nicht zuletzt nach der Verpflichtung Olmos, aber es gilt noch mehr Umstände zu beachten. Der Verein hat ein extremes Eigenleben, Barca ist immer sehr politisch und das Misstrauen gegenüber “Externen” ist prinzipiell groß. Das birgt Gefahren und könnte ihn schneller zu Fall bringen, als es ihm lieb sein kann. Von daher kann es ganz leicht in beide Richtungen gehen. Ich sehe aber vor allem enorm viel Potenzial.

Atlético im Angriffsmodus – Absturz in Girona?

Atlético hat kräftig auf dem Transfermarkt zugeschlagen und sich mit Robin Le Normand und Julián Álvarez verstärkt, Conor Gallagher könnte noch folgen. Traust du den Colchoneros zu, eine Rolle im Titelrennen zu spielen?

MG: Die Mannschaft von „El Cholo“ hat in diesem Sommer zweifellos die beste Arbeit geleistet. Die Neuzugänge werden einem Kader, dem in der Hälfte der Saison sowohl in der Liga als auch in der Champions League die Luft ausgegangen ist, einen Qualitätssprung verleihen. Daher sehe ich Atlético um die Spitzenplätze kämpfen und den dritten Platz zurückerobern, wenn auch ohne echte Optionen für die ersten beiden Plätze, die von Real Madrid und dem FC Barcelona bestimmt werden.

AT: Das sollten und müssen sie jedenfalls. Wer so stark und viel investiert, der setzt damit ja ein klares Statement und Ausrufezeichen. Es wäre wirklich schön, mal wieder einen Titel-Dreikampf in Spanien zu haben.

La Liga: Im vergangenen Sommer spielte er mit City gegen Atlético. Jetzt wechselt Julián Álvarez die Farben.

Im vergangenen Sommer spielte er mit City gegen Atlético. Jetzt wechselt Julián Álvarez die Farben. (Photo by Chung Sung-Jun/Getty Images)

CA: Atlético hat auf dem Transfermarkt wirklich ein dickes Ausrufezeichen gesetzt. Álvarez ist sicherlich der absolute Königstransfer und passt perfekt zu Simeones Mannschaft. Ein Star ohne Allüren und mit einem tollen Arbeitsethos. Er ist taktisch herausragend geschult, spielt sehr mannschaftsdienlich und liefert trotzdem zuverlässig Scorer. Als zweiter Stürmer neben einem Zielspieler wie Sörloth sehe ich ihn zudem hervorragend eingesetzt. Auch Le Normand ist aus meiner Sicht eine Top-Verstärkungen, allerdings sehe ich Atleti vor allem in der Defensive zu dünn besetzt. Eigentlich müssen die Colchoneros also noch mehr investieren, um auch die nötige Breite in den Kader zu bekommen, ansonsten dürfte es trotz des vorhandenen Potenzials enorm schwer werden, eine konstant herausragende Saison zu spielen. Um auf die Frage zurückzukommen: Top drei: Ja. Wirklicher Meisterschaftskandidat: Eher nein.

In der vergangenen Saison hat Überflieger Girona das Champions-League-Teilnehmerfeld komplettiert. Traust du den Katalanen trotz der Abgänge zahlreicher Leistungsträger erneut zu, oben mitzuspielen? Wer könnte ansonsten statt ihnen in die Top vier stoßen?

MG: Die letzte Saison von Girona war historisch und wird in der katalanischen Stadt für immer in Erinnerung bleiben. Es wird sehr schwierig sein, die hervorragenden Ergebnisse zu wiederholen, da sie Schlüsselspieler wie La-Liga-Toptorjäger Dobvyk, Aleix García, Savinho oder Yan Couto verloren haben. Ich kann mir vorstellen, dass sie eine gute Saison spielen werden, die im Mittelfeld oder vielleicht sogar im Kampf um Europa mündet. Um erneut die Top vier zu erreichen, müssten aber Wunder geschehen.

AT: Nein. Der Ausverkauf und Abgang der wichtigen Leistungsträger wird Folgen haben. Hinzu kommt ja die Doppelbelastung mit dem großen Highlight Champions League, vergangene Saison hatte Girona das ja auch nicht. Ich erwarte daher ein Abrutschen – möglicherweise sogar außerhalb der europäischen Ränge.

CA: Girona hat sich in den letzten Jahren wirklich hervorragend entwickelt, sodass es mich sehr wundern würde, wenn sie richtig abstürzen würden. Mit Ladislav Krejci und Abel Ruiz haben sie zwei sehr interessante Spieler verpflichtet, die das Potenzial haben, den nächsten Entwicklungsschritt zu absoluten Top-Spielern in La Liga zu machen. Auch die Verpflichtungen von Oriol Romeu und Donny van de Beek sind absolut sinnvoll und passen zur Strategie Gironas (siehe zuvor Blind, Eric Garcia, …). In den Top vier sehe ich sie allerdings nicht. Dafür wiegen die Abgänge zu schwer, die Belastung durch die Champions League ist zu groß und die Konkurrenz ist zu stark. Ich gehe von einem Platz in der oberen Tabellenhälfte aus. Im Kampf um die Top vier sehe ich, neben den großen Drei, vor allem die beiden baskischen Teams, Real Sociedad und Athlletic Club. Wobei ich Real Sociedad noch den Schritt weiter vorne sehe. Villarreal, die unter Marcelino eine starke Rückrunde gespielt haben, sehe ich mit Außenseiterchancen.

La Liga: Muss in der neuen Saison kreativ werden: Girona-Trainer Michel

Muss in der neuen Saison kreativ werden: Girona-Trainer Michel. (Photo by Aitor Alcalde/Getty Images)

Nicht nur die üblichen Verdächtigen: Die Player to watch in La Liga

Mit Mbappé begrüßt La Liga ein prominentes neues Gesicht, dazu gibt es einige weitere spannende Neuzugänge, junge Talente hoffen auf ihre Durchbruchssaison. Welche Spieler gilt es besonders im Auge zu behalten?

MG: Ich werde hier sehr konservativ sein, aber der spanische Fußball hat eine großartige Zukunft vor sich. Die Sensation der letzten Saison war Lamine Yamal, der sich nach der starken EM mit nur 17 Jahren zu einem der besten Spieler der Welt entwickeln könnte. Dann freue ich mich natürlich auch auf die Auftritte von Atletis Top-Neuzugang Julián Álvarez und Nico Williams, der wohl eine weitere Saison in Bilbao bleiben wird.

AT: Natürlich Lamine Yamal – das ist jetzt keine allzu forsche Prognose, aber er wird sicherlich auch den nächsten Schritt machen. Schließlich war die vergangene Spielzeit ja seine erste Profisaison überhaupt. Gespannt bin ich auch auf Arda Güler. Zum Ende der Saison bekam er vermehrt Einsätze und nutzte die Spielzeit auch, bei der EM hat er seine Klasse ebenfalls angedeutet. Vielleicht bietet sich durch Kroos‘ Abgang auch für ihn die Chance, sich noch besser in Real Madrids Team zu etablieren. Sehr gespannt bin ich auch auf Nico Williams und das Atletico-Quartett Arthur Vermeeren, Rodrigo Riquelme, Pablo Barrios und natürlich Julián Álvarez.

CA: Mbappé wird natürlich das Maß aller Dinge sein, allerdings ist die eigentlich bemerkenswerte Story des bisherigen Sommers die Zurückhaltung der Klubs. Fast allen Vereinen fehlt es an nötigen finanziellen Mitteln und es wird deutlich, dass das Financial Fair Play von La Liga eine zusätzliche Bürde ist, die Wachstum hemmt. Von daher sind die Klubs dazu gezwungen, andere Wege zu gehen, was die Liga umso interessanter macht. Sehr gespannt bin ich auf Álvaro Djaló, der aus Braga nach Bilbao gewechselt ist und schon in Portugal für Furore gesorgt hat. Nicht zuletzt weil es für den Athletic Club nicht allzu üblich ist, die Netze so weit auszuwerfen. Aber auch Luka Sucic, den Real Sociedad aus Salzburg verpflichtete, steht bei mir ganz weit oben. Ein spannender Spieler mit einer guten Physis und einem starken Fernschuss. Abel Ruíz habe ich ja bereits erwähnt.

La Liga: Lamine Yamal könnte sich in dieser Saison zu einem der besten Spieler der Welt entwickeln, glaubt Marc Gironès

Lamine Yamal könnte sich in dieser Saison zu einem der besten Spieler der Welt entwickeln, glaubt Marc Gironès. (Photo by Eric Alonso/Getty Images)

Mallorca nach Europa? Hot Takes und weitere Prognosen

Zum Schluss eine kleine Prognoserunde: Der spanische Meister, die drei Absteiger und ein Hot Take.

MG: Meister wird Real Madrid. Die drei Absteiger: Espanyol, Alavés und Celta. Celta spielt schon seit zu vielen Jahren mit dem Feuer, diesmal sind sie fällig. Das Management des Vorstandes und die Wirtschaftskrise werden der Mannschaft auch nicht helfen. Das Gleiche gilt für Espanyol. Zu viele Spielzeiten zwischen der ersten und der zweiten Liga. Die Mannschaft hat zwar einige Neuzugänge zu verzeichnen, konnte aber auf dem Spielfeld nicht viel bewegen. Und schließlich Alavés, das in der letzten Saison zwar den starken zehnten Platz belegte, in diesem Jahr aber am Tabellenende zu finden ist. Heißer Tipp: Villarreal wird unter den Top 5 landen und Girona aus dem europäischen Rängen fallen.

AT: Real Madrid wird sich (vielleicht nur knapp) durchsetzen. Bei Barca ist zu viel Trubel hinter den Kulissen, außerdem habe ich Zweifel, ob Hansi Flick die richtige Wahl war. Atlético fehlt oftmals die Konstanz im Titelkampf – gerade in Auswärtsspielen zeigen sie oft ein anderes Gesicht als im Metropolitano. Als Absteiger tippe ich Leganés, Rayo und Las Palmas. Rayo war die zweitschwächste Rückrundenmannschaft mit nur drei Siegen und insgesamt elf Toren in der Fremde, der Trend könnte anhalten. Leganés ist ein kleiner Aufsteiger und Las Palmas hat Erfolgscoach Garcia Pimienta verloren. Er trainiert jetzt den FC Sevilla, worauf ich sehr gespannt bin. Er setzt auf die alte Barca-Spielphilosophie, das kann ein spannendes Projekt bei Sevilla werden. Ich tippe sie in die Top 10 – nach Jahren der Krisen und Trainerentlassungen wäre das mal wieder ein positiver Schritt in die richtige Richtung. Ob das schon als Hot Take taugt, weiß ich aber nicht.

CA: Meister wird, trotz der zuvor genannten Herausforderungen, Real Madrid. Die enorme individuelle Qualität, die Erfahrung das stabilere Umfeld geben am Ende den Ausschlag. Bei Barcelona sehe ich zu viele Ungewissheiten. Was die Absteiger anbetrifft, sehe ich die Aufsteiger Leganés und Valladolid als am akutesten gefährdet an, dazu Alavés, die schwerwiegende Abgänge zu verzeichnen hatten.

Als mögliches Überraschungsteam möchte ich an dieser Stelle den RCD Mallorca nennen. Sie dürften zwar nicht um die Champions League mitspielen, aber ich traue ihnen dennoch einen enormen Sprung zu. In Jagoba Arraste, der zuvor in Osasuna sechs Jahre lang einen tollen Job machte, konnte Mallorca einen hervorragenden Trainer gewinnen, der aus meiner Sicht sehr gut zu Kader passt. Mallorca dürfte zu einem sehr unangenehmen Gegner werden, der vor allem kompakt verteidigt, sehr intensiv spielt und über schnelle Konter sehr gefährlich werden könnte. Die Verpflichtung des schnellen Takuma Asano passt sehr gut dazu, vor allem als Ergänzung zu einem echten Zielspieler wie Vedat Muriqi oder Cyle Larin, die sich vermutlich um einen Platz streiten werden. Mei Hot Take wäre damit: Mallorca landet auf Platz 9 oder besser.

Fragen von Michael Bojkov

(Photo by CHARLY TRIBALLEAU/AFP via Getty Images)

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 im Team. Hat unter anderem das Champions-League-Finale 2024 und die darauffolgende Europameisterschaft vor Ort für 90PLUS begleitet.


Ähnliche Artikel