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Zwischen Chancen und Pulverfässern: Hansi Flick und der FC Barcelona

14. August 2024 | Spotlight | BY Michael Bojkov

Neuer Trainer, ein frischer Offensivstar und viele junge, talentierte Spieler. Aber auch Baustellen und ein nie zur Ruhe kehrendes Vereinsumfeld. Das Engagement von Hansi Flick beim FC Barcelona ist mit Chancen, gleichzeitig aber auch mit vielen Fragezeichen verbunden. Und nach einer titellosen Saison ist der Druck bei allen Beteiligten hoch.

Sind Flick und der FC Barcelona ein Match?

Hansi Flick (59) und der FC Barcelona – wie passt das zusammen? Manchmal gibt es im Weltfußball Beziehungen, die wie Symbiosen wirken. Beim katalanischen Weltklub und dem ehemaligen deutschen Bundestrainer ist das von außen betrachtet zunächst einmal weniger der Fall. Aber es wird ja Gründe gegeben haben, warum sich die Verantwortliches im Zuge einer denkwürdigen Posse dazu entschieden, Klublegende Xavi (44) den Trainerstuhl wegzunehmen und stattdessen in Flick den Mann sahen, der nach einer titellosen Saison das Tafelsilber zurückbringen soll.



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„Er hat uns viel Zuversicht gegeben, als wir merkten, dass er die Mannschaft gut kennt. Er hat Barca verfolgt“, beschreibt Klubpräsident Joan Laporta (62) die ersten Gespräche mit Flick. Sportdirektor Deco (46), so Laporta, „sah einen verantwortungsbewussten Trainer, der den Spielstil respektieren wollte“. Die Fans erwartet also kein Kulturschock, wenn sie ihre Mannschaft das erste Mal unter dem neuen Trainer spielen sehen. Flick wird versuchen, den naturgemäß dominanten Fußball beim FC Barcelona fortzuführen. Allerdings mit einer entscheidenden Anpassung: Künftig soll es im Gegenpressing noch intensiver und das Spiel nach Balleroberung noch schneller und vertikaler werden, als das unter Xavi teilweise schon der Fall war.

Wir haben mit Pablo Planas gesprochen, der als Chefredakteur der großen Sportzeitung Mundo Deportivo nahe an der Mannschaft und den Menschen im Verein dran ist. Er sieht in der Installation von Flick Chancen für den Verein: „Die Bosse wollten ihn und die Vorbereitung sah unter Flick sehr gut aus, die Spieler hängen sich im Training rein. Ich denke, sein Stil könnte sich gut mit der Mentalität im Klub fügen. Er wird die Spieler vor allem physisch auf ein neues Level hieven.“

Der Auftrag ist klar: Hansi Flick soll mit dem FC Barcelona Titel gewinnen.

Der Auftrag ist klar: Hansi Flick soll mit dem FC Barcelona Titel gewinnen. (Photo by Eric Alonso/Getty Images)

Erste Ansätze seines intensiven Spielstils wurden auch in den Testspielen sichtbar, in denen die Stars noch fehlten und dafür viele junge Spieler Eigenwerbung betreiben konnten. Allen voran Pau Víctor (22), dem bei den Siegen gegen Manchester City und Real Madrid (jeweils 2:1) insgesamt drei Treffer gelangen. Auch andere Eigengewächse gaben eine gute Visitenkarte ab. Dass aktuell so viele „La Masia“-Absolventen wie lange nicht mehr den Sprung zu den Profis schaffen, ist ein positives Signal für die Katalanen, denen auf dem Transfermarkt mehr oder weniger die Hände gebunden sind.

Barcas Probleme auf dem Transfermarkt

Was den Verantwortlichen nämlich von vornherein bewusst war: Auch in diesem Sommer wird man keine rekordverdächtigen Summen in neue Spieler investieren können. Schwerwiegende Fehlentscheidungen in der Vereinspolitik und damit verbunden auch aberwitzige Kaderinvestitionen ohne Weitsicht zwingen den nach wie vor hochverschuldeten Weltklub wirtschaftlich in die Knie. 

Immerhin: Die Verpflichtung von Europameister Dani Olmo (26), der für ein Ablösepaket von 60 Millionen Euro aus Leipzig kam, ließ die Vereinskasse offenbar zu. Auf den ersten Blick ist dieser Transfer auch stimmig: Olmo ist technisch hochveranlagt, was er in den vergangenen Jahren eindrucksvoll in der Bundesliga unter Beweis gestellt hat. Dazu spielte der ehemalige „La Masia“-Absolvent beim Gewinn der Europameisterschaft vor wenigen Wochen als einer der besten Spieler des Turniers eine entscheidende Rolle. Auf dem Papier also ein Barca-Match, wie es im Buche steht. Doch 60 Millionen Euro sind dieser Tage nunmal ein risikobehaftetes Investment für den Klub – und Olmo ein Spieler, der bei aller zweifellos vorhandenen Klasse keine Baustellen schließen wird.

Europameister in blond: Neuzugang Dani Olmo stellt sich den Fans vor.

Europameister in blond: Neuzugang Dani Olmo stellt sich den Fans vor. (Photo by MANAURE QUINTERO/AFP via Getty Images)

Dani Olmo und die vielen Abers

Mit dem 26-Jährigen, der seine Stärken am besten auf der Zehn ausspielen kann, hat der FC Barcelona nun ein Überaufgebot im zentralen Mittelfeld. Neben dem 39-fachen spanischen Nationalspieler kämpfen Fermín López (21), DFB-Kapitän Ilkay Gündogan (33) und, sobald von seiner Verletzung auskuriert, auch Pedri (21) um den Platz auf der Zehner-Position in Flicks präferierten 4-2-3-1-System.

Eine Baustelle dagegen ist die Doppelsechs. Sobald Gavi (20) sich vollständig von seinem Kreuzbandriss erholt hat und spielfit ist, wird eine der beiden Positionen wohl ihm gehören. Daneben gibt es eine Vakanz. Barca braucht einen defensivstarken Anker-Sechser, der gleichzeitig aber auch Fähigkeiten am Ball mitbringt. Oriol Romeu (32) erfüllte nur ersteres und kehrt nach einem Jahr in Blaugrana zum FC Girona zurück. Einem Gündogan oder Frenkie de Jong (27) dagegen fehlt die defensive Stabilität, die auf der Sechser-Positition gerade in der Flickschen Pressingmaschinerie unerlässlich ist. De Jong ist aufgrund seines hohen Gehaltes ohnehin – wie eigentlich jedes Jahr – ein Verkaufskandidat. Kommt also noch ein neuer Spieler mit passendem Profil für das defensive Mittelfeld? Zweifelhaft. Ohne die Olmo-Millionen befinden sich die Katalanen in einer schwierigen Marktposition und so könnte es sein, dass Flick auf die Eigengewächse Marc Bernal (17) und Marc Casadó (20) bauen muss, die zwar hochtalentiert sind, jedoch keinerlei Profierfahrung mitbringen.

Garanten für den Erfolg: Gavi und Pedri bejubeln zusammen mit Lewandowksi einen Treffer

Garanten für den Erfolg: Robert Lewandowski bejubelt zusammen mit Gavi und Pedri einen Treffer. Die beiden Spanier verpassen den Saisonstart verletzungsbedingt. (Photo by JOSE JORDAN / AFP) (Photo by JOSE JORDAN/AFP via Getty Images)

Die nächste Vakanz herrscht auf dem linken Flügel, den nach Vorstellungen der Bosse eigentlich Nico Williams (22) hätte besetzen sollen. Sky und weiteren Medien zufolge kann sich der zweifache EM-Torschütze einen Wechsel nach Barcelona vorstellen, der Klub jedoch nicht die nötigen finanziellen Mittel auftreiben. Und da wären wir wieder bei Olmo, der die Summe eingestrichen hat, die es vielleicht für einen Williams gebraucht hätte. Zwar kann die neue Nummer 7 der Blaugrana auch auf dem linken Flügel spielen, bringt jedoch nicht das nötige Tempo und die Breite im Spiel mit, die sich Flick auf dieser Position wünscht.

Auch Barca-Experte Planas ist zwiegespalten: „Ich denke, Olmo ist eine gute Option, weil er ein großartiger Spieler ist und die Mannschaft besser machen kann. Das Problem ist allerdings, dass er nicht der Spieler ist, den Barca am meisten braucht. Er kann auf dem linken Flügel spielen, das ist aber nicht seine natürliche Position. Und im offensiven Mittelfeld hat man ohnehin schon gute Optionen.“

Auch ein weiterer Stürmer würde der Mannschaft gut zu Gesicht stehen. Robert Lewandowski (35) kann an guten Tagen nach wie vor Weltklasse sein. Allerdings ist der Pole schon 35 und musste in der vergangenen Saison erste Rostspuren verstecken, die in naher Zukunft nicht weniger zum Vorschein kommen dürften. Bayerns ehemaliger Rekord-Torschützenkönig wird kaum noch die Körner haben, um über eine komplette Saison hinweg auf drei Hochzeiten gleichzeitig tanzen zu können. Sein Backup Vitor Roque (19) ist noch nicht reif genug und ein halbes Jahr nach seiner 40 Millionen Euro schweren Ankunft aus Brasilien auch schon wieder ein Verkaufskandidat – auch, um frische finanzielle Mittel freizuschaufeln. Das brasilianische Sturm-Talent könnte es zum FC Everton ziehen, wenngleich für eine wohl wesentlich geringere Ablöse. 

Wie stark ist der Kader wirklich?

Es gibt also noch einige zu beseitigende Fragezeichen beim Vizemeister der Vorsaison, der trotz mancher Baustellen und Verletzungen über einen in vielen Teilen hochtalentierten Kader verfügt. Das fängt im Tor an, wo in Marc-Andre ter Stegen (32) einer der nach wie vor besten Keeper Europas steht. Der Ex-Gladbacher hat zudem fest die Kapitänsbinde von Vereinslegende Sergi Roberto (32) übernommen, der sich wenige Tage vor dem Saisonstart emotional verabschiedet hat und wohl ein neues Abenteuer bei einem anderen Klub beginnen wird.

In der Viererkette sollen Jules Koundé (25, rechts) und der talentierte Alejandro Balde (20, links) die Außenpositionen begleiden. In der Innenverteidigung machte der erst 17 Jahre alte Pau Cubarsi riesige Entwicklungssprünge. Der frisch gebackene Olympiasieger war in der abgelaufenen Rückrunde der verlässlichste Verteidiger in Blaugrana und soll die häufig fehleranfällige Hintermannschaft der Katalanen weiter stabilisieren. In unserem Porträt zu den spannendsten Talenten in La Liga haben wir den jüngsten Abwehrchef der Klubgeschichte genauer vorgestellt. An der Seite des Ausnahme-Innenverteidigers wird zunächst wohl der gestandene Andreas Christensen (28) spielen. Dahinter hat Flick mit dem erfahrenen Iñigo Martínez (33), Eric Garcia (23), der eine starke Saison mit Girona hinter sich hat, und dem 18-jährigen Hector Fort weitere Optionen, Ronald Araújo (25) fehlt vermutlich noch bis in den Winter verletzungsbedingt. Im Mittelfeldzentrum ist bis auf die offene Stelle auf der Doppelsechs Weltklasse-Qualität in mehrfacher Ausführung vorhanden. Genau wie auf dem rechten Flügel, der Ausnahmekönner Lamine Yamal (17) gehört. Dahinter hat Flick in Raphinha (27) eine weitere Waffe, auch EM-Fahrer Ferran Torres (24) ist eine Option. 

17 Jahre jung und schon so wichtig: Auf Lamine Yamal und Pau Cubarcí ruhen die Titelhoffnungen beim FC Barcelona

17 Jahre jung und schon so wichtig: Auf Lamine Yamal und Pau Cubarsí ruhen die Titelhoffnungen beim FC Barcelona.  (Photo by Angel Martinez/Getty Images)

Druck von innen und von außen: Flick muss Resistenz beweisen

Flick findet also einen Kader vor, mit dem sich auf höchstem Niveau durchaus arbeiten lässt, der auf vielen Positionen aber noch grün hinter den Ohren ist und mindestens zwei Baustellen aufweist. „Mit seiner Spielweise könnte Flick bei dieser Mannschaft Erfolg haben“, so Planas. Gleichwohl macht der Barca-Experte deutlich: „Ob am Ende Titel dabei herausspringen, wird stark davon abhängen, was noch auf dem Transfermarkt passiert. Im Moment jedenfalls ist der FC Barcelona keine Mannschaft, die mit der Elite um Real Madrid, Arsenal oder ManCity mithalten kann.“ Ob diesen Punkt Fans, Verantwortliche und Medien in ihrer Beurteilung mit einfließen lassen? 

Klar ist: Eine weitere titellose Saison soll und darf es eigentlich nicht geben. Und da tut sich das stürmische Umfeld des Klubs auch mit Rücksicht auf äußere Umstände schwer, ein Auge zuzudrücken. Zeit, die Flick und die Mannschaft zweifelsohne brauchen werden, kennt man nicht, wenn man die eigene Uhr nach der des Weltklubs FC Barcelona stellt. Auch die Bosse treffen Entscheidungen häufig reaktionär und aus politischen Motiven heraus. Ist Flick dem Druck von außen und innen überhaupt gewachsen? Sein Vorgänger Xavi wollte dem zuerst entfliehen, ehe er am Ende selbst Opfer dessen wurde. Werden mehrere Spiele am Stück nicht gewonnen, kann es auch für Flick schnell ungemütlich werden.

Dabei werden womöglich sogar schon die ersten Wochen richtungsweisend. Nach einer guten Vorbereitung ging das finale Testspiel für den FC Barcelona mit 0:3 gegen Monaco verloren. Die direkte Quittung: Ein gellendes Pfeifkonzert von den Rängen. Am Samstag (21 Uhr) haben die Katalanen das schwere Auftaktspiel im Mestalla gegen Valencia, danach kommt Europapokalteilnehmer Bilbao, es folgen unter anderem Girona und Villarreal. Das Ganze ohne mehrere Leistungsträger und die Heimspiele im ungeliebten Ausweichstadion, dem Olímpic Lluís Companys, das bis mindestens in den Winter noch als Ersatz für das sich im Umbau befindende Camp Nou dient. Ende Oktober steigt der Clásico im Bernabéu. Wenn in den ersten Wochen die Ergebnisse ausbleiben und dann auch das Duell gegen den Erzrivalen verlorengeht, könnte die Zündkette schlimmstenfalls in einem Pulverfass enden. Natürlich ist das auch Schwarzmalerei, aber wer den FC Barcelona und sein Umfeld kennt, weiß, dass sich ein kleiner Abwärtstrend schnell zu einer Negativspirale ausdehnen kann. Für Flick hält das Abenteuer FC Barcelona Chancen, aber auch Risiken bereit. Der 27-fache spanische Meister gleicht vor dem Saisonstart einer Wundertüte.

Text von Michael Bojkov

(Photo by Eric Alonso/Getty Images)

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 im Team. Hat unter anderem das Champions-League-Finale 2024 und die darauffolgende Europameisterschaft vor Ort für 90PLUS begleitet.


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