Überwachungswahn und sexuelle Belästigung: Der Skandal um SCO Angers‘ Präsidenten

17. April 2023 | Ligue 1 | BY Michael Bojkov

News | Erst kürzlich wurde bekannt, dass Angers-Präsident Said Chabane wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung von seinem Amt zurücktritt. Wie ein Rechercheteam nun enthüllt hat, war das jedoch nur die Spitze des Eisbergs in einer über elfjährigen Amtszeit.

Skandal beim SCO Angers: „Eine Art Militärpolizei“

Im Sommer muss sich Said Chabane (58), mittlerweile Ex-Präsident von Ligue-1-Klub SCO Angers, wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung in gleich mehreren Fällen vor Gericht verantworten. Wie ein Rechercheteam von So Foot nun enthüllt hat, ging den jüngsten Vorwürfen ein jahrelanger Kontrollwahn im und um den Klub voraus, der bis zuletzt anhielt. Darüber hat unter anderem das französische Fußballportal Get French Football News berichtet.



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Schon bei seiner Antrittspressekonferenz als Präsident im November 2011, nachdem er die Mehrheit der Anteile vom SCO Angers gekauft hatte, sagte Chabane: „In meiner Gruppe gibt es nur eine Sache, die ich nicht kontrolliere, und das ist der Kauf von Toilettenpapier.“ In Angers wusste man von vornherein, dass man es mit einem Mann zu tun haben würde, der es bis ins kleinste Detail wissen will.

„Er kontrollierte alles. Apothekenrechnungen, Rechnungen für den Kauf von Textmarkern für Sekretärinnen. Man musste sich alles von ihm absegnen lassen“, erinnert sich ein Mitarbeiter. Was den Mitarbeitern des Klubs erst nach und nach klar wurde: Chabane ging bis an die äußeren Grenzen der Legalität – und darüber hinaus.

So soll der langjährige Präsident überall auf dem Vereinsgelände Überwachungskameras installiert haben, die Clips unter anderem von seinem Smartphone aus angesehen haben. Aus diversen Schilderungen von Mitarbeitern geht hervor, dass der SCO Angers zu einer Art Überwachungsenklave wurde. „Wir haben uns gefragt, ob es nicht Mikrofone in den Decken gibt“, wundert sich ein ehemaliger Mitarbeiter. Mitten in der Nacht wurden Männer auf einer Leiter gesehen, die Kabel in den Zwischendecken manipulierten. Die Mitarbeiter trauten sich teilweise nicht, Alltagsgespräche auf der Arbeit zu führen – zu groß die Gefahr, Chabane könnte darin etwas missfallen und Konsequenzen ziehen.

Angeblich ging der Überwachungswahn außerhalb des Vereinsgeländes weiter. So soll Chabane Mitarbeitern und Spielern in ihrer Freizeit nachgegangen sein. Ein Mitarbeiter behauptet, er habe eine einschüchternde SMS von einer unbekannten Nummer erhalten. Die Ehefrau eines seiner Kollegen sagt derweil aus, jeden Tag auf der Straße verfolgt worden zu sein und schließlich einen Vertrauten von Chabane erkannt zu haben.

„Kommentare, die während unserer privaten Partys gemacht wurden, wurden sofort an den Präsidenten weitergeleitet. Es herrschte eine Art böser Geist. Es gab ein Überwachungssystem, eine Art Militärpolizei. Das ist in diesem Klub zur Institution geworden. Das ist eine blödsinnige Paranoia“, bekräftigt ein Unternehmer, der mit Chabane und dem Klub zusammenarbeitete. Aussagen zufolge soll der gebürtige Algerier es geliebt haben, seine Mitarbeiter zu verunsichern und zu demütigen.

Bei weiblichen Angestellten soll es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. In einem Vieraugengespräch soll er die Hände einer Mitarbeiterin gehalten und nicht losgelassen haben, sie gefragt haben, ob sie ihm Bilder ihres Zimmers zuschicken werde. „Weißt du, ich habe vier Ehefrauen, du könntest die fünfte sein“, soll Chabane anschließend gesagt haben.

„Vier Frauen, die im Fußballklub Angers arbeiten oder gearbeitet haben, wurden als potenzielle Opfer identifiziert“, teilte der Staatsanwalt von Angers, Éric Bouillard, im Zuge der Anklage in einer Pressemitteilung mit, und weiter: „Herr Chabane behauptet, dass er die sieben Taten oder Tatfolgen, für die er angeklagt wird, nicht begangen hat“.

Über seinen Anwalt Bernard Benaiem teilte Chabane auf Anfrage von So Foot mit: „Die Fragen, die Sie ihm stellen wollen, beziehen sich auf Dinge von einer gewissen Schwere, die er voll und ganz bestreitet und deren diffamierender Charakter außer Zweifel steht.“

Die Öffentlichkeit im französischen Fußball sah stets den Vereinspräsidenten, der den SCO Angers in allen Teilbereichen auf ein höheres Level gehievt hat. Der Klub aus Westfrankreich hat 2015 den Aufstieg in die Ligue 1 geschafft, sich dort seit jeher gehalten, einen langjährigen Trainer gehabt und war für talentierte Spieler wie Karl Toko Ekambi, Nicolas Pepe oder zuletzt Azzedine Ounahi ein Karrieresprungbrett.

Erst jetzt wird die Schattenseite des erfolgreichen Projektes sichtbar. Erst das Bekanntwerden der Anklage wegen sexueller Belästigung, dann der Rücktritt, jetzt weitere skandalöse Enthüllungen zur über elfjährigen Amtszeit von Chabane. Parallel zu den enthüllten Skandalen geht es für den Klub auch sportlich rapide bergab. In der Liga steht man abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz und taumelt der zweiten Liga entgegen.

„Chabanes Problem ist, dass alles für ihn gut gelaufen ist. Jedes Jahr hat er gespielt. Wir standen nie vor dem Abstieg. Er musste nie einen Trainer entlassen“, sagte ein ehemaliger Freund des 58-Jährigen zu So Foot. Nun also doppelt und dreifach.

(Photo by JEAN-FRANCOIS MONIER/AFP via Getty Images)

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 bei 90PLUS und vorwiegend in Spanien unterwegs.


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