Ein Nachwuchsfußball-Experte wie kein Zweiter: Portrait zu Antonio Di Salvo
19. Juni 2023 | U21 EM 2023 | BY David Schöngarth
Der deutsche Nachwuchs bei der U21-EM wird von Antonio Di Salvo trainiert. Nicht jedem ist der Ex-Profi ein Begriff. Ein Portrait des Nachwuchs-Experten, der lange in der zweiten Reihe agierte, ehe er zum Cheftrainer wurde.
Antonio di Salvo: Mit Kontinuität auf der Trainerbank zum Titel?
Zwei Mal binnen fünf Jahren wurde die U21-Nationalmannschaft unter Stefan Kuntz Europameister. Sowohl 2017 als auch 2021 setzte sich die DFB-Auswahl die Krone im europäischen Nachwuchsfußball auf. Bei beiden Triumphen im Hintergrund mit dabei: Co-Trainer Antonio Di Salvo (44). Das Vakuum, dass nach Kuntz Abschied im Herbst 2021 entstand, wurde daher – vielleicht wenig überraschend – intern durch den 44-Jährigen gefüllt.
Mit Kontinuität auf der Trainerbank will der DFB also den Titel bei der U21-EM in Rumänien und Georgien verteidigen. Und zunächst sah es danach aus, als ob alles stimmen würde: Di Salvo gewann seine ersten fünf Spiele als Trainer der U21 und führte das Team souverän durch die Qualifikation. Seitdem hat sich jedoch einiges getan. Spieler wurden von Hansi Flick zur A-Auswahl berufen, Testspiele gegen England, Frankreich, Rumänien oder Japan in den Sand gesetzt und der Kader hat ein neues Gesicht bekommen. Jetzt soll dem gebürtigen Paderborner mit italienischen Wurzeln bei der EM erneut der ganz große Wurf gelingen, wenngleich die Konkurrenz groß ist.
Anfänge in Paderborn und München
1979 erblickte Antonio Di salvo, genannt Toni, in Paderborn das Licht der Welt – neun Jahre nachdem seine Eltern aus Sizilien nach Westfalen gekommen waren. Dort begann Di Salvo auch mit dem Fußballspielen: Bis zum Alter von 12 Jahren kickte er für den BV Bad Lippspringe ehe er zum TuS Paderborn-Neuhaus wechselte – heute bekannt als SC Paderborn. Ab 1996 spielte Di Salvo als Stürmer für Paderborn in der Regionalliga West – damals noch der dritthöchsten deutschen Spielklasse. Trainiert wurde Di Salvo bei den Westfalen von Günther Rybarczyk, seinem Schwiegervater. Drei Jahre, 53 Spiele und 16 Tore später wagte Di Salvo den Sprung als 20-Jähriger zum FC Bayern München. In die anlässlich des Vereinsjubiläums 2007 zusammengestellte Jahrhundertelf der Paderborner schaffte er es trotzdem.
In einem Jahr bei den Bayern kam der Stürmer hauptsächlich im Amateurbereich in der Regionalliga Süd zum Zuge, sein Bundesliga-Debüt feierte di Salvo im August 2000 gegen den VfL Bochum. Mehr als sechs Kurzeinsätze – darunter 55 Minuten in der Champions League – sollten es für Di Salvo in der ersten Mannschaft des FC Bayern allerdings nicht werden. Deutscher Meister darf sich Antonio Di Salvo trotzdem nennen, beim Champions-League-Gewinn 2001 stand er hingegen nicht im Kader. Von seinem damaligen Trainer, Otmar Hitzfeld, zeigt sich Di Salvo schwer beeindruckt. „Er hatte eine ganz besondere Aura, wenn er in die Kabine kam (…)“, erzählte Di Salvo kürzlich im Sport 1 Leadertalk-Podcast.
Über Rostock zurück nach München
Vom tiefen Süden ging es für Di Salvo anschließend in den hohen Norden – und wieder zurück. Zwischen 2001 und 2006 trug der Stürmer das Trikot von Hansa Rostock und sammelte 94 Bundesliga-Einsätze in denen er 17 Tore schoss und weitere 10 Treffer auflegte. Wiederkehrende Verletzungen warfen Di Salvo während seiner Zeit an der Ostsee jedoch auch immer wieder zurück.
Ablösefrei wechselte der inzwischen 27-Jährige 2006 in die zweite Liga zum TSV 1860 München und kehrte somit an die Isar zurück. Auch hier blieb er vom Verletzungspech nicht verschont. In den ersten beiden Jahren folgte auf eine vielversprechende Hinrunde mit guter Torausbeute stets ein Rückschlag in Form von Verletzungen in der zweiten Saisonhälfte. Zum Ende seiner Karriere schien die Entscheidung, Trainer zu werden, bei Di Salvo offenbar schon zu reifen, wie er kürzlich verriet. „Ich habe mir am Ende meiner Spielerkarriere Notizen gemacht und geschaut: Was hat mir gefallen am Trainer und was will ich überhaupt nicht so machen?“
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Das Ende seiner Zeit bei den Sechzigern war kein schönes. Weil dem 30-Jährigen im Sommer 2009 ein Wechsel nahegelegt wurde, Di Salvo sich aber mit keinem Verein einig wurde, schloss ihn Trainer-Legende Ewald Lienen in der Saisonvorbereitung vom Mannschaftstraining aus – inklusive medialer Schelte. „Ich habe kein Verständnis dafür, dass Toni in drei Monaten keine Lösung gefunden hat, einen anderen Verein zu finden“, so Lienen damals. Ein halbes Jahr später verließ Di Salvo die Löwen dann doch noch. Der österreichische Bundesligist Kapfenberger SV gab dem Stürmer einen leistungsbezogenen Vertrag für die Rückrunde – der nicht verlängert wurde.
Antonio Di Salvo: Der ewige Assistent
Di Salvo beendete seine Karriere, machte einen B-Trainerschein und heuerte 2011 als Co-Trainer bei der U17 des FC Bayern Münchens an. Es sollte die erste von insgesamt drei Stationen als Assistent werden. Zehn Jahre lang agierte Di Salvo als rechte Hand und Mann im Hintergrund. Zunächst beim FC Bayern, später in unterschiedlichen Rollen beim DFB. Eine Erfahrung die der heute 44-Jährige als wertvoll einschätzt. Wenngleich er zugibt, dass er irgendwann beim DFB das Interesse hinterlegte, vom ewigen Assistenten zum Cheftrainer zu werden.
Mit dem Abgang von Erfolgstrainer Stefan Kuntz 2021 öffnete sich diese Tür für Di Salvo, der nach eigenen Angaben von seinem einstigen Cheftrainer und Kollegen einiges gelernt hat. „Stefan hat ein Händchen dafür, Teamgeist zu schaffen und Glauben zu entwickeln, dass die Mannschaft stärker ist als alles andere (…). Das sind Dinge, die ich mir natürlich abgeschaut habe. Nichtsdestotrotz versuche ich natürlich, meinen eigenen Weg zu gehen.“ Das Trainerdasein gelehrt hat Di Salvo aber ein anderer, wie er im Sport1-Podcast erzählt. „[von Markus Sorg] habe ich den Trainerberuf von der Pike auf gelernt: Führungsstil, Trainingsvorbereitung, Nachbereitung, Schwerpunkte, Methodik etc.“ Zwischen 2013 und 2016 assistierte Di Salvo Markus Sorg in der U19-Nationalmannschaft. Mittlerweile haben die beiden Rollen getauscht: Jogi Löw machte Sorg 2016 zu seinem Co-Trainer, Di Salvo bestreitet mit der U21 bei der EM in Georgien und Rumänien sein erster Turnier als Cheftrainer.
Ein Experte im Umgang mit jungen Spielern
Wenn man nicht gerade Andrea Pirlo oder Vincent Kompany heißt, beginnt die Trainerkarriere eines Ex-Profis häufig im Jugendbereich. So auch bei Di Salvo, der den Nachwuchsfußball allerdings nie verlassen hat und mittlerweile auf 12 Jahre Erfahrung im Umgang mit jungen Spielern zurückblicken kann. Eine tägliche Herausforderung, weil auch die Spieler sich von Generation zu Generation verändern. Für Di Salvo allerdings kein Problem: „Mittlerweile gehört das Handy dazu, die sozialen Medien gehören dazu. Das müssen wir wissen. Wir können uns nicht darauf beruhen, dass wir Dinge so machen, wie wir sie gelernt haben.“, so der 44-Jährige kürzlich.
Seine Spieler seien auch emanzipierter als noch zu seiner Zeit, berichtet Di Salvo und führt das auf ein positives Vertrauensverhältnis zwischen Mannschaft und Trainer zurück. Bei einem der letzten Auswärtsspiele in England soll seine Mannschaft auf ihn zugekommen sein und um eine Verschiebung des Nachmittagstrainings auf den Morgen gebeten haben. „Vor 20 Jahren wäre niemals ein Spieler auf den Trainer zugegangen und hätte sowas gefragt“, so Di Salvo.
Die jungen Spieler seien laut Antonio Di Salvo heutzutage ungeduldiger und haben eine höhere Erwartungshaltung. Als Trainer sieht Di Salvo seine Aufgabe deshalb auch darin, den Spielern offen zu kommunizieren, dass sie geduldiger sein müssen und sich den Erfolg erarbeiten müssen. Denn: „Jugendspieler müssen mehr arbeiten als Profis“, sagte die Salvo 2022 in einem Interview mit der Münchener TZ. „Die Spieler müssen lernen, dass ihnen nichts geschenkt wird (…). Vielleicht muss man auch mal zwei Schritte zurückgehen, um konstant zu spielen.“
Antonio Di Salvo: Der richtige Mann für den Titel?
Einen Zugang zur Mannschaft scheint der Nachwuchs-Experte Di Salvo also definitiv zu haben. Als wäre ihm der Job als Cheftrainer der U21-Nationalmannschaft nicht genug, trainiert der 44-Jährige in seiner Freizeit auch noch das Team seines Sohnes, den FC Wacker München. Viel mehr Expertise im Nachwuchsfußball also Di Salvo geht also kaum.
Das größere Fragezeichen wird sein, ob der Taktiker Di Salvo die deutsche Mannschaft erfolgreich zur Titelverteidigung führen kann. In den Qualifikations- und Testspielen zeigte Di Salvo sich experimentierfreudig, was jedoch mit Sicherheit auch der Fluktuation an Spielern geschuldet war. Ob 4-3-3, 4-2-3-1 oder 4-4-2: Wie Deutschland bei der U21 gegen starke Gegner aus England, Spanien oder Frankreich auflaufen wird, ist noch unklar.
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Auf die Frage, welche drei Trainer ihn als Spieler am meisten geprägt haben, kommt Di Salvo zunächst ins Grübeln und lacht. „Wenn man in der Bundesliga gegen den Abstieg spielt, hat man pro Jahr mindestens immer einen neuen Trainer.“ Schlussendlich nennt er jedoch ein Dreigestirn deutscher Trainer-Legenden: Otmar Hitzfeld, Friedhelm Funkel und Hermann Gerland. Letzterer, über dessen direkte Kommunikation mit den Spielern Di Salvo schwärmt, wird den 44-Jährigen auch auf der Mission Titelverteidigung in Georgien begleiten.
(Photo by Karina Hessland/Getty Images)
David Schöngarth
Aufgewachsen mit Grafite, Luca Toni und Co. entfachten Gareth Bale und Mauricio Pochettinos Spurs in David eine Leidenschaft für die Premier League. Interessiert sich für alles, was auf der Insel vor sich geht. Seit 2022 bei 90Plus.