Das DFB-Team nach den Testspielen: Hat der EM-Zug eine Euphoriebremse?
27. März 2024 | Spotlight | BY Philipp Overhoff
Wie schnell sich der Wind doch drehen kann. Noch vor wenigen Wochen hätte wohl niemand auch nur einen Pfifferling auf das DFB-Team gesetzt. Doch nach den Siegen über Frankreich und die Niederlande herrscht hierzulande eine waschechte EM-Euphorie.
DFB-Elf schafft den Stimmungsturnaround
Es bedarf keiner langen Reise in die Vergangenheit, da lag die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gefühlt am Boden. Am 21. November verlor die DFB-Elf an einem kalten Herbstabend mit 0:2 in Österreich und präsentierte sich dabei in einem desolaten Zustand. Offensiv war man harmlos und hinten überaus anfällig. Gleiches galt auch für die Partie gegen die Türkei drei Tage zuvor, wo man im Olympiastadion mit 2:3 verlor.
Die anfängliche Euphorie der Nagelsmann-Ära, die mit einem Sieg in den USA und einem Remis gegen Mexiko durchaus vielversprechend begonnen hatte, war in Windeseile wieder verflogen. Diese deutsche Mannschaft, so war der einhellige Tenor, würde bei der Heim-Europameisterschaft in ein paar Monaten definitiv keine gewichtige Rolle spielen. Eine erneute Blamage erschien noch vor wenigen Monaten realistischer als ein Sommermärchen.
Eine neue Euphorie ist spürbar
Ende März 2024 ist von dieser DFB-Tristesse nur noch wenig zu spüren. Es begann mit den mutigen Kadernominierungen von Nagelsmann, den neuen Trikots samt überaus gelungenem adidas-Werbespot und endete mit zwei größtenteils überzeugenden Testspiel-Siegen gegen Frankreich und die Niederlande.
Die neu gewonnene Lust an der Nationalmannschaft und die damit einhergehende Vorfreude auf die Europameisterschaft im eigenen Land ist mehr als verständlich. Der 2:0-Auswärtssieg über Frankreich war die wahrscheinlich überzeugendste DFB-Vorstellung der vergangenen Jahre. Gegen die äußerst prominent besetzte Équipe Tricolore dominierte die Nagelsmann-Truppe über weite Strecken der Partie und gewann völlig verdient.
Der Heimsieg über die Niederlande war ebenso verdient, in erster Linie resultierte der 2:1-Erfolg allerdings aus einer absoluten Willensleistung. Den frühen Rückstand glich das deutsche Team in Windeseile aus, nur um dann in der Schlussphase auf dem Gaspedal zu bleiben und durch einen späten Siegtreffer von Niclas Füllkrug zwar etwas glücklich, aber dennoch hochverdient zu gewinnen.
Steht die EM-Startelf bereits?
Mut auf ein erfolgreiches Abschneiden beim Heim-Turnier macht vor allem die Tatsache, dass Nagelsmann endlich eine verlässliche Startformation gefunden zu haben scheint. In beiden Testspielen schickte der junge Bundestrainer die selben elf Spieler auf den Rasen. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen die deutsche Nationalmannschaft jedes Spiel mit einer veränderten Aufstellung absolvierte.
Die Viererkette aus Kimmich-Rüdiger-Tah-Mittelstädt dürfte gute Karten haben, im Eröffnungsspiel gegen Schottland gemeinsam auf dem Feld zu stehen. Auch die Doppelsechs aus Toni Kroos und Robert Andrich funktionierte auf Anhieb und zeigte zwei vielversprechende Auftritte. Einzig in der Sturmspitze dürfte sich noch ein offenes Rennen zwischen dem spielstarken Kai Havertz und der klassischen Neun Niclas Füllkrug anbahnen.
Alle News und Storys rund um die DFB-Elf
Auch das Nationalmannschafts-Comeback von Toni Kroos kann man bisher als vollen Erfolg bezeichnen. Im Spiel gegen Frankreich war der Madrilene gemeinsam mit Florian Wirtz der beste Mann auf dem Platz, auch gegen die Niederlande überzeugte der Weltmeister von 2014. Kroos gibt dem DFB-Spiel eine Ruhe und Ballsicherheit, die diesem in den vergangenen Jahren zumeist abging.
Alles in allem sprechen also der passend zusammengestellte Kader, die kürzlich gezeigten Leistungen und die neu entfachte Begeisterung im Land für einen großartigen und vor allem langen EM-Sommer. Bei aller verständlicher Euphorie wäre es jedoch vermessen, die deutsche Nationalmannschaft quasi über Nacht zu einem Favoriten auf die EM-Krone zu schreiben.
Die Angst vor dem tiefstehenden Gegner
Auch wenn die Erfolge über Frankreich und die Niederlande absolute Prestigsiege sind, so waren es doch bei den letzten Turnieren zumeist die vermeintlich kleineren Teams, die der DFB-Auswahl Probleme bereiteten. Immer wieder biss sich der viermalige Weltmeister an tiefstehenden Gegnern die Zähne aus und war seinerseits enorm anfällig für Konter.
Gegen proaktiv und mitspielend auftretende Top-Stars aus Frankreich und den Niederlanden boten sich stets viele Räume, welche die Nagelsmann-Schützlinge zugegebenermaßen vielversprechend ausnutzten. Es ist aber davon auszugehen, dass sich die Gruppengegner aus Ungarn, Schottland und der Schweiz wesentlich tiefer positionieren und die bespielbaren Räume deutlich enger gestalten werden.
Es wird in dieser Hinsicht also auch auf Nagelsmann ankommen, der seiner Mannschaft im Laufe der Vorbereitung spielerische Lösungen gegen defensiv stehende Teams vermitteln muss. Auch in puncto Eingespieltheit gibt es Mannschaften, die der deutschen Auswahl etwas voraus haben. Teams wie England, Frankreich oder Spanien spielen seit mehreren Jahren in einer ähnlichen Konstellation und mussten keinen Spontan-Umbruch wenige Monate vor Turnierbeginn hinlegen.
So banal es auch klingen mag: Zwei erfolgreiche März-Testspiele haben noch keine Mannschaft zum Europameister gemacht. Auch wenn ein erfolgreiches Abschneiden deutlich realistischer erscheint als noch vor ein paar Wochen, zählt die DFB-Elf nicht zu den absoluten Favoriten auf die Krone Europas. Noch in den verbleibenden beiden Testsielen vor dem EM-Auftakt wird sich zeigen müssen, von welcher Nachhaltigkeit der aktuelle Aufschwung geprägt ist. Auch wenn der Glaube an einen erfolgreichen Sommer in den letzten Tagen rasant angestiegen ist, tut ein kleiner Tritt auf die Euphoriebremse an der einen oder anderen Stelle vielleicht gar nicht so schlecht.
(Photo by Maja Hitij/Getty Images)