DFB-Team punktet in den Niederlanden: Ein Bewerbungsschreiben für die Weltspitze – mit Abstrichen

11. September 2024 | News | BY Philipp Overhoff

Die deutsche Nationalmannschaft hat sich gegen den EM-Halbfinalisten aus den Niederlanden ein 2:2 erkämpft. Dabei zeigte das junge Team viele Eigenschaften einer Top-Mannschaft. Und zeitgleich wurde klar, dass noch viel Arbeit vor Julian Nagelsmann und dem Trainerteam des DFB liegt. 

DFB-Defensive sorgt für Kopfschmerzen

Denn schon nach wenigen Sekunden wurde Deutschland kalt erwischt. Das enorm hohe Pressing der DFB-Elf wurde von den Niederländern spielend leicht ausgehebelt. Ein langer Ball von Keeper Bart Verbruggen und eine clevere Brustablage von Brian Brobbey genügten dabei, um die Defensive zu überspielen, wobei insbesondere die Innenverteidiger Jonathan Tah und Nico Schlotterbeck keine gute Figur machten. Viel zu weit herausrückend war keiner mehr in der Lage, den Tiefenlauf von Spielmacher Tijani Reijnders aufzunehmen, der darauf hin freistehend das 1:0 erzielte.



Der niederländische Führungstreffer war bei Weitem nicht die einzige Szene, in der die deutsche Defensiv-Zentrale vor große Probleme gestellt wurde. Schon nach 24 Minuten waren sowohl Tah als auch Schlotterbeck mit einer gelben Karte vorbelastet. An beiden Verwarnungen hatte Brobbey, der in der vergangenen Nacht in den Träumen der deutschen Abwehrspieler aufgetaucht sein dürfte, einen gewichtigen Anteil. Die Physis des Ajax-Stürmers bekamen die Nagelsmann-Schützlinge zu keinem Zeitpunkt der Partie in den Griff, immer wieder warf dieser seinen wuchtigen Körper in die Zweikämpfe, um sich so einen Vorteil zu verschaffen. Auch vor dem 2:2 kochte der 22-Jährige Schlotterbeck ab und ermöglichte mit seinem Assist den Ausgleichstreffer von Denzel Dumfries. Zu diesem Zeitpunkt stand sein Partner Tah schon gar nicht mehr auf dem Platz, nach einer insgesamt schwachen Leistung musste der Leverkusener die Partie zur Halbzeit rotgefährdet verlassen.

Man fühlte sich dabei durchaus an das letzte EM-Gruppenspiel gegen die Schweiz erinnert, als Nati-Stürmer Breel Embolo die Hintermannschaft des DFB mit ähnlichen Mitteln vor große Probleme stellte. Der frühere Bundesliga-Spieler sorgte als Ballfestmacher und als Unruheherd im Gegenpressing für massive Schwierigkeiten bei den deutschen Innenverteidigern. Ähnlich wie Brobbey gestern. Hier bedarf es in der Zukunft einer noch besseren Abstimmung und vor allem auch der nötigen Toughness, um sich nicht von bulligen Stürmertypen a la Brobbey oder Embolo 90 Minuten lang aus der Partie zu nehmen.

Comeback-Qualität als neue Stärke

Doch der frühe Führungstreffer und der insgesamt starke Start der Elftal brachte die DFB-Elf keineswegs aus dem Konzept. Nach und nach verzeichnete der EM-Viertelfinalist längere Ballbesitzphasen und hielt gegen giftige Niederländer in den Zweikämpfen dagegen. Auch wenn Orange in der ersten Halbzeit das insgesamt gefährlichere Team, war hatte die deute Mannschaft ihre Aktionen und belohnte sich kurz vor der Pause mit einem Doppelschlag. Deniz Undav war dabei an beiden Toren entscheidend beteiligt. Den ersten Treffer erzielte der VfB-Stürmer selbst, den zweiten legte er seinem Kapitän Joshua Kimmich auf.

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Zum wiederholten Male zeigte der viermalige Weltmeister unter der Regie von Julian Nagelsmann, dass die Gummitruppe der vergangenen Jahre, die teils von simpelsten Rückschlägen aus der Bahn geworfen wurde, der Vergangenheit angehört. Schon im März-Testspiel gegen die Niederlande wurde ein früher 0:1-Rückstand in einen 2:1-Sieg gedreht. Bei der Europameisterschaft waren es dagegen späte Ausgleichstore gegen die Schweiz und Spanien, auch wenn letzteres letztlich nicht von Erfolg gekrönt sein sollte. Auch gestern traf die deutsche Nationalmannschaft in der Amsterdamer Johann-Cruyff-Arena widerstandsfähig auf und war in der zweiten Halbzeit sogar die bessere Mannschaft. Nach dem Ausgleichstreffer in der 50. Minute gelang Havertz Quasi im Gegenzug die erneute Führung, kurz darauf hätte es nach Foulspiel an Jamal Musiala Elfmeter geben können.

Dem Leipziger David Raum bot sich per Kopfball zudem eine weitere große Möglichkeit auf das Siegtor, doch nach einer Hereingabe von Havertz bewies der Linksverteidiger, dass er alles andere als ein Kopfballspieler ist. Und dennoch: Der zweite Durchgang gehörte tendenziell dem DFB-Team, weshalb das Endergebnis von 2:2 nur folgerichtig und hochverdient ist. Ein Szenario, mit dem man so nach zehn Minuten keinesfalls rechnen konnte. Einmal mehr zeigte die deutsche Mannschaft unter Nagelsmann also, dass mit ihr auch nach Rückschlägen zu rechnen ist.

Ist Deutschland wieder Weltspitze?

Mit vier Punkten aus zwei Partien ist der Auftakt in die Nations-League-Gruppenphase also mehr als nur gelungen. Deutschland grüßt nach zwei Spieltagen von der Tabellenspitze und hat das klare Ziel, erstmals an der K.o.-Phase des seit 2018 stattfindenden Wettbewerbs teilzunehmen. Viel wichtiger ist es jedoch, dass die bei der Heim-EM aufgekommene Euphorie mitgenommen wurde und den Fans ansehnlicher und vor allem mitreißender Fußball geboten wurde, mit dem es sich leicht fällt, zu identifizieren.

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Was sich schon in den letzten Monaten andeutete, wurde gestern nochmal unterstrichen: Deutschland kann wieder im Konzert der Großen mitspielen. Im vergangenen Jahr wurden aus vier Spielen gegen Frankreich und die Niederlande insgesamt zehn Punkte geholt. Eine Ausbeute, die sich mehr als nur sehen lassen kann. Schon TV-Experte und Weltmeister Lothar Matthäus attestierte der DFB-Elf gestern die bevorstehende Rückkehr in die Weltspitze. Definitiv ist die Mannschaft unter Nagelsmann auf einem guten Weg. Die verbliebenen Baustellen, insbesondere in der Defensive, gilt es nun in den kommenden Länderspielpausen auszumerzen. Gelingt dies, muss man den Weltmeister von 2014 auch wieder für den ganz großen Wurf auf dem Zettel haben.

(Photo by Alex Grimm/Getty Images)

 


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