EM-Euphorie entfacht! Der DFB macht mit der Kaderbekanntgabe vieles richtig

16. Mai 2024 | News | BY Till Gabriel

Was haben Nina Chuba, Oma Lotti, eine Dachdeckerin und ein Imbissbesitzer aus Berlin gemeinsam? Sie alle durften für einen Moment Bundestrainer spielen und einen Spieler des Kaders für die anstehende Europameisterschaft im eigenen Land bekanntgeben. Mit seiner multimedialen Schnitzeljagd macht der DFB alles richtig – und knüpft an die Marketingerfolge aus dem Frühjahr an. Ein Kommentar.

Cleveres Marketing seit Jahresbeginn: DFB arbeitet zielgruppenübergreifend

Es hat etwas gedauert, bis die EM-Euphorie in Deutschland an Fahrt aufnahm. Vor gerade einmal acht Monaten war die Nationalmannschaft sportlich am Boden, Bundestrainer Hansi Flick musste nach der krachenden 1:4-Blamage gegen Japan seinen Hut nehmen. Von Vorfreude auf das Turnier im eigenen Land keine Spur. Das sieht mittlerweile, rund einen Monat vor dem Eröffnungsspiel ganz anders aus. Deutschland freut sich auf die Euro 2024 und hofft auf ein neues “Sommermärchen”.



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Das hat zum einen sportliche Gründe. Julian Nagelsmann scheut nicht vor unpopulären Entscheidungen zurück, besinnt sich darauf, neben individueller Klasse auf die aktuelle Form der Spieler und die Homogenität des Kaders zu achten. Die furiosen Testspiele gegen Frankreich und die Niederlande gaben ihm Recht und ließen eine Nation, die sich in den letzten Jahren zunehmend emotional von ihrer Landesauswahl abgekapselt hatte, wieder näher ans DFB-Team rücken.

Doch neben dem sportlichen Umschwung, den es zunächst in den Testspielen gegen die Ukraine und Griechenland zu bestätigen gilt, sorgt auch der zurecht vielgescholtene Verband für EM-Fieber. Weil er marketingtechnisch gerade vieles richtig macht. Angefangen mit der Präsentation der neuen Trikots vor den März-Testspielen. Der Werbespot, der mit deutschen Klischees spielt und in dem neben Nationalspielern auch andere bekannte Persönlichkeiten auftauchen, schlug sofort hohe Wellen. Das pinke Trikot polarisierte, auf die negativen Reaktionen war der DFB mit einem vorproduzierten Antwortclip bestens eingestellt.

Mit der Art und Weise der Kaderbekanntgabe folgte der nächste Coup. Als die Nominierung von Nico Schlotterbeck in der Tagesschau publik wurde, schien es sich zunächst um eine durchgesickerte Information zu handeln. Doch schnell wurde klar, dass ein Konzept dahintersteckt. In den folgenden Tagen kamen immer wieder Kader-Häppchen ans Tageslicht, kommuniziert über verschiedenste Kanäle. Mal moderierte Frauke Ludowig RTL Exklusiv im Trikot von Bayern-Shootingstar Aleksandar Pavlovic, dann tauchte plötzlich ein Porträt von Leroy Sané in der Frankfurter Schirn Kunsthalle auf.

Am Donnerstag gibt Julian Nagelsmann seinen Kader bekannt. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Die Benennung eines Turnierkaders war schon immer ein mit Spannung erwarteter Termin, letztendlich handelte es sich dabei jedoch stets um eine simple Pressekonferenz. Die scheibchenweise Präsentation entfachte dagegen eine landesweite Schnitzeljagd, machte die Nominierung zum Ereignis und die Nationalmannschaft medial bereits jetzt zum Thema Nummer eins.

Mit diesem Kniff erwischte der DFB zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen schlug man so den Sportmedien ein Schnippchen, die bei den letzten Turnieren der offiziellen Nominierung häufig zuvorkamen und Teile des Aufgebots leakten, zum anderen funktionierte die Aktion zielgruppenübergreifend. Der Verband erreichte die “Generation TikTok” durch Musikstars wie Nina Chuba oder Influencer wie Dachdeckerin Chiara, mit dem klassischen Medium Fernsehen holte man auch ältere Generationen ins Boot – clever, dabei sowohl den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Tagesschau) als auch Privatsender (RTL Exclusiv) einzubeziehen. Wenige Wochen vor Turnierstart setzt der DFB so das klare Zeichen: Eine Heim-EM ist für alle.

Natürlich, am Ende entscheidet das sportliche Abschneiden darüber, wie diese Kampagne retrospektiv beurteilt wird. Fliegt Deutschland früh aus dem Wettbewerb, wird die spezielle Verkündung der EM-Fahrer in einer Reihe mit gescheiterten Werbeslogans wie #ZSMMN oder “Die Mannschaft” stehen und die Frage gestellt werden, ob nicht der Sport im Vorfeld mehr hätte im Fokus stehen sollen. Dennoch: Im Vergleich zu den PR-Desastern aus der späten Bierhoff-Ära wirken die aktuellen Werbekampagnen organischer, weniger erzwungen. Es war beinahe schade, dass Julian Nagelsmann am Donnerstag um 13 Uhr den gesamten Kader vorstellte (allerdings nicht, ohne nicht noch einmal ein paar Highlights der Kampagne zusammenzuschneiden), zu sehr Spaß hatte das Rätselraten gemacht, durch wen und wann der nächste EM-Fahrer bekanntgegeben wird.

(Photo by Maja Hitij/Getty Images for DFB)


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