Der DFB wählt Nagelsmann: Die richtige Entscheidung

22. September 2023 | Nationalelf | BY Michael Bojkov

Julian Nagelsmann ist neuer Nationaltrainer und soll Deutschland zu einer erfolgreichen Heim-EM verhelfen. Die Entscheidung des DFB birgt Risiken, ist aber logisch und damit die richtige.

Eine kommentierende Analyse von 90PLUS-Redakteur Michael Bojkov.

Was Nagelsmann der Nationalmannschaft geben kann

Die Tage von Hansi Flick waren noch nicht einmal gezählt, da wurde Julian Nagelsmann schon als sein Nachfolger ins Spiel gebracht. Dass er die offensichtlichste aller Lösungen ist, darin waren sich Fans und Medien schnell einig. Und der 36-Jährige ist mehr als das: Er ist eine gute und damit die richtige Lösung für den DFB. Nagelsmann hat es in jungen Jahren als Trainer geschafft, erst die TSG Hoffenheim, dann RB Leipzig und in Abstrichen auch den FC Bayern individuell und mannschaftstaktisch auf ein neues Level zu hieven. Dass er zu den Besten seines Faches zählt, steht außer Frage. Daran ändert auch sein denkwürdiges Aus in München nichts, dessen plausible Erklärung uns die Verantwortlichen des Rekordmeisters auch ein halbes Jahr später noch immer schuldig sind.



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Nicht nur fachlich ist Nagelsmann ein Toptrainer, auch sein junges Alter kann für die Kommunikation mit den Spielern von Vorteil sein – gerade für eine Nationalmannschaft wie diese, die sich noch immer im Umbruch befindet. Nagelsmann ist nahbar, pflegt ein gutes Verhältnis zu den Profis und bringt damit die optimalen Voraussetzungen mit, um auch innerhalb der Truppe eine Aufbruchstimmung erzeugen zu können. Zum Vorteil für den DFB könnte auch die Bayern-Vergangenheit Nagelsmanns werden. Schließlich stellen die Münchner mit sieben Spielern – zählt man Manuel Neuer dazu – den größten Block in der Nationalmannschaft. Mit seinem neuen Grundgerüst ist Nagelsmann also schon bestens vertraut.

Zweifelsohne ist die Zusammenarbeit nicht vollends ohne Risiken und Unwägbarkeiten verbunden. Nagelsmann gilt als fordernder Akribiker, als detailversessen. Es sind daher durchaus berechtigte Stimmen, die behaupten, Nagelsmann könnte die Nationalspieler in der Kürze der Zeit mit Ideen überladen – mit zu vielen Ideen.

Schließlich trifft sich die Mannschaft im Kalenderjahr 2023 nur noch zweimal und nach dem Jahreswechsel im März, ehe es nach Ende der regulären Fußballsaison in die finalen EM-Vorbereitung geht. Ein Trainer, der noch nie eine Nationalmannschaft betreut hat, kennt diesen Rhythmus nicht und insofern wird der 36-Jährige zweifelsohne Kompromisse eingehen, seine Arbeitsmethoden anpassen, wenn nicht  sogar grundlegend verändern müssen. Warum aber sollte ausgerechnet Nagelsmann das nicht gelingen?

Julian Nagelsmann beerbt Hansi Flick als deutscher Nationaltrainer

Julian Nagelsmann beerbt Hansi Flick als deutscher Nationaltrainer. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Der DFB hatte keine besseren Alternativen

Vielleicht sind die Zweifel deutscher Fußballfans auch schlichtweg der Tatsache geschuldet, dass der DFB im Verlauf der letzten Jahre eine Reihe von Entscheidungen getroffen hat und praktisch keine davon richtig war. Diese Denkweise ist legitim – doch verlangt sie gleichzeitig die Frage, welche Alternativen es denn zu Nagelsmann gegeben hätte. 

Vielleicht Louis van Gaal. Die Idee besitzt Charme und der Niederlände hätte mit Sicherheit für frische Impulse sorgen können. Zwar verriet der „Tulpengeneral“ trotz des eigentlichen Endes seiner Trainerlaufbahn erst jüngst in einem Interview mit der Bild, dass „ein vielversprechendes Land“ noch immer die Chance habe, „mich zu überzeugen“. Doch stellt sich die Frage, ob der 72-Jährige ausgerechnet die in Schutt und Asche liegende Fußballnation Deutschland als ein solches gesehen hätte. Zwischen den Zeilen jedenfalls klang es weniger danach, als sei der DFB eine ersthafte Option für den ehemaligen Bayern-Trainer. Vielleicht war die Idee am Ende auch schlichtweg zu charmant, als dass sie hätte wahr werden können.

Stefan Kuntz? Zweifacher Europameister als Coach der U21, jüngst aber als Nationaltrainer der Türkei gescheitert. Wie hätte der DFB 80 Millionen Menschen glaubhaft verkaufen wollen, dass ausgerechnet dieser Mann ihre Heim-EM retten werde?

Auf der Hand lagen ansonsten nur die Kandidaten, die es gegen Frankreich provisorisch gerichtet haben: Rudi Völler, Hannes Wolf und Sandro Wagner. Und seien wir ehrlich: Dass man beim DFB nicht ernsthaft darüber nachgedacht hat, das Schicksal der Heim-EM einem Mann zu überlassen, der seit fast 20 Jahren keinen Trainerstuhl mehr angerührt hat, war für alle Beteiligten eine gesunde Entscheidung. Ebenso, dass man den Nationaltrainerposten nicht in Hände gab, die noch keine Erfahrungen auf internationalem Toplevel vorweisen können. Kurzum: Bessere Alternativen hatte der DFB nicht. Die offensichtliche Lösung ist nicht immer im Leben die beste – im Fall Nagelsmann war sie es aber.

(Photo by KIRILL KUDRYAVTSEV/AFP via Getty Images)

Michael Bojkov

Lahm & Schweinsteiger haben ihn einst zum Fußball überredet – mit schwerwiegenden Folgen: Von Newcastle über Frankfurt bis Cádiz saugt Micha mittlerweile alles auf, was der europäische Vereinsfußball hergibt. Seit 2021 im Team. Hat unter anderem das Champions-League-Finale 2024 und die darauffolgende Europameisterschaft vor Ort für 90PLUS begleitet.


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