Expertenrunde zur U21-EM: DFB-Auswahl „nicht unter den Top-Favoriten“

21. Juni 2023 | U21 EM 2023 | BY Manuel Behlert

Am heutigen Mittwoch startet die U21-EM in Georgien und Rumänien. Die deutsche Auswahl geht als Titelverteidiger in den Wettbewerb, allerdings ist die Konkurrenz groß. Vor allem Nationen wie Frankreich, England und Spanien haben wieder hervorragende Spieler zur Verfügung, aber auch andere Teams haben einiges zu bieten. 

Vor der U21-EM sprachen wir mit Tobias Hlusiak, der für Ran vor Ort ist und das Turnier ausgiebig begleitet, mit Dom Smith vom Evening Standard, mit Sergi Graell, Journalist bei der spanischen Sport und mit dem belgischen Journalisten Jean-François Patte, der das Turnier ebenfalls ausführlich begleiten wird. Der Fokus beim Austausch mit den Experten aus dem Ausland lag primär auf der U21-Auswahl des jeweiligen Landes.



Die U21-EM beginnt in Kürze. Die Qualifikation des DFB-Teams verlief ohne große Schwierigkeiten, die Testspiele im Anschluss waren aber deutlich durchwachsener. Zudem haben einige potenziell wichtige Spieler aufgrund von Blessuren absagen müssen. Wo steht das deutsche Team kurz vor dem Start des Turniers?

Tobias Hlusiak: Ich sehe das deutsche Team nicht unter den absoluten Top-Favoriten, aber im erweiterten Favoritenkreis. Trainer Di Salvo betonte im Trainingslager immer wieder, dass die aktuelle Mannschaft nicht der Titelverteidiger sei, nur weil Deutschland vor zwei Jahren gewonnen hat. Die vielen Verletzungen (Knauff, Thielmann, Beyer, Burkardt, etc.) und auch die Abwesenheit von Malick Thiaw helfen nicht wirklich. Das Viertelfinale sollte drin sein. Alles was danach kommt, würde ich als Zugabe sehen. Auch das ist aber ganz klar nicht ausgeschlossen.

In den vergangenen Turnieren waren es Florian Wirtz, Lukas Nmecha, Jonathan Tah oder Luca Waldschmidt, die das Spiel der DFB-Elf prägten und zu Erfolgsgaranten avancierten. Im Vergleich zu Kadern der Vorjahre fehlt es 2023 in der Breite etwas an individueller Klasse. Welche Spieler haben trotzdem das Zeug dazu, dem Spiel der DFB-Elf ihren Stempel aufzudrücken?

TH: Youssoufa Moukoko muss man hier sicherlich nennen. Er alleine kann es aber nicht reißen. Es wird darauf ankommen, ob die Achse aus Keeper Noah Atubolu, Innenverteidiger Yann-Aurel Bisseck – der bei Inter gehandelt wird – und Yannik Keitel im Mittelfeld funktioniert. Besonders Keitel ist der verlängerte Arm von Trainer Di Salvo und ein absoluter Schlüsselspieler.

Moukoko U21-EM

(Photo by Karina Hessland-Wissel/ Getty Images)

In den letzten Jahren war im Zusammenhang mit der belgischen A-Nationalmannschaft oft von einer „goldenen Generation“ die Rede. Einige Spieler dieser Generation spielen nicht mehr in der Mannschaft. Wie gut ist die aktuelle U21-Mannschaft und gibt es Spieler, die das Zeug dazu haben, sich in der A-Nationalmannschaft zu etablieren?

Jean-François Patte: Das Niveau der belgischen U21-Mannschaft ist sehr gut, sehr vielversprechend. Sie waren sogar die erste Mannschaft, die sich für diese Europameisterschaft in Georgien und Rumänien qualifiziert hat. De Ketelaere und Debast, die an der Weltmeisterschaft in Katar teilgenommen haben, werden bei der U21-Euro spielen und haben schon Erfahrungen weiter oben sammeln können. Auch Openda, Deman, Al-Dakhil und Vranckx waren in der Vorbereitung schon beim A-Team, kehrten dann zur U21 zurück.

Die englische Auswahl hat bei diesem Turnier zweimal den Titel gewonnen, zuletzt 1984. Und das, obwohl danach immer wieder hochkarätige Spieler zur Verfügung standen. Was macht Sie optimistisch, dass England bei diesem Turnier den Titel gewinnen kann?

Dom Smith: Ich glaube nicht, dass England unbedingt als Favorit ins Turnier geht, aber mit Emile Smith Rowe, Harvey Elliott, Jacob Ramsey und Morgan Gibbs-White haben sie vier der besten Spieler dieses Turniers. Es ist ein Wettbewerb, in dem England in der Vergangenheit nicht immer gut abgeschnitten hat, aber sie haben sich während der Qualifikation stetig verbessert und können an einem guten Tag jeden schlagen.

Vorsicht, DFB-Team: „England eine der gefährlichsten Mannschaften, wenn es mit Tempo nach vorne geht“

England trifft in der Vorrunde auf Deutschland, beide Teams sind die Hauptanwärter auf das Viertelfinale. Wo liegen Englands Stärken und auf welche Schlüsselspieler muss die DFB-Auswahl besonders achten?

DS: Auf die vier oben genannten Spieler sollte man achten, aber auch auf Chelsea-Flügelspieler Noni Madueke und Verteidiger Levi Colwill. Englands 4:0-Sieg gegen Frankreich im März hat gezeigt, wie verheerend die Engländer bei Konterangriffen sein können. Wenn Deutschland den Engländern zu viel Raum lässt, werden die Young Lions die Deutschen vor große Probleme stellen. Ich sehe England als eine der gefährlichsten Mannschaften des Turniers, wenn es mit Tempo nach vorne geht.

Alles rund um die U21-EM findet ihr hier 

Spanien hat einen sehr guten Kader für das Turnier nominiert, die Ambitionen sind hoch. Welcher Spieler könnte aus spanischer Sicht der U21-Europameisterschaft seinen Stempel aufdrücken und wo liegen die Stärken der Mannschaft?

Sergi Graell: Spanien ist zweifelsohne einer der Favoriten auf den Gewinn der U21-Europameisterschaft. Sie haben eine ausgeglichene Mannschaft, die in allen Bereichen stark ist, und einen Trainer, der sie gut kennt. Sie haben mehrere Nationalspieler, die in ihren Mannschaften in der ersten Liga gespielt haben, und das bedeutet, dass sie bei einem so wichtigen Ereignis wie diesem auf hohem Niveau spielen können. Die größte Offensivwaffe könnte Abel Ruiz sein, der als Kapitän fungiert und über viel Erfahrung in der U21 verfügt. Er hat zehn Tore auf diesem Niveau erzielt und wird entscheidend sein, aber ich glaube nicht, dass diese Mannschaft nur von einem Spieler geprägt sein wird.

Abel Ruiz

(Photo by MIGUEL RIOPA/AFP via Getty Images)

Außerdem haben die Außenverteidiger gute Saisons in Mannschaften gespielt haben, die sehr guten Fußball gespielt haben, wie Arnau Martínez auf der rechten Seite und Juan Miranda auf der linken Seite. Beide haben das Profil eines offensiven Flügelspielers und sind in der Lage, viel Raum auf dem Spielfeld einzunehmen. Auch die Torhüter sind sehr gut besetzt, ganz gleich, wen sie einsetzen. Im Mittelfeld möchte ich die hervorragende Saison von Gabri Veiga hervorheben, einem Spieler, der auf der Agenda der großen Teams in Europa steht. An seiner Seite können Álex Baena und Oihan Sancet spielen, Spieler, die bei Villarreal und Athletic eine gute Saison gespielt haben. Zudem sind vorne Rodrigo Riquelme, der außen wie innen spielen kann, und auch Sergio Gomez, der bei Manchester City spielt, hervorzuheben.

Bei der Frage nach den Favoriten werden oft die immergleichen Namen gehandelt. Unter Berücksichtigung der Kader und der letzten Eindrücke: Welche Teams beeindrucken besonders und gibt es einen Geheimtipp?

TH: Ich freue mich einfach sehr auf die englische Mannschaft. Die hat einfach richtig Star-Power und wirkt wie die am besten besetzte im Turnier. Interessant wird sein, ob sie auch in einem Turnier mit seiner ganz eigenen Dynamik funktioniert. Geheimtipp: Ich würde die Gastgeber einfach nie außer Acht lassen. Wenn ich mir Georgien und Rumänien so anschaue, machen die Rumänen auf mich aber den stärkeren Eindruck.

J-F P: Zu den großen Favoriten auf den Titel gehört Frankreich, das über einen unglaublichen Pool an Talenten verfügt. Auch Portugal hat eine sehr beeindruckende Mannschaft. Deutschland und Spanien haben in dieser Kategorie schon immer sehr gute Mannschaften gehabt.

U21-EM: Wer holt den Titel? Experten tippen auf Frankreich oder Spanien

Die Talentedichte bei diesem Turnier ist wieder einmal herausragend. Egal, ob im Kader von Frankreich, Spanien, England, den Niederlanden oder auch Kroatien: Es wird zahlreiche Spieler geben, die auf sich aufmerksam machen können. Wer ist aus deiner Sicht ein potenzieller Star des Turniers und hast du einen Geheimtipp auf dem Zettel?

TH: Ich bin besonders auf zwei Torhüter gespannt, die schon in der Gruppenphase aufeinandertreffen. Der Niederländer Bart Verbruggen und Belgiens Marten Vandevoordt gehören europaweit zu den größten Talenten auf dieser Position. Es wird spannend zu sehen, wer sein Team weiter führt. Wenn ich mir die deutsche Mannschaft anschaue, erwarte ich von Youssoufa Moukoko viel. Der BVB-Stürmer wirkt hochmotiviert und trifft in der U21 wie er will (5 Spiele, 6 Tore). Er hat den klaren Anspruch Torschützenkönig und Europameister zu werden, damit er mit Schwung zurück
nach Dortmund kommt. Das könnte groß werden. Dass Bayerns Ryan Gravenberch die EM als Bühne nutzen will, ist ja auch bekannt. Auf hn muss
man sicherlich achten.

Abschließend, eine kurze Prognose: Wer wird U21-Europameister und warum?

TH: Spanien wird am Ende Europameister. Die Iberer haben zwar nicht den stärksten Kader, aber in der Vergangenheit bewiesen, dass sie wissen, wie dieses Turnier funktioniert. Seit 2009 haben sie es immerhin drei Mal gewonnen. 2021 war dann im Halbfinale Schluss. Ich glaube, einfach, dass sie sich diesmal durchsetzen.

J-F P: Das ist keine leichte Frage. Aber da ich mich für eine Auswahl entscheiden muss, werde ich mich für Frankreich entscheiden, weil es dort in jedem Bereich des Feldes so viele gute Spieler gibt.

DS: Ich denke, dass Frankreich gewinnt.

SG: Ich denke, Spanien hat gute Chancen. England, Frankreich und Portugal können ebenfalls als Favoriten ins Rennen gehen, aber auch Mannschaften wie die Niederlande haben Spieler, die in großen europäischen Mannschaften eine wichtige Rolle gespielt haben. Und natürlich kann man Deutschland nie ausschließen, ein Land mit enormen Talenten, egal, wen es aufstellt.

(Photo by Gareth Copley/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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