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Chelseas Transferpolitik – Eine Wette auf die Zukunft

28. Februar 2023 | Trending | BY Niels Kunicke

Mit der Transferoffensive im Winter hat der FC Chelsea neue Rekorde aufgestellt. Es ist eine deutliche Reaktion der neuen Vereinsführung auf die sportliche Talfahrt in der bisherigen Saison. Wir blicken auf den aktuellen Kader der Blues und werfen einen Blick auf die Hintergründe der millionenschweren Transfers.

In den letzten zwölf Monaten ist beim FC Chelsea einiges passiert. Zu Beginn vergangenen Jahres war Chelsea noch amtierender Champions-League-Sieger und wurde durch den, damals zum Welttrainer ausgezeichneten, Thomas Tuchel trainiert. Der Verein wirkte personell und sportlich bestens aufgestellt. Doch im Zuge des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine wurden dem langjährigen russischen Besitzer und Investor der Blues, Roman Abramowitsch, sämtliche Geschäftskonten eingefroren.



Dies hatte zur Folge, dass Chelsea zwischenzeitlich geschäftsunfähig wurde. Dementsprechend konnten die Personalplanungen für die Saison 2022/23 nicht vorangetrieben werden und es kam schlussendlich zu schmerzhaften ablösefreien Abgängen von Spielern wie Andreas Christensen und Antonio Rüdiger. Ende Mai folgte dann die Übernahme des FC Chelsea durch ein Konsortium um den US-Geschäftsmann Todd Boehly für ca. fünf Milliarden Euro. Daraufhin folgten umgehend massive Investitionen in den Kader der Blues, der sich sportlich über die gesamte bisherige Spielzeit schwertut. Dies hatte bereits im September die überraschende Entlassung von Erfolgscoach Thomas Tuchel zur Folge. Als Nachfolger verpflichtete man für eine zweistellige Millionenablösesumme den bisherigen Coach von Brighton & Hove Albion, Graham Potter. Seitdem dieser im Amt ist, hat sich die sportliche Situation mit dem zehnten Tabellenplatz in der Premier League nicht wirklich verbessert.

Chelsea: Potter

(Photo by Ryan Pierse/Getty Images)

Chelseas Shoppingtour stellt neue Rekorde auf

Dafür wurde in der vergangenen Wintertransferperiode so kräftig am eigenen Kader gearbeitet, dass die Blues neue Rekorde aufstellten. Allein im Winter wurden für acht Neuzugänge 330 Millionen Euro ausgegeben. Das ist mehr Geld als sämtliche Vereine der Topligen aus Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland zusammen in der selben Zeit für neue Spieler investierten (vgl. WDR 5 Sport inside – der Podcast). Damit stiegen Chelseas Transferausgaben für die laufende Saison auf 611 Millionen Euro. Bei Transfereinnahmen von lediglich 68 Millionen Euro ergibt dies mit -544 Millionen Euro ein erhebliches Defizit in der Transferbilanz (vgl. Transfermarkt.de). Auch auf die gesamte Saison gerechnet sind Chelseas Ausgaben somit höher als die aller Bundesligaklubs zusammen. Einerseits zeigen diese Zahlen das enorme Gefälle zwischen der Premier League und den restlichen Ligen Europas. Aber auch auf britischem Niveau ist dieses Ausgabenvolumen bemerkenswert. So pulverisiert Chelsea laut der Sportschau mit 611 Millionen Euro den vorherigen Rekord an Transferausgaben in einer Saison von Manchester City aus der Saison 2017/18, der bei rund 370 Millionen Euro lag.

Leisten kann sich der Klub all dies durch die hohen Einnahmen aus den TV-Rechten sowie die Investitionen des neuen Besitzerkonsortiums. Mit nachhaltigem Wirtschaften hat ein Transferdefizit von 544 Millionen Euro jedoch wenig zu tun. Doch genau das sollen die neuen UEFA-Gesetze zur Financial Sustainability, welche das Financial Fairplay im vergangenen Jahr ablösten, sicherstellen. Die neuen Vorgaben besagen erstens, dass ein Klub nur 70 % seiner Einnahmen in den Kader investieren darf. Dazu sollen neben Ablösesummen auch Gehälter und Beraterhonorare zählen. Zweitens dürfen Defizite zwischen Einnahmen und Ausgaben durch einen externen Geldgeber/Investor eingeschränkt ausgeglichen werden. Diese Ausgleichszahlungen sind auf maximal 30 Millionen Euro pro Saison gedeckelt. Wie ist es also möglich, dass Chelsea derart massiv in seinen Kader investiert?

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Die trickreiche Umgehung der UEFA-Regularien

Zum Einen befinden sich die Gesetze nach der Überholung des Financial Fairplays in einer Übergangsphase, die den Vereinen Zeit gibt, sich entsprechend des neuen Rechtssystems aufzustellen, und daher erst 2025 vollumfänglich greifen. Zum Anderen wenden die West-Londoner gewisse Finanztricks an, um die Regularien der UEFA zu umgehen. Bei Betrachtung der Konditionen der Winterneuzugänge fällt demzufolge auf, dass sie über eine ungewöhnlich lange Vertragslaufzeit verfügen. So sind beispielsweise die Verträge von Enzo Fernandez und Mykhaylo Mudryk bis 2031 und somit insgesamt achteinhalb Jahre gültig. Dies ist insofern auffällig, dass die FIFA grundsätzlich von einer vertraglichen Maximallaufzeit von fünf Jahren spricht, aber auch die Hintertür für abweichende nationale Gesetzgebungen offen lässt.

Durch eben jenen Fall in Großbritannien ist es den Blues jedoch möglich diese Vorgabe zu umgehen. Der Hintergrund der Vorgehensweise Chelseas ist betriebswirtschaftlicher Natur. Denn durch die lange Vertragslaufzeit können die Transferkosten auch über mehr Jahre abgeschrieben werden. Durch diesen Bilanzierungstrick fallen z. B. im Falle von Enzo Fernandez für das Geschäftsjahr 2023 von den 121 Millionen Euro Ablöse nur knapp 13,5 Millionen Euro ins Gewicht und entlasten die Transferbilanz somit deutlich. Sollte der Spieler vor Vertragsende den Verein wechseln, werden die noch ausstehenden Abschreibungssummen mit dem entsprechenden Transfererlös verrechnet und eine Bilanz gezogen.

(Photo by DAMIR SENCAR/AFP via Getty Images)

Mit dieser Methodik verschafft sich der FC Chelsea Handlungsspielraum für weitere Transferaktivitäten und umgeht somit die Regularien der UEFA. Jedoch ist die Transferpolitik der Londoner auch eine Wette auf die Zukunft. Denn sollten die Spieler sich schwerer verletzen oder an die Leistungen beim vorherigen Klub nicht anknüpfen können, sinkt ihr Marktwert und der Verein bleibt womöglich auf Spielern mit hochdotierten Langzeitverträgen sitzen. In einem solchen Szenario lässt sich nur schwer ein Abnehmer finden, der bereit ist, vergleichbares Geld für die Spieler in die Hand zu nehmen, wie es die Blues in dieser Saison taten. Chelsea verpflichtet sich somit, auch in Bezug auf die Relevanz von Einnahmen aus der Champions League, zu sportlichem Erfolg. Die Frage wie aussichtsreich dieser mit dem neu zusammengestellten Team ist, beantwortet ein näherer Blick auf den Kader der Blues.

Mit großflächigem Kaderumbau zurück zu sportlichem Erfolg?

Bereits im Sommer kam es zu größeren Veränderungen im Team der Blues. Während Leistungsträger wie Antonio Rüdiger und Andreas Christensen den Verein ablösefrei verließen, trennte man sich u. a. auch von den eher glücklosen Star-Spielern Timo Werner, Saul Niguez (Leihende) und Romelu Lukaku (Leihe). Kostspielig aufgefrischt wurde der Kader mit Spielern wie Wesley Fofana, Marc Cucurella, Raheem Sterling, Pierre-Emerick Aubameyang, Denis Zakaria (Leihe) und Kalidou Koulibaly. Im Winter legte der Verein dann noch einmal kräftig mit den Transfers von Enzo Fernandez, Mykhaylo Mudryk, Joao Felix (Leihe), Benoit Badiashile, Noni Madueke, Malo Gusto (inklusive Rückleihe nach Lyon), Andre Santos und David Fofana nach. Hingegen verließ mit dem Italiener Jorginho nur ein Spieler den Klub.

Von besagten Sommertransfers konnten bisher nur wenige Spieler überzeugen. Während der für über 80 Millionen Euro von Leicester City geholte und hochveranlagte Wesley Fofana über weite Teile der bisherigen Saison verletzt war (Knieverletzung), läuft Linksverteidiger Marc Cucurella seiner Form aus der Vorsaison bei Brighton & Hove Albion hinterher. In der Folge verlor der Spanier kurzzeitig seinen Stammplatz an den 18-jährigen Lewis Hall. Dritter Verteidiger im Bunde ist Kalidou Koulibaly, der von der SSC Neapel kam und seit Jahren von den Blues umworben wurde. Der senegalesische Innenverteidiger gehört wie Cucurella zur Stammkraft und konnte mit zwei Treffern in der Liga auch schon seine offensiven Qualitäten unter Beweis stellen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass er sich von der immer wieder aufblitzenden Unsicherheit im Team bereits anstecken ließ und gerade bei Kontern im Defensivverhalten nicht immer souverän wirkte.

Deutlich weniger unter Beweis stellen konnte sich bisher Denis Zakaria. Der von Juventus Turin ausgeliehene Schweizer kommt wettbewerbsübergreifend erst auf neun Einsätze. Während der Sechser mit Gladbach-Vergangenheit zu Beginn der Saison kaum berücksichtigt wurde, arbeitete er sich um den Jahreswechsel an die Startelf heran, woraufhin ihn bis zuletzt eine Oberschenkelverletzung ausbremste. Ebenfalls mit Oberschenkel- sowie Knieproblemen hat Raheem Sterling zu kämpfen. Der Linksaußen erwischte mit vier Scorerpunkten aus den ersten fünf Saisonspielen einen starken Saisonstart, konnte in der Folge aber nur noch sporadisch an sein unbestreitbares Leistungsvermögen anknüpfen. Deutlich bescheidender sieht die Bilanz von Pierre-Emerick Aubameyang aus. Der Gabuner kam im Sommer aus Barcelona, um im Sturmzentrum das durch die Abgänge von Timo Werner und Romelu Lukaku entstandene Vakuum zu füllen. Wettbewerbsübergreifend kommt der Routinier allerdings erst auf drei Treffer und spielt seit der Rückrunde kaum noch eine Rolle in den Plänen von Potter.

Chelsea: Aubameyang

(Photo by Alex Pantling/Getty Images)

Dementsprechend verpflichteten die Blues mit David Fofana im Winter von Molde FK einen weiteren Mittelstürmer. Der Ivorer kam bisher erst 60 Minuten in der Liga zum Einsatz, ist mit seinen 20 Jahren aber auch eher als Perspektivspieler zu betrachten, der sich zunächst an das hohe Liganiveau gewöhnen muss. Sein Talent ist bei 20 Scorerpunkten aus 24 Spielen in der abgelaufenen Saison in Norwegen jedenfalls offensichtlich. Ebenfalls perspektivisch ist der Transfer des 18-jährigen Brasilianers Anrey Santos zu sehen, der noch ohne Einsatz für die Londoner ist. Auch über Rechtsaußen Noni Madueke ist bei gerade einmal drei Einsätzen in der Premier League noch kein Urteil zu bilden. Seine Dribbelstärke und Tiefenläufe ließ der pfeilschnelle Engländer aber bereits aufblitzen.

Als großes Talent kann auch der 21-jährige Benoit Badiashile bezeichnet werden. Der Franzose kam im Winter von der AS Monaco und avancierte sofort zur Stammkraft. Besonders hervorzuheben ist seine körperliche Robustheit in Zweikämpfen und Kopfballstärke. Auch Königstransfer Enzo Fernandez gehört bereits regelmäßig zur Stammformation, die sich meist in einem 4-2-3-1 anordnet. Der Weltmeister und zum Youngstar des Turniers ausgezeichnete Fernandez spielt diesbezüglich auf der linken Sechserposition und zeichnet sich durch seine Vielseitigkeit aus. Einerseits erzwingt er durch seine Zweikampfstärke viele Ballgewinne für die Blues. Zudem hat er eine hohe Ballsicherheit und Passgenauigkeit und leitet somit die Angriffe der Londoner ein. Seine Stärke im Passspiel ließ er mitunter bereits durch einen Heber über die Abwehrkette im Ligaspiel gegen West Ham aufblitzen, der das Führungstor durch Joao Felix assistierte.

Neben seiner Übersicht verfügt der Argentinier aber auch über einen gefährlichen Weitschuss, den er immer wieder in sein Spiel einstreut und somit zur Vielseitigkeit im Londoner Offensivspiel beiträgt. Er fungiert als entscheidendes Bindeglied zwischen Offensiv- und Defensivspiel der Blues. Die Qualitäten von Shootingstar Mykhaylo Mudryk sind hingegen hauptsächlich offensiver Natur. Der Linksaußen ist schnell, abschlussstark und mit seinen Dribbelfähigkeiten prädestiniert für Eins-gegen-Eins-Duelle. Hinter dem Ukrainer waren viele Topklubs hinterher, u. a. auch der Stadtrivale FC Arsenal. Den Zuschlag bekam am Ende Chelsea und kann sich auf einen Spieler freuen, der in der Gruppenphase der Champions League bereits seine Qualitäten eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat (fünf Scorerpunkte in sechs Spielen für Donezk). Noch hat er allerdings Anpassungsschwierigkeiten in seiner neuen sportlichen Heimat. Nach sechs Einsätzen wartet er nach wie vor auf seine erste Torbeteiligung.

Weniger perspektivisch sondern vielmehr als Soforthilfe lässt sich hingegen der Leihtransfer (ohne Kaufoption von Atletico Madrid) von Joao Felix bis Saisonende verstehen. In seinem Debüt gegen Fulham ließ der Portugiese seine Spielstärke direkt aufblitzen, war der auffälligste Mann der Blues, flog allerdings nach einer guten Stunde nach rüdem Foulspiel direkt vom Platz. Dementsprechend bestritt er erst drei Ligaspiele, in denen er einmal traf. Seine technischen Fertigkeiten ermöglichen Potter eine weitere hochwertige Optionen im Offensivspiel, da Felix sowohl auf den Außen als auch als hängende Spitze fungieren kann.

Chelsea: Ein Ausblick in die Zukunft

In Kombination mit den bereits etablierten Akteuren, wie Edouard Mendy (langzeitverletzt), Thiago Silva, Reece James, N’Golo Kante, Mason Mount, Kai Havertz oder Hakim Ziyech, um nur einige zu nennen, verfügt Chelsea somit zweifelsohne über einen äußerst hochwertigen Kader, der locker die Qualität für eine Champions-League-Platzierung besitzt. Allerdings ist es schwer vorstellbar, wie die Blues in ihrer aktuellen Form elf Punkte Rückstand (bei einem Spiel weniger) auf die Champions-League-Ränge aufholen sollen. Ein weiteres Problem ist die bestehende Vakanz in der Sturmzentrale. Den Blues fehlt aktuell ein treffsicherer Neuner, der die Bälle festmachen und auch mit Flanken gefüttert werden kann.

Chelsea: Havertz Felix

(Photo by Julian Finney/Getty Images)

Dies wird durch den Fakt belegt, dass kein Spieler im Kader wettbewerbsübergreifend mehr als sechs Treffer erzielt hat. Aubameyang spielt kaum eine Rolle, Lukaku wurde verliehen, Havertz und Felix fühlen sich als hängende Spitze wohler und Fofana muss erst an das neue Niveau herangeführt werden. Ohne einen Zielspieler verliert das Team jedoch an potenzieller Variabilität, da beispielsweise so das Spiel mit hohen Bällen nur noch eingeschränkt Sinn ergibt. Hoffnung macht hingegen die Rückkehr des langzeitverletzten N’Golo Kante, der fit und in Form zu den besten Sechsern der Welt gehört.

Alles in allem lässt sich sagen, dass Chelsea zweifelsohne über einen sehr starken Kader für die Zukunft verfügt. Angesichts der aktuellen Form und Verletztenmisere erscheint die Qualifikation für die Königsklasse jedoch schwer vorstellbar. Außerdem braucht es Zeit, bis das neu zusammengestellte Team Abläufe einstudiert hat und sich zu einer Einheit formt. Im kommenden Sommer werden die Blues sicherlich erneut Änderungen in der Sturmspitze vornehmen, um an zusätzlichem Offensivprofil zu gewinnen.

Ob die enormen finanziellen Ausgaben langfristig zum erwünschten sportlichen Erfolg führen, wird sich wohl erst im Laufe der nächsten Saison zeigen. Verpasst Chelsea zur kommenden Saison die Teilnahme an der Königsklasse, fallen erhebliche Einnahmen weg, die der Klub dringend braucht, um die enormen Ausgaben auch nur annähernd auszugleichen. Es wird also spannend zu sehen sein, wie die UEFA auf die Finanztricks und umfangreichen Investitionen der Blues reagieren wird. Im Zuge dessen könnte auch ein rechtlicher Konflikt mit dem eigenen Ligaverband drohen, wie es aktuell bei Ligakonkurrent Manchester City der Fall ist. Chelseas Transferpolitik bleibt somit ein Spiel mit dem Feuer.

(Photo by Justin Setterfield/Getty Images)

Niels Kunicke


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