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Liverpool FC und Jürgen Klopp: Ein Umbruch zur Unzeit

7. Januar 2023 | Trending | BY Victor Catalina

Spotlight | Nach der 1:3-Niederlage in Brentford steht der Liverpool FC auf Platz 6 der Premier League. Neben dem eigenen Spielstil macht dabei vor allem das Mittelfeld – und dessen Zukunft – Sorgen. 

Brentford setzt Liverpool mit den eigenen Trademarks schachmatt

Zwei Siege. Genau so viel trennten den Liverpool Football Club vergangene Saison davon, als erste Mannschaft das Quadruple aus Premier League, Champions League, FA Cup sowie EFL Cup zu gewinnen. Oder viel mehr: So wenig. „In zwei Wettbewerben haben wir es jetzt ganz knapp nicht geschafft, mit dem kleinsten Abstand, der geht“, hielt Jürgen Klopp nach dem verlorenen Champions-League-Finale gegen Real Madrid (0:1) bei DAZN fest.

 



 

Gerade eine solche Saison ist schwer, sofort im Anschluss wieder zu reproduzieren. Zumal es nun mit dem Arsenal FC und Newcastle United zwei neue Konkurrenten neben Manchester City gibt. Auch Manchester United gelingt es unter Erik ten Hag, regelmäßig die eigenen Stärken in Siege umzuwandeln.

Daher findet sich Liverpool im Januar 2023 lediglich auf Platz 6 der Premier League wieder, punktgleich mit Aufsteiger Fulham. Sieben Zähler trennen sie bereits von United auf Rang 4. Vier Siege aus den letzten fünf Ligapartien lesen sich zwar wie eine klare Steigerung. Die Auftritte sind es jedoch nur in den seltensten Fällen.

Premier League Brentford FC Liverpool FC

Photo by Clive Rose/Getty Images

Während man sich gegen Southampton (3:1) oder im Villa Park (3:1) noch auf die eigene individuelle Qualität verlassen konnte, brauchte es gegen Leicester City (2:1) gleich zwei Eigentore Wout Faes‘. Im Brentford Community Stadium hingegen ließ sich Liverpool mit den eigenen Trademarks besiegen. Die Bees rannten in der ersten Hälfte mehr, pressten mehr und ließen Liverpool keine Ruhe am Ball. Vor allem nach Standards zeigten sie sich kreativ. In Minute 19 wurde Ibrahima Konaté ins Eigentor gezwungen. Fünf Minuten vor der Pause nahm Yoane Wissa eine Eckballflanke volley. Da Ben Mee abseits stand, zählte der Treffer nicht. Also eroberte Brentford den Ball postwendend wieder zurück. Keine zwei Minuten später flankte Mathias Jensen erneut auf Wissa, der diesmal zum regulären 2:0 einköpfte.

Natürlich kann man Klopp verstehen, wenn er sagt, dass Brentford bei Standards „die Regeln ausgedehnt“ und immer wieder „gedrückt und gehalten“ habe. Vielleicht war es auch irgendwo der Frust, dass dem Gegner das gelang, wofür Klopp und sein Spiel normalerweise stehen. Liverpools Heavy-Metal-Fußball ist dieser Tage eher eine entspannte Symphonie in Mezzoforte.

Die langfristigen Ausfälle von Diogo Jota (Wadenverletzung) und Luis Díaz (Knieverletzung) helfen nur bedingt weiter. Über Weihnachten verpflichtete man Cody Gakpo für 42 Millionen Euro, um der Lage Herr zu werden. Dennoch wurde dabei ein Stück weit am eigentlichen Problem vorbeitransferiert: dem Mittelfeld.

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Wijnaldums fehlender Nachfolger wird zu Liverpools Problem

Jordan Henderson konnte seine Leistungen der Vorsaisons nicht halten, James Milner sind seine 37 Jahre zunehmend anzusehen, Naby Keïta und Alex Oxlade-Chamberlain haben wiederholt mit kleineren oder größeren Verletzungen zu kämpfen, Arthur ist von Juventus nur ausgeliehen. Wenn Fabinho, der im Oktober seinen 30. Geburtstag feiert, auch fehlt, ist Thiago, ebenfalls bereits 31, mehr oder minder auf sich allein gestellt. Fabio Carvalho und Harvey Elliott sind zwar herausragende Fußballer, Thiago von der Spielanlage allerdings zu ähnlich. Es fehlt jemand wie Georginio Wijnaldum, der Prototyp eines Jürgen-Klopp-Spielers.

 

 

Jemand, mit einer außerordentlichen Ausdauer, der dem Gegner nie Ruhe am Ball lässt, sondern ihn permanent jagt und damit den Strom für die E-Gitarre von Klopps Heavy-Metal-Fußball liefert. Jemand, der in der Lage ist, die Bälle aus dem zentralen Mittelfeld robust zu behaupten und zu verteilen. Aber auch jemand, der für das ein oder andere wichtige Tor gut ist. Der Abgang von Sadio Mané, der über dieselben (physischen) Stärken verfügt, darf ebenfalls nicht vernachlässigt werden. „Es ist, als ob sie versuchen, nach der Art von Jürgen Klopp zu spielen, ohne die Spieler von Jürgen Klopp zu haben“, befand Jamie Carragher nach der Niederlage in Brentford bei Sky Sports. „Ich sehe die Spieler nicht mehr sprinten aber sie spielen immer noch mit dieser hohen letzten Linie. Das ist keine Klopp-Mannschaft mehr.“

Intern, vermutet Carragher, dass Klopps Assistent Pep Lijnders seinen großen Einfluss nutzen könnte, um einen eher ballbesitzorientierten Spielstil einzuführen, der in diesem Fall zulasten von Klopps Grundprinzipien ginge. Andererseits kann man, besonders während des eng getakteten englischen Spielplans, nicht 60 Partien lang nur den Gegner jagen. Es sei denn, man legt es unbedingt auf eine überlange Verletzungsliste an. Dabei gilt es immer genau abzuwägen, wie sehr man von der eigenen DNA abweicht. „Sobald die Intensität eines Spiels steigt, können sie nicht mithalten. Liverpool hat schon die ganze Saison ein Problem gegen physische Mannschaften. Und lasst uns nicht vergessen: Wir sprechen von einem Team, das mit Stolz von sich sagt: ‚Intensität ist unsere Identität'“, hält Carragher fest.

„Ohne einen Mittelfeldspieler werden sie nicht unter die ersten Vier kommen“ – Carragher mit düsteren Aussichten für Liverpool

Für die nähere Zukunft rät Carragher dem Klub zu einer Runderneuerung im Mittelfeld. „Ohne die Verpflichtung eines Mittelfeldspielers können sie nicht unter die ersten Vier kommen.“ Allein, sollte Liverpool die Champions League verpassen, wäre es nahezu unmöglich, mit der neugewonnenen Konkurrenz, junge und qualitativ hochwertige Spieler von einem Transfer zu überzeugen. Der Klub steckt in einer Zwickmühle. Die einzige Möglichkeit, sich elegant herauszuwinden, wäre einen solchen Spieler, der das Niveau des Teams umgehend anhebt, noch im Wintertransferfenster zu finden. Dahingehend ist es allerdings fraglich, ob man von FSG, den Eigentümern, die nicht gerade als spendabel bekannt sind, nach dem Transfer von Gakpo die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt bekommt. Dass FSG sich im Prozess befindet, seine Klubanteile verkaufen zu wollen, macht die Suche nicht zwingend leichter.

Fürs Erste ist Jürgen Klopp gefragt, ein weiteres seiner Trademarks einzubringen: Mit seiner außerordentlichen Kommunikationsfähigkeit neue Impulse zu setzen und dadurch die Mannschaft neu zu motivieren und einzustellen, sodass die Aufholjagd doch noch gelingt. Die nächsten Gegner heißen Brighton (A), Chelsea (H), Wolves (A), Everton (H) und Newcastle (A). In diesen fünf Partien muss beides stimmen, Auftritt und Ergebnis. Die Zeit läuft – und tut das im Moment gegen Liverpool.

Photo by Ryan Pierse/Getty Images

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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