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Premier League | Tottenham und Chelsea im Umbruch: Aus den Fehlern gelernt?

9. August 2023 | Spotlight | BY David Schöngarth

Vorschau | Alles neu in London? Tottenham Hotspur und Chelsea wollen jeweils eine Saison weit unter den Erwartungen vergessen machen. Doch die Konkurrenz im Rennen um das internationale Geschäft wächst. Wem gelingt der Umbruch besser? Wir blicken in unserer Vorschau auf beide Klubs.

Tottenham und Chelsea: Die großen Enttäuschungen der Premier League

Viel wurde im vergangenen Sommer über Tottenham geschrieben. Nahezu alle Experten sahen die Spurs, die sich untypisch früh und vor allem qualitativ stark auf dem Transfermarkt verstärkt hatten, auf den ersten vier Plätzen. Einige trauten ihnen unter Trainer Antonio Conte sogar den ersten Titel seit 2008 zu. Und auch beim erfolgsverwöhnten FC Chelsea, bei dem die Champions-League-Teilnahme und Silberware ohnehin Pflicht sind, herrschte nach der Übernahme des Vereins durch ein amerikanisches Konsortium um Todd Boehly leichte Aufbruchsstimmung.



Doch es kam alles anders: Sowohl bei Chelsea als auch bei Tottenham geriet die Saison zu unterschiedlichen Zeitpunkten komplett aus den Fugen und am letzten Spieltag blieb von den einst hohen Erwartungen nicht mehr als ein Scherbenhaufen zurück. Die Spurs, die mit schmeichelhaften Ergebnissen zwar noch bis zur WM-Pause auf Rang Drei verweilten, implodierten im Frühjahr 2023 und wechselten in den letzten Saisonmonaten zweimal den Trainer. Platz acht stand am Saisonende somit zu Buche – die schlechteste Platzierung der Spurs seit Jahren, mit der auch das europäische Geschäft verpasst wurde. Bei den Blues gab es schon kurz nach Saisonstart den ersten Paukenschlag, als Trainer Thomas Tuchel durch Graham Potter ersetzt wurde, der zwar bis zur WM-Pause ordentliche Ergebnisse einfuhr, danach aber schrittweise die Kontrolle verlor und im April schließlich auch seinen Aufgaben entbunden wurde. Vereins-Legende und Ex-Trainer Frank Lampard übernahm interimsweise zum Saisonende, blieb jedoch auch erfolglos und beendete die Saison mit Chelsea auf dem zwölften Platz. Mit der Erwartungshaltung der Fans und Klubbesitzer, die im Verlauf der Saison über 600 Millionen Euro in neue Spieler investierten, ist das unvereinbar. Kaum verwunderlich also, dass sowohl bei Chelsea als auch Tottenham in diesem Sommer alles auf Anfang gestellt wird.

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Chelsea: Bringt der Architekt von Tottenhams Erfolg auch Chelsea wieder in die Spur?

Der Mann, dem das bei Chelsea gelingen soll, hat dabei ausgerechnet eine Geschichte bei den Spurs. Mauricio Pochettino heißt das neue Gesicht an der Seitenlinie bei Chelsea. Zwischen 2014 und 2019 trainierte der Argentinier Tottenham und führte das Team trotz begrenzter finanzieller Mittel bis ins Finale der Champions League. Ein Titel gewann er bei den Spurs nicht, jedoch dürften den Verantwortlichen der Blues gerade Pochettinos frühe Arbeit bei den Spurs gefallen haben, wo er aus jungen Spielern eine Einheit formte, einem bis dahin eher ziellosen Team Leben einhauchte und eine Richtung vorgab und äußerst attraktiven Fußball spielen ließ. Spieler wie Christian Eriksen (31), Son Heung-Min (31) oder Harry Kane (30) reiften unter Pochettino zur Weltklasse.

Mauricio Pochettino Chelsea

Soll die Blues wieder zum Erfolg führen: Ex-Tottenham Coach Mauricio Pochettino (Photo by Mike Stobe/Getty Images).

Talente hat der FC Chelsea nach der Einkaufstour der amerikanischen Besitzer in Hülle und Fülle. Bei Benoit Badiashille (22), Malo Gusto (20), Enzo Fernandez (22) und Noni Madueke (21) handelt es sich nur um eine Auswahl an vielversprechenden Spielern, die Chelsea vergangene Saison verpflichtet hat. Dazu kommen rückkehrende Leihspieler wie beispielsweise das Abwehr-Talent Levi Colwill (20) und Neuzugänge aus diesem Sommer wie der Stürmer Nicolas Jackson (22). Das Geldausgeben haben die Besitzer der Blues nämlich trotz der enttäuschenden Saison nicht verlernt, wenngleich die Strategie bei Chelsea in diesem Sommer spürbar anders ist. Langjährige Leistungsträger und verdiente Spieler (mit üppigem Gehalt) wie N’Golo Kanté (32) oder Edouard Mendy (31) ließ Chelsea ziehen, um den Kader auszudünnen und für die Zukunft umzubauen. Darüber hinaus konnte Chelsea mit den Verkäufen von Kai Havertz, Mason Mount oder Christian Pulisic bereits beachtliche Einnahmen erzielen. Auch vor dem Verkauf von Spielern wie Kalidou Koulibaly (32), die erst im vergangenen Sommer für knapp 40 Millionen Euro verpflichtet wurden, schreckt man an der Stamford Bridge nicht zurück.

Wo geht die Reise für Chelsea hin?

Ob der Umbruch gelingt und Chelsea in der kommenden Saison wieder einen Platz innerhalb der ersten vier Mannschaften einnehmen kann, ist stand jetzt schwer vorhersehbar. Vor allem, weil in der Abwesenheit Chelseas an der Tabellenspitze andere Teams einen Schritt nach vorne gemacht haben. So müssen sich die Blues in der kommenden Saison nicht mehr nur mit den traditionellen “Big Six” messen. Auch Newcastle, Brighton und Aston Villa müssen von Chelsea als direkte Konkurrenten ernst genommen werden. Soll die Trendwende gelingen, muss Chelsea-Trainer Mauricio Pochettino vor allem ein Problem der Blues lösen: die Offensivschwierigkeiten. Lediglich 38 Tore schoss Chelsea in der vergangenen Saison. Die Stürmerposition ist bei den Blues ein ewiges Problem.

Ein neues Gesicht in der Premier League: Christopher Nkunku im Trikot von Chelsea.

Christopher Nkunku soll die Offensivprobleme von Chelsea lösen. Zum Saisonstart fällt der ehemalige Leipziger allerdings zunächst verletzt aus (Photo by Justin Casterline/Getty Images).

Hier könnte nun Neuzugang Christopher Nkunku (25) Abhilfe schaffen, der ohne Frage zu den aufregendsten neuen Spielern auf der Insel zählt. Der äußerst variable Offensivspieler, der sich in der vergangenen Saison die Bundesliga-Torjägerkanone mit Niclas Füllkrug (30) teilte, erhöht das Offensivpotenzial der Blues auf einen Schlag. Alleine wird er das Offensivspiel seiner Mannschaft aber nicht auf ein komplett anderes Level heben. Zumal er aufgrund einer Knieverletzung ohnehin den Saisonstart sowie längere Zeit danach verpassen wird. Es benötigt auch bessere Leistungen von namhaften Spielern wie Winter-Neuzugang Mykhaylo Mudryk (22), dessen Talent bislang noch zu selten durchblitzte. Auch Nicolas Jackson (22) könnte Teil der Lösung von Chelseas Offensivsorgen sein, denn der 22-Jährige kann die Rolle des zentralen Mittelstürmers verkörpern. Dass diese Position bei Chelsea mit einem abergläubischen Fluch behaftet ist, ist jedoch bekannt. Und sein unbestrittenes Potenzial muss der Neuzugang von Villarreal erst einmal in der Premier League abrufen können.

Letztendlich bleibt es nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, eine Prognose darüber abzugeben, wo Chelsea am Ende der kommenden Saison steht. Noch größer zu enttäuschen als in der vergangenen Saison wird schwer, wenngleich das ein schwacher Trost an der Stamford Bridge sein mag. Einige werden die Blues mit Sicherheit auch als Überraschung der Saison tippen, und richtig verübeln kann man es ihnen nicht. Die Voraussetzungen sind zumindest gegeben, dass Chelsea sich wieder nach oben orientieren kann. Denn wenn wir ehrlich sind, hätten die Blues angesichts der im Kader vorhandenen Qualität, äußeren Infrastrukturen und finanziellen Investitionen der Besitzer nie so tief fallen dürfen. Vieles wird vom neuen Trainer Mauricio Pochettino abhängen und ob der Argentinier, der zuletzt PSG trainierte, bei seiner Rückkehr nach England zurück zu den Tugenden seiner frühen Tage bei Tottenham findet. Gelingt das, steht einer erfolgreichen Chelsea-Saison nichts im Wege.

Tottenham: Alles neu mit Ange Postecoglou

Wenige Kilometer weiter nördlich bei den Spurs ist die Situation ähnlich, denn obwohl Tottenham am Ende der vergangenen Saison komfortabel vor Chelsea landete, können sich die Spurs von Rang acht in der Premier League nichts kaufen und verpassen im kommenden Jahr zum ersten Mal seit langem wieder das internationale Geschäft. Der Scherbenhaufen, den Ex-Trainer Antonio Conte hinterlassen hat, und die damit verbundene Mammutaufgabe an den neuen Trainer haben ähnliche Dimensionen wie bei Chelsea.

Der Mann, der die Spurs wieder in die Spur bringen soll, war bis vor kurzem noch nicht jedem ein Begriff: Ange Postecoglou hält seit dem Sommer das Ruder bei Tottenham in der Hand und wechselte vom schottischen Traditionsklub Celtic Glasgow in die englische Hauptstadt. In Schottland hatte er den strauchelenden Riesen Celtic binnen zwei Jahren wieder in die Spur gebracht, Titel gewonnen und dabei rasanten Fußball spielen lassen. Genug Argumente für Tottenham, dem Australier eine Chance zu geben. Obwohl Postecoglou Berichten zufolge nicht die erste Wahl in der intensiven Trainersuche der Spurs war, ist es dem 57-Jährigen seit seinem Amtsantritt gelungen, eine gewisse Aufbruchsstimmung rund um die Spurs zu entfachen. Den taktisch interessierten Zuschauern ist der Australier, der außerdem bereits in Japan Trainer war, schon seit längerem ein Begriff.

Postecoglou steht für kompromisslosen Offensivfußball und wird häufig mit Pep Guardiola verglichen, denn auch Postecoglou ist bekannt dafür, mit inversen Außenverteidigern zu spielen, sprich Verteidiger mit ins Mittelfeld vorzuschicken. Den Spurs, die in den vergangenen Jahren zunächst unter José Mourinho und dann Antonio Conte das Fußballspielen verlernten, dürfte diese taktische Neuausrichtung guttun. Die Fans sehnen sich ohnehin nach ansehnlichem Offensivspiel. Und in den ersten Testspielen zeigte die von Postecoglou eingeläutete Revolution dann auch gleich Wirkung: Von den Spurs, die sich vor dem eigenen Strafraum einmauern, war keine Spur mehr zu sehen. Oft angetrieben von Neuzugang James Maddison (26), der eine seit Jahren bestehende Lücke im offensiven Mittelfeld schließt, zeigte sich Tottenham spielfreudig und kreierte Chance auf Chance. Anfänge, die Tottenham-Fans Mut machen dürften.

Der erste australische Trainer in der Premier League: Ange Postecoglou. (Photo by TREVOR COLLENS/AFP via Getty Images)

Tottenham: Ungewissheit um Harry Kane

Doch Tottenham wäre nicht Tottenham, wenn es nicht zumindest eine Handvoll Störgeräusche gäbe. In diesem Sommer ist das vor allem Harry Kane (30), dessen Abgang noch nie so nah war wie zuvor. Der FC Bayern München hat den Star-Stürmer der Spurs und englischen Nationalmannschaftskapitän als Wunschlösung im Sturm auserkoren. Anders als 2021 schließt Spurs-Boss Daniel Levy, nach dem wahrscheinlich noch nie so häufig gegoogelt wurde wie in den vergangenen Wochen, einen Verkauf von Kane nicht kategorisch aus. Zwischen Levy und einer Delegation aus München soll es bereits mehrere Treffen gegeben haben.

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Klein beigeben will der Tottenham-Chairman bei Kane trotz einer restlichen Vertragslaufzeit von einem Jahr aber auch nicht, was angesichts Kanes Weltklasse und Bedeutung für die Spurs auch verständlich ist. Mindestens 100 Millionen Pfund (116 Millionen Euro), womöglich sogar mehr, müssten die Bayern auf den Tisch legen, um Levy zu einem Verkauf überreden zu können. Da die Angebote aus München bislang aber nur in homöopathischen Dosen schrittweise erhöht wurden, stocken die Verhandlungen und ein Verbleib von Kane bei den Spurs scheint nun doch wieder wahrscheinlicher als zunächst angenommen. Abgesehen vom unumstrittenen sportlichen Wert würde das natürlich auch Ruhe in den Verein bringen. Postecoglou gab schon vor Wochen zu, dass er gerne ein Haken hinter das Thema Kane setzen würde.

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Bleibt er oder geht er? Das Thema Harry Kane bestimmt aktuell die Schlagzeilen rund um Tottenham. (Photo by Paul Kane/Getty Images)

Unabhängig davon, ob Kane bleibt, werden die Spurs in der kommenden Saison ein anderes Gesicht haben. Genauso wie bei Chelsea gestaltet sich eine Prognose mehr als schwierig. Optimisten sehen die Spurs im Kampf um die Champions League, andere prophezeien eine Implosion des Postecoglou-Projekts schon während der Saison. Wahrscheinlich dürfte es am Ende der Saison irgendetwas in der Mitte sein. Angesichts der Qualität im Kader dürften die Spurs bei den europäischen Plätzen durchaus ein Wörtchen mitzureden haben. Ob es auf Anhieb für die Champions League reicht, ist angesichts der vielen neuen Mechanismen, die im System Postecoglou ineinandergreifen müssen, jedoch fraglich.

(Photo by JUSTIN TALLIS/AFP via Getty Images)

David Schöngarth

Aufgewachsen mit Grafite, Luca Toni und Co. entfachten Gareth Bale und Mauricio Pochettinos Spurs in David eine Leidenschaft für die Premier League. Interessiert sich für alles, was auf der Insel vor sich geht. Seit 2022 bei 90Plus.


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