Zum 414. Mal spielten Celtic Glasgow und die Glasgow Rangers am frühen Samstagnachmittag gegeneinander. Kaum ein Spiel in Europa ist geschichtsträchtiger als das legendäre Old Firm. Die Ausgangslage: Celtic hatte jedes seiner fünf Liga-Spiele gewonnen, in diesen Spielen eindrucksvolle 21 Tore erzielt, nur eines kassiert und war mit dem Schwung eines 9:0-Rekordsieges bei Dundee United in das Derby gekommen. Sechs Tore hatte Stürmer Kyogo Furuhashi in den ersten fünf Spielen beigesteuert. Die Rangers hatten sich bereits einen kleinen Patzer erlaubt, als sie am vierten Spieltag bei Hibernian FC nur unentschieden spielten. Der ausfälligste Ranger in den ersten fünf Saisonspielen: Ex-Bundesligaspieler Antonio Colak mit vier Toren.
Es lärmte im Celtic Park, als die beiden Mannschaften wenige Minuten vor dem Anpfiff einliefen. Der Stellenwert des Old Firm für die schottischen Fußballfans war hörbar, spätestens, als das gesamte Stadion – über 60.000 Menschen – aufstand und You’ll Never Walk Alone anstimmte.
Als der Ball wenig später später rollte, folgte nach wenigen Minuten der erste Schock für Celtic: Top-Stürmer Kyogo Furuhashi rauschte unglücklich mit John Lundstram zusammen. Kyogo hielt sich die Schulter, humpelte zwei Minuten über den Rasen, versuchte immer wieder Blickkontakt zur Bank aufzubauen und nach drei drei Spielminuten war es Gewissheit: Es ging nicht weiter. Unter tosendem Applaus verließ Kyogo mit gesenktem Kopf den Platz, Georgios Giakoumakis kam für ihn ins Spiel.
Doch Celtic geriet ob dieses Rückschlages nicht ins Straucheln. Sie spielten aktiv und mit viel Tempo, verteidigten leidenschaftlich in einem erwartet hitzigen Spiel – und wenige Minuten später verwandelten sie den Celtic Park zu einem irren, wirklich ohrenbetäubendem Tollhaus. Jota führte einen Einwurf unweit der linken Eckfahne schnell aus. Matt O’Riley brachte den Ball halbhoch in den Strafraum. Dieser wurde abgefälscht und landete vor den Füßen von Liel Abada, der aus dem Rückraum per Flachschuss abzog und von den Fingerspitzen von Rangers-Keeper Jon McLauchlin ins Netz trudelte. Celtic führte, alles eskalierte. (8.)
Liel Abada würdigte den schottischen Teenager und Celtic-Fan Leon Brown, der vor zwei Tagen tragisch verstorben ist, nach seinem Tor. (Photo by Ian MacNicol/Getty Images)
Es war bereits das fünfte Saisontor vom erst 20 Jahre alten Abada. Und auch in den Minuten nach dem Tor wurde der Celtic Park nicht stiller. Pausenloser Gesang und Raunen bei jedem der vielen Zweikämpfe, wie in der 13. Spielminute, als Liel Abada nach einem Zweikampf mit Ryan Kent im Strafraum zu Fall kam und das Stadion aufschrie. Ein Elfmeterpfiff blieb aus.
Die Rangers hatten ein leichtes Ballbesitzübergewicht, spielten geduldiger aber auch ungefährlicher. Nur selten konnten sie sich durch den kompakten Defensivblock der Hausherren kombinieren. Celtic hingegen überspielte immer wieder mit schnellen, direkten Ballstafetten das hohe und oftmals unsaubere Pressing der Rangers. Sobald sie den Ball eroberten, ging es blitzartig nach vorne. Immer wieder kam Celtic zu guten gefährlichen Gelegenheiten. Sie waren die deutlich aktivere Mannschaft – und wurden dafür belohnt:
Ein schnell ausgeführter Freistoß für die Rangers landete bei Matt O’Riley, der den Ball über den rechten Flügel nach vorne schleppte und einen sehenswerten Steilpass hinter die Abwehr der Gäste spielt. Jota startete blitzschnell und kontrollierte den Ball mit dem ersten Kontakt so, dass er einen spitzen Winkel zum Tor hatte. Jon McLaughlin stürmte ohne Not aus dem Tor, Jota lupfte den Ball geistesgenwertig über den heraustürmende Keeper hinweg ins Tor. Und wieder: Ekstase im Celtic Park. (31.)
Es wirkte, als würden die Rangers nicht hinterherkommen, wenn Celtic ihre überfallartigen Angriffe setzten. Und die Celtic-Fans, die taumelten vor Freude. Spätestens, als Greg Taylor nach einem Einwurf vom rechten Flügel in den Strafraum flankte, diese von Matt O’Riley etwas glücklich auf den zweiten Pfosten verlängert wurde und Liel Abada flach durch die Beine von Jon McLaughlin direkt ins Herz der Rangers und zum 3:0 traf. Der Celtic Park: Sie wissen schon… (39.)
Wenig Struktur, viel Physis und noch mehr Leidenschaft
Rangers-Trainer Giovanni van Bronckhorst reagierte in der Halbzeitpause und brachte Scott Wright für Glen Kamara. Celtic-Trainer Ange Postecoglou ließ seine Elf unverändert. Auch das Spiel zeigte sich unverändert. Geprägt von harten Zweikämpfen strahlte Celtic zu jeder Spielphase mehr Gefahr aus. Nicht, weil sie strukturierter als die Rangers spielten, ganz und gar nicht, auch Celtic wirkte immer wieder unsortiert und mit einer löchrigen Konterabsicherung, sondern weil die Celtic-Spieler jeden Sprint und jeden Zweikampf so angingen, als wäre es ihr letzter. Die Intensität, mit der Celtic dieses Spiel führte, war wirklich beeindruckend – und für die Rangers auch durchaus erdrückend.
(Photo by Ian MacNicol/Getty Images)
Die Körner, um in jeder Aktion diesen einen Schritt mehr zu machen, ging Celtic nach einer Stunde etwas aus. Die Rangers kombinierten sich, oft zufällig, selten strukturiert, in den Strafraum, hatten aber keine zwingende Torchance. In der 72. Spielminute regierte Ange Postecoglou auf die müder werdenden Beine seiner Spiele und wechselte dreimal: Aaron Mooy, David Turnbull und Daizen Maeda kamen für Matt O’Riley, Reo Hatate und Liel Abada.
Und irgendwie, auch wenn es makaber klingt, passte es zum schläfrigen Auftritt der Rangers, dass Torhüter Jon McLaughlin den Ball – unbedrängt und obwohl zwei seiner Mitspieler freistanden – genau in die Füße von David Turnbull spielt, der zum 4:0 einschob und den Celtic Park wieder aus seinem kleinen Schlummer weckte, in den er in den vorherigen Minuten gefallen ist. (78.)
Es war der Schlusspunkt eines mitreißenden Spiels, in dem Celtic so spielte, wie es Trainer Ange Postecoglou vorher angekündigt hatte. „Wir versuchen, in den Bereichen zu dominieren, in denen wir dominieren wollen, und den Gegner somit unter Druck zu setzen, und wenn wir das tun, sind wir schwer zu stoppen“, sagte Postecoglou und behielt recht. Auch, weil die Rangers über die gesamten 90 Minuten harmlos blieben.
(Photo by Ian MacNicol/Getty Images)