Mateo Retegui brilliert in der Serie A: Vom Aussortierten zur italienischen Sturmhoffnung
26. Oktober 2024 | Spotlight | BY Lea Selin Thomas
Anfang August 2024 gab Atalanta die Verpflichtung von Mateo Retegui bekannt. Seitdem überzeugt der gebürtige Argentinier regelmäßig mit starken Leistungen, führt nach acht Spieltagen die Torschützenliste der Serie A an – vor Kandidaten wie Dušan Vlahović, Lautaro Martínez oder Christian Pulisic. Nichtsdestotrotz genießt Retegui in Europa noch keinen allzu hohen Bekanntheitsgrad. Der Hauptgrund dafür ist, dass er erst im Sommer 2023 den Schritt in eine der europäischen Top-5-Ligen wagte.
Zuvor war der heute 25-Jährige ausschließlich für Klubs in seiner Heimat Argentinien aktiv. Dass er überhaupt eine Karriere als Profifußballer eingeschlagen hat und mittlerweile als Hoffnungsträger der italienischen Nationalmannschaft gilt, ist einerseits natürlich Reteguis unbestrittenem Talent, andererseits aber auch einer gehörigen Portion Zufall geschuldet.
So landete Retegui in der Squadra Azzurra – und in Europa
Der 1999 in San Fernando geborene Retegui lernte das Fußballspielen in der Jugend des Traditionsvereins River Plate. Als Teenager wurde er dort jedoch aussortiert, woraufhin er sich vermehrt einer anderen Sportart widmete – dem Feldhockey. Damit eiferte er seinem Vater Carlos Retegui nach, der selbst professioneller Feldhockeyspieler war und zeitweise die argentinische Feldhockey-Nationalmannschaft trainierte.
Mit einer Zukunft im Profifußball hatte der junge Mateo also praktisch schon abgeschlossen, bis er beim Kicken am Strand zufällig von Scouts der Boca Juniors entdeckt wurde und ausgerechnet beim Erzrivalen seines Jugendklubs seine bereits beendet geglaubte Karriere fortsetzte. Retegui wurde vom Mittelfeldspieler zum Stürmer umgeschult, durchlief die Jugendauswahlen des Vereins und gab im November 2018 sein Debüt bei den Profis, als er in den Schlussminuten für Carlos Tévez eingewechselt wurde.
Es sollte allerdings bei diesem kurzen Pflichtspieleinsatz für Boca bleiben, denn danach wurde der gebürtige Südamerikaner gleich mehrfach verliehen. Nach zwei mäßig erfolgreichen Stationen bei Estudiantes und dem CA Talleres schloss sich Retegui im Februar 2022 leihweise dem CA Tigre an – dort etablierte er sich auf Anhieb als Stammspieler und wurde im selben Jahr mit 19 Toren in 27 Partien Torschützenkönig in Argentiniens höchster Spielklasse, der Liga Profesional.
Anfang 2023 wurde der damalige italienische Nationaltrainer Roberto Mancini auf Retegui aufmerksam. Letzterer besitzt auch einen italienischen Pass, sein Großvater mütterlicherseits wanderte einst aus Canicattì auf Sizilien nach Argentinien aus. Folglich ist er auch für Italien spielberechtigt. Im März des vergangenen Jahres wurde Retegui, der zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort Italienisch sprach, erstmals in die Squadra Azzurra berufen, gab bei der EM-Qualifikation gegen England sein Debüt und erzielte dabei direkt sein erstes Tor.
„Er erinnert mich an Batistuta, als er zum ersten Mal nach Italien kam“, so Mancini damals über seinen neuen Stürmer, der auch in seinem zweiten Länderspiel gegen Malta einen Treffer beisteuerte und im Juli 2023 für etwa 15 Millionen Euro aus seiner Heimat zum CFC Genua wechselte. Zur Erinnerung: Gabriel Batistuta, auch bekannt unter seinem Spitznamen „Batigol“, ist ebenfalls Argentinier, ehemaliger Mittelstürmer und mit 168 Toren bis heute der erfolgreichste Torschütze der ACF Fiorentina.
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Der nächste Schritt: Retegui überzeugt auch in Italien
„Ich kann versichern, dass ihn viele europäische Klubs beobachten. Europa ist sein Traum“, verriet Carlos Retegui im Hinblick auf die Zukunft seines Sohnes – wenige Monate, bevor dieser den Schritt in die Serie A wagte und sich den Genuesen anschloss. Weitere Vereine, die ebenfalls Interesse an den Diensten des Angreifers gezeigt hatten, sollen unter anderem Eintracht Frankfurt, Bayer 04 Leverkusen, Atlético Madrid und West Ham United gewesen sein.
Seine erste Saison in Italien verlief für Retegui durchaus zufriedenstellend: In wettbewerbsübergreifenden 31 Partien gelangen ihm neun Tore sowie drei Vorlagen. Auch im Kreise der Nationalmannschaft überzeugte er weiterhin, italienische Medien wie die Gazzetta dello Sport und Tuttosport waren sich einig darüber, dass die Squadra Azzurra endlich „ihren Mittelstürmer gefunden“ habe.
Die EM 2024 in Deutschland entpuppte sich für Italien bekanntermaßen als Enttäuschung – bereits im Achtelfinale war Schluss für die Mannschaft von Luciano Spalletti. Retegui selbst blieb beim Turnier ohne Tor und Vorlage. Im darauffolgenden Transfersommer schloss er sich für eine Ablöse in Höhe von 22 Millionen Euro Atalanta an. Ursprünglich als Ersatz für den langzeitverletzten Gianluca Scamacca eingeplant, ist der Argentinier mittlerweile nicht mehr aus der Startelf der Bergamaschi wegzudenken.
Innerhalb kürzester Zeit akklimatisierte sich der 25-Jährige in der norditalienischen Stadt, kam bislang in allen acht Ligaspielen zum Einsatz und führt die Torschützenliste derzeit mit acht Toren an – dafür benötigte er insgesamt nur 546 Minuten auf dem Feld. Hinzu kommen zwei Assists. Auch in der jüngsten Länderspielpause wusste Retegui zu glänzen: Gegen Belgien und Israel erzielte er jeweils einen Treffer, stellte bei der Gelegenheit abermals seine aktuelle Topform unter Beweis.
Was macht Retegui so stark?
Dass der Atalanta-Stürmer des Öfteren mit seinem Landsmann Batistuta verglichen wird, kommt nicht von ungefähr: Beide haben einen ähnlich ausgeprägten Torriecher, außerdem besticht Retegui durch sein hervorragendes Kopfballspiel, seine Beidfüßigkeit und seinen robusten Körperbau. Darüber hinaus versteht es der laufstarke, 1,86 m große Angreifer, sein ausgezeichnetes Stellungsspiel und seinen instinktiven Abschluss geschickt miteinander zu verbinden.
Retegui, der abseits des Platzes hauptsächlich mit seiner bescheidenen, zurückhaltenden Art auffällt, verkörpert einen klassischen, modernen Mittelstürmer, der nicht nur Tore schießt, sondern auch gerne in die Tiefe geht. Seine Physis ermöglicht es ihm, sich mit gegnerischen Verteidigern zu duellieren, zudem ist er dafür bekannt, durch sich öffnende Lücken in der Abwehr zu schlüpfen, um anschließend mit Tempo auf das Tor zuzusteuern.
Sein Trainer Gian Piero Gasperini fand nach dem jüngsten Ligaspiel gegen Venezia, bei dem Retegui seine Mannschaft zum Sieg schoss, lobende Worte für den Argentinier: „Er zeigt einen großen Wert, er wächst und hat noch Raum in Bezug auf Bewegung und andere Aspekte. Technisch macht er seine Sache gut“, so der langjährige Atalanta-Coach.
Tatsächlich besteht bei dem italienischen Nationalspieler in so mancher Hinsicht noch Verbesserungsbedarf. In seiner Rolle als Torjäger ist nur selten in den Spielaufbau involviert, auch sein Passspiel ist noch ausbaufähig. Der Fakt, dass er in der abgelaufenen Saison 2023/24 die wenigsten Ballkontakte pro 90 Minuten von allen Genueser Spielern hatte, unterstreicht dies nochmal.
Angesichts der Tatsache, dass Retegui seine Hauptaufgabe – das Toreschießen – zuverlässig erfüllt und mit seiner Quote zurzeit alle anderen Topstürmer der Serie A aussticht, fallen diese Schwächen aber nicht allzu sehr ins Gewicht. Stattdessen war auch Luciano Spalletti zuletzt voll des Lobes für den einstigen Jugendspieler der Boca Juniors.
„Er ist ein großartiger Spieler, aber auch ein ruhiger Typ. Er ist im Strafraum torgefährlich und hat gelernt, mehr mit der Mannschaft zu arbeiten“, äußerte sich der 65-Jährige. Anschließend setzte er sogar noch einen drauf: „Retegui wird ein Spitzenspieler werden … er ist perfekt“, lautete das positive Urteil von Italiens Nationaltrainer.
(Photo by Timothy Rogers/Getty Images)
Lea Selin Thomas
Lebt die Rivalität zwischen den Mailänder Klubs und trägt die rot-schwarzen Farben. Bedauert sehr, dass sie die sportliche Blütezeit der Rossoneri um ein paar Jahre verpasst hat.