Spotlight

Lucien Favre – Kontinuität in zweierlei Hinsicht

12. Juni 2020 | Spotlight | BY Simon Lüttel

Die Niederlage im Spitzenspiel gegen Bayern bedeutete für den BVB einen großen Rückschlag im Meisterkampf. Im Anschluss kam – trotz einer sehr guten Rückrunde – die Frage nach dem Trainer auf, vor allem medial. Heute werfen wir einen Blick auf die Entwicklung der vieldiskutierten Personalie des BVB und wagen einen Blick in die Zukunft.

Mit Lucien Favre kehrte beim BVB die Kontinuität zurück


Seit dem Amtsantritt von Lucien Favre am 01. Juli 2018 hat sich einiges verändert. Den BVB übernahm Lucien Favre nach einer katastrophalen Saison, die von wenig Kontinuität geprägt war. Zu Beginn der Bundesliga-Saison 2017/18 trainierte Peter Bosz den BVB und sorgte mit einem von Pressing geprägten Spielstil für Furore, doch der Niederländer scheiterte und nach zahlreichen Niederlagen endete die Ära Bosz im Dezember 2018. Als direkter Nachfolger übernahm Peter Stöger das Traineramt, doch auch dessen Art Fußball spielen zu lassen war, trotz der erfolgreichen Champions League-Qualifikation, keine Dauerlösung. Nach dem Saisonende konnten die BVB-Verantwortlichen die Verpflichtung von Lucien Favre, der bereits im Vorjahr als Wunschkandidat galt, aber von den Verantwortlichen des OCG Nizza keine Freigabe erhielt, realisieren.

(Photo by Emilio Andreoli/Getty Images)

Beim BVB sehnte man sich nach Stabilität und Ordnung und hoffte, mit Lucien Favre den Mann gefunden zu haben, der endlich für Kontinuität sorgen konnte. Nach einem holprigen Start mit einem Last-Minute-Sieg in der ersten DFB-Pokalrunde gegen Greuther Fürth kehrte in Dortmund eben jene Kontinuität auch ein. In den ersten 15 Pflichtspielen blieb der Schweizer mit dem BVB ungeschlagen und konnte 12 Siege einfahren. Lucien Favre ließ auf dem Platz eine klare Handschrift erkennen und überzeugte so die Verantwortlichen und Fans des Ballspielvereins aus Dortmund. Die Zweifler, die Lucien Favre bereits vor Amtsantritt unterstellten, er würde aufgrund seiner ruhigen, rationalen und zurückhaltenden Persönlichkeit, sowie der seiner Person ähnelnden Spielweise nicht zum BVB passen, verstummten. 

BVB: Zuhause eine Macht

Der als Taktikexperte geltende Schweizer stabilisierte die Mannschaft. In Favres Debütsaison führten die Dortmunder an insgesamt 21 Spieltagen die Tabelle an. Zur Meisterschaft reichte es dennoch nicht, schlussendlich triumphierten der FC Bayern. Trotz der Enttäuschung über den zweiten Platz von einer schlechten Saison zu sprechen, wäre in Anbetracht der 76 erreichten Punkten nicht gerechtfertigt, schließlich gab es bereits einige Spielzeiten, in denen diese Punktzahl für die Meisterschaft gereicht hätte. 

Dass der BVB seit Amtsantritt von Lucien Favre im Liga-Alltag gut zurecht kommt lässt sich ebenfalls mit einem überragenden Punkteschnitt von 2,16 Punkten pro Bundesliga-Partie belegen. Mit diesem Wert überragt Lucien Favre sogar Jürgen Klopp (1,91) und Thomas Tuchel (2,09). Lediglich zwei Heimniederlagen mussten die Dortmund unter Favre hinnehmen. Ein 2:4 im Saisonendspurt der letzten Saison gegen den FC Schalke 04, welches aus einem durchaus kuriosem Spielverlauf, inklusive zwei Platzverweisen von BVB-Profis resultierte und das angesprochene 0:1 gegen den FC Bayern.

(Photo by LARS BARON/POOL/AFP via Getty Images)

Trotz der verpassten Meisterschaft sollte man nicht außer Acht lassen, dass der BVB mit 80 Toren nach 29. Spieltagen unmittelbar davor ist, den vereinsinternen Torrekord von 82 Treffern in einer Bundesliga-Saison zu brechen und auf die direkte Champions League-Qualifikation zusteuert. Eine gewisse Kontinuität im Liga-Alltag konnte Lucien Favre dem BVB also auch in seinem zweiten Jahr verleihen.

Die Heimstärke des BVB ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Die Gründe dafür, warum Lucien Favre trotze einem beeindruckenden Punkteschnitt mit dem BVB noch keinen Titel gewonnen hat, wird ersichtlich, wenn man sich die Auswärtsbilanz des Schweizers in den Topspielen ansieht.

Ist Lucien Favre kein Trainer für die großen Spiele?

Die erste Niederlage unter Favre mussten die Dortmunder im Wanda Metropolitano bei Atlético Madrid hinnehmen. Obwohl die Dortmunder in Madrid deutlich unterlegen waren, hielt sich die Kritik am wortkargen Schweizer nach dem Spiel in Grenzen. Der BVB galt in Madrid nicht als Favorit, gewannen zudem das Hinspiel.
Dennoch hatte die Niederlage einen faden Beigeschmack. Der BVB spielte in den 90 Spielminuten mehr als doppelt so viele Pässe wie das Team von Diego Simeone und kam dennoch zu keiner erwähnenswerten Torchance. Im letzten Drittel war deutlich erkennbar, dass dem Team von Lucien Favre die Spielfreude und Variablität fehlte. In der Zukunft folgten weitere wichtige Spiele, die der BVB nach ähnlichem Schema verlor.

Beispielsweise weckte das Achtelfinalhinspiel der Champions League-Saison 2018/19, in dem der BVB auf die Tottenham Hotspurs traf, Erinnerungen an den tristen Auftritt gegen Atlético Madrid. Der BVB verlor das Hinspiel deutlich mit 0:3. Die Niederlage, die das nahezu sichere Ausscheiden des BVB aus der Königsklasse bedeutete, ließ sich nicht nur damit begründen, dass der Kader der Engländer nominell besser besetzt war und der BVB mit Marco Reus und Paco Alcácer auf zwei Stammspieler verzichten musste. Die Offensivakteure des BVB agierten gegen die Londoner, wie schon gegen Atletico Madrid, über 90 Minuten Ideenlos und ohne Durchschlagskraft.

Während es zuhause gelingt, aus Ballbesitzmomenten blitzartig fantastische Kombinationen heraufzubeschwören, treten auswärts immer wiederkehrend Probleme auf. Weitere Niederlagen musste musste man in europäischen Königsklasse nach ähnlichem Muster bei Inter Mailand, dem FC Barcelona und zuletzt auch PSG hinnehmen. Es ergibt sich ein erkennbares Muster beziehungsweise eine negative Kontinuität: Der BVB ist unter Favre keine Mannschaft, die europäischen Topteams in der Fremde Paroli bieten kann, im heimischen Westfalenstadion ist hingegen nichts unmöglich.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Die Probleme des BVB bei Topspielen in der Fremde lassen sich mit einem Blick auf das Spielsystem des Schweizers erklären. Das offensive Umschalt- und Kurzpassspiel, dass bei Heimspielen regelmäßig zum Torerfolg führt, können die Dortmunder in der Fremde nicht mit der Dominanz aufziehen, die bei Heimspielen zum Alltag gehört. So schlugen die Dortmunder im heimischen Westfalenstadion Inter Mailand und Paris St.-Germain, gegen den FC Barcelona und Lionel Messi verpasste man Sieg nur knapp. In Favres erstem Aufeinandertreffen mit dem FC Bayern konnten die Dortmunder einen spektakulären 3:2-Sieg einfahren.

Die Auswärtsspiele gegen FC Bayern waren hingegen enttäuschend, ähnlich wie die Duelle mit anderen europäischen Topclubs. Die Gastspiele des Schweizers in der Allianz Arena endeten mit 0:4 und 0:5. Der direkte Vergleich mit dem FC Bayern, welche ein relevantes Kriterium für die Leistungsbeurteilung von Lucien Favre ist, wirft neue Fragen auf.

Sind die Erwartungen an Lucien Favre zu hoch?

Vor Beginn der Bundesliga-Saison 2019/20 kommunizierte Hans-Joachim Watzke ungewohnt offen, dass es das Ziel sei, bis zuletzt um die Meisterschaft mitzuspielen. Einerseits ist diese Zielsetzung nach dem zweiten Platz in der vorherigen Saison und den Kaderoptimierungen, die im Sommer getätigt wurden die logische Konsequenz. Andererseits darf man nicht außer Acht lassen, dass der FC Bayern die letzten sieben Bundesliga-Saisons auf dem ersten Tabellenplatz beendete und auch in dieser Saison die klare Favoritenrolle inne hatte. Neben dem BVB hat auch der FC Bayern sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt und den qualitativen und finanziellen Vorsprung auf die Konkurrenz nicht schrumpfen lassen. Die Bayern sind den Dortmundern einen Schritt voraus und legen auch strategisch ein cleveres Verhalten an den Tag. So haben die Bayern sich mit Verpflichtung von Hansi Flick bereits vor Saisonbeginn ideal auf das scheitern Niko Kovac vorbereitet. Die Kombination dieser beiden Faktoren sorgt dafür, dass die Bayern unter normalen Umständen über 34. Spieltage kaum zu schlagen sind.

Im Oktober 2019 vollzog Lucien Favre in einer sportlichen Notisituation einen Formationswechsel, der sich als gelungener Schachzug herausstellen sollte. Vom bisher gewohnten 4-2-3-1 stiegen die Dortmunder auf ein 3-4-3 um. Die Umstellung brachte die Stärken der Einzelspieler besser zur Geltung, ohne die eigene spielerische Identität zu verlieren. Einerseits ist das natürlich positiv zu bertrachten, denn der Fußball, den der BVB seit der Umstellung spielt, ist vielleicht sogar der beste, den die Dortmunder unter Favre jemals spielten. Andererseits musste man bei den Niederlagen des BVB gegen Paris. St.-Germain und den FC Bayern feststellen, dass eine Lösung für die Offensivprobleme in Topspielen noch immer nicht gefunden ist.

Ein Favre-Verbleibt scheint wahrscheinlich

Unmittelbar nach der jüngsten Niederlage des BVB gegen den FC Bayern, äußerte Lucien Favre sich in einem Interview mit dem TV-Sender Sky kryptisch und heizte selbst die Spekulationen um einen kommenden Trainerwechsel an. Zu Diskussionen um seine Person sagte Favre:  „Das sagt man hier seit Monaten hier“, und führte weiter aus: „Ich weiß, wie es geht. Ich werde in ein paar Wochen darüber sprechen.“ Noch am selben Abend wurden in einem Bericht der BILD mit Niko Kovac und Julian Nagelsmann zwei potentielle Nachfolgekandidaten für Lucien Favre genannt. Mit Niko Kovac sollen die BVB-Verantwortlichen in der Vergangenheit bereits Kontakt gehabt haben, ohne aber zu 100 Prozent von dem Kroaten überzeugt gewesen zu sein.

Julian Nagelsmann, der bereits mehrfach mit dem BVB in Verbindung gebracht worden ist, hat bei RB Leipzig einen Vertrag bis 2023. Dass der 32-jährige von den Leipzigern die Freigabe erhalten würde gilt als höchst unwahrscheinlich. Ein weiterer Trainer, der in der jüngeren Vergangenheit im BVB-Umfeld kursierte ist Erik ten Hag, doch auch dieser, müsse sich nach kicker-Informationen keine allzu großen Hoffnungen auf eine baldige Anstellung in Dortmund machen. Zu mal auch gar nicht klar ist, ob Ajax Amsterdam den Niederländer trotz zwei Jahren Restvertrags ziehen lassen würde. Zuletzt brachte die SPORT BILD Jesse Marsch mit dem BVB in Verbindung, doch auch der US-Amerikaner hat bei RB Salzburg noch einen gültigen Vertrag bis 2022.

Während am Abend des Topspiels ein Trainerwechsel im Sommer noch für wahrscheinlich schien, relativierte sich die Situation bereits Folgetag. In einem Interview mit der BILD dementierte Lucien Favre die Abschiedsgerüchte und betonte, dass er in Dortmund glücklich sei und seinen bis 2021 laufenden Vertrag erfüllen wolle. Derzeit sieht alles danach aus, als würde Favre dies auch dürfen. Der nächste, finale Schritt in Richtung Titel soll dann in seinem dritten Jahr gelingen.

Mehr News und Storys rund um den internationalen Fußball

(Photo by Martin Meissner/Pool via Getty Images)



Ähnliche Artikel