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DFB-Pokal: Vom Fanliebling zum Hassobjekt?

8. Mai 2023 | Spotlight | BY Lukian Ahrens

Für die meisten Fußballfans in Deutschland ist der DFB-Pokal der attraktivste nationale Wettbewerb. Während die Bundesliga im Meisterrennen sein langer Zeit gähnende Langeweile produziert, punktete der zweitwichtigste Titel im deutschen Vereinsfußball mit Underdog-Geschichten und wechselnden Gewinnern. Doch die Entwicklungen der letzten Jahre könnten dazu führen, dass der Fanliebling zum Hassobjekt wird. 

Fanliebling: Amateure, K.O.-Spiele und Free-TV

Auch in dieser Saison gab es bereits in der ersten Runde des DFB-Pokals einige Überraschungen. Während die Zweitligisten Jahn Regensburg und Eintracht Braunschweig die Bundesligisten Köln und Hertha eliminierten, kegelte der Drittligist aus Elversberg die Leverkusener aus dem Wettbewerb. Auch die Zweitligisten aus Rostock, Fürth und Kiel mussten sich den unterklassigen Gegnern VfB Lübeck, den Stuttgarter Kickers und Waldhof Mannheim geschlagen geben. Keine Seltenheit: Denn jede Saison verabschieden sich im Durchschnitt drei Bundesligisten bereits in der ersten Runde aus dem Pokal.

Das liegt vor allem am K.O.-Modus, der im Gegensatz zu Spanien und Italien kein Rückspiel oder zu England kein Nachholspiel nach einem Unentschieden vorsieht. In einer einzigen Begegnung ist die Wahrscheinlichkeit gegen einen höherklassigen Verein zu gewinnen, deutlich höher, weswegen der DFB-Pokal immer wieder herzergreifende Underdog-Geschichten schreibt. Hinzukommt, dass im Gegensatz zur Bundesliga viele Spiele im Free-TV zu sehen sind und den Amateurvereinen hohe Prämien für jede Runde winken. All das macht den DFB-Pokal für die meisten Fans zum besten nationalen Wettbewerb.

Hassobjekt? Immer wieder Leipzig

Doch in den letzten Jahren hat der DFB-Pokal an Zustimmung und Prestige eingebüßt. Das liegt vor allem an RB Leipzig, die in den vergangenen fünf Saisons viermal im Finale des Wettbewerbs standen. Während in der Bundesliga der FC Bayern München seit zehn Jahren die Meisterschale Saison für Saison ausgehändigt bekommt, konnten im gleichen Zeitraum immerhin fünf Mannschaften den Pokal gewinnen. Die Leipziger jedoch schicken sich an, im DFB-Pokal eine ähnliche Dominanz aufzubauen wie die Bayern in der Liga. Nach dem diesjährigen Einzug ins Finale zogen sich die Spieler T-Shirts mit dem Aufdruck „Immer wieder Leipzig“ an und unterstrichen damit ihre Ambitionen.

Leipzig Freiburg DFB-Pokal

(Photo by THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images)

Zugegeben, mit 20 Titeln sind die Bayern auch im Pokal den anderen Vereinen in Deutschland längst enteilt. Doch dass ausgerechnet das Konstrukt RB Leipzig in dieser Saison erneut den so prestigeträchtigen Pokal gewinnen kann, stößt den meisten Fußballfans in Deutschland sauer auf. In der Bundesliga haben sich viele, so traurig es ist, bereits an die Existenz von Vereinen wie Hoffenheim, Wolfsburg und eben Leipzig gewöhnt. Doch der Pokal galt lange als letzte Bastion der Tradition. Dabei zeigte vor allem das letztjährige Finale, in dem sich Leipzig und der SC Freiburg gegenüberstanden, den Unterschied zwischen einem über Jahre gewachsenen Verein und einem Werbeprodukt.



Olympiastadion: Das „deutsche Wembley“

Denn das Besondere am DFB-Pokal sind nicht nur die ersten Runden, in denen die Amateurvereine alles reinwerfen, um die großen zu ärgern, sondern auch das Finale im Berliner Olympiastadion, das alljährlich eine magische Kulisse verspricht. Knapp 75.000 Zuschauer, in der Mitte geteilt durch ihre Farben, verwandeln das weite Rund zu einem Fußballtempel – dem „deutschen Wembley“. Wo bei jedem anderen Verein, so wie bei den Freiburgern im letzten Jahr, die Karten für dieses einmalige Spiel innerhalb von Sekunden vergriffen sind, konnte man sogar noch am Tag des Finales Tickets für das Leipziger Kontingent von 27.000 Plätzen erwerben.

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Die Fans der Freiburger hatten es in ihrer Choreo vor dem Spiel gut auf den Punkt gebracht: „Einzigartiger Verein. So wie du soll Fußball sein.“ Und eben nicht so wie RB Leipzig. Die Leipziger Choreo hingegen misslang und war bereits wieder verschwunden, als die Mannschaften das Feld betraten. Auch während des Spiels hatten die Freiburger über die komplette Spielzeit die absolute Kontrolle über die Stimmung im Stadion. Und selbst nach der Niederlage feierten die Freiburger Fans ihre Mannschaft und Trainer Christian Streich so laut, dass der Leipziger Jubel über den ersten Titel der Vereinsgeschichte kurzerhand übertönt wurde. Der Pokal lebte eben schon immer von seinen Emotionen. Etwas, das RB Leipzig fehlt.

Auf einer rein sportlichen Ebene haben sich die Leipziger ihren Pokalsieg und ihre in dieser Saison vierte Teilnahme am Endspiel mit Sicherheit verdient. Und dennoch schadet das Leipziger Konstrukt dem Pokal, den man bereits 74 Jahre lang ausgetragen hatte, bevor RB überhaupt gegründet wurde. Dass auch die Leipziger Spieler keinen Respekt vor dem Wettbewerb haben, zeigte Kevin Kampl nach dem Finalsieg in der vergangenen Saison, als er in die traditionsreiche Trophäe eine Dose Red Bull kippte. Und so wird fast ganz Fußballdeutschland im Finale am 3. Juni Eintracht Frankfurt die Daumen drücken, damit der einstige Fanliebling DFB-Pokal nicht zum Hassobjekt wird.

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)


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