EM 2021 | Italien vs. England: Coming Home or to Rome?

11. Juli 2021 | Vorschau | BY Victor Catalina

Vorschau | Showtime! Das letzte Spiel dieser paneuropäischen EM steht an. Im Finale trifft Italien auf England. Für beide ist der Anlass größtmöglich. Während Italien, drei Jahre nach dem Debakel von 2018, auf den zweiten EM-Titel hofft, will England 55 Jahren Warten ein Ende setzen.

Anpfiff der Partie ist am Sonntag, 21:00 Uhr, Live im ZDF und bei MagentaTV

  • Italien: Mit Gelassenheit zum Titel?
  • England: Southgate verdeutlicht den Anlass – „Es geht um die Farbe der Medaille“ – nur um sich danach ins Abseits zu manövrieren
  • Abtasten zu erwarten, Verlängerung und Elfmeterschießen alles andere als ausgeschlossen

Italien: Gelassenheit als Geheimwaffe – Mancini: „Müssen fokussiert sein, aber auch Spaß haben“

Mit cleverem, abgezocktem, aber auch äußerst ansehnlichem Fußball haben Mancinis Musterschüler das Finale dieser Europameisterschaft erreicht. Drei Siegen in Gruppe A gegen die Türkei (3:0), die Schweiz (3:0) sowie Wales (1:0) ließen sie ein 2:1 in der Verlängerung gegen Österreich folgen, bevor Belgien mit demselben Ergebnis bezwungen wurde.

Im Halbfinale hat Italien gegen Spanien große Resilienz bewiesen, musste – was unter Roberto Mancini (56) untypisch ist – oft dem Ball hinterherlaufen, kam auf lediglich 30 Prozent Ballbesitz. Dadurch allerdings konnten sie ihre Stärke im Umschaltspiel ausspielen. Bei Ballgewinnen reichten oftmals zwei oder drei Pässe, um das spanische Mittelfeld zu überbrücken.

Photo: Matteo Gribaudi/imago

Was auffällt: Wenngleich Spanien großen Druck auf Italiens Hintermannschaft ausübte, so scheinen sie selbigen in ihrem Spiel nicht zu kennen. Vor dem Elfmeterschießen flachste Kapitän Giorgio Chiellini (36) mit seinem Pendant Jordi Alba (32). Auch von Manuel Locatellis (23) Fehlschuss ließ sich die Mannschaft nicht aus der Ruhe bringen. Den entscheidenden Elfmeter versenkte Jorginho (29) so gelassen, als würde er sich ein neues Getränk aus dem Kühlschrank holen.

Mancini appelliert an die Gelassenheit, nur Spinazzola fällt aus

Das Debakel der verpassten Weltmeisterschaft 2018 ist längst vergessen. Mit dem Erreichen des EM-Finals haben sie das Land wieder hinter sich vereint, den Respekt Europas zurückgewonnen und dürfen nun vom ersten Titel seit 1968 träumen. Damals allerdings war der Weg ins Endspiel deutlich kürzer. Außer ihnen nahmen lediglich England sowie die Sowjetunion und Jugoslawien teil. Letztere besiegte Italien im Wiederholungsspiel 2:0, nachdem die ersten 120 Minuten lediglich ein 1:1 zustande gebracht haben.

Auch Mancini rief auf, die aktuelle Stimmung beizubehalten: „Man kann ein Finale nur gewinnen, wenn man das Spielfeld betritt, um Spaß zu haben. Wir haben über Jahre darauf hingearbeitet, sind daher sehr glücklich und ich kann den Spielern für ihre bisherigen Leistungen nur danken. Wir haben bisher noch nichts gewonnen, wir müssen am Sonntag gewinnen, um dieses Turnier als Erfolg anzusehen. England wird das gesamte Stadion im Rücken haben. Also liegt es an uns, sie unter Druck zu setzen. Ein Finale ist etwas anders, als andere Spiele. Wir müssen fokussiert sein, aber auch Spaß haben.“ Verzichten muss Italien lediglich auf Leonardo Spinazzola (28/Achillessehnenriss).

Alle Spiele und Ergebnisse der EM

England: Erlösung nah 55 Jahren – Southgate verbal erst professionell, dann fragwürdig

Wie heißt es in einem bekannten Fußballsong?

Three Lions on the shirt
Jules Rimet still gleaming
30 years of hurt
never stopped me dreaming

Entstanden ist die Platte von David Baddiel, Frank Skinner und den Lightning Seeds zur Heim-EM 1996, genau 30 Jahre nach dem einzigen WM-Titel – der gleichzeitig auch der einzige Titel überhaupt ist. Erst zum zweiten Mal erreicht England das Endspiel eines großen Turniers.

Aus 30 Jahren Schmerz sind mittlerweile 55 geworden. Daher ist in England die Euphorie vor dem zweiten Finale in Wembley riesig. Wenngleich es Mannschaften gegeben haben soll, die auf ihrem Weg zu einem eventuellen Titel mehr gefordert wurden, als es Deutschland (2:0), die Ukraine (4:0) und Dänemark (2:1 n.V.) taten, so sind vor allem diese Siege für England alles andere als selbstverständlich. Erstmals seit 1966 haben die Three Lions eine Gruppenphase ohne Gegentor überstanden, Deutschland besiegt, vier Tore in einem K.O.-Spiel erzielt – und ein Finale erreicht.

Dieses wird für sie die wohl größte Herausforderung darstellen. Mit Italien erwartet England ein Gegner, der sich ebenso gern wie sie über Ballbesitz definiert, aber auch ein sehr gutes Pressing spielt. Vor allem in der ersten halben Stunde zeigte Dänemark einige gute Ansätze, bewegte sich sehr intelligent zwischen den Linien und kam so immer wieder zu aussichtsreichen Kontergelegenheiten. Aber England wuchs auch an dieser Aufgabe und zog – trotz eines schmeichelhaften Elfmeters – verdient ins Finale ein.

Southgate hebt die Bedeutung des Finals hervor – und vergaloppiert sich verbal

Gareth Southgate (50) hob vor dem Endspiel nochmal die Bedeutung der Partie hervor: „Die Wahrheit ist, dass diese 26 Spieler nie wieder zusammenspielen werden. Es funktioniert einfach nicht so. Sie haben ein großes Vermächtnis hinterlassen, was auch immer passiert, aber nun geht es um die Farbe der Medaille. Du bekommst nur wenige Gelegenheiten im Leben, so etwas zu tun. Wir müssen den Moment an uns reißen und uns die beste Chance auf einen Sieg geben.“  

 

 

 

Gerade Southgate ist dieser Tage in der Euphorie des Finals verbal übers Ziel hinausgeschossen. „Es haben auch Leute versucht, bei uns einzufallen, und wir hatten den Mut, uns dagegen zu wehren. Man kann nicht verhehlen, dass die Energie im Stadion gegen Deutschland teilweise daher kam.“ Ein Vergleich, auf dem einige Schichten Patina und noch mehr Staub liegt. Selbst die sonst gerne provozierende und martialische Yellow Press verzichtet seit gut 25 Jahren auf Vergleiche aus dem 2. Weltkrieg. Was ihn zu dieser schwachsinnigen und unnötigen Aussage geritten hat, weiß nur er selbst. Zumal das Spiel gegen Deutschland auch schon gute anderthalb Wochen her ist – und nur die wenigsten der Zuschauer in Wembley fundierte Erinnerungen an das Jahr 1940 gehabt haben dürften.

Wesentlich erfreulicher gestaltet sich die Personallage: Ausfälle gibt es keine Lediglich Phil Foden (21) laboriert an einem Schlag, hinter seinem Einsatz steht ein Fragezeichen.

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Prognose

Das Finale lässt sich wohl am besten mit dem Wort „Fußballmikado“ beschreiben – wer zuerst wackelt, verliert. Beide Mannschaften haben im bisherigen Turnierverlauf einen sehr guten Mix aus Defensive und Offensive präsentiert, sind an ihren Aufgaben gewachsen. Unterm Strich macht Italien den etwas kompletteren Eindruck. Es ist ein Duell, das im Mittelfeld entschieden werden könnte. Dort hat Italien etwas mehr Klasse und Erfahrung, als England mit den jungen Declan Rice (22) und Kalvin Phillips (25). Spielerisch darf man ein Abtasten erwarten. Eine Verlängerung und sogar Elfmeterschießen ist alles andere als ausgeschlossen.  

 

 

 

Mögliche Aufstellungen:

Italien: Donnarumma – Di Lorenzo, Bonucci, Chiellini, Emerson – Barella, Jorginho, Verratti – Chiesa, Immobile, Insigne

England: Pickford – Walker, Stones, Maguire, Shaw – Rice, K. Phillips – Saka, Mount, Sterling – Kane

Copyright: Maciek Musialek/imago

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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