DFB-Team | Die besten Veränderungen sind die richtigen

21. Juni 2023 | Spotlight | BY Victor Catalina

Spotlight | Auch im dritten Testspiel dieser Länderspielpause blieb das DFB-Team sieglos. Gegen Kolumbien gab es ein bitteres 0:2. Zuletzt nahm Hansi Flick viele Veränderungen vor, aber nur selten die richtigen.

DFB-Team: Experimente ja, aber nur mit stabilem Mannschaftskern

9, 3, 5, 9, 5. Was sich anhört, wie die Lottozahlen, sind in Wirklichkeit die Anzahl von Hansi Flicks Wechseln in der Startelf. Neun vor dem 2:0 gegen Peru, drei vor der 2:3-Niederlage gegen Belgien, fünf vor dem 3:3 und dem 0:2 gegen Kolumbien und abermals neun vor dem 0:1 in Warschau.

Der Experimentierkurs des Bundestrainers wird immer wahlloser und unverständlicher. Gegen Kolumbien bot Flick Ilkay Gündoğan als linken Halbraumstürmer auf und ließ Joshua Kimmich bis zur 79. Minute auf der Bank, anstatt, dass sich die beiden als Mittelfeldduo für die EM in 359 Tagen einspielen können.

DFB-Team Deutschland Kolumbien

Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images

Selbiges gilt auch für die Abwehr: In Gelsenkirchen spielte die 21. unterschiedliche Formation im 24. Spiel. Dass es zu Szenen wie in Minute 26 kommt, als Antonio Rüdiger einen viel zu kurzen Rückpass spielte und sowohl Rafael Borré als auch Luis Díaz frei auf Marc-André ter Stegen zulaufen konnten, ist nur logisch. Malick Thiaw musste per gekonntem Tackling retten.

Der Mannschaft fehlt es an Sicherheit, der Mannschaft fehlt es an Selbstvertrauen. Vor allem fehlt es der Mannschaft an einem klaren Plan und Eingespieltheit.

Ab und zu zu experimentieren, neue Spieler auszuprobieren, die den Konkurrenzkampf erhöhen können, dagegen spricht wenig. Diese Veränderungen müssen jedoch immer auf Basis eines stabilen Mannschaftskerns basieren, im Fall des DFB-Teams Antonio Rüdiger, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Ilkay Gündoğan, Jamal Musiala, Thomas Müller oder Niclas Füllkrug. Wenn die Partien gegen die Ukraine und Kolumbien etwas gezeigt haben, dann, dass im Zentrum weiterhin ein riesiges Vakuum herrscht.

Mehr News und Stories rund um die Nationalmannschaft

Argentinien und Italien machen es vor: In großen Turnieren zählt nur das Gewinnen

Steht der Mannschaftskern, kehren auch Sicherheit und Erfolge zurück. Italien und Argentinien, die die vergangenen beiden großen Turniere für sich entschieden, gewannen im Vorfeld beide über 30 Spiele am Stück. Deshalb ließ sich Argentinien beispielsweise auch nicht durch die überraschende 1:2-Niederlage gegen Saudi-Arabien am ersten WM-Spieltag aus dem Konzept bringen und konnte postwendend mit einem überzeugenden wie verdienten 2:0 über Mexiko zurückschlagen.

 



 

Auch daran kann und sollten sich Hansi Flick und der DFB ein Beispiel nehmen, wollen sie wieder in die Spur finden. Argentinien, Italien und auch Frankreich spielen nicht immer zwingend spektakulär und atemberaubend. Aber sie liefern Ergebnisse. Besonders bei internationalen Turnieren geht es nicht darum, jeden Gegner an die Wand zu kombinieren, sondern einzig ums Gewinnen.

DFB muss aufpassen, die Vergangenheit nicht zu verklären

Spanien gewann bei der WM 2010 alle vier Spiele in der K.-o.-Runde gegen Portugal, Paraguay, Deutschland und die Niederlande 1:0. Auch dem DFB-Team wurde, vor dem Halbfinale gegen Brasilien vier Jahre später, angesichts von knappen Erfolgen über die USA (1:0), Algerien (2:1 n.V.) und Frankreich (1:0) sowie dem Remis gegen Ghana (2:2), zu wenig Spektakel vorgeworfen. In dieser Hinsicht muss der DFB aufpassen, die Vergangenheit anhand einzelner (Jahrhundert-)Spiele nicht zu verklären und beim Wesentlichen zu bleiben.

DFB-Team Deutschland Algerien 2014

Photo by Martin Rose/Getty Images

Argentinien verfolgt den Plan, der Deutschland unter Joachim Löw erfolgreich gemacht hat, Frankreich tut es, England auch, wenngleich bei ihnen noch die Silverware fehlt – nur Deutschland ist, nach der WM-Qualifikation 2017 mit zehn Siegen aus zehn Spielen und 43:4 Toren, falsch abgebogen und irrlichtert seitdem ohne Navi oder Karte durch die Fußballwelt.

Daher sind auch die Worte von Rudi Völler auf der Pressekonferenz am Sonntag, als er meinte, Polen habe „zweimal aufs Tor geschossen“ nur schwer nachvollziehbar. Zumal er selbst mit genau diesem Pragmatismus 2002 ein WM-Finale erreichte.

DFB-Team 2023 ist nicht der FC Bayern 2020: Für Flick und den DFB steht alles auf dem Spiel

Er erreichte es, weil es der beste Spielstil für die Mannschaft war, die er zur Verfügung hatte. Der DFB muss einsehen, dass Deutschland 2023, wenngleich teilweise mit denselben Akteuren ausgestattet, nicht der FC Bayern 2020 ist. Deutschland hat keinen Thiago, der mit seinem Defensivdenken, seiner Genialität am Ball, vor allem unter Druck, jede Situation lösen kann und dadurch das Mittelfeld zusammenhält. Deutschland hat auch keinen Robert Lewandowski, der in jedem Spiel in der Lage ist, drei Tore zu erzielen, selbst, wenn man zwei kassiert. Dem muss Flick mit seinem System Rechnung tragen und sich nicht nur offen für Veränderungen um der Veränderung willen zeigen, sondern, um die richtigen Wechsel vorzunehmen.

DFB-Team Deutschland Kolumbien

Photo by Alex Grimm/Getty Images

Für Flick selbst steht seine Reputation auf dem Spiel. Beim FC Bayern hat Hansi Flick, von allen Trainern mit mehr als fünf Spielen, den höchsten Punkteschnitt (2,53). Beim DFB hingegen steht er, nach 24 Partien bei 1,79 Punkten pro Spiel. Einzig Erich Ribbeck holte in genauso vielen Partien zwischen 1998 und 2000 noch weniger (1,5).

Für den DFB geht es um eine Heim-EM und damit eine ganze Generation an Fußballfans und auch möglichen neuen Spielern mit mehreren Staatsbürgerschaften, die sich, im Optimalfall, wie 2006, von der Euphorie im Land anstecken lassen.

Dazu allerdings braucht es in erster Linie Euphorie. Es braucht Siege, klare Strukturen und Antworten. Nach den drei Länderspielen stehen in erster Linie noch mehr Fragen.

Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


Ähnliche Artikel