Bosz-Ball at its best – Die überragende Saison der PSV Eindhoven

19. Februar 2024 | Spotlight | BY Philipp Overhoff

62 von 66 möglichen Punkten, ein Torverhältnis von +60 und ein Kantersieg nach dem anderen. Die PSV Eindhoven ist in dieser Saison das vielleicht dominanteste Team in Europa. Eine Analyse.

PSV: Eine Dominanz, die ihresgleichen sucht

Die Saison 2023/2024 wird in den großen europäischen Ligen derzeit von durch die Bank starken Top-Teams geprägt. In England liefern sich Manchester City, der FC Liverpool und der FC Arsenal einen Dreikampf auf höchstem Niveau, in Spanien holen Real Madrid und der FC Girona ein überwältigendes Ausmaß an Punkten und in der italienische Serie A brilliert Inter Mailand wie einst zu besten Zeiten. Darüber was Bayer Leverkusen derzeit in der Bundesliga anstellt, müssen wir gar nicht erst reden.

Doch ein Team dominiert seine Spieklasse nochmal auf einem anderen Niveau: Die PSV Eindhoven. Die Mannschaft von Trainer Peter Bosz holt derzeit völlig absurde 2,8 Punkte pro Spiel und zieht an der Spitze der Eredivisie einsam ihre Kreise. Doch was macht PSV so stark? Und welchen Anteil daran hat das Spielsystem von Bosz? Unter anderem darüber haben wir mit Marco Timmer, PSV-Experte und Journalist bei Voetbal International, gesprochen.



Bosz-Team marschiert durch die Eredivisie

Die PSV Eindhoven hat in der aktuellen Eredivisie-Saison 20 von 22 Partien gewonnen und somit 62 von 66 möglichen Punkten geholt. Der Vorsprung auf das zweitplatzierte Feyenoord Rotterdam beträgt bereits satte zehn Zähler, obwohl der amtierende Meister mit einem Punkteschnitt von 2,3 ebenfalls eine mehr als beachtliche Saison spielt.

Noch in der letzten Spielzeit hatte Feyenoord den längeren Atem und wurde mit einem Vorsprung von sieben Zählern gegenüber Eindhoven Meister. Doch seit Bosz‘ Ankunft im vergangenen Sommer haben sich die Kräfteverhältnisse in den Niederlanden drastisch verschoben. Die PSV gewann die ersten 17 Saisonspiele in Folge, am 21. Januar musste man beim 1:1 gegen den FC Utrecht erstmalig die Punkte teilen.

(Photo by MAURICE VAN STEEN/ANP/AFP via Getty Images)

Zwei Wochen später folgte beim Auswärtsspiel gegen den AFC Ajax das nächste Remis. Fangen die Klubs in der Eredivisie also gerade so langsam damit an, das Eindhovener Spielsystem zu entschlüsseln? War die abgelaufene Hinrunde ein Ausrutscher nach oben? Laut dem PSV-Experten Marco Timmer ist das nicht notwendigerweise der Fall. Vielmehr habe der Vizemeister aktuell mit einigen Verletzungssorgen zu kämpfen.

„Außerdem kann man nicht jedes Spiel gewinnen. Die Auswärtspartien in Utrecht und Amsterdam zählen zu den schwierigsten der Saison. Jetzt wird das Programm wieder etwas leichter“, so Timmer. Und tatsächlich: Gegen den FC Voledam präsentierte sich die PSV wieder in der gewohnt dominanten Form und gewann mit 5:1. Am vergangenen Freitag folgte ein souveräner 2:0-Sieg über Heracles Almelo.

Die Spieler lieben den „Bosz-Ball“

Aber wie ist es Bosz eigentlich gelungen, seine Mannschaft in so kurzer Zeit zu dieser fast perfekt geölten Maschine zu formen? Von seinem auch aus der Bundesliga bekannten Spielstil, in den Niederlanden „Bosz-Ball“ genannt, ist der 60-jährige dabei keineswegs abgerückt. Viel Ballbesitz, risikoreiches Flachpassspiel heraus aus der eigenen Defensive, ein enorm intensives Gegenpressing und eine insgesamt hohe Intensität bilden nach wie vor die Kernelemente der Boszschen Spielphilosophie.

„Die Mannschaft liebt den Bosz-Ball. Sie liebt die aggressive Art seines Spiels und glaubt daran, jedes Match gewinnen zu können“, schätzt Timmer die Einstellung der PSV-Akteure zur Spielweise ihres Trainers ein. Dabei helfe auch, dass die „Boeren“ auf allen Positionen über Spieler verfügen, die Stärken im Spiel gegen den Ball haben. „Die Spieler setzen den Gegner 90 Minuten lang unter Druck und sind bereit, an das absolute Maximum zu gehen“, erklärt Timmer.

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Diese erdrückende Dominanz lässt sich auch in Zahlen widerspiegeln. In der Eredivisie hat Eindhoven im Schnitt 64 Prozent Ballbesitz und gibt pro Spiel fast 25 Torschüsse ab. Darüber hinaus setzt die PSV fast ausschließlich auf das Kurzpassspiel. 87 Prozent aller gespielten Pässe kommen über eine kurze Distanz – ein Wert, wie ihn nur die absoluten europäischen Spitzenteams zustande bringen. Der lange Ball als Stilmittel existiert im Bosz-System nur in besonders dringenden Notfällen.

Auch das äußerst intensive Pressing ist statistisch erkennbar. Der Aktionsradius bei PSV-Spielen befindet sich zu 35 Prozent im Drittel des Gegners, nur 23 Prozent des Spielgeschehens ereignet sich im Drittel der Bosz-Truppe. Für Pressing-Mannschaften ist es durchaus typisch, dass die Differenz in diesem Bereich bei zehn Prozent liegt, in Eindhoven sind es sogar deren zwölf.

https://www.whoscored.com/Teams/129/Statistics/Netherlands-PSV-Eindhoven

Die Schlüsselfiguren des Erfolgs

So mancher Beobachter des deutschen Fußballs dürfte sich angesichts dieser Zahlen und des durschlagenden Erfolgs von Bosz in Eindhoven durchaus wundern. Beide Bundesliga-Stationen des niederländischen Übungsleiters endeten letztendlich unglücklich, wobei vor allem seine Amtszeit in Dortmund überhaupt nicht nach Plan verlief. Nach furiosem Start in die Saison 2017/2018 wurde der Bosz-Ball des BVB schnell entschlüsselt, weshalb der 60-Jährige nach nur 15 Spielen schon wieder entlassen wurde. Zu diesem Zeitpunkt stand die Borussia nur auf Platz acht und musste satte 23 Gegentore schlucken, das Boszsche Spielsystem wurde nicht selten als „vogelwild“ oder gar „wahnsinnig“ eingestuft.

In Eindhoven sieht das jedoch ganz anders aus. „Sicherlich liegt das auch an der Qualität der Gegner, das Niveau in der Bundesliga ist nochmal deutlicher höher als in der Eredivsie“, so die Einschätzung von Timmer. Der PSV-Experte ergänzte aber, dass Bosz seit seiner Zeit in Deutschland auch einiges dazugelernt habe. Außerdem würde der Kader enorm gut zur Spielidee des Trainers passen. Spieler wie Johan Bakayoko (23), Noa Lang (24), Joey Veerman (25) oder Ismail Salibari (23) blühen unter der Regie von Peter Bosz regelrecht auf und dürften eher früher als später für sämtliche Top-Klubs Europas interessant werden. Vor allem dem belgischen Flügelstürmer Bakayoko prophezeit Timmer eine große Zukunft.

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Neben viel jugendlichem Talent glänzt in Eindhoven aber auch ein alter Bekannter: Luuk de Jong. Der frühere Stürmer von Borussia Mönchengladbach und dem FC Sevilla erlebt bei der PSV so etwas wie seinen zweiten Frühling. Mit 19 Toren und acht Vorlagen ist de Jong aktuell der beste Scorer der Eredivisie und glänzt darüber hinaus auch als Zielspieler. Insbesondere seine Kopfballstärke ist eine absolute Waffe, satte sieben Treffer gelangen ihm bereits aus der Luft, was Marco Timmer zu folgender These verleitet: „Luuk de Jong ist der beste offensive Kopfballspieler der Welt.“ Und tatsächlich: der 33-Jährige erzielte in seiner Karriere 85 Kopfballtore, gerade einmal vier Spieler kamen in der Fußball-Geschichte auf einen höheren Wert. In Eindhoven ist de Jong zudem der unumstrittene Leader.

Die Zukunft von Peter Bosz

Bosz‘ Arbeitsnachweis bei der PSV Eindhoven liest sich also nahezu makellos, was zwangsläufig folgende Frage aufwirft: Übernimmt der Niederländer nochmal einen ganz großen Verein? Zieht man die Einschätzung Timmers heran, so wird dies wohl eher nicht mehr der Fall sein. „Er hat gerade erst ein Haus gebaut und fühlt sich in Eindhoven extrem wohl. Daher ist er sehr zufrieden mit seiner Situation“, erläuterte der Journalist. 2022 gab Bosz in einem Interview gegenüber Timmer noch zu verstehen, dass ihn ein Engagement in der englischen Premier League reizen würde, dieser Wunsch scheint mittlerweile aber überholt zu sein.

Was das zukünftige Trainer-Dasein des 60-Jährigen betrifft, hat der PSV-Insider sowieso eine eigene Prognose: Bosz wird der nächste Nationaltrainer der Niederlande. „Der Fußball, den er spielen lässt, würde sehr gut zu uns als Land passen. Was Louis van Gaal bei der WM 2022 in Katar hat spielen lassen, hat uns in den Niederlanden überhaupt nicht gefallen. Vielleicht ist es ja in zwei oder drei Jahren so weit“, spekuliert Timmer.

(Photo by FRANCOIS LO PRESTI/AFP via Getty Images)

Bis dahin hat Bosz in Eindhoven aber noch eine ganze Menge vor. Noch in dieser Saison winkt sogar der Punkterekord in der Eredivisie. Dieser liegt momentan bei 89 Punkten und wurde 1997/98 vom legendären Ajax-Team um Legenden wie Edwin Van de Saar, Frank de Boer, Jari Litmanen oder Michael Laudrup aufgestellt. Mit der aktuellen Ausbeute von 2,8 Punkten pro Spiel würde die PSV am Saisonende auf schier unglaubliche 95 Zähler kommen. Das dürfte für Bosz und seine Mannschaft doch mal ein Anreiz sein.

(Photo by JEROEN PUTMANS/ANP/AFP via Getty Images)


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