Champions League | Barcelonas biederer Auftritt in San Siro als Spiegelbild spanischer Misere

6. Oktober 2022 | Spotlight | BY Victor Catalina

News | Mit 0:1 unterlag Barcelona am 3. Champions-League-Spieltag in San Siro. Es war die zweite Niederlage in Folge. Damit wird die Luft für die Katalanen immer dünner, der zweite aufeinanderfolgende Abstieg in die Europa League droht. Mit seinen Problemen ist Barcelona jedoch bei Weitem nicht allein. 

Barcelona scheitert am Inter-Riegel – und sich selbst

Man kann dem FC Barcelona bei Weitem nicht vorwerfen, sie hätten nicht die Chance gehabt, in dieser schwierigen Gruppe C vorneweg zu gehen. 5:1 gewannen sie am 1. Spieltag gegen Viktoria Plzeň. Damit setzten sie sich über die Tordifferenz an die Spitze. Eine Woche später tat ihnen der FC Bayern den Gefallen, eine der schwächsten Halbzeiten der letzten Monate auf den Rasen zu legen, sodass Barcelona in jener Tordifferenz gut und gerne auf 7:1 oder 8:1 hätte erhöhen können, vielleicht sollen.

 



 

Die Realität ist eine andere. Binnen vier Minuten, zwischen der 50. und 54. besiegelten Lucas Hernández und Leroy Sané den 2:0-Sieg für die Münchener. Auch in San Siro, beim kriselnden Inter, gelang Barcelona nicht der erhoffte Befreiungsschlag. Ja, Xavis Mannschaft präsentierte sich feldüberlegen. Aber was sie spielerisch anboten, war so vorhersehbar wie das Wetter von morgen.

Sergio Busquets auf Pedri, der nach gelungenem Dribbling links raus zu Raphinha, Marcos Alonso hinterläuft, versuchter Pass in den Rückraum, abgefangen durch aufmerksames Anschlussverhalten, Sergi Roberto, diesmal auf Ousmane Dembélé, Dribbling gegen drei, vier Mann, abgeblockt – und nochmal von vorn.

 

 

Dabei war der Ex-Dortmunder einer der wenigen, die aktiv versuchten, Gefahr heraufzubeschwören. In den ersten zehn Minuten wackelte Inter. Nachdem Simone Inzaghi seine Mannschaft etwas weiter zurückzog, gelang es Barcelona kaum noch, aus dem Spiel heraus zu Chancen zu kommen. Trotz 72 Prozent Ballbesitz gaben sie nur sieben Torschüsse ab (zwei aufs Tor). Zum Vergleich: Der FC Bayern hatte in San Siro zwar „nur“ 56 Prozent Ballbesitz, aber 21 Torschüsse, das Dreifache von Barcelona (elf aufs Tor). Man hatte das Gefühl: Wenn sie müssen, wenn sie unter Druck geraten, können sie jederzeit den Bizeps anspannen und nochmal nachlegen. „Als wir gegen Bayern gespielt haben, saßen wir alle nach dem Spiel in der Kabine und dachten: ‚Wow, was die für eine Intensität im Spiel haben! Sie haben uns überrumpelt und überrannt und die doppelte Intensität an den Tag gelegt wie wir“, erinnert sich Nationalspieler Robin Gosens im Kicker.

Die Katalanen hingegen zeigten sich anfällig für gegnerische Konter. In Minute 24 verursachte Eric García einen Handelfmeter, der nur wegen einer vorhergehenden Abseitsposition nicht gegeben wurde. Fünf Minuten später war Joaquín Correa frei durch, umkurvte Marc-André ter Stegen und schob ein. Allerdings stand auch der Argentinier zuvor in der verbotenen Zone.

Folgerichtig gingen die Gastgeber noch vor der Pause in Führung: 45’+2, Inter ging bei einem Angriff energisch auf den zweiten Ball, den Federico Dimarco für Hakan Çalhanoğlu auflegte. Der Ex-Hamburger und -Leverkusener durfte sich die Kugel aus rund 25 Metern nochmal zurechtlegen und präzise im unteren, linken Eck versenken. Druck auf den Ball? Praktisch nicht vorhanden.

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Lewandowski weitestgehend unsichtbar – droht Barcelona erneut die Europa League?

Auch nach der Pause änderte sich nichts am grundsätzlichen Geschehen: Barcelona klopfte Inter weiter auf Lücken ab. Allein, ihnen fehlten weiterhin die Mittel, um diese zu reißen. Robert Lewandowski war über 90 Minuten praktisch komplett anonym unterwegs. Offensiv absolvierten die Katalanen ihr bisher schwächstes Spiel der Saison, auch, wenn es einen Elfmeter hätte geben müssen.

 

Zeugnis für die spielerische Armut sind auch die 50 Flanken (35 aus dem Spiel heraus), die der FC Barcelona über die insgesamt 98 Minuten schlug. Es erinnerte phasenweise an den Auftritt des DFB-Teams gegen Ungarn (0:1). Mit dem Unterschied, dass Xavi ganz vorne über eine Waffe verfügt, die dem DFB-Team abgeht. Robert Lewandowski ist einer der besten mitspielenden Mittelstürmer, wurde am Dienstagabend aber rein auf seine Fähigkeit als Zielspieler reduziert. 30 Ballkontakte konnte er lediglich aufweisen. Seine größte spielerische Stärke, Bälle festmachen und mit einem Kontakt weiterleiten, konnte er kaum einbringen. Nicht nur, weil es Inter gut verteidigte. Seine Mitspieler boten kaum tiefe Laufwege an, um Steil-Klatsch zu spielen. Barcelonas Spiel kam so über weite Phasen zum Stillstand.

Vielleicht wäre es einen Gedanken wert gewesen, wenn man sich dazu entscheidet, Pierre-Emerick Aubameyang abzugeben, Eigengewächs Ferran Jutglà zu behalten. Im Moment baut der Club Brügge seine Offensive um ihn herum auf. Zwei Tore und zwei Assists kann Jutglà in der Champions League bereits für den verlustpunktfreien Tabellenführer der Gruppe B aufweisen. Damit stünde er bei Barcelona einzig hinter Robert Lewandowski (drei Tore) und wäre bei den Vorlagen gleichauf mit Ousmane Dembélé. In der belgischen Pro League kommt Jutglà auf sechs Treffer und drei Assists. Auch damit müsste er sich lediglich hinter Lewandowski anstellen (neun Tore).

Champions League Inter Milan FC Barcelona

Photo by MARCO BERTORELLO/AFP via Getty Images

So wurde, durch die abermalige Niederlage, aus dem 5:1, das Barcelona nach dem 1. Spieltag in der Tordifferenz hatte, mittlerweile ein 5:4 und aus Platz 1 Platz 3. Vor dem 4. Spieltag steht der Tabellenführer in La Liga unter Druck. Eine weitere Niederlage gegen Inter im Camp Nou und der zweite Abstieg in Folge in die Europa League ist besiegelt. Auch ein Remis hilft Barcelona nur bedingt weiter. In diesem Fall – mal davon ausgegangen, dass sie auch kommende Woche in Plzeň gewinnen – kann der FC Bayern die Katalanen erneut runterschicken, diesmal sogar vor (eigenem) Publikum. Heißt: Um alles in der eigenen Hand zu haben, muss Barcelona das 0:1 drehen und mit mindestens zwei Toren Differenz gewinnen. Anders, als in der K.O.-Runde gibt es in der Champions-League-Gruppenphase noch die Auswärtstorregel. Abermals in die Europa League abzustürzen, wäre für Barcelona der Super-GAU. Besonders, nachdem man im Sommer buchstäblich alle Hebel in Bewegung gesetzt und den Kader weit im dreistelligen Millionenbereich bewusst auf kurzfristigen Erfolg ausgelegt hat, sodass man mit den daraus resultierenden Einnahmen den eigenen Schuldenberg weiter tilgen kann. Ganz zu schweigen von dem Schaden, den die Reputation des stolzen katalanischen Klubs nehmen würde.

Nur Real Madrid Tabellenführer: Spaniens Topklubs vor Problemen in der Champions League

Mit seinen Problemen ist Barcelona jedoch nicht allein. Von den La-Liga-Klubs steht einzig Real Madrid auf einem Achtelfinalplatz. Nach dem 1:4 gegen den BVB ist für den Sevilla FC mit fünf Zählern Rückstand auf Platz 2 der Zug höchstwahrscheinlich abgefahren. Rein theoretisch könnte man sich mit einem Sieg in Dortmund nochmal heranarbeiten. So wie die Mannschaft in den vergangenen Wochen und Monaten auftrat, scheint das, selbst mit Neu-Trainer Jorge Sampaoli, unrealistisch. Die Probleme liegen wesentlich tiefer. Vor allem die Abgänge der Innenverteidiger Jules Koundé (FC Barcelona) und Diego Carlos (Aston Villa FC) ließen sich bislang weder individuell noch persönlich auffangen. Am Mittwochabend bot Julen Lopetegui in seinem letzten Spiel mit José Angel Carmona und Kike Salas zwei Eigengewächse in der Dreierkette auf, mit Nemanja Gudelj im Zentrum. Tanguy Nianzou, Neuzugang vom FC Bayern, saß über 90 Minuten auf der Bank.

Atlético Madrid unterlag 0:2 in Brügge und ist momentan Letzter der Leverkusen-Gruppe B, hinter Porto. Nach elf Jahren unter Diego Simeone wird man das Gefühl nicht los, dass sich die Beziehung zwischen Trainer und Mannschaft ein Stück weit abgenutzt hat. Das System mit der sicheren Defensive und ständigen Gefahr im Konter verbreitet bei Weitem nicht mehr so viel Angst und Schrecken, wie zu besten Zeiten Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Nur hat Simeone noch einen Vertrag bis 2024 und ist dazu der bestbezahlte Trainer Europas. Wie hoch eine Abfindung ausfiele, könnte man sich vorstellen.

Bis auf Real Madrid macht sich das bei den restlichen Champions-League-Klubs auf dem Platz durch wenig Energie und Kreativität bemerkbar. Die Liga, die normalerweise für den schönsten Fußball steht, wirkt in der Königsklasse weitestgehend lethargisch, bisweilen apathisch. Das macht sich auch in La Liga bemerkbar. Im Sommer wurde Ernesto Valverde als Nachfolger Marcelinos beim Athletic Club vorgestellt und steht in seiner dritten Amtszeit nach sieben Spielen auf Platz 3, drei Zähler hinter Tabellenführer Barcelona und nur einen vor Real Betis, die Manuel Pellegrini inzwischen fest oben etabliert hat. Dazu kommt Osasuna auf Rang 6. Villarreal findet sich lediglich auf Platz 8 wieder, vor dem Valencia Club de Fútbol (9.). Um den Sevilla FC zu finden, muss man sogar in den Tabellenkeller gehen, auf Platz 17.

Jetzt schon von einer „neuen Ära“ zu sprechen, wäre vermessen. Klar ist aber, dass sich die großen Teams etwas einfallen lassen müssen, in La Liga – und besonders der Champions League. In La Liga – und besonders der Champions League.

Photo by Marco Luzzani/Getty Images

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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