Andries Noppert: Mit 32 Erstligaspielen ins WM-Tor der Niederlande
25. November 2022 | WM-Spotlight | BY Gero Lange
Spotlight | Mit einer Körpergröße von 2,03 Metern ist Andries Noppert eigentlich nur schwer zu übersehen. Auf höchstem Niveau trat er allerdings erst in diesem Jahr wirklich in Erscheinung und steht nach einem steilen Aufstieg nun im Tor der niederländischen Nationalmannschaft bei der WM 2022 in Katar.
Andries Noppert: in zwei Jahren aus der Vereinslosigkeit ins Tor der Nationalmannschaft der Niederlande
Als Louis van Gaal (71) seinen Kader für die WM 2022 bekannt gab, sorgte dieser auf der Torhüterposition durchaus für Aufsehen. So fehlte in der Auflistung beispielsweise der langjährige Torhüter der Niederlande, Jasper Cillessen (33, 63 Länderspiele) und der in der Bundesliga beheimatete Mark Flekken (29) vom SC Freiburg. Stattdessen entschied sich der Bondscoach für Justin Bijlow (24, Feyenoord), Remko Pasveer (39, Ajax) und Andries Noppert (28, SC Heerenveen), die zu dem Zeitpunkt alle zusammen auf gerade einmal acht Länderspiele kamen.
Sechs Partien davon entfielen auf Biljow, Pasveer steuerte die beiden weiteren bei. Lediglich Noppert konnte bis zur Bekanntgabe des Kaders noch keine einzige Länderspielminute nachweisen. Betrachtet man den Karriereverlauf des 28-Jährigen, ist dies auch nicht weiter verwunderlich. Lange Zeit unterklassig unterwegs, in den Niederlanden und auch in Italien, sorgte Noppert erst mit einem herausragenden Jahr 2022 für seine erstmalige Nominierung für die Nationalmannschaft und sein Debüt im Tor beim ersten Gruppenspiel der WM (2:0 gegen den Senegal).
Es war der vorläufige Höhepunkt eines kometenhaften Aufstiegs: in den Sommern 2019 und 2020 war Noppert zunächst jeweils vereinslos, bis zum Anfang des aktuellen Jahres hatte er in der Eredivisie, der höchsten Spielklasse der Niederlande, lediglich drei Partien vorzuweisen. Es lohnt sich, den Entwicklungsverlauf des 28-Jährigen in seiner bisherigen Karriere detailliert und der Reihe nach anzuschauen.
Andries Noppert: Anfänge in Heerenveen und dreieinhalb erfolglose Jahre in Breda
In Heerenveen geboren, begann der Niederländer seine fußballerische Laufbahn beim SC Joure. Im Alter von elf Jahren ging es von dort aus in die Jugend des SC Heerenveen, wo er neun Jahre blieb und von da aus an alle Jugendmannschaften und die U21-Mannschaft des Vereins durchlief. Mit 20 Jahren verabschiedete sich Noppert von seinem Jugendverein und wechselte im Jahr 2014 zum NAC Breda. Dort blieb er insgesamt dreieinhalb Jahre, bis zum Januar 2018.
Entscheidend durchsetzen konnte sich der Torhüter dort über den gesamten Zeitraum nicht. In der ersten seiner Spielzeit dort, der Saison 2014/2015, absolvierte er 14 Einsätze für die U21-Auwahl des Klubs. In der Spielzeit 2015/2016 kamen zehn weitere hinzu, zudem feierte er am vorletzten Spieltag der Saison sein Debüt für die erste Mannschaft in einem Heimspiel der zweiten niederländischen Liga (damals noch Jupiler League) (1:1 gegen Almere City FC).
Auch die Spielzeit 2016/2017 verbrachte Noppert überwiegend in der U21 von Breda (acht Einsätze). Bei den Profis durfte er immerhin in drei Partien ran, davon zwei in der Liga und eine im Pokal. Ansonsten schaffte er zumindest an jedem Spieltag im Kader und saß auf der Ersatzbank. Für die Mannschaft lief es besser als für Noppert persönlich, am Ende der Spielzeit stand der Aufstieg in die Eredivisie.
Wechsel und Neustart in Italien
Dort begann Noppert die Saison 2017/2018 als Nummer eins und absolvierte die ersten drei Spiele über die volle Distanz. Anschließend wurde ihm jedoch der am Deadline Day von Swansea City verpflichtete Australier Marc Birighitti (31) vorgezogen. So entschied sich Noppert in der Winterpause für einen Abschied aus seinem Heimatland und wagte im Januar 2018 einen Neuanfang bei Foggia Calcio in der italienischen Serie B. Und auch hier benötigte er Zeit. Er saß zunächst auf der Bank, setzte sich aber zum Ende der Saison durch und bestritt die letzten fünf Spiele über die vollen 90 Minuten.
In der Saison 2018/2019 musste er sich jedoch erneut mit der Rolle des Ersatztorhüters zufrieden geben. Lediglich um den Jahreswechsel herum kamen drei weitere Einsätze in der Serie B hinzu. Am Ende der Spielzeit stand Foggia auf Tabellenplatz 17, einem Abstiegsplatz. Statt den Gang in die Serie C anzutreten, wurde der Verein aufgrund finanzieller Probleme in die viertklassige Serie D versetzt. Der Abschied folgte. Im Sommer 2019 stand der heute 28-Jährige erstmalig vor einer unsicheren Zukunft.
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Im August 2019 absolvierte Andries Noppert ein Probetraining beim MSV Duisburg, der zu diesem Zeitpunkt gerade aus der 2. Bundesliga in die 3. Liga abgestiegen war. Die Verantwortlichen der Zebras hatten mit Leo Weinkauf (26) von Hannover 96 bereits einen Torhüter ausgeliehen, der als Nummer eins zwischen den Pfosten eingeplant war. Letztendlich kam eine Verpflichtung des Niederländers nicht zustande, wofür möglicherweise die sportliche Perspektive – Ersatzbank oder Tribüne in der dritten deutschen Liga – ausschlaggebend gewesen sein könnte.
Es dauerte noch bis September, bis Noppert bei der Vereinssuche fündig wurde. Er schloss sich dem in seinem Heimatland dem niederländischen Zweitligisten FC Dordrecht an. Nachdem er bis zum ersten Spiel nach seiner Verpflichtung noch keine Spielberechtigung erhalten hatte, stand der 28-Jährige in den darauffolgenden beiden Partien von Dordrecht in der Keuken Kampioen Divisie zwischen den Pfosten. Anschließend zog er sich jedoch eine Knieverletzung zu, die ihn bis in den März des Jahres 2020 außer Gefecht setzte.
Zu diesem Zeitpunkt wurde die Fußballsaison in den Niederlanden bekanntlich aufgrund der Corona-Pandemie vorzeitig abgebrochen. So konnte sich der Torhüter weder mit weiteren Einsätzen für eine Vertragsverlängerung in Dordrecht bewerben und auch keine potenziellen Interessenten auf sich aufmerksam machen. Genau wie im Sommer 2019 ging es für Noppert also auch im Juli des Jahres 2020 in die Vereinslosigkeit.
Dieses Mal dauerte es allerdings länger als zweieinhalb Monate, bis er einen neuen Verein fand. Er blieb die komplette erste Halbserie der Saison ohne Klub, ehe er nach gut einem halben Jahr der Vereinslosigkeit am 22. Januar 2021 bei den Go Ahead Eagels Deventer, zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in der zweiten niederländischen Spielklasse beheimatet, unterschrieb. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 kam Noppert nicht über die Rolle des Ersatztorhüters hinaus und kam in keiner Partie zum Einsatz. Der Verein stieg am Saisonende in die Eredivisie auf.
Durchbruch in Deventer und Rückkehr nach Heerenveen
Auch in der höchsten niederländischen Spielklasse musste sich Noppert einmal mehr in seiner Karriere mit einem Platz auf der Ersatzbank zufrieden geben. Im Januar 2022 eroberte er sich beim Aufsteiger jedoch den Stammplatz zwischen den Pfosten. Bis zum Saisonende absolvierte er 15 Partien in der Eredivisie, in denen er zwanzig Gegentore kassierte. Zudem wurde er in der Spielzeit als Pokaltorhüter eingesetzt und stand dort in fünf Spielen auf dem Feld. Erst im Halbfinale (1:2 gegen die PSV Eindhoven) war für ihn und seine Mannschaft Schluss.
Da sein Vertrag im Sommer auslief, schlug sein Jugendverein, der SC Heerenveen, zu und verpflichtete ihn ablösefrei zur neuen Spielzeit 2022/2023. Dort war er von Beginn der Saison an die Nummer eins, absolvierte 14 Partien in der Liga und musste dabei nur 13 Mal hinter sich greifen, in Sechs Spielen blieb er sogar gänzlich ohne Gegentreffer. Diese Leistungen riefen Louis van Gaal auf den Plan, der Noppert Ende September 2022 für das Nations-League-Spiel gegen Belgien (1:0) nominierte. Ein Einsatz blieb dem 28-Jährigen damals aber noch verwehrt.
Andries Noppert: WM-Torhüter statt Karriere bei der Polizei
OUR #SENNED 𝐗𝐈! 🦁
Let’s make it a special debut, Andries Noppert! 💯#NothingLikeOranje #WorldCup pic.twitter.com/h1hEOwfvHt
— OnsOranje (@OnsOranje) November 21, 2022
Dies änderte sich bei der Weltmeisterschaft. Im Kreise der Nominierten setzte sich Noppert gegen seine Konkurrenten Biljow und Pasveer durch. Beim 2:0-Sieg am Montag gegen den Senegal stand er auf dem Platz und musste nicht hinter sich greifen. Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Ecuador darf der geneigte Zuschauer sehr gespannt sein, wohin die Reise Noppert noch führen wird. Zum einen mit der niederländischen Nationalmannschaft bei der WM in Katar, zum anderen aber natürlich auch sonst in seiner weiteren Karriere. Zunächst einmal ist er noch bis zum 30. Juni 2024 an den SC Heerenveen gebunden.
Ein derart ungewöhnlicher Karriereverlauf bringt natürlich auch die ein oder andere bizarre Anekdote hervor. Wie transfermarkt.de schreibt, soll ihm seine Frau nach seinem aus bei Dordrecht 2020 und der zweiten Vereinslosigkeit innerhalb eines Jahres dazu geraten haben, die Fußballschuhe an den Nagel zu hängen und Polizist zu werden. Noppert machte aber weiter und kämpfte sich bis in die Nationalmannschaft vor. Zu seiner WM-Nominierung sagte er: „Das ist auch für mich bizarr. Noch vor ein paar Wochen hätte ich das auch nicht erwartet.“
Im Frühjahr erstmalig auf eine mögliche Nominierung für die Nationalelf angesprochen, soll Noppert noch lachend entgegnet haben, ob es sich bei der Auswahl um die regionale der Provinz Friesland handele. Stattdessen weilt er aktuell bei der WM in Katar. Dort fällt er einerseits aufgrund seiner Körperlänge auf, mit 2,03 Metern ist er der größte Spieler der WM. Sportlich stechen vor allem die nur 13 kassierten Gegentore in 14 Eredivisie-Partien ins Auge. Es ist der zweitbeste Wert der Liga gemeinsam mit Feyenoord (13) und hinter Twente Enschede (neun Gegentore).
Auf dem Platz ist Noppert aufgrund seiner großen Spannweite erwartungsgemäß stark beim Parieren von Abschlüssen aus kürzester Distanz. Zudem arbeitet er bei der Ballabwehr gerne mit der Faust, mit der er in Höhen vorstößt, die für alle anderen Spieler unerreicht bleiben. Aber auch in seinen sportlichen Leistungen spiegelt sich das Unerwartete wieder, was seine Karriere bislang so prägt. Trotz seiner Körpergröße ist er durchaus ein mitspielender Torwart, der auch sehr gute lange Bälle schlägt.
Mit seiner körperlichen Konstitution wäre er für eine weitere Aufgabe bei dieser WM prädestiniert: Kein Spieler könnte den WM-Pokal am 18. Dezember in Lusail höher in Richtung Himmel strecken. Dies mag zwar unwahrscheinlich erscheinen, mit Blick auf diese Karriere wäre eine weitere Pointe aber keinesfalls unrealistisch.
(Photo by Claudio Villa/Getty Images)
Gero Lange
Fußballbegeistert seit der Heim-WM 2006. Großer Fan von Spektakelfußball mit vielen schönen Toren, am liebsten aus der Distanz. Seit 2020 bei 90PLUS