Mit Teamgeist, Mut und Vertrauen – das ist Kasper Hjulmand

22. November 2022 | WM-Spotlight | BY Florian Weber

Kasper Hjulmand will den großen Wurf schaffen. Doch Jahre bevor er Trainer der dänischen Nationalmannschaft wurde, war seine Karriere schon beinahe vorbei. Er stellte sich die Frage: Soll ich einfach wieder Kinder trainieren?

Kasper Hjulmand wurde in Aalborg, einer Hafenstadt im Norden von Dänemark geboren. Fast sein gesamtes Leben verbrachte er in Dänemark. Nur vom Mai 2014 bis September 2015, als er den Bundesligisten 1. FSV Mainz 05 trainierte, wohnte er etwas mehr als ein Jahr im Ausland. Man sollte meinen, dass Hjulmand sein Heimatland so gut kennt wie kaum etwas anderes. Und doch entschied sich der (fast) Zwei-Meter-Hüne für eine ungewöhnliche Art, sich auf seine Aufgabe als Nationaltrainer vorzubereiten.



Bevor er den Posten im Sommer 2020 übernahm, traf sich der 50-Jährige mit über zwanzig Leuten aus verschiedenen Bereichen der dänischen Gesellschaft. Darunter: die ehemalige Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt, die ehemaligen Nationaltrainer Morten Olsen und Bo Johansson sowie Unternehmensbosse, Musiker und Schauspieler. Es sei ihm darum gegangen, den Kern der dänischen Identität kennenzulernen, sagte er dem Forbes Magazin. „Wenn ich Manager einer Mannschaft oder einer Organisation bin, muss ich den Kern kennen – die grundlegende Identität dessen, was ich vertrete. (…) Denn dann spielt man entsprechend der eigenen Identität. Es ist wichtig, dass die Leute, wenn sie uns spielen sehen, sehen können, wer wir sind. Wir können gewinnen, wir können verlieren, aber wir müssen mit unserer Art zu spielen zeigen, wer wir sind.“

Drei Kernwerte habe er in den Gesprächen herausgearbeitet: Teamgeist, Mut und Vertrauen.

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Der Trainerjob: Ein Tunnel

Es ist eine Anekdote, die den Kern des Menschen Kasper Hjulmand beschreibt. Er blickt nicht auf eine schillernde Karriere als Spieler zurück. Auch als Trainer haben viele seiner Kollegen bei der Weltmeisterschaft einen volleren Trophäenschrank vorzuweisen. Hjulmand trainierte bis auf seinen Ausflug in die Bundesliga nur zwei Profimannschaften: Lyngby BK und für zwei verschiedene Amtszeiten den FC Nordsjaelland. Sein einziger Titel, die dänische Meisterschaft 2012, liegt schon zehn Jahre zurück. Was ihn allerdings jahrelang auszeichnet hat, ist seine fast manische Arbeitsweise.

In einem Artikel in The Players Tribune beschreibt er eindrucksvoll den Sog, den seine erste Station als Trainer auf ihn ausübte: Lyngby BK ging Pleite. Ein Zwangsabstieg in die vierte Liga folgte. Hjulmand war damals Jugendtrainer. Und er war nach der Pleite des Klubs für nahezu alles Verantwortlich.

„Wir begannen einen Traum: Lyngby wieder an die erste Liga zu bringen. Dafür brauchten wir Leute, die verrückt genug waren, 60 Stunden pro Woche für fast nichts zu arbeiten. Wir fanden Thomas Frank (heute Trainer bei Brentford) und Johan Lange (Sportdirektor bei Aston Villa).

Dann betraten wir den gemeinsam einen Tunnel.

Der Tunnel ist der Raum, in dem man so sehr auf den Sieg konzentriert ist, dass man alles andere ausblendet. Da der Verein so klein war, haben wir alles gemacht. Um sechs Uhr morgens sind wir aufgestanden, um Trainingseinheiten vorzubereiten, Kegel aufzustellen und Bälle aufzupumpen. Wir haben die erste Mannschaft trainiert und uns an der Trainingsmethodik und den Trainingseinheiten der Jugendmannschaften beteiligt. Wir haben das Scouting verfeinert. Wir haben den Jugendfußball überarbeitet. Wir haben eine neue Kultur geschaffen. Wir haben eine Videoanalyseraum aufgebaut. Wir waren die Ersten, die sich mit Statistiken und Daten beschäftigten.

Wir haben unsere Familien vergessen.

Ich wurde Cheftrainer. Wir stiegen einmal auf, dann noch einmal.

Im Jahr 2007, genau 2.000 Tage nach der Pleite, kehrten wir in die erste Liga zurück.“

(Photo by NATALIA KOLESNIKOVA/AFP via Getty Images)

Anschließend wechselte er zum FC Nordsjaelland, gewann die dänische Meisterschaft und wurde Nachfolger von Thomas Tuchel beim 1. FSV Mainz 05. All das, beschreibt Hjulmand, fühlte sich an wie ein Tunnel. Ein Tunnel, in dem nur er und der Fußball Platz hat. Erst in Mainz, an einem Tag im Februar 2015, habe er aus dem Tunnel herausgefunden. Er sei mit seiner Tochter spazieren gegangen, habe Minigolf gespielt und Eiscreme gegessen. Und erst in diesem Moment habe er realisiert, dass er in einem Tunnel gelebt habe und sich die Frage gestellt:

„Warum lasse ich meine Familie so oft allein?“

In den sechs Monaten danach habe er sich wiederentdeckt. Musik, Freunde, Kunst, Natur und vor allem seine Familie füllten sein Leben und bereicherten es auf eine Weise, die er nicht für möglich gehalten habe. Und am Ende seiner Zeit in Mainz stand, wie er in The Player Tribune schreibt, eine Erkenntnis:

„Vielleicht sollte ich einfach wieder Kinder trainieren.“

Hjulmand dachte ans Aufhören. Jahrelang ging es für ihn nur um Erfolg und Optimierung, aber in dem Moment, als er sich gefragt habe, wieso, sei alles in sich zusammengebrochen. Plötzlich waren für ihn andere Dinge wichtig. Er wollte seine Kinder aufwachsen sehen, näher bei seinen Eltern wohnen und seinen Bruder, der eine Lernbehinderung hat, unterstützen. Seine Zeit als Profitrainer wäre vorüber gewesen, bis er eines Tages von einem Freund mit Tom Vernon bekannt gemacht wurde.

Hjulmand: „Ich war zurück, aber mit einer neuen Vision“

Vernon war früher Chefscout für Manchester United in Afrika und hatte im Jahr 1999 die „Right to Dream Academy“  gegründet. Das Ziel der Organisation: Jungen und Mädchen in Ghana zu Sportstipendien in den USA zu verhelfen.

„Ich reiste mit Tom nach Afrika und sah die Arbeit von Right to Dream. Er erzählte mir, dass er einen Verein in Europa kaufen und ihn als gemeinnützigen Verein führen wollte. Das Ziel wäre nicht nur, zu gewinnen, sondern auch, das Geld für Kinder zu verwenden. Ich war erstaunt. Ich wollte daran teilhaben.“

Und so wurde Hjulmand am 1. Januar 2016 zum zweiten Mal Cheftrainer des FC Nordsjaelland.

„Ich war zurück, aber mit einer neuen Vision, und das hat meine Karriere gerettet“, schreibt Hjulmand in The Players Tribune.

Diese Erfahrung veränderte ihn. Er wurde von einem, der jeden Teil seiner Arbeit akribisch dem Erfolg unterordnet, zu einem, der das Große und Ganze im Blick zu haben versucht. Selbst sagt er von sich, dass seine Verbissenheit gewichen und Empathie an diese Stelle getreten sei. Und genau deswegen, weil er mehr beitragen wolle als nur Erfolge, habe er sich vor seiner Aufgabe als dänische Nationaltrainer so intensiv mit der dänischen Identität auseinandersetzen wollen.

Bei der vergangenen Europameisterschaft brachte diese Herangehensweise auch sportlichen Erfolg. Seine Mannschaft entwickelte nach dem schockierenden Herzstillstand von Christian Eriksen in der Gruppenphase einen Geist, der sie bis ins Halbfinale trug. Und auch für die Weltmeisterschaft hat Hjulmand große Ziele. Auf der Pressekonferenz vor dem Turnier sagte er: „Ich sage immer: Dream big! Wir haben gezeigt, dass wir an guten Tagen jeden schlagen können. Unser Traum ist es, etwas zu gewinnen.“

Mit Teamgeist, Mut und Vertrauen.

(Photo by NATALIA KOLESNIKOVA/AFP via Getty Images)


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