WM 2022: 3 Gründe warum England Weltmeister wird

3. Dezember 2022 | WM-Spotlight | BY Chris McCarthy

England gehört nach der Vizeeuropameisterschaft 2021 zu den Favoriten bei der WM 2022. Wir haben drei Gründe gefunden, warum „football’s coming home“ tatsächlich Realität werden könnte. 

Grund 1: Individuelle Qualität und Tiefe

Zugegeben, es gibt Ausnahmen – Grüße an Otto Rehhagels Griechen 2004 – aber meistens haben die Gewinner einer EM oder WM auch die meiste individuelle Qualität des Turniers zu bieten. Und 2022 gibt es kaum Nationen, die ein besseres Aufgebot haben als die Three Lions. Vor allem in der Tiefe.



Im englischen Tor steht mit Jordan Pickford endlich mal kein Unsicherheitsfaktor sondern ein form- und reflexstarker Rückhalt. Selbst der schwächste Mannschaftsteil, die Defensive, verfügt mit John Stones und Kyle Walker von Manchester City über Spieler von internationaler Qualität. Auch Harry Maguire, bei Manchester United ein wandelnder Unsicherheitsfaktor, überzeugt. Das Mittelfeld hat mit Declan Rice einen international unterschätzen Quarterback und mit Jude Bellingham ein „Powerhouse“, das aufgrund seiner Dynamik schon jetzt unverzichtbar ist.

Doch der Angriff ist das Prunkstück, was vor allem an Harry Kane liegt. Die personifizierte Tormaschine hat bei diesem Turnier bislang zwar kein Tor erzielt, ist in seiner Funktion als Spielmacher dennoch unverzichtbar. Er bindet Gegner, hat einen hohen Fußball-IQ und die Technik, seine Mitspieler in Szene zu setzen. Kane ist seit David Beckham 2002 der erste Engländer, der in der Gruppenphase drei Vorlage lieferte.

Um Kane herum tummelt sich eine Mischung aus jungen und dennoch etablierten Topspielern. Gegen den Iran überzeugte vor allem Arsenals Shootingstar Bukayo Saka als Doppelpacker gegenüber von Chelseas Raheem Sterling (mit 27 bereits 81 Länderspiele). Als das Duo gegen die USA schwächelte, durften Phil Foden und Marcus Rashford gegen ran. Das Duo steuerte alle drei Tore bei. Dass Foden, mit 22 Jahren schon Leistungsträger bei Manchester City, hier zu seinen ersten WM-Minuten kam, unterstreicht wie tief dieser Kader ist.

Ob in der Offensive, wo auch noch James Maddison und Jack Grealish parat stehen, im Mittelfeld mit Jordan Henderson und Kalvin Phillips, in der Defensive mit Kieran Trippier, ja sogar im Tor mit Nick Pope und Aaron Ramsdale: Bis auf die Sturmspitze und seit Mittwoch die Innenverteidigung (Ben White musste wegen persönlichen Gründen abreisen) kann Gareth Southgate auf allen Positionen ohne großen Qualitätsverlust durch wechseln. Die Tiefe und damit die Flexibilität des Kaders sind zusammen wohl die größte Stärke der Engländer.

Jude Bellingham (l.) und Declan Rice (r.) feiern mit Torschütze Phil Foden Englands 2:0 über Wales.

(Photo by JAVIER SORIANO/AFP via Getty Images)

Grund 2: Die Spielweise

Kaum ein (sportliches) Thema polarisiert in England derzeit so sehr wie die Spielweise von Southgate. Trotz des herausragenden Offensivpersonals präferiert der ehemalige Verteidiger einen eher pragmatischen Spielstil. Der Ball ist nicht da, um viele Tore zu schießen, sondern um Spiel und Gegner zu kontrollieren. Das mag zwar nicht für Offensivspektakel sorgen – aber für Siege. Insbesondere bei Europa- und Weltmeisterschaften, denn hierfür ist der Ansatz des Trainers, der mit elf Siegen schon jetzt der erfolgreichste Trainer in Englands Turniergeschichte ist, wie maßgeschneidert. Defence wins championships. Auch im Fußball. Take a look Hansi Flick.

Die letzten sechs WM-Sieger kassierten in 24 K.O.-Rundenspielen insgesamt nur 17 Gegentore. England machte es bei der EM 2020 ähnlich, kassierte auf dem Weg ins Finale, das natürlich im Elfmeterschießen gegen Italien verloren ging, nur ein einziges Gegentor (ein Standard) und dort ein zweites. Nach ungewohnter Instabilität während der Nations League 2022 ist die Mannschaft in Katar nun wieder im Turniermodus. England hält das Spielgerät vom Gegner fern (65 % Ballbesitz) und nutzt seine Chancen aufgrund der hohen individuellen Klasse effizient. Das entlastet die Defensive, die dennoch sehr organisiert ist. Das trifft auf Rice vor der Abwehr, aber auch den konzentrierten Maguire und den spielstarken Stones zu.

Bislang kassierte England bei der WM 2022 zwei Tore, allerdings kamen diese jeweils erst zustande als das Spiel gegen den Iran bereits entschieden war – beim Stand von 4:0. Selbst beim blassen Auftritt gegen die USA (0:0) musste Pickford keinen echten Hochkaräter entschärfen. England hat noch kein Abschluss im eigenen Fünfmeterraum kassiert und ist defensiv derzeit die beste Mannschaft gegen Standards.

Grund 3: Turniererfahrung und Mentalität

Obwohl die Three Lions mit einem Durchschnittsalter von 25,6 Jahren den fünftjüngsten Kader der WM 2022 stellen, verfügen sie nicht nur auf Vereinsebene über sehr viel Erfahrung auf dem aller höchsten Niveau.

Bis auf Bellingham, der 2021 keine Rolle spielte, und Kane-Ersatz Callum Wilson, ist der Stamm der Engländer identisch zu dem, der bei der EM erst im Finale beim Elfmeterschießen das Nachsehen hatte. Die Spieler kennen den Turnierrhythmus und den Druck. Anders als in Katar waren die Three Lions bei den K.O.-Spielen 2021 im eigenen Land – wo der Gemütszustand beim Fußball meist instabiler und reaktionärer ist als die Politik. Das Team ist kollektiv und individuell daran gewachsen.

Wie stark die Engländer mental sind, zeigen alleine Saka und Rashford. Neben Jadon Sancho waren sie diejenigen, die gegen Italien die entscheidenden Elfmeter vergaben und im Anschluss Opfer von Hasstiraden und rassistischen Anfeindungen wurden. Sancho hatte 2022 zwar weiterhin mit seiner Form zu kämpfen, doch Rashford und insbesondere Saka meldeten sich eindrucksvoll zurück.

Saka ist nicht nur Hoffnungsträger sondern mittlerweile sogar erster Elfmeterschütze bei Tabellenführer Arsenal. Rashford, im letzten Jahr aufgrund seines politischen und sozialen Engagements abseits des Platzes wirkungsvoller als darauf, setzte sich gegen das Stammtischnarrativ, er solle sich mehr auf Fußball konzentrieren, durch und fand vor dem Turnier endlich wieder zur Form. Der Doppelpack gegen Wales erfolgte übrigens nur einen Tag nachdem ein langjähriger Freund des 25-Jährigen an Krebs verstarb.

England hat einen eingeschworenen und vor allem resilienten Haufen an qualitativ hochwertigen Spielern. Genügt das zum WM-Titel? Das wird auch von anderen Faktoren abhängen. Doch dazu morgen mehr…

 

(Photo by Stu Forster/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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