WM 2022 | Wie wurde Katar Gastgeber? Eine Reise in die Vergangenheit

15. November 2022 | WM-Spotlight | BY Manuel Behlert

Am Sonntag beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Selten zuvor wurde ein sportliches Großereignis derart kritisch beäugt. Selbst Fußballfans in vielen Ländern haben zuletzt zum Boykott des Turniers aufgerufen. Doch wie kam es überhaupt zur WM 2022 im Emirat?

WM 2022: Viele Gründe sprechen gegen Katar

Die Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 nach Katar wurde schon vor Jahren aufgrund schwieriger Menschenrechtsverhältnisse kritisiert. Ein Land, in dem Korruption herrscht, Homosexualität strafbar ist und das seine Einflüsse und seine finanziellen Reichtümer nutzt, um durch Sportswashing und Sponsoring eine Fassade zu errichten, die eine „heile Welt“ vorgaukelt, soll eine Weltmeisterschaft austragen? Noch dazu ein Turnier, das bis dahin immer im Sommer stattgefunden hat, jetzt aber aufgrund der hohen Temperaturen in den Winter verlegt werden muss? Auch wenn vieles gegen Katar spricht, die WM 2022 in diesem Land ist nun Realität.



2010 fiel die Entscheidung pro Katar: Der Weg dorthin

Am 2. Dezember 2010 wurde von Sepp Blatter ein Brief geöffnet, in dem sich ein Zettel befand. Auf diesem Zettel stand der Name des Gastgeberlandes für die WM 2022. Katar, ein kleines Emirat ohne eine nennenswerte Fußballtradition und bis dato ohne die nötige Infrastruktur, sollte das größte Fußballturnier der Welt austragen, setzte sich gegen die Mitbewerber aus den USA, Japan, Südkorea und Australien durch. Um zu rekapitulieren, wie es zur Entscheidung kam, dem Emirat den Zuschlag zu geben, muss gedanklich eine Reise in das Jahr 2008 unternommen werden. Dort nämlich beschloss das Exekutivkomitee der FIFA, dass die Turniere 2018 und 2022 gleichzeitig vergeben werden sollen. Bis dahin war das unüblich.

Was folgte war eine fristgerechte Bewerbung Katars Anfang 2009. Es waren also fast zwei Jahre Zeit, um die Werbetrommel zu führen und Maßnahmen zu ergreifen, um so viele Stimmen wie möglich zu erhalten. Der Weltverband FIFA, der neuen Möglichkeiten im Sponsoring gelinde gesagt sehr offen begegnet, sah sicher die Chance, dauerhaft finanziell zu profitieren. Ein Beispiel: beIN Sports, einer der bekanntesten Sportfernsehsender weltweit, hat seinen Hauptsitz in Katar.

Im Oktober 2010, einige Wochen vor der Vergabe der Weltmeisterschaft, wurden Korruptionsvorwürfe laut. Die englische Times deckte seinerzeit auf, dass Mitglieder des Exekutivkomitees Geld annehmen würden, um ihre Stimme einem ausgewählten Kandidaten zu geben. Dafür gaben sich Reporter des Mediums als Lobbyisten amerikanischer Firmen aus. Der Artikel schlug hohe Wellen, viel mehr als eine Suspendierung der Exekutivmitglieder und ein Statement von FIFA-Präsident Blatter gab es aber nicht als Reaktion. Die FIFA und Bestechungsgelder? Ja, da klingelt es.

WM 2022 Blatter

(Photo by ALAIN GROSCLAUDE/AFP via Getty Images)

Im Anschluss daran gab es Untersuchungen. Vier ehemalige Mitglieder des Exekutivkomitees wurden gesperrt, die beiden Personen, die Bestechungsgelder angenommen hätten, ebenfalls. Gegen die WM-Bewerber gab es keine Sanktionen, auch sonst kam die Untersuchung zu keinem Ergebnis. Blatter sagte, alle Zweifel seien ausgeräumt. Natürlich, denn Unruhe vor der WM-Vergabe konnte der Präsident natürlich gar nicht gut gebrauchen. Allerdings: Kurz vor der Vergabe kam ein neuer Skandal ans Tageslicht, denn drei Exekutivmitglieder hatten in den 1990er-Jahren Schmiergelder für TV-Vermarktungsrechte erhalten. Aber auch das wurde kleingeredet. Die FIFA hatte schon immer eine besondere Art, mit Skandalen und Unruhen umzugehen. 

Der Rest ist bekannt. Bei allem, was vor, aber vor allem im Nachgang der Verkündung bekannt wurde, erscheinen die Sätze von Blatter, als Katar als Gastgeber enthüllt wurde, fast schon höhnisch: „2022 gehen wir in die arabische Welt, die auch ein Anrecht auf die WM hat. Das ist Neuland, und das passt genau in die Entwicklungsarbeit des jetzigen Präsidenten und früheren Entwicklungshelfers. Wir gehen mit der Fussball-WM dorthin, wo sie noch etwas mehr bewegt als nur Kommerz.»

Alles rund um die WM 2022 findet ihr hier 

Korruptionsvorwürfe auch im Nachgang der WM-Vergabe

Der Jubel im Emirat war groß, das Unverständnis bei anderen Bewerbern ebenso. Die FIFA lächelte alle Vorwürfe weg, sprach auch in der Folge von einer großartigen Möglichkeit für die Region, das Land und die Menschen dort. Unabhängig von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, Menschenrechtsverletzungen und weiteren, massiven Problemen blieben die Korruptionsvorwürfe bestehen. Alle Enthüllungen aufzulisten ist schlicht unmöglich, zu tief erscheint der Sumpf aus fragwürdigen Vorkommnissen rund um die Vergabe der WM 2022.

Noch im Jahr 2010 gab es mehrere Berichte, die unter anderem FIFA-Vizepräsident Julio Grondona belasteten. Laut dem Wall Street Journal erhielt dieser zig Millionen Euro aus Katar, als er Chef des argentinischen Fußballverbandes war. Er selbst wollte dazu nichts sagen. Kleine Randnotiz: 2011 wurde FIFA-Chef Blatter auch deswegen wieder zum FIFA-Präsident gewählt, weil der Gegenkandidat Mohamed Bin Hammam aus Katar seine Kandidatur wegen Bestechungsvorwürfen zurückzog. Immerhin wurden im gleichen Jahr noch Arbeitsgruppen gegründet, um die Skandale aufzuarbeiten. Die Ethikkommission sollte dabei federführend agieren. 

Und sonst? 2013 schrieb France Football, dass UEFA-Präsident Michel Platini auf Drängen des damaligen französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy seine Stimme an Katar gegeben haben. Bei selbigem soll unter anderem der Emir von Katar ein- und ausgegangen sein. Platini versicherte aber, aus eigenen Beweggründen abgestimmt zu haben, klar. Erst Anfang 2013 wurde auch darüber nachgedacht, das Turnier vom Sommer in den Winter zu verlegen. 2 1/2 Jahre nach der Vergabe erkannten die Verantwortlichen also, dass es im Sommer in Katar zu heiß ist. Blatter bestätigte mehrfach, dass der Weltverband an der Austragung in Katar festhält und eine Task Force einrichten wird, um den richtigen Termin zu finden.

Der Chefermittler der FIFA, Michael Garcia, plädierte anschließend nach Jahren der Recherche dafür, den Untersuchungsbericht zu veröffentlichen, die FIFA hingegen verzichtet, auch aus „rechtlichen Gründen“, auf eine komplette Veröffentlichung. Die FIFA verkaufte es im Endeffekt so, dass es – nach Veröffentlichung einer Zusammenfassung des Berichts – keine Beweise für eine „gekaufte WM“ gab. Unterdessen wurden immer mehr Berichte über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Katar veröffentlicht, erste Aussagen, die WM-Vergabe sei ein Fehler, wurden getätigt. 2015 gab es dann nicht nur die Bekanntgabe des Termins der WM, sondern auch einige Ermittlungen und Festnahmen hochrangiger Funktionäre, auch wenn es dabei nicht per sé um die WM-Vergabe ging, sondern eher um Bestechungsgelder, die unter anderem von Sportvermarktungsunternehmen gezahlt wurden.

In der Folge trat Blatter zurück, geriet später selbst in das Visier der Ermittlungen. Die rechtsprechende Kammer der FIFA-Ethikkomission sperrte Blatter sowie Platini später für acht Jahre. Der Vorwurf lautete Untreue und Amtsmissbrauch. In der Folge entwickelten sich die Dinge in genau dieser Art und Weise weiter. Die Jahre vergingen, Vorwürfe wurden erhoben, Interviews geführt, der ein oder andere Funktionär belangt, doch der Kurs, dass die WM auf jeden Fall in Katar stattfindet, wurde beibehalten. Bis heute.

 (Photo by IVAN PISARENKO/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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