WM 2022 | Chancenverwertung und Flicks Wechsel: Erkenntnisse aus Deutschlands Auftaktniederlage gegen Japan

24. November 2022 | WM-Spotlight | BY Victor Catalina

Spotlight | Trotz guten Matchplans und guter Ausführung dessen unterlag das DFB-Team am 1. Spieltag der WM 2022 Japan 1:2. Knackpunkte hierbei waren vor allem die mangelhafte Chancenverwertung sowie ein kapitaler Schnitzer Hansi Flicks. 

Deutschland fängt an, bringt es aber nicht zu Ende

Jamal Musiala vergrub sein Gesicht im Trikot, Serge Gnabry starrte in das weite Rund des Khalifa International Stadium. Genau das waren die Eindrücke, die von Deutschlands Auftaktspiel der WM 2022 bleiben werden. Eigentlich ging das DFB-Team die Partie gut an, hatte zwar in der Anfangsphase etwas mehr Respekt als nötig. Diesen schüttelte man mit zunehmender Spielzeit aber ab. Nach einer halben Stunde traf Ilkay Gündoğan vom Punkt zur verdienten Führung. Joshua Kimmich eröffnete zuvor mit einem genialen Chip nach links auf den völlig freistehenden David Raum, der im Strafraum von Japans Torhüter Shuichi Gonda zu Fall gebracht wurde.

 



 

Allein das zeigt, dass Hansi Flick dem Team die richtige Einstellung vermitteln konnte. Deutschland spielte dominant, variabel und stellte Japans Hintermannschaft ein ums andere Mal vor Probleme. Dazu ließ man in der Rückwärtsbewegung kaum etwas zu. Daizen Maeda schob zwar in der 8. Minute zur Führung ein. Die Viererkette stellte Celtics Angreifer allerdings schulbuchmäßig abseits. Ansonsten war Manuel Neuer eher als erster Aufbauspieler, denn als Torhüter gefordert.

„Es war eigentlich kein gefährdetes Spiel für uns“, resümierte der Kapitän am ARD-Mikrofon. 26:12 Torschüsse, 9:4 aufs Tor und 3,27:1,42 xG unterstreichen seine Meinung. Dennoch haderten Musiala und Gnabry, genauso wie auch Ilkay Gündoğan, weil sie mehrmals das 2:0 leichtfertig liegen ließen. Sinnbildlich dafür steht die 70. Minute, als zuerst Jonas Hofmann und anschließend zweimal Gnabry binnen weniger Sekunden beste Gelegenheiten ausließen.

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Flick löst das Mittelfeld auf – und gibt die Partie aus der Hand

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte man ahnen können, was dem DFB-Team droht. Dass Hansi Flick mit Thomas Müller, Gündoğan und Musiala beim Stand von 1:0 seine gesamte Mittelfeldachse vom Platz nahm und somit den konterstarken Japanern genau die Räume im Zentrum gab, die sie brauchen, verstärkte diesen Effekt umso mehr. Hajime Moriyasu nutzte die Gunst der Stunde, um den Angriff mit so vielen wendigen und technisch starken Spielern zu überladen, wie möglich. Natürlich ging er großes Risiko, Kaoru Mitoma, Ritsu Doan, Takuma Asano und Takumi Minamino gleichzeitig an der Seite von Daichi Kamada und Junya Ito zu haben. Er spürte allerdings, dass Deutschland, nur mit der knappen Führung und ohne das ballsichere Mittelfeld, die Partie entgleiten würde. Das DFB-Team verlor an Spielkontrolle und bekam aus der Defensive heraus keinen Druck mehr auf den Ball.

WM 2022 DFB-Team Deutschland Japan

Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images

Dadurch kamen auch die Abstimmungsprobleme zwischen Niklas Süle und Nico Schlotterbeck, die bei Borussia Dortmund in der Bundesliga zu 21 Gegentoren in 15 Partien führten, deutlich zur Geltung. Beispielhaft dafür Japans Siegtreffer: Ko Itakura schlug einfach nur den Ball nach vorne, Schlotterbeck wollte Takuma Asano abseits stellen, Süle schaltete als ballferner Verteidiger einen Tick zu spät. So war der Bochumer nicht mehr einzuholen und hing die Kugel hoch ins kurze Eck. „Ich weiß nicht, ob bei einer Weltmeisterschaft jemals ein einfacheres Tor geschossen wurde. Das darf nicht passieren“, monierte Gündoğan nach der Partie im Ersten.

„Wenn wir die Linie halten, ist er im Abseits, da muss Niklas einfach aufpassen“, fügte Hansi Flick hinzu und tat etwas, was er sonst nur selten tut: Spieler nach Fehlern öffentlich beim Namen nennen. Das allein zeigt, wie ernst die Situation um das DFB-Team ist. Trotz guten Matchplans und guter Ausführung startet Deutschland mit einer Niederlage in die Weltmeisterschaft 2022 und steht am Sonntag gegen Spanien unter Druck. Einzig drei Punkte würden das nahezu sichere Ausscheiden verhindern. Daran will Hansi Flick allerdings nicht denken: „Wir haben einiges gutzumachen. Trotzdem haben wir die Qualität, um Spanien schlagen zu können.“ Aus dem DFB-Lager heraus wurde man nicht müde zu betonen, wieviel Lust man auf diese Weltmeisterschaft habe und dass man in der Lage sei, sie zu gewinnen. Nun muss man diese Eignung direkt am 2. Spieltag nachweisen.

Flick könnte in jener Partie, sollte er fit genug sein, wieder auf Leroy Sané im Angriff setzen, um den über die letzten Wochen formstarken Bayern-Block weiter zu ergänzen. Es bleibt offen, inwiefern es Änderungen in der Viererkette geben wird, die über weite Strecken souverän agierte. Konkret wird sich die Frage stellen, ob Flick bereit ist, das zu belohnen, um die Spieler zu stärken oder ob er sich berufen fühlt, für die schwache Schlussviertelstunde eines, beziehungsweise mehrere, Zeichen zu setzen. Den einzigen Joker hat das DFB-Team mit dieser Niederlage aufgebraucht. Die restliche Weltmeisterschaft wird zum Hochseilakt ohne Fangnetz.

Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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