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Bayern-Kaderserie | Die Abwehr: Zurück zu alter Stabilität

20. Februar 2024 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Der FC Bayern München verlor kürzlich mit 0:3 im Spitzenspiel gegen Bayer 04 Leverkusen. Es droht das Ende einer in Deutschland unvergleichlichen Serie an aufeinanderfolgenden Meistertiteln. Doch nicht nur das. Die aktuelle Situation beim Rekordmeister macht den Verantwortlichen noch einmal mit Nachdruck bewusst, dass es einer umfassenden Analyse aller Ebenen im Klub bedarf. Und dazu gehört auch der Kader. 

FC Bayern: Ein Transfersommer, der es in sich haben muss

Gründe, die dazu führten, dass es dem Kader aktuell an Homogenität, aber auch einer ganz klaren, stringenten Ausrichtung fehlt, gibt es reichlich. In den letzten Jahren wurden einige Fehler gemacht, die aufeinander aufbauten. Das führte dazu, dass es aktuell nahezu in jedem Mannschaftsteil Nachholbedarf gibt. Sei es bei der aktuell vorhandenen Qualität, der Ausrichtung für die kommenden Jahre oder gar beide Komponenten kombiniert. Vieles, wenn nicht gar alles, hängt miteinander zusammen. Die Entscheidung, ob ein Spieler seinen Vertrag verlängert oder nicht, hat Auswirkungen auf die Planung. Deswegen müssen die Verantwortlichen sehr viele Elemente gleichzeitig im Blick haben und verschiedene Szenarien entwerfen.

 



Und weil die Kaderplanung sehr dynamisch, die Situation nicht ganz einfach ist, kann die gesamte Bandbreite der Themen gar nicht in einem Text behandelt werden. Folglich ging es zunächst um die Ausgangslage und die Frage, warum der Kader einen Umbruch so dringend benötigt. Anschließend wurden die Planungen im Tor genauer unter die Lupe genommen. Auch einzelne Personalien wurden beleuchtet. So zum Beispiel die Frage, was Joshua Kimmich benötigt, um endlich wieder sein Potenzial auszuschöpfen. Ebenso, warum Alphonso Davies‘ Situation die gesamte Defensivplanung beeinflusst. Und genau um diese Defensive, vielmehr die Abwehr, soll es nun gehen.

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Die Abwehr des FC Bayern wackelt zu häufig

Zunächst einmal sollte geklärt werden, wie überhaupt die Ausgangslage ist. Die Defensive des Rekordmeisters liefert keine horrend schlechten Statistiken ab, dennoch sind 25 Gegentore nach 22 Ligaspielen und vor allem 18 Gegentreffer in der Fremde nicht zufriedenstellend. Zu selten gelingen Spiele ohne Gegentor, in der Champions League zum Beispiel nur zweimal in sieben Spielen. Mal verteidigt Bayern zu hoch oder einer der Verteidiger rückt zu früh raus, mal sind es individuelle Patzer, die zu Gegentoren, Elfmetern oder Platzverweisen führen. 

Das Problem lässt sich folgendermaßen auf den Punkt bringen: Selbst nach 70 souveränen Minuten ist der Abwehr des FC Bayern ein Schnitzer zuzutrauen. Und dieser kann das gesamte Spiel beeinflussen. Im Spielaufbau agiert man nicht am Optimum, den Außenverteidigern fehlt es im Mittel an den letzten Prozentpunkten in Sachen Technik, Ballkontrolle und Pressingresistenz. Gleichzeitig sind individuelle Voraussetzungen wie die Physis von Matthijs de Ligt oder das Tempo von Alphonso Davies mitunter herausstechend. 

De Ligt Abwehr Bayern

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Es gibt einige gute Ansätze im Defensivverbund, dennoch fehlt bei der aktuellen Zusammenstellung schlicht etwas, um die letzten Prozent herauszuholen. Ein klassischer Anführer, ein Abwehrchef zum Beispiel, aber zurzeit gehen auch die Automatismen abhanden, was an der Verletzungsmisere sowie der Fluktuation der letzten Jahre liegt. Seit 2019 gab der Klub mehr als 290 Millionen Euro für Verteidiger aus. Bis heute keine Besetzung gefunden zu haben, die perfekt passt und nachhaltig ist, spricht nicht für eine vorausschauende Kaderplanung, mal abgesehen vom durchschnittlichen Alter der Spieler. 

Der größte Teil des Umbruchs sollte zwar nicht in der Abwehr stattfinden, das wird sich aber unter Umständen nicht vermeiden lassen. Noussair Mazraoui spielt mit schwankenden Leistungen, Sacha Boey lässt sich noch nicht bewerten, de Ligt ist mit seiner Einsatzzeit unzufrieden, Dayot Upamecano unterlaufen zu viele Konzentrationsfehler und Alphonso Davies wird von Real Madrid umgarnt. Alles hängt mit allem zusammen, was es schwierig macht, schon jetzt ein klares Konzept zu entwerfen. In der Schublade müssen sich aber Lösungen finden. Mehrere.

FC Bayern: Die nächste Abwehrrevolution muss sitzen

Wichtig wird sein, einen Plan A, B und C zu haben. Klare Spielerprofile festzulegen. Denn das fehlte in den letzten Jahren mitunter. Man erinnere sich nur an die verschiedenen Spielertypen, die im Sommer 2023 kurz vor knapp mit dem Rekordmeister in Verbindung gebracht wurden. Und mittlerweile hat sich der Klub in eine Lage manövriert, in der ein, zwei Anpassungen nicht reichen. Die nächste Überarbeitung der Defensive muss sitzen. Neben den bereits genannten Spielern zählen auch noch Josip Stanisic, aktuell an Leverkusen verliehen und mit offener Zukunft, Konrad Laimer, der eigentlich für das Mittelfeld geholt wurde, und vielleicht Adam Aznou und Tarek Buchmann, zwei junge, ambitionierte Talente, zum potenziellen Kader für die neue Saison.

Doch der Reihe nach. Auf der rechten Seite kann die Situation tatsächlich erst etwas später begutachtet werden. Aus zweierlei Gründen. Einerseits, weil Stanisic, Boey, Mazraoui und auch Laimer diese Position ausfüllen können, andererseits weil die Davies-Entscheidung über Verbleib oder Abgang maßgeblich bestimmend für die Verteilung der verschiedenen Charaktere auf Außen sein wird. Heißt: Wenn Davies bleibt, muss auf rechts in jedem Fall ein im Vergleich defensiver ausgerichteter Spieler auflaufen. Wechselt Davies, wäre über rechts auch eine offensive Variante möglich, wenn links dann ein technisch versierter, ballsicherer Spieler aufgeboten wird.

Kandidaten für alle Positionen in der Defensive

Doch welche Kandidaten würden sich rein theoretisch anbieten? Der Außenverteidigermarkt hält auf rechts durchaus spannende Namen bereit – den offensiv ausgerichteten Jeremie Frimpong (Leverkusen) zum Beispiel, der über eine Ausstiegsklausel verfügt, aber nicht gemeinsam mit Davies aufzubieten wäre, zumindest nicht in einer Viererkette. Lutsharel Geertruida (Feyenoord) wäre im Vergleich dazu deutlich konservativer, könnte auch innen agieren. Vanderson (Monaco), Arnau Martinez (Girona) oder Amar Dedic (Salzburg) wären „kleinere“ Lösungen, all diese Spieler sollte Bayern aber auf dem Zettel haben. 

Auf der linken Seite wäre im Falle eines Davies-Verbleibs nichts zu tun, sollte der Kanadier wechseln, muss entweder ein Topspieler her oder jemand, der sich schnell in diese Richtung entwickeln kann. Theo Hernandez, aktuell bei Milan aktiv, wäre ein Kandidat, der extrem ausgewogen agiert, aber sicher nicht leicht zu haben sein wird. Inters Federico Dimarco ist ein Topspieler, aber vor der Dreierkette im Inter-System aktuell perfekt aufgehoben. José Gaya, Herzstück des FC Valencia, wäre noch ein Spieler, mit dem sich je nach Ausrichtung beschäftigt werden könnte. Miguel Gutiérrez (Girona) hat ebenfalls ein spannendes Profil, hier hat aber Real Madrid die Kontrolle, was bei einem Davies-Wechsel nach Madrid zumindest interessant sein könnte. 

Gutierrez

(Photo by CRISTINA QUICLER/AFP via Getty Images)

Bleibt noch die Innenverteidigung. Wie gesagt, alles muss zusammenpassen. Ohne vollumfängliche Profilklarheit kann kein Transfer getätigt werden, was heißt, dass Bayern eigentlich erst aktiv werden kann – abgesehen von der Planung – wenn die ersten Dominosteine fallen. Doch was wird in der Innenverteidigung eigentlich benötigt? Im Prinzip hängt auch das wieder davon ab, ob es überhaupt einen Abgang gibt, denn Stanisic oder ein Hybrid-Neuzugang könnten auch den vierten Spot besetzen, wenn der Kader breit genug ist.

In jedem Fall wuchs der Wunsch nach einem Abwehrchef mit einer entsprechenden Aura zumindest bei Teilen der Verantwortlichen heran, sonst hätte sich niemand um Ronald Araujo bemüht. Hier sei aber zu bedenken, dass er von allen Investitionen in die Abwehr nicht nur die teuerste wäre, sondern auch eine Phase durchlebt, die extrem schwierig und von vielen Fehlern geprägt ist. Dass er sofort zum Führungsspieler wird, darf angezweifelt werden.

Rein gemessen am Skillset wäre Alessandro Bastoni natürlich eine sehr gute Wahl, er hat sich bei Inter aber zu einem der wichtigsten Spieler entwickelt, trägt selbst positiv zur gesamten Entwicklung des Klubs bei und wächst mit ihm. Antonio Silva (20, Benfica), Goncalo Inacio (22, Sporting) oder Leny Yoro (18, Lille) würden aller Voraussicht nach etwas Anlaufzeit benötigen. Auch in der Abwehr wird Bayern also einige Grundsatzentscheidungen treffen müssen. In den nächsten Wochen dürfte sukzessive mehr Klarheit herrschen, wohin die Reise beim vorhandenen Personal geht. Zudem hängt die Entwicklung in der Abwehr auch mit dem Mittelfeld zusammen. Und darum wird es im nächsten Teil gehen. 

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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