In Sinsheim zeigte der Rekordmeister genau die Art von abgezocktem Auftritt, die es auswärts gegen formstarke Teams wie die TSG braucht. Ruhig, bestimmt, sich auch ein Stück weit auf das Spiel des Gegners einlassen. Trotzdem dabei immer klarmachen, wer die bessere Mannschaft ist. Nach der einstudierten Eckballvariante, die zum 0:1 von Jamal Musiala führte, bekamen sie das mutige Hoffenheimer Pressing immer besser in den Griff. Mit dem 0:2 konnten die Gastgeber, wenn überhaupt, nur noch vereinzelt Nadelstiche setzen. Man ließ den mutigen Gegner im eigenen Stadion klassisch auflaufen.
Photo by DANIEL ROLAND/AFP via Getty Images
Das liegt zum einen daran, dass er mit 1,91 Metern Gardemaß besitzt und klassisch Gegenspieler binden kann, so wie direkt vor dem 1:0 gegen Freiburg, als Choupo-Moting Matthias Ginter abkochte, in dessen Folge sich Alphonso Davies, Leroy Sané und Serge Gnabry zum Treffer kombinieren konnten. Darüber hinaus ist er für seine Größe extrem technisch und spielstark. Serge Gnabry nannte ihn vor Wochenfrist den „weltbesten Sohlenspieler“.
All diese Attribute treffen zwar auch auf Choupo-Motings inzwischen in Barcelona befindlichen Vorgänger zu. Anders als Robert Lewandowski passt er viel eher in die Kategorie von uneigennützigem Stürmertyp, mit dem Julian Nagelsmann seine gesamte Karriere als Profitrainer bereits zusammengearbeitet hat: Ádám Szalai, Sandro Wagner, Andrej Kramarić und Ishak Belfodil in Hoffenheim oder Yussuf Poulsen bei RB Leipzig. Alle von ihnen vereint, dass sie Teil des Systems sind und nicht das System.
Generell gewinnt das Nagelsmann’sche Spiel in diesen Wochen verstärkt an Kontur. Strukturen, die bei seinen vergangenen Stationen zu erkennen waren, werden nun auch in München sichtbar: Leroy Sané übernimmt die Rolle als offensiver Freigeist zwischen den Linien, die in Leipzig Dani Olmo gehörte, Leon Goretzka ist der pressingresistente Box-to-Box-Spieler – wie Konrad Laimer und Joshua Kimmich der variable Sechser, ähnlich zu Kevin Kampl. Natürlich ist in diesem Fall nicht alles eine 1:1-Kopie und natürlich bieten sich Nagelsmann in München mit Jamal Musiala oder auch Ryan Gravenberch noch mehr Möglichkeiten. Das Grundgerüst allerdings steht und was für die letzten Wochen vor der Weltmeisterschaft aus Bayern-Sicht noch wichtiger ist: es funktioniert.
Mehr News und Stories rund um die Bundesliga
2. Fünf Spiele, vier Niederlagen: Baumgarts erstes Tief in Köln
Bislang ging es für den 1. FC Köln seit der Amtsübernahme Steffen Baumgarts ausschließlich steil nach oben. Sieben Partien brauchte es, bis die Fans, beim 3:1 über Greuther Fürth, sangen „Steffen Baumgart wird Kanzler“. Obwohl man 2020/21 fast noch abgestiegen wäre, brachte Baumgart den Verein in eine Lage, dass man Ende der vergangenen Saison teilweise Unzufriedenheit ausmachen konnte, sich „nur“ für die Europa Conference League qualifiziert zu haben.
Nun muss Baumgart seine erste größere Ergebnisdelle angehen: Vier Niederlagen aus den letzten fünf Pflichtspielen, die klare 2:5-Derbypleite in Mönchengladbach. Am Freitag gesellte sich noch ein 0:5 in Mainz dazu. Beide Partien verbindet nicht nur, dass sich die Mannschaft jeweils fünf Gegentore einfing, sondern jeweils auch einen Platzverweis. In dessen Folge fiel der Effzeh ein Stück weit in sich zusammen. Gladbach erzielte seine Tore zwei und drei in der zweiten Minute der Nachspielzeit, respektive wenige Sekunden nach Wiederanpfiff. Nach der Gelb-Roten-Karte für Luca Kilian erzielte Mainz zwei Treffer binnen fünf Minuten. Einem 1:3-, beziehungsweise 0:3-Rückstand in Unterzahl nachzugehen, ist naturgemäß noch ein Level schwieriger.
Photo by Alex Grimm/Getty Images
Wenn die Kölner in Gleichzahl waren, wie in den beiden Spielen gegen Partizan Belgrad, agierten sie zumeist unkreativ. So reichte meistens eine Standardsituation oder ein individueller Aussetzer, um den 1. FC Köln zu bezwingen. Auch beim einzigen Sieg in diesem Zeitraum, dem 3:2 gegen den FC Augsburg, waren diese Symptome zu beobachten.
Die gute Nachricht ist allerdings: Mit 16 Zählern ist Köln noch komplett im Soll. Deren drei sind es bis zu Borussia Dortmund auf Platz 5, während man acht Zähler Vorsprung auf den Relegationsplatz hat. Noch genug Zeit für Baumgart, um die Mannschaft wieder auf Kurs zu bekommen.
Zur Tabelle der Bundesliga
3. Unions statistische Anomalie: Wieviel Potential steckt in der Tabellenführung?
„Deutscher Meister wird nur der FCU!“, hallte es in den Schlussminuten des Spiels gegen Borussia Dortmund durch das Stadion an der alten Försterei. Vier Zähler Vorsprung hatten die Köpenicker vor dem Spieltag gegen den FC Bayern. Eine Momentaufnahme, was sonst?
Sie werden nicht allen Ernstes…oder doch? Der reine Blick auf die Statistik zeigt, dass Union Berlin im Begriff ist, eine der größten Anomalien der jüngeren Bundesligageschichte zu produzieren: 23 Punkte aus 13,33 xPoints, 18 Tore aus 9,19 xG, die wenigsten Großchancen der Liga (neun), aber die fünftbeste Offensive. Die meisten Fouls pro Spiel (14,7), aber die wenigsten gelben Karten (14).
Eigentlich schreit alles danach, dass diese Überperformance langfristig nicht zu halten ist. Schaut man sich dennoch die Spielweise an, fällt auf, dass jene Überperformance dennoch auf einem stabilen Fundament basiert – buchstäblich. An ihrer Abwehr können die Unioner die meisten Teams der Bundesliga locker abprallen lassen und vorne mit Jordan Siebatcheu und Sheraldo Becker selbst gefährlich werden. Oder, wenn das nicht funktioniert, dann eben über einen Standard. Dadurch sind sie im Moment das Kryptonit der Bundesliga.
Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images
Die einzige Möglichkeit, Union beizukommen, ist ihre Spielweise zu spiegeln. Bereits in der Europa League taten sie sich gegen Royale Union Saint-Gilloise (0:1) und bei Sporting Braga (0:1) äußerst schwer – genauso wie am frühen Sonntagnachmittag in Bochum. Wenn sie das Spiel selbst machen müssen, stoßen die Köpenicker an ihre Grenzen – und fangen auch an, defensiv Geschenke zu verteilen. Das 1:0 der Bochumer entsprang einem Eckball, den Jordi Osei-Tutu durch eine Unachtsamkeit in der gegnerischen Hintermannschaft herausgeholt hat. Vor dem 2:0 wurde der FCU nach Art des eigenen Hauses ausgekontert.
De facto befindet sich Union im Titelrennen, auch wenn sie wahrscheinlich selbst davon nichts wissen wollen. Nach elf Spieltagen die Tabelle anzuführen, ist kein Zufall mehr und auch keine Momentaufnahme. Die Frage ist, wie lange ihr Lauf anhalten wird, angesichts der Tatsache, dass ihnen der wütende Münchener Stier jedes Wochenende in den Nacken schnaubt. Anders als beispielsweise Borussia Dortmund oder RB Leipzig hat Union auch nicht die Erwartungen und den Druck, in einer solchen Situation dem FC Bayern einen Titelkampf liefern zu müssen. Rein in der Bundesliga ist diese Saison – mal wieder – eine deutliche Verbesserung zur letzten, als Union zum gleichen Zeitpunkt mit 17 Zählern auf Platz 8 stand.
Auch die WM-Pause wird dahingehend zum Faktor werden: Viele Abstellungen haben die Köpenicker nicht. Die Frage ist, inwiefern es Urs Fischer gelingen wird, in den Trainingswochen den Rhythmus und die Spannung aufrechtzuerhalten, sodass Union am 21. Januar gegen die TSG Hoffenheim an die bisherige Saison anknüpfen kann. Unabhängig davon, ob Union die Sensation gelingt, haben sie dennoch etwas geschafft, was sich viele Zuschauer über die vergangenen Jahre gewünscht haben: Für Spannung und Abwechslung an der Tabellenspitze zu sorgen.
Photo by Matthias Hangst/Getty Images
Victor Catalina