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Bundesliga | Bayrisches Märchenwochenende, Dortmunder Alptraum und Heidenheimer Euphorie – Die Brennpunkte des 34. Spieltags

29. Mai 2023 | Spotlight | BY Victor Catalina

Spotlight | Das Saisonfinale dieser Bundesliga-Spielzeit hatte genug Drama für fünf Spieltage. Jamal Musiala macht den FC Bayern zum Meister, Borussia Dortmund versiebt die Jahrhundertchance – und der 1. FC Heidenheim ist im zweiten Versuch dabei. Die Brennpunkte.

1. Das (fast) perfekte Wochenende für den FC Bayern und Jamal Musiala

Am Ende haben sie es doch geschafft. Irgendwie, gerade so. Der FC Bayern München ist zum 33. Mal und elften Mal in Folge Deutscher Meister. Damit fällt nebenbei der Rekord des BFC Dynamo, der zwischen 1979 und 1988 zehnmal am Stück DDR-Meister wurde.

Ob es ein verdienter Titel ist, ist schwer zu sagen. Wenn, dann vor allem aufgrund der starken Hinrunde und dem Schlussspurt mit zehn Pflichtspielsiegen am Stück vor der Weltmeisterschaft. „Ich glaube, alle, die sich für den deutschen Fußball interessieren, haben unterschwellig bestimmt so ein Gefühl, dass wir es eigentlich nicht verdient haben – und das spreche ich auch offen aus. Ich verstehe es. Weil unsere Rückrunde auf und neben dem Platz so chaotisch war“, gab Thomas Müller nach dem Spiel offen zu.

Der Moment sei aber dennoch unglaublich. Wenn sich Verantwortliche, Spieler und Fans des FC Bayern am Freitag ein Wochenende hätten ausmalen müssen: an das, was sie bekamen, hätte in dieser Form kaum jemand gedacht. Zur Pause sah es so aus, als würde man den Meistertitel locker einstecken, bis höhere Mächte die Titelsuppe mit einer Prise 2001 würzten.

Parallelen gibt es genug. Die Mannschaft, die einen späten Gegentreffer kassiert, mit einem noch späteren zurückschlägt und im Anschluss, wie einst die Schalker, zu früh, aber dennoch zurecht feierte. Dass Jamal Musiala den Treffer machte, ist ein Stück weit die Gerechtigkeit des Fußballs. Vor allem er musste in dieser Saison, für sein Alter, enorm viel einstecken. Doppel-Pfostentreffer gegen Costa Rica bei der WM, Formschwäche, der verursachte Handelfmeter in Minute 94 gegen den SC Freiburg im DFB-Pokal, inklusive Diskussionen um die Aktion mit Christian Streich.

Bundesliga 1. FC Köln FC Bayern Jamal Musiala

Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images

Nun die große Erlösung. Wenig überraschend war er der Glücklichste unter allen Meistern. Bei der Feier auf dem Rathausbalkon bekam Jamal Musiala den größten Applaus. „Ich habe die Worte nicht, zu beschreiben, wie ich mich da gefühlt hab. Das war ein Wahnsinnsmoment und ich bin glücklich, dass wir die Meisterschaft gewonnen haben!“, so die Worte des Siegtorschützen.

Trotzdem gab es noch einen Schuss Wasser ins Meisterbier, in Form der Entlassungen von Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić, die gut eine Stunde nach dem Titelgewinn offiziell gemacht wurden. An sich sind die Entscheidungen vertretbar. So sehr beide für den FC Bayern und das Mia San Mia stehen, wirkten sie bisweilen überfordert mit der ihnen übertragenen Verantwortung. Wie es mit Kahn weitergeht, wird man sehen. Der Ex-Keeper soll seinem Spitznahmen als „Vulkahn“ gerecht geworden sein, als ihm die Entscheidung mitgeteilt wurde, weshalb er nicht nach Köln reisen durfte.

 

 

Salihamidžić ließ es sich derweil nicht nehmen, den Sonntag mit der Mannschaft zu verbringen, was für seine Verbundenheit zum Klub spricht – genauso wie die Umstrukturierung des Campus und Verpflichtungen von Toptalenten wie Jamal Musiala, Alphonso Davies oder Mathys Tel. Vielleicht ließe sich eine Rolle am Campus für ihn finden.

Vorerst aber steht für den FC Bayern das perfekte Ende einer alles andere als perfekten Saison.

2. BVB lässt sich vom Moment überwältigen – und vergibt die Großchance

Dass dieses Ende zustandekam, ist nicht zuletzt den Ereignissen gut 90 Kilometer nordöstlich von Köln geschuldet. Die erste halbe Stunde war für den BVB eine Fahrt durch die Geisterbahn. Andreas Hanche-Olsen (15′) und Karim Onisiwo (24′) brachten Mainz 05 2:0 in Führung. Zudem vergab Sébastien Haller vom Punkt (19′). Damit war Schwarzgelb der Stecker gezogen. Raphaël Guerreiro (69′) und Niklas Süle (90’+6) glichen zwar noch aus. Allerdings hatte man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass Borussia Dortmund aus eigener Kraft Meister werden könnte, sondern nur, wenn der 1. FC Köln mithilft.

Das taten sie zwar zwischenzeitlich, aber nicht genug. Letztendlich hatte Markus Söder nicht ganz Unrecht, als er sagte, der BVB sei „fast zu doof, um Meister zu werden“. In einer Saison, in der der FC Bayern rund 35 Saisontore nicht ersetzte, einen Weltstar aus Liverpool ohne klare Rolle für das Team holte, der sich dann auch noch physisch mit seinen Mannschaftskollegen angelegt haben soll. Einer Saison, in der der Torhüter und Kapitän ein Interview gegen den eigenen Verein gibt und am Ende Vorstandsvorsitzender und Sportvorstand entlassen werden. Und einer Saison, in der die Borussia am 34. Spieltag vor eigenem Publikum alles in der eigenen Hand hatte, im Wissen, die vergangenen beiden Heimspiele mit einer Tordifferenz von 11:2 gewonnen zu haben.

Photo by Alex Grimm/Getty Images

Dennoch reichte der geringste Druck in Form des Führungstreffers durch Kingsley Coman (8′) aus, um Schwarzgelb ins Wanken zu bringen. Ein ums andere Mal zeigte die Dortmunder Mannschaft, dass ihr in den entscheidenden Momenten Reife und Führungsqualitäten fehlen. Viermal übernahmen sie in dieser Saison die Tabellenführung, viermal gaben sie sie direkt am kommenden Spieltag wieder ab, teilweise auf groteskeste Art. Nach dem 1:3 gegen RB Leipzig war die Stimmung in München auf einem Allzeittief. Man war sich sicher, mit diesem Auftritt den Titel endgültig verspielt zu haben. Auch Thomas Tuchel klang auf der Pressekonferenz am Freitag wenig optimistisch. Freitagabend richtete Thomas Müller auf Instagram einen allerletzten Appell an den Fußballgott.

„Wenn die ganze Dortmunder Süd den Sieg will, musst du dem als Spieler auch erstmal standhalten. Wenn selbst ein Jürgen Klopp sagt, er ist nervös, dann wäre es das Normalste der Welt, wenn die Spieler auch nervös sind. Deshalb glaube ich schon, dass die Spieler diesen Druck auch spüren werden und darin liegt auch meine Hoffnung“, so der mittlerweile zwölffache Meister. Er sollte recht behalten.

Borussia Dortmund zeigte erneut Nerven und ließ sich von der Größe des Moments überwältigen. Damit vergaben sie eine Chance, die so schnell vermutlich kein weiteres Mal kommen wird. Planungen für die Meisterfeier waren sogar noch ein Stück weiter vorangeschritten als 2019. Selbst die originale Meisterschale stand im Signal-Iduna-Park. Alles war bereit, Borussia Dortmund war es nicht. Erneut nicht.

3. Aufstieg in die Bundesliga: Ein Märchen namens Heidenheim

„Wir waren ein Tor entfernt. Ab morgen sind es 34 Spieltage“, fasste Edin Terzic zusammen. An diesen 34 Spieltagen wird der SV Darmstadt 98 wieder einer der Gegner sein, genauso wie der 1. FC Heidenheim. In einem Finish, das dem der Bundesliga in wenig nachsteht, sprang die Mannschaft von der Ostalb von Platz 3 auf 1 und sicherte sich den Meistertitel, weil Darmstadt parallel 0:4 in Fürth unterlag. Jan-Niklas Beste (90’+3, Elfm.) und Tim Kleindienst (90’+9) drehten ein zwischenzeitliches 0:2 in Regensburg. 2020 verpasste Heidenheim in der Relegation gegen Werder Bremen nach Auswärtstoren den Aufstieg (0:0, 2:2). Diesmal funktionierte es.

Bundesliga 1. FC Heidenheim

Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images

Über mehr als 15 Jahre leisten Vorstandsvorsitzender Holger Sanwald und Trainer Frank Schmidt herausragende Arbeit, junge Spieler aufzubauen, die bei ihren alten Klubs keine Chance bekommen haben und bauen sie zu Leistungsträgern auf. Das alles in einer äußerst ruhigen Atmosphäre. Egal, ob es gut oder schlecht lief. Egal, ob man um den Aufstieg oder gegen den Abstieg spielte, Frank Schmidt stand nie zur Disposition – und darf sich nun Bundesligatrainer nennen.

Das alles ging jedoch zulasten eines großen Namens, der lange Zeit vor der Rückkehr in die Bundesliga stand: dem des Hamburger SV. Zwar reichte der frühe Führungstreffer von Jean-Luc Dompé (3′) zum Sieg beim bereits abgestiegenen SV Sandhausen, aber auch nur dazu. Wie vergangene Saison geht es in die Relegation, diesmal gegen den VfB Stuttgart. Bei all der guten Arbeit, die in Heidenheim geleistet wird, ist es ein Stück weit bedauerlich, dass es ausgerechnet den traditionsreichsten Klubs kaum gelingt, ihr Gewicht in Performances umzumünzen. Stuttgart, HSV und Schalke stehen in der ewigen Bundesligatabelle auf den Plätzen 4, 6 und 7. Der HSV ist Europapokalsieger, Schalke gewann 1997 den UEFA Cup. Mit ihren Namen, den Standorten und der Fangemeinde wäre so viel mehr möglich. Hamburg ist die zweitgrößte Stadt Deutschlands, stellt aktuell aber keinen Bundesligisten. Dafür das 50.000 Einwohner schwere Heidenheim an der Brenz. Die Absurdität des Fußballs. Genauso wie das Saisonfinale in der Bundesliga und 2. Liga.

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Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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