Champions League | Tottenham vs. Ajax – Der Traum lebt

30. April 2019 | Vorschau | BY Manuel Behlert

Vorschau | Es ist soweit, die Halbfinalspiele in der Champions League beginnen! Tottenham bekommt es im Duell zweier Teams, die man vielleicht nicht unbedingt im Halbfinale erwartet hätte, mit Ajax Amsterdam zu tun. Für beide ist die Saison schon jetzt ein voller Erfolg – doch das soll definitiv noch nicht das Ende sein.

Anpfiff der Partie ist am Dienstag, 21 Uhr, live auf DAZN (Registriere dich jetzt auf DAZN und erhalte einen Gratismonat).

Die letzte Runde: Überraschung Teil 1 und 2

Für die Tottenham Hotspurs ging es im Viertelfinale gegen Manchester City. Die Spurs befanden sich vor den Spielen in der Außenseiterrolle, wenngleich man durchaus damit rechnen konnte, dass der Klub aus dem Norden Londons über die Mittel verfügt den „Skyblues“ wehzutun. Und das gelang bereits im Hinspiel, in dem die Spurs sehr diszipliniert verteidigten, Manchester City phasenweise den Schneid abkauften und selbst immer wieder Akzente nach vorne setzen konnten. Eine Viertelstunde vor dem Ende erlöste Heung-min Son die Spurs und traf zum 1:0, das auch den Endstand im Hinspiel bedeutete. In Manchester sollte sich im Rückspiel dann eine packende Partie entwickeln, die alles bot, was ein Fußballspiel auf diesem Niveau so bieten kann.

Manchester City begann enorm aggressiv und fokussiert, wollte schnell treffen – und tat dies auch. Raheem Sterling brachte die „Skyblues“ bereits in der 4. Minute in Führung. Doch diese hielt nicht lange, denn erneut war es Son, der den Ambitionen der Cityzens einen Dämpfer verpasste, und zwar mit einem Doppelpack. Als Bernardo Silva und erneut der fantastisch aufspielende Sterling das Spiel erneut drehten, waren erst 21 Minuten gespielt. Nach dem 4:2 durch Agüero in der 60. Minute befand sich der Gastgeber bereits auf der Siegerstraße, ehe Llorente den Ball ins Tor wuchtete und die Spurs in Ekstase ausbrechen ließ. Ein 5:3 wäre in der Folge aber dennoch möglich gewesen, ein entsprechender Treffer wurde durch eine Abseitsposition aberkannt. Die Spurs zogen am Ende nach einer Schlacht über mehr als 180 Minuten in das Halbfinale ein.

(Photo by Michael Steele/Getty Images)

Ajax Amsterdam bekam es mit Juventus Turin zu tun und zeigte schon im Hinspiel, dass man wie schon gegen Real Madrid nur einen Weg kennt: Nach vorne. Ajax bespielte Juventus von Beginn an, zog seine gewohnten Passstaffetten auf und erspielte sich Gelegenheiten. Juventus zeigte sich aber gleichermaßen unbeeindruckt und effizient und erzielte durch Ronaldo den Führungstreffer, der allerdings von David Neres kurz nach der Pause ausgeglichen werden konnte. Wie schon gegen Real Madrid ging Ajax also mit einem Remis in das Rückspiel auf des Gegners Platz. Und wie schon gegen Real Madrid machte Ajax dies überhaupt nichts aus. Nach einer kurzen Anlaufzeit mit Vorteilen für Juventus, die im 1:0 durch Ronaldo resultierten legte Ajax die kurze Nervosität ab und traf schnell zum Ausgleich durch van de Beek. Die Kulisse, die Bedeutung dieses Spiels schien Ajax eher zu beflügeln als zu hemmen, denn auch in Turin knackte man die gegnerische Defensivreihe nahezu spielerisch. Umso überraschender war es, dass das entscheidende Tor zum 2:1 durch einen Standard fiel und nicht aus dem Spiel heraus erzielt wurde. De Ligt köpfte jedenfalls ein und nach dem 2:1 erholte sich Juventus nicht mehr, Ajax gelang ein historischer Moment.

Tottenham zwischen Highlights und Frustration

Abgesehen vom Weiterkommen gegen Manchester City in der Champions League verliefen die letzten Wochen für Tottenham nicht gerade ideal. Mit Harry Kane fehlt der Toptorjäger, gleichzeitig schwanken die Leistungen anderer Spieler. Vieles hängt von Eriksen und Son ab, die Spurs sind gerade in der Liga immer wieder leicht ausrechenbar, vor allem auswärts gelingt derzeit wenig. In den vergangenen 6 Ligapartien konnte das Team von Trainer Mauricio Pochettino nur 9 Punkte einfahren, die Niederlage vor heimischer Kulisse gegen West Ham am Wochenende schmerzt enorm, denn mit einem Sieg hätte man einen Riesenschritt in Richtung Champions League machen können. So steht man zwar weiter auf Platz 3, die Konkurrenz um Chelsea, Manchester United und Arsenal lauert aber dicht hinter den Spurs.

Dennoch muss man die Auftritte in der Liga isoliert betrachten, denn in der Champions League herrschen andere Voraussetzungen. Die Spurs haben in dieser Saison gezeigt, dass sie gegen jeden Gegner Mittel finden können und schon in der Gruppenphase tolle Moral bewiesen, als man schon fast ausgeschieden war, am Ende aber doch noch den Sprung in die K.O-Runde schaffte. Die Spiele gegen Dortmund, aber auch gegen Manchester City waren sinnbildlich für das Tottenham in dieser Saison. Man übersteht gerade international sehr häufig die Phasen, in denen der Gegner die Oberhand gewinnt, kann auf eben jene Phasen auch noch sehr gut reagieren und findet Lösungen. Lösungen, die man auch gegen Ajax Amsterdam finden muss. Und das wird schwer. Denn neben Harry Kane fehlt den Spurs auch noch Heung-min Son, der das Hinspiel gesperrt verpassen wird.

Pochettino muss umstrukturieren

Das bedeutet, dass Trainer Mauricio Pochettino wichtige Fragen zu klären hat. Die wichtigste ist die nach der Gestaltung des Offensivspiels. Ein zentraler Punkt wird dabei natürlich Christian Eriksen sein. Ihm muss es gelingen von der ersten Sekunde an die notwendige Präsenz auf dem Platz auszustrahlen und das Team anzuführen. Unterstützt wird er wohl von Erik Lamela und/oder Lucas Moura. Möglicherweise wird Pochettino nur einen dieser beiden Spieler aufstellen und in der Offensive auf den wuchtigen Fernando Llorente setzen, der die Bälle sehr gut festmachen und somit für Entlastung sorgen kann. Gegen ein aggressives Ajax könnte das Überspielen des Mittelfeldes mit langen Bällen ohnehin ein probates Mittel sein, zudem ist Llorente eine Waffe bei ruhenden Bällen, die wiederum Eriksen sehr gut hereingeben kann.

(Photo by Dan Istitene/Getty Images)

Doch nicht nur die Besetzung und Strukturierung der Offensive wird ein entscheidendes Element sein, sondern auch die Arbeit gegen den Ball und das Verhindern des Ajax-typischen Spiels wird eine große Aufgabe für die Spurs. Nun ist bekannt, dass Mauricio Pochettino seiner Mannschaft für gewöhnlich ein gutes Defensivkonzept mit auf den Weg gibt, das sowohl durch eine Vierer- als auch durch eine Fünferkette ausgeführt werden kann, aber Ajax wirkte bereits in manchen Phasen gegen Juventus so locker, so spielfreudig, dass selbst die defensivstarken Italiener an ihre Grenzen kamen. Daher wird es für Tottenham darauf ankommen die richtige Balance zu finden, möglicherweise auch während des Spiels die Systematik anzupassen, auf den Spielverlauf zu reagieren. Das könnte ein entscheidender Vorteil sein, denn Ajax verändert sein Spiel nur in Nuancen, wird keinen anderen Stil auspacken und nicht vom Idealtypus des klassischen Ajaxfußballs abweichen. Tottenham verfügt jedenfalls über die nötigen Mittel auch ohne zwei enorm wichtige Spieler Lösungen zu finden und Ajax gleichermaßen große Aufgaben zu stellen. Gelingt das, dann kann das Hinspiel aus Sicht der Gastgeber durchaus ein erfolgreiches werden.

Ajax: Alles kann, nichts muss

Wenn der niederländische Verband in der heimischen Eredivisie gleich einen ganzen Spieltag absagt um Ajax die Möglichkeit zu bieten ausgeruht in die Duelle mit den Tottenham Hotspurs zu gehen, dann weiß man in etwa wie bedeutend das Erreichen des Halbfinales in der Champions League ist – nicht nur für den Klub, sondern für die Liga insgesamt. Ajax hat geschafft, was niemand für möglich gehalten hätte und neben einer guten Gruppenphase auch in den K.O.-Runden furios aufgespielt. Real Madrid und Juventus in einer Saison zu schlagen und bei beiden Teams auswärts zu gewinnen ist ein Zeichen an die Konkurrenz – und auch ein Zeichen an die Spurs. Ajax schreckt vor nichts zurück, Ajax hat keine Angst vor großen Namen und Ajax spürt keinen allzu großen Druck. Nach dem Motto „alles kann, nichts muss“ wird die Mannschaft von Trainer Erik ten Hag auch in London, im neuen Stadion der Spurs, befreit aufspielen und zeigen wollen, dass man neben der jugendlichen Spielfreude und Unbekümmertheit auch schon über die Reife verfügt ein solches Spiel an sich zu reißen.

Die grundsätzliche Verfassung von Ajax ist als sehr gut zu bezeichnen. Die Mannschaft von Erik ten Hag hat nicht nur in der Königsklasse für Furore sorgen können, sondern auch in der Eredivisie eine Siegesserie vorzuweisen, die dafür sorgt, dass man zwei Spieltage vor Schluss punktgleich mit der PSV an der Tabellenspitze steht. Die Gesamtsituation bei Ajax ist also äußerst gut, auch die Transfergerüchte um Spieler wie Nicolas Tagliafico, Mathijs de Ligt, David Neres oder Hakim Ziyech beeinträchtigen die Mannschaft nicht. Auch Ausfälle von wichtigen Spielern wie Tagliafico und Mazraoui (musste früh ausgewechselt werden), dem Außenverteidigerduo, konnten in Turin kompensiert werden. Das zeigt, dass die Mannschaft in sich gefestigt ist und nicht nur von ihren Einzelspielern, sondern auch von einem System, das alle Spieler verinnerlicht haben, lebt.

Technik, Tempo, Ideen, Power

Und dieses System soll auch im Halbfinale der Schlüssel zum Erfolg sein. Ajax spielt im typisch niederländischen 4-3-3-System und denkt vor allem offensiv. Unter Erik ten Hag hat die Mannschaft noch einen Schritt nach vorne gemacht, der ehemalige Trainer der 2. Mannschaft des FC Bayern hat das Spiel auch nach den individuellen Stärken seiner Mannschaft ausgerichtet. Mathijs de Ligt übernimmt im Defensivzentrum wichtige Aufgaben im Aufbau, wird dadurch aber auch von Frenkie de Jong unterstützt, der im Mittelfeld viele Freiheiten genießt und ein enormes Spielverständnis mitbringt. Die Außenverteidiger unterstützen die Offensive, verfügen aber auch über ein gutes defensives Umschaltspiel, Schöne versucht das Spiel im Mittelfeld zu strukturieren, Lücken zu erkennen und zu schließen, während van de Beek sich immer wieder gerne in die Offensive einschaltet, die Räume besetzt, die durch die Spielweise der fluiden Dreierreihe zum Ziyech, Tadic und Neres frei werden.

(OLAF KRAAK/AFP/Getty Images)

Ajax kann sich hervorragend aus Drucksituationen befreien, können den Gegner geduldig bespielen, aber auch blitzschnell überrennen, wenn sich eine Chance bietet. Der Grundgedanke ist konstant angriffslustig, die Mannschaft zieht sich auch bei Führung nicht zurück und weicht nicht vom ursprünglichen Plan ab, sondern verfeinert diesen gegebenenfalls. Sollte man spielerisch nicht den nötigen Erfolg haben, so stehen mit Dolberg und Huntelaar immer noch klassischere Stürmertypen im Aufgebot, die man auch einmal mit einem hohen Ball füttern kann. In den Heimspielen in er Königsklasse, besonders gegen Real Madrid, merkte man aber auch, dass es Spiele und Phasen gibt, in denen Ajax Probleme mit der Chancenverwertung oder dem letzten Pass hat. Vereinzelt will die Mannschaft „in Schönheit sterben“ und lässt die letzte Konsequenz vermissen. Abgesehen davon macht es einfach nur Spaß Ajax Amsterdam in dieser Saison zuzusehen, dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Niederländer für die Spurs eine extrem harte Nuss darstellen werden.

Prognose

Das Duell zwischen den Spurs und Ajax Amsterdam wird nicht im Hinspiel entschieden, soviel steht fest. Die Spurs müssen die Ausfälle in der Offensive klug kompensieren und Lösungen finden, wie man mit dem vorhandenen Personal zu Torchancen und Toren kommen will, gleichzeitig die Stabilität in der Defensive aufrecht erhalten. Ajax wird das tun, was es immer tut, nämlich angreifen. Aber auch hier wird die Balance wichtig sein, die Gäste müssen vor allem auf den schnellen Moura oder Lamela aufpassen, sollten möglichst wenige gefährliche Standards verursachen. Ein Remis mit Toren wäre keine Überraschung – und für beide ein nicht komplett schlechtes Resultat.

Personal und Aufstellungen

Wie bereits angesprochen fehlen Mauricio Pochettino mit Son und Kane zwei enorm wichtige Spieler im Angriff, zudem muss der Trainer der Spurs auch noch auf den frisch operierten Harry Winks verzichten, Serge Aurier steht ebenfalls nicht zur Verfügung. Das A und O wird die defensive Absicherung sein, dementsprechend dürfte Mauricio Pochettino zu einer Fünferkette greifen. Mit einem massiven, gut organisierten Zentrum und laufstarken Spielern im Mittelfeld könnte Ajax ein wenig der Zahn gezogen werden, zudem blieben so noch Möglichkeiten zum Reagieren. Llorente ist definitiv auch eine Option, die von Beginn an in Erwägung gezogen werden dürfte.

Erik ten Hag muss auf die jungen Carel Eiting und Hassane Bandé verzichten, was aber kein allzu großes Problem darstellt. Ajax wird mit der Elf antreten, die in den wichtigen Spielen – sofern alle Spieler fit waren – von ten Hag regelmäßig ins Rennen geschickt wurde. Dann bestehen mit den bereits angesprochenen Dolberg und Huntelaar, aber auch mit Spielern wie Veltman oder Labyad entsprechende Möglichkeiten zum Reagieren.

Tottenham: Lloris – Trippier, Sanchez, Alderweireld, Vertonghen, Davies – Dier, Wanyama, Alli, Eriksen – Lucas

Ajax Amsterdam: Onana – Mazraoui, de Ligt, Blind, Tagliafico – Schöne, de Jong, van de Beek – Ziyech, Neres, Tadic

Manuel Behlert

 (Photo by Laurence Griffiths/Getty Images)



Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


Ähnliche Artikel