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BVB | „Den Bock umstoßen“ – mit Lucien Favre?

18. Oktober 2019 | Spotlight | BY 90PLUS Redaktion

Spotlight | Lucien Favre ist seit Juli des letzten Jahres Trainer des Ballspielvereins aus Dortmund. Auf den Tribünen machte sich nach wenigen Wochen das Gefühl breit, dass man den richtigen Trainer gefunden hätte. Doch mittlerweile häufen sich kritische Stimmen, Trainer Favre werden Fehler vorgeworfen. Die Stimmung in Dortmund ist längst nicht mehr so ausgelassen wie über weite Strecken der letzten Saison.

Ekstase und Probleme: Parallelen zu Peter Bosz

Die erfolgreiche Hinrunde der Saison 18/19 fühlte sich für viele BVB-Fans wie eine Erlösung an, nachdem man in der Rückrunde der Voraison unter Peter Stöger eher schwere Kost gewohnt war. Der absolute Höhepunkt der Hinrunde ereignete sich am 11. Spieltag, als man im heimischen Westfalenstadion den FC Bayern mit 3:2 verdient bezwingen konnte, auch das 4:0 gegen Atlético Madrid in der Champions League-Gruppenphase wird bei niemandem in Vergessenheit geraten.

Dieses Gefühl, endlich den richtigen Trainer gefunden zu haben, hatte man allerdings auch ein Jahr zuvor, als in der Anfangsphase unter Peter Bosz alles bestens lief und man nach 7. Spieltagen mit 19 Punkte an der Tabellenspitze stand. Dann folgte der Einbruch und die Ära Bosz endete nur 8 Spieltage später, als man zuhause gegen Werder Bremen verlor und die Hoffnung auf eine Trendwende endgültig aufgab. Damals war das Problem tief im Spielsystem verankert, ähnlich wie es jetzt auch der Fall ist. Immer wiederkehrende, berechenbare Fehler, die an keiner Spielanalyse eines kommenden Gegners vorbeigehen, sorgen für Punktverluste. Unter Bosz standen dabei das riskante Vorwärtsverteidigen, sowie die generell hohe Positionierung der Viererkette im Fokus. Das waren Fehler, welche zum Ende seiner Amtszeit beim BVB von nahezu jedem Gegner ausgenutzt wurden.

(Photo by PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images)

Das ist durchaus eine Parallele zu Lucien Favre. Es liegt keinesfalls ein Mangel an fußballerischem Sachverstand vor, sondern das Problem ist, dass die sich wiederholenden Fehler nicht abgestellt werden. Das endgültige Aus von Peter Bosz bei Borussia Dortmund vor etwa zwei Jahren wurde quasi schon beim 173. Revierderby gegen den Schalke 04 besiegelt, ein Spiel welches in der Presse anschließend als „Jahrhundertderby“ betitelt wurde. Diese 90 Minuten waren sinnbildlich für Bosz‘ Amtszeit beim BVB, nach einer Halbzeit der Ekstase folgte der katastrophale Einbruch, den kaum jemand für möglich gehalten hätte. Es folgte zwar keine direkte Entlassung nach dem 4:4 im Derby, doch die Basis für eine erfolgreiche weitere Zusammenarbeit wurde an diesem Abend irrereparabel zerstört.

Favre muss gegensteuern

Auch die Ansage, dass man mit Peter Bosz den „Bock umstoßen wolle“ und der Versuch eine öffentliche Trainerdiskussionen zu unterbinden halfen in dieser schweren Lage nicht. Peter Bosz wurde zwei Wochen nach dem Derby entlassen und Peter Stöger folgte. Peter Stöger wird wohl, obwohl er sich mit einem stark angeschlagenem BVB für die Champions-League qualifizierte, bei den meisten Fans wegen seiner unattraktiven Spielweise in eher negativer Erinnerung verbleiben. Während Peter Bosz krachend und unübersehbar scheiterte, deutet sich das etwaige Scheitern des aktuellen Trainers, Lucien Favre, eher schleichend an. So verlängerte man sogar noch im Juli diesen Jahres den Vertrag des Schweizers, obwohl einige Probleme schon seit Beginn des Kalenderjahres bekannt sind. Mit Lucien Favre auf der Trainerbank sieht es beim BVB auf dem Spielfeld momentan nicht derart unattraktiv aus wie unter Stöger, doch es ist sicherlich kein Zufall, dass Borussia Dortmund in den letzten drei Bundesligaspielen immer nach dem gleichen Muster Punkte liegen ließ. Es ist die Passivität und fehlende Gier, welche in Kombination mit einer wackeligen Abwehr und Konzentrationsschwierigkeiten in der Schlussphase zurzeit regelmäßig für Punktverluste sorgen. 

Photo by SASCHA SCHUERMANN / AFP)

So gab man in den letzten drei Bundesligaspielen insgesamt fünfmal eine Führung aus der Hand. Die Gegentore, welche die Punktverluste besiegelten, fielen gegen Eintracht Frankfurt und den SC Freiburg kurz vor dem Abpfiff, gegen Werder Bremen in der 55. Minute. Resultierend aus diesen Ergebnissen belegt man nach 8 Spieltagen, also beinahe einem Viertel der Bundesligasaison 2019/20, den 8. Tabellenplatz. Obwohl man nur 4 Punkte hinter dem aktuellen Tabellenführer steht, ist die Situation im Hinblick darauf, dass man vor dem Saisonstart die Meisterschaft als Ziel ausgerufen hat, nicht zufriedenstellend.

Eine Fehleranalyse der letzten Spiele fällt recht einfach aus. Man ließ sich, je näher man dem Abpfiff entgegenkam, immer mehr unter Druck setzten anstatt selbst die Initiative zu ergreifen. So wurde die Verteidigung kaum entlastet und man ließ am Boden liegende Gegner wieder ins Spiel kommen. Dieses immer wiederkehrende Fehlverhalten ist momentan die einzig erkennbare Konstante des Ballspielvereins. Die Leistungen schwanken extrem, so musste man im September eine 1:3-Niederlage gegen Aufsteiger Union Berlin hinnehmen, und konnte auch einen 4:0-Sieg gegen Bayer Leverkusen, aktuell übrigens von Peter Bosz trainiert, verbuchen.

Ebenfalls erwähnenswert ist ein Unentschieden gegen den FC Barcelona – in einem Spiel, das man eigentlich gewinnen muss. Diese extreme Inkonstanz ist ebenfalls seit dem Beginn des Kalenderjahres vorhanden, so verspielte man in der Rückrunde einen großen Vorsprung auf den FC Bayern München. Am 28. Spieltag der letzten Saison ging man mit 5:0 (!) in München unter, drei Wochen später verlor man zuhause gegen einen kriselnden FC Schalke 04 mit 2:4. Lucien Favre resignierte nach diesem Spiel und sagte, dass die Meisterschaft gelaufen sei. Die Aussage wurde später von Lucien Favre selbst, sowie Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc revidiert, lässt allerdings trotzdem tief blicken.

Favre mit gutem Punkteschnitt

Eine Person, die das Privileg besitzt die Trainerposition von Borussia Dortmund zu besetzen sollte über ein Mindestmaß an Ambition verfügen und eine deutsche Meisterschaft nicht aufgeben, solange es rechnerisch noch möglich ist. Am Tag der Derbyniederlage hat die Außendarstellung von Lucien Favre einen neuen Tiefpunkt erreicht und diverse Diskussionen ausgelöst. Trotz dieser Niederlagen muss man Lucien Favre zugute halten, dass er mit dem BVB einen Punkteschnitt von 2,09 vorweisen kann. Mit diesem Punkteschnitt steht er knapp hinter Thomas Tuchel (2,12) und sogar vor Jürgen Klopp (1,90). Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Zielsetzung und Kaderqualität in dieser Saison eine andere ist.

 (Photo by Ina FASSBENDER / AFP)

Das Ziel deutscher Meister zu werden wurde zu Saisonstart so deutlich wie noch nie kommuniziert und dementsprechend wurde auch investiert. Lucien Favre äußerte sich allerdings verhalten, was die Zielsetzung angeht, Einigkeit herrschte nicht wirklich. Ebenfalls ist negativ aufgefallen, dass der Kapitän des BVB, welcher sich vor dem Saisonstart klar zu dem Ziel deutscher Meister zu werden bekannt hat, sich nach einem Unentschieden gegen den SC Freiburg darüber beklagt, dass man es nicht geschafft habe den „Sieg über die Zeit zu bringen“. Diese Aussage von Marco Reus ist sinnbildlich für die aktuellen Probleme des BVB. Ansonsten fallen oft die typischen Phrasen, wie „man müsste es nächste Woche besser machen“ oder „man hätte einfach Pech gehabt“. Dass ein Lucien Favre nach dem Unentschieden gegen Frankfurt sagt, dass man gut gespielt habe, zeigt offensichtlich, dass weder Trainer, noch Mannschaft das Problem richtig verstanden haben. 

Sondierung des Trainermarkts

Die Führungsetage des BVB wird den Trainermarkt sondieren müssen, wenn Lucien Favre die Probleme nicht in den Griff bekommen sollte und man weiterhin an den hohen Saisonzielen festhalten will. Gute Alternativen zu Lucien Favre sind allerdings rar. Die Wunschlösung vieler Fans wäre Florian Kohfeldt vom Ligakonkurrenten Werder Bremen, dieser hat allerdings erst vor kurzem seinen Vertrag bis 2023 verlängert und wird Werder Bremen nicht in naher Zukunft verlassen. Verfügbar hingegen wäre José Mourinho, welcher jeder Person, die sich in den letzten Jahren auch nur annährend mit Profifußball auseinadergesetzt hat, ein Begriff sein sollte.

Hans-Joachim Watzke und José Mourinho kennen sich seit Jahren und der Geschäftsführer des BVB ließ sich vom Portugiesen sogar zu möglichen Transferzielen beraten. Ob José Mourinho zum BVB passen würde ist allerdings mehr als fraglich, zumal der Portugiese auf ein Engagement in England oder sogar bei Real Madrid spekulieren soll. Der Kader wurde im Sommer qualitativ nach Favre’s Wünschen aufgebessert und passt definitiv nicht zu José Mourinhos destruktiver Art Fußball spielen zu lassen. So verzichtete man, auf den von vielen Fans gewünschten, bulligen Stürmer und hielt an den eher spielerisch orientierten Lösungen Mario Götze und Paco Alcácer fest. Eine Anstellung von José Mourinho könnte beim BVB eine tiefe Identifikationskrise auf dem Spielfeld auslösen und wäre sicherlich keine Garantie für Verbesserung der Ergebnisse.

Über ein mögliches Engagement von José Mourinho bei Borussia Dortmund schrieb bis jetzt nur Freddie Röckenhaus im Mai diesen Jahres folgendes: „Aber inzwischen wabern Gerüchte durch Dortmunds VIP-Treffs, Namen von Trainern wie André Villas-Boas oder gar José Mourinho werden über die Pilsgläser geraunt. Spinnereien sind das nicht.“. Im Mai wurden diese Aussagen trotzdem eher als Spinnerei wahrgenommen, schließlich wirkte die Führungsetage nicht unzufrieden mit der Arbeit von Lucien Favre. Freddie Röckenhaus beschäftigt sich schon seit mehreren Jahrzehnten mit Borussia Dortmund, galt zuletzt aber nicht als unumstritten. Dennoch führte er erst vor wenigen Tagen ein Interview mit Hans-Joachim Watzke, das ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht worden ist.

Zu Lucien Favre äußerte sich der Geschäftsführer des BVB in dem Interview weder positiv, noch negativ. Was allerdings weiterhin an oberster Stelle steht, sei das Ziel in dieser Saison deutscher Meister zu werden, dazu gehören nun mal auch ein paar weniger ansehnliche Spiele, sagte Watzke. Und José Mourinho steht nun einmal für Ergebnisse. Ob der BVB mit Lucien Favre noch den Bock umstoßen wird, ober der Portugiese tatsächlich irgendwann an der Seitenlinie im Westfalenstadion stehen wird, wird die Zukunft zeigen.

Simon Lüttel

(Photo by Michal CIZEK / AFP) 


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