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Der BVB zwischen Euphorie und Real Madrid

24. September 2017 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Ja, Peter Bosz und die Neuzugänge haben sich bei Borussia Dortmund zu Saisonbeginn sehr gut eingelebt. Ja, Borussia Dortmund steht zurecht mit 19:1 Toren und 16 Punkten auf Platz 1 der Tabelle in der Bundesliga. Ja, Borussia Dortmund spielt anschaulichen Fußball und wird ein Konkurrent des FC Bayern sein, wahrscheinlich über die gesamte Saison hinweg. 

Die Fans des BVB dürfen diese Situation absolut genießen, aber gleichzeitig nicht vergessen, dass noch nicht alles Gold ist, was glänzt. Dortmund geht konsequent einen Weg, von dem man sich Erfolg verspricht. Dass es dabei auch kleine Rückschläge geben kann, kalkuliert man bewusst ein.

Pressing und Spielfreude

Zu Beginn der Saison war bereits sehr schnell erkennbar, was Peter Bosz von seinen Spielern verlangt. Im 4-3-3 pressen die drei Angreifer sehr hoch, stören den Gegner früh und aggressiv. Unterstützt werden sie dabei von den zwei offensiveren Spielern im zentralen Mittelfeld, die sich auf den Halbpositionen nach vorne schieben, für Überzahl sorgen. Der 6er sichert ab, die Außenverteidiger haben die Aufgabe, das Spiel so breit wie möglich zu machen. In vielen Fällen geht genau das auch schon auf, Dortmund provoziert Fehler und kann dann mit vielen Spielern den Ballgewinn nutzen.

Beeindruckend ist vor allem die Qualität in der Breite beim BVB. Pulisic, Aubameyang, Philipp, Yarmolenko und die derzeit verletzten Schürrle und Reus für die Offensive, Weigl, Sahin, Castro, Dahoud, Götze und Rode für das Zentrum und in der Hinterhand hat man auch noch die flexiblen Kagawa und Guerreiro, zudem Talente wie Isak und Larsen. Dortmund will Tore schießen, jeder Spieler will sich zeigen und aufgrund dieser Breite ist es Bosz immer möglich, eine sehr ähnliche Struktur auf dem Platz zu haben.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Peter Bosz ließ in der vergangenen Saison schon bei Ajax einen sehr guten Offensivfußball spielen, der ideal zur Mannschaft passte. Dortmund präsentiert sich bisher auch in Spiellaune, die Automatismen funktionieren, der offensive Spielstil wurde auch von Vorgänger Tuchel gerne genutzt, wenngleich Bosz seine eigenen Anpassungen vornahm und an diversen Stellschrauben gedreht hat. In den ersten Saisonspielen gab es viele schöne Kombinationen zu bestaunen, die nicht selten in Toren endeten.

 

Erstaunlich hohe Intensität

Ein weiterer Faktor, der es erschwert, den BVB lahmzulegen ist die Intensität im Spiel. Dortmund geht konsequent hohes Tempo, kann für müde Spieler immer Qualität nachlegen und bewies bisher Geschick in der Rotation. Die große Breite im Spiel, die durch die Außenverteidiger generiert wird, ist für Ballbesitzmannschaften eigentlich eher ungewöhnlich. Die Flügelspieler beim BVB rücken nicht konsequent ein (wird klug durch die offensiven 8er kaschiert), die Außenverteidiger übernehmen gerne auch mal den Aufbau und stehen insgesamt im Verhältnis eher tief.

(Photo by Dan Mullan/Getty Images)

Ebenfalls auffällig ist, dass die eher tiefen Außenverteidiger, wenn sie im Aufbau eingebunden werden, den Gegner zum Verschieben bewegen sollen. Dadurch entsteht die Möglichkeit einer Spielverlagerung und es entstehen Räume. Dass immer alle in Bewegung sind, ist ein elementarer Faktor, damit die Offensivmaschinerie läuft. Der Gegner muss 90 Minuten konsequent verteidigen, hochkonzentriert agieren und Fehler vermeiden. Funktioniert das nicht und der BVB kommt ins Rollen, passiert genau das, was Gladbach beim 1:6 am Wochenende passiert ist.

Technische Fähigkeiten und Variantenreichtum

Auch wenn schon vieles sehr gut funktioniert, befindet sich die Borussia noch in einer Entwicklungsphase. Die Mannschaft wurde in den letzten Transferperioden verändert, kluge Verpflichtungen wurden getätigt. Spieler wie Dahoud oder Philipp haben überragende Anlagen, müssen aber in Dortmund lernen, diese auch konstant abzurufen. Denn der Angriffsfußball lebt von dieser Konstanz. Die technischen Fähigkeiten, die eigentlich jeder Offensivspieler hat, sind unabdingbar. Pässe müssen präzise gespielt, Laufwege koordiniert und Angriffsstrukturen eingehalten werden.

Der Vorteil ist dabei wieder einmal die Breite. Selbst unter Berücksichtigung des fast schon traditionellen Verletzungspech des BVB könnten jederzeit neue Akzente gesetzt werden, man kann sogar vom 4-3-3 abrücken, auch wenn Bosz das in den bisherigen Pflichtspielen noch nicht tat. Allerdings testete Bosz in der Vorbereitung ein 5-2-3-System, das seiner grundsätzlichen Systematik nicht unähnlich ist. So behält man eine Struktur bei, ändert aber offensiv und defensiv Details, besetzt das Zentrum anders und hat zur Absicherung immer eine fixe Dreierkette.

Kleinere Konstanzdellen

Natürlich erwartet niemand von Borussia Dortmund, dass die Mannschaft jeden Gegner in Grund und Boden spielt. Bei all der – verständlichen – positiven Berichterstattung muss man aber auch die Phasen erwähnen, in denen Dortmund nicht gut zurechtkam. In Freiburg tat man sich nach dem Platzverweis der Hausherren schwer, kreierte zu wenig klare Torchancen und spielte im Endeffekt 0:0, auch wenn man enorm viel Ballbesitz hatte. Freiburg agierte clever, bot Dortmund nahezu keine Räume, stellte aber auch die eigenen Offensivbemühungen ein, sodass kaum Gefahr bestand, dass die Borussen dieses Duell verlieren.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Das Spiel in der Champions League bei den Tottenham Hotspurs ist ebenfalls anzuführen. Dortmund rotierte fünfmal, besetzte die so wichtige Doppel-8 neu, die Dynamik im Offensivspiel veränderte sich. Tottenham stand gegen den Ball sehr tief, verteidigte vielbeinig, aber agierte defensiv sehr clever. Die Handschrift von Mauricio Pochettino war zu sehen, ebenfalls die Probleme des BVB. Das 5-3-2 der Spurs sollte das Mittelfeldzentrum verdichten, gleichzeitig wollten die Engländer Dortmund im eigenen Ballbesitzspiel wenig Zeit geben und situativ pressen. Das gelang auch sehr gut, beide Mannschaften hatten Ballgewinne im Pressing.

Dortmund musste häufig auf die Außen ausweichen, das Kombinationsspiel kam nicht zustande, auch weil die Räume sehr eng und schwer zu besetzen waren. Die Spurs spielten geradlinig nach vorne, attackierten Rückpässe des BVB aggressiv und nutzten die kleinen Schwächen, die offenbart wurden, eiskalt aus. Die Konterverteidigung funktionierte einfach nicht optimal, teilweise reichte ein simpler langer Ball aus, um Dortmund vor Probleme zu stellen. Das Spiel hatte natürlich auch einen Lerneffekt für die Spieler und für Bosz, der das in der Nachbesprechung detailliert aufgeführt haben dürfte.

Konzentration als oberstes Gebot

Schnell umschalten kann auch Real Madrid, gut verteidigen sowieso. Auch wenn die Spanier mit Personalproblemen zu kämpfen haben und zumindest Benzema und Marcelo gegen Dortmund ausfallen werden, ist der Gegner aus Spanien wohl das Beste, was man derzeit in Europa bekommen kann. Real hat eine kleine Formschwäche, der Saisonstart war nicht gut und auch am Wochenende in Alaves gewann man nur mit 2:1, aber große Mannschaften können in großen Spielen immer große Leistungen abrufen. Und das Spiel am Dienstag ist ein großes Spiel.

Borussia Dortmund wird hochkonzentriert verteidigen müssen. In der Bundesliga gelang das bisher meistens sehr gut, auch weil die Gegner mitunter aufgrund des hohen Drucks des BVB nicht den Mut hatten, konsequent und mit vielen Spielern umzuschalten. Die Lücken, die Dortmund am Wochenende gegen Gladbach offenbarte, wurden weitgehend nicht bestraft, könnten gegen Real aber tödlich sein. Die Konter des Hecking-Teams wurden schlampig zuende gespielt und so wurden einige Gelegenheiten ausgelassen. Am überzeugenden Sieg dass BVB hätte das wahrscheinlich nichts geändert, aber diese Szenen sollte Bosz im Hinterkopf behalten und noch einmal an seine Spieler appellieren, dass das gegen Real Madrid nicht vorkommen darf.

Man kann Real wehtun

Real Madrid kommt mit dem Selbstverständnis gleich zweier Titelgewinne in der Königsklasse und will den „Dortmund-Fluch“ endlich geraderücken. In den letzten Jahren tat sich Real sehr häufig gegen Dortmund schwer, konnte zahlreiche Spiele nicht gewinnen. Dortmund ist in der Lage, Real Madrid das eigene Spiel aufzuzwingen, muss sich aber vorher festlegen, wie hoch man das Risiko ansetzen will. Steht man wie gegen Tottenham teilweise 50-60 Meter vor dem eigenen Tor, offenbart man Räume, die gerade bei der Geschwindigkeit von Gareth Bale und der Technik eines Kroos oder Modric blitzschnell geschlossen werden müssen.

(Photo by PIERRE-PHILIPPE MARCOU/AFP/Getty Images)

Die eigene Offensive bereitet definitiv eher weniger Sorge. Die Mannschaft ist im Rhythmus, kein (!) Offensivspieler hat mit einer Formschwäche zu kämpfen und auch die Neuzugänge Philipp und Yarmolenko harmonieren sehr gut mit ihren Mitspielern. Die Homogenität ist gewährleistet, Peter Bosz hat die Qual der Wahl, wie er aufstellen soll. Die Gefühlslage in Dortmund ist durchweg positiv, die Fans sind elektrisiert von den vergangenen Vorstellungen der Mannschaft, die Vorfreude auf das Spiel ist riesig. Doch einen kleinen Haken gibt es noch.

Extrem wichtiges Spiel

Denn: Die Gruppe des BVB ist extrem schwer, das Heimspiel gegen Real Madrid sollte, wenn man Platz 2 erreichen will, zumindest nicht verloren werden. Tottenham dürfte parallel keine großen Probleme mit APOEL haben, ist auch beim Rückspiel in Dortmund kein krasser Außenseiter. Natürlich werden sich Real und Tottenham gegenseitig Punkte wegnehmen, aber Dortmund hat auch Ambitionen, die es auf dem Platz zu bestätigen gilt. Die Borussia hat womöglich erstmals etwas zu verlieren, gerade weil man weiß, dass Real Madrid zu knacken ist, wenn alles passt.

Doch was ist, wenn nicht alles passt und das Spiel verloren wird? Für die Gesamtentwicklung ist das mitnichten dramatisch. Die Gruppe ist eine, in der man durchaus ausscheiden kann, auch wenn man international zu den absoluten Topteams zählen will. Für die nationalen Wettbewerbe ändert eine etwaige Niederlage überhaupt nichts, Dortmunds Entwicklung ist positiv, den Saisonstart nimmt dem Klub niemand mehr. International hätte man, wir bleiben im Konjunktiv, Druck. Gegen APOEL Nicosia müssten zwei Siege her, danach muss man versuchen, Tottenham im direkten Vergleich zu bezwingen. Deswegen ist dieses Spiel gegen Real Madrid so wichtig.

Der Weg ist der richtige

Zusammenfassend kann man sagen, dass man durchaus den Hut vor dem Saisonstart des BVB ziehen sollte. Die Mannschaft, der Trainer und auch die Verantwortlichen wissen ganz genau, dass dieser Start nur ein Mosaikstein ist und dass die Entwicklung nun weitergehen muss. Auch in der Bundesliga werden Rückschläge folgen, die man gut verarbeiten muss. Die Akribie, mit der Bosz sein System implementiert, ist beeindruckend und die Spiele gegen Mannschaften wie Real Madrid, den FC Bayern, auch RB Leipzig und gegebenenfalls die TSG Hoffenheim werden zeigen, wie der BVB unter Druck agieren kann, wie man gegebenenfalls darauf reagiert, in bestimmten Phasen unterlegen zu sein, weniger Ballbesitz zu haben aus der Gegner. Das werden entscheidende Momente in der Saison des BVB. Vor Real Madrid sieht es jedenfalls gut aus. Dortmund ist zurecht selbstbewusst. Man wird sehen, ob das ausreicht, um letztlich etwas mitzunehmen.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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