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FC Bayern | Transfersommer, „Robbery“ und was geht in der Champions League?

7. September 2018 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Wer in diesem Sommer eine Transfergroßoffensive des FC Bayern München erwartete, der wurde enttäuscht. Der Rekordmeister gab kein Geld für Spielerneuzugänge aus, veränderte sich allerdings auf der Trainerbank und verpflichtete Niko Kovac. Zum Saisonstart sind naturgemäß viele Fragen unbeantwortet: Kann der FC Bayern im Konzert der Großen mithalten? Wie gut ist die Kaderzusammensetzung wirklich?

 

Diesen und vielen weiteren Fragen rund um den FC Bayern München gehen wir mit Justin Kraft vom bekannten Bayern-Blog „miasanrot.de“ detailliert auf den Grund!

 

Ruhiger Sommer

90PLUS: Die Sommertransferperiode ist vorüber und wer dachte, dass der neue Trainer Niko Kovač einige neue Spieler verpflichten würde, hat sich getäuscht. Leon Goretzka kam vom FC Schalke 04, dieser Neuzugang stand aber bereits fest, bevor Kovač beim Rekordmeister Thema wurde. Ansonsten wurden lediglich Serge Gnabry und Renato Sanches von ihren Leihen zurückgeholt. Wollte Niko Kovac keine Ergänzungen oder glaubst du, dass sein(e) Wunschspieler nicht verfügbar waren oder die anderen Entscheidungsträger nicht einverstanden waren?

Justin Kraft: Ich kann mir gut vorstellen, dass Kovač nicht an weiteren Zugängen interessiert war, solange es keine schwerwiegenden Veränderungen im Kader geben würde. Wäre Boateng noch gegangen, hätte der FC Bayern ihm sicherlich einen weiteren Spieler kaufen müssen. So ist Kovač allerdings zu Recht zufrieden mit dem, was er hat. Gegen Real Madrid haben diese Spieler bewiesen, dass sie auf Augenhöhe mit Europas Spitze sind. 

 

90PLUS: Juan Bernat, Sebastian Rudy und Arturo Vidal haben den Verein verlassen, damit ist der Kader durch die 3 „Neuzugänge“ im Prinzip genauso groß wie in der abgelaufenen Saison. Serge Gnabry soll die Offensive entlasten, Goretzka im Mittelfeld sukzessive wachsen und Renato Sanches überhaupt erst einmal richtig in München ankommen. Fehlt dir ein Toptransfer in diesem Sommer? Und wie würdest du den Abgang von Juan Bernat analysieren, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Rafinha nun den Backup für beide Außenverteidigerpositionen geben muss?

J. Kraft: Über Bernats Wechsel wäre ich zu Beginn der Vorbereitung nicht überrascht gewesen. Dass jetzt alles so spontan passierte, macht mich allerdings etwas skeptisch. Zumal Bayern keinen Ersatzspieler geholt hat, der für die hohen Ansprüche vermutlich besser gewesen wäre. Allerdings scheint Kovač tatsächlich überzeugt von einigen Jugendspielern zu sein. Wenn er auf der Außenverteidiger-Position vielleicht das eine oder andere Mal einen jungen Spieler einsetzt, wäre das eine coole Sache. Rafinha und Kimmich waren jetzt auch nicht die verletzungsanfälligsten Spieler des Kaders, ein gewisses Risiko lässt sich aber nicht leugnen.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Ein Top-Transfer muss nicht zwingend jede Saison sein. Es ist ja sowieso die Frage, wie man diesen Begriff definiert. Mit Goretzka hat Bayern einen Spieler geholt, der jetzt nicht unbedingt schlechter als Tolisso ist. Lediglich die Ablösesummen trennen beide. Auf der Außenbahn wäre jemand wie Martial sicherlich spannend gewesen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass einerseits Manchester United kein Interesse daran hatte, ihn abzugeben und andererseits Bayern nicht bereit war, eine absurde Ablösesumme zu bezahlen. Dass der Klub da konsequent ist, finde ich gut. In den nächsten Jahren winkt durch das nahende Karriereende von „Robbery“ ohnehin eine viel bessere Verhandlungsposition mit jungen Flügelspielern. 

 

„Robbery“

90PLUS: Das Thema „Robbery“ beschäftigt die Fans des FC Bayern München intensiv, beide verfügen nicht mehr über ihr einstiges Leistungsvermögen, die Verträge wurden dennoch verlängert. Serge Gnabry ist offensiv flexibel einsetzbar, mit Alphonso Davies kommt ein hochveranlagter Spieler im Winter. Hättest du dir einen zusätzlichen Offensivtransfer in diesem Sommer gewünscht, speziell nach der Verletzung von Kingsley Coman?

J. Kraft: Ich hätte mir im Laufe der letzten Saison gewünscht, dass der FC Bayern bereits den Abgang eines Spielers vorbereitet. Allerdings kann ich mich auch nicht mit dem Drama anfreunden, das um die Beiden gemacht wird. Ihr Niveau ist um einiges gesunken, das stimmt. Ribéry denkt beispielsweise immer noch, dass er 25 ist, und verliert deshalb sehr viele Bälle. Robbens Einfluss auf das Spiel ist sogar massiv gesunken. Trotzdem reicht das Niveau der beiden „alten Herren“ immer noch locker für die Bundesliga und einen großen Teil der Champions League. Ich möchte daran erinnern, dass Ribéry gegen Real Madrid durchaus zwei gute Spiele gemacht hat – jeweils bis die Müdigkeit einsetzte. 

Der FC Bayern hat sich nun mal für „Robbery“ entschieden, und das kann man nachvollziehen. Ein Grund für die Entscheidung könnte sein, dass sie auf dem Markt keine Alternative gesehen haben. Wahrscheinlich ist auch, dass man verdiente Spieler nicht gegen ihren Willen vom Hof jagen möchte. Mit Gnabry und Coman hat man zwei sehr gute Spieler in der Hinterhand. Oft wird vergessen, dass Müller und James als einrückende Flügelspieler durchaus zu gebrauchen sind. Eine asymmetrische Aufstellung, bei der ein echter Flügelspieler links aufläuft, Kimmich rechts die Breite gibt und Müller oder James einrücken, ist eine Option, mit der ich in vielen Spielen leben könnte.

(Photo by Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Es wäre ein Faustschlag für Coman und Gnabry, aber auch für den jungen Davies gewesen, wenn man aus Panik nach der Coman-Verletzung noch einen Flügelspieler geholt hätte. Ich halte von diesen Panikkäufen nichts – gerade auf diesem Markt. Daher glaube ich, dass der FC Bayern die hohen Summen dann bezahlen wird, wenn er von einem oder zwei Spielern ausreichend überzeugt ist. Das könnte schon nächsten Sommer der Fall sein. Dass der Klub sich dabei nicht aus der Ruhe bringen lässt, ist absolut richtig. Robben und Ribéry werden schlechter gemacht, als sie sind. Bei aller berechtigten Kritik.

 

90PLUS: Noch einmal „Robbery“: Niko Kovač hinterlässt in seinen ersten Wochen einen sehr guten Eindruck, vor allem in den Interviews klingen seine Aussagen durchweg durchdacht. Bisher spielten Ribéry und Robben regelmäßig, beide wissen offenbar, dass sie in dieser Spielzeit häufiger auf der Bank sitzen werden, gerade wenn alle Spieler fit sind. Glaubst du, dass Kovač der richtige Mann ist, um diese Situationen zu moderieren, gerade wenn Robben und Ribéry in mehreren Topspielen auf der Bank sitzen müssen?

J. Kraft: Wie er damit in den ersten Wochen umgegangen ist, hat mir sehr imponiert. Wenn ich Niko Kovač eines von Anfang an zugetraut habe, dann ist es die Moderation des Kaders. Seine Außendarstellung und seine Ruhe machen sich direkt bezahlt. Spannend wird es allerdings erst, wenn die Bayern mal eine schwierige Saisonphase haben, und Kovač seine ersten Fehler macht. Jeder Mensch trifft irgendwann eine falsche Entscheidung. Dann wird sich zeigen, wie gut er wirklich ist. Doch ich bin guter Dinge, dass er als Mensch und in seiner Führung eine großartige Persönlichkeit ist, die mit den Stars des FC Bayern umgehen kann. 

 

Frühform?

90PLUS: Der Saisonauftakt verlief auch hinsichtlich der Resultate positiv, das Spiel in Stuttgart war in der 2. Halbzeit phasenweise extrem gut. Hattest du diese gute Frühform erwartet? Und welche Rückschlüsse kannst du aus den ersten Wochen unter Kovač ziehen? 

J. Kraft: Ich hatte schon gegen Hoffenheim in der ersten Halbzeit das Gefühl, dass sich da richtig was entwickeln könnte. Die Mannschaft überzeugte mich bis jetzt. Tatsächlich hatte ich damit nicht gerechnet. Skepsis, dass er gerade im taktisch-strategischen Bereich nicht der richtige Mann sein könnte, war und ist bei mir vorhanden. Auch hier stimmen mich die ersten Pflichtspiele aber positiv.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Mein Gefühl sagt mir mittlerweile, dass Kovač das gesunde Mittelmaß aus Guardiola und Ancelotti repräsentiert. Während Guardiola seine Spieler so sehr forderte, dass einige von ihnen nach drei Jahren froh waren, sich etwas entspannen zu können, war Ancelotti jemand, der seine Spieler an der zu lockeren Leine hielt. Kovač wirkt taktisch fit, und hat gerade in der Menschenführung großartige Qualitäten. Guardiola hat fußballerisch etwas aufgebaut, wofür den Spielern unter Ancelotti plötzlich das nötige Werkzeug fehlte. Wenn Kovač nur die Hälfte dieses Werkzeugs wieder zurückbringen kann, ist viel gewonnen. Dann traue ich den Bayern viel zu.

 

Champions League

90PLUS: Die Auslosung zur Champions League ergab für den FC Bayern eine vergleichsweise leichte Gruppe mit Benfica, Ajax und AEK Athen. In der Vorrunde dürfte die Kovač-Elf also eher nicht bis zum Äußersten gefordert werden, der Gruppensieg ist Pflicht. Wie empfindest du diese Gruppe und welche Ziele würdest du für den FC Bayern in der kommenden Europapokalsaison ausrufen?

J. Kraft: Ich sehe es natürlich auch so, dass der Gruppensieg Pflicht ist. Trotzdem glaube ich, dass diese Mannschaften den Bayern einiges abverlangen werden. Ajax ist eine sehr spielstarke Mannschaft, die gerne den Ball hat. Für die Münchner ist das natürlich ein Traumszenario. Allerdings sollte diese spielerische Stärke nicht unterschätzt werden. Gerade bei Ballverlusten, für die der FCB aktuell immer mal wieder gut ist, könnte Ajax sehr gefährlich werden.

Benfica war in dieser Dekade immer eine schwer zu bespielende Mannschaft. Die beiden engen Viererketten verschieben sie sehr clever. Kovač wird in Ballbesitz einige Lösungen anbieten müssen, damit seine Spieler genügend Vertikalität ins Spiel kriegen. Von Athen habe ich bis jetzt noch nicht viel gesehen. Fakt ist, dass die Bayern sich auch diesen Gruppensieg erst hart erarbeiten müssen. Geschenkt wird ihnen nichts – klarer Favorit sind sie trotzdem.

Das Ziel der Bayern ist es, in Europas Spitze zu bleiben, sich konkurrenzfähig zu zeigen. Ich halte in der Champions League aber wenig davon, das am Erreichen einer bestimmten Runde festzumachen. Mit etwas Pech bekommen die Münchner im Achtelfinale bereits ein Top-Team zugelost. Je nach Auslosung bin ich aber schon zufrieden, wenn Bayern mal wieder einen direkten Konkurrenten schlagen könnte. Dazu zähle ich nicht nur die Spanier, sondern auch Juventus, Manchester City oder Paris.

 

90PLUS: Der FC Bayern München hat sich, wie bereits analysiert, auf dem Transfermarkt zurückgehalten, andere Spitzenklubs haben sich ordentlich verstärkt, aber eine große „Transferoffensive“ war bei kaum einem Klub zu erkennen. Wie siehst du den FC Bayern zurzeit im europäischen Vergleich mit den anderen Mannschaften, die zum Favoritenkreis der Champions League zählen? Ist der Titel überhaupt möglich und wer sind die größten Konkurrenten?

J. Kraft: Man muss sich darüber bewusst sein, dass sich der FC Bayern in einem Übergang befindet. Spieler wie Süle, Kimmich oder Coman wachsen gerade in wichtige Positionen. Auch Spieler wie Thiago übernehmen erst seit kürzerer Zeit mehr Verantwortung auf und neben dem Platz. Zu denken, dass ein Klub konstant auf dem besten Level spielen kann, ist Utopie. Trotzdem sollte es das Ziel der Bayern sein, mit der Generation um Neuer, Boateng und Lewandowski noch ein Finale zu erreichen. 

(Photo by THOMAS KIENZLE / AFP)

Wenn Robben und Ribéry am Ende der Saison gehen sollten, kann ich mir eine Großoffensive auf dem Transfermarkt vorstellen. In dieser Saison ist der FC Bayern für mich nicht der absolute Top-Favorit, aber ganz sicher unter den Kandidaten für den Titel. Paris wird mit Tuchel noch einiges an Zeit brauchen, Real steht mit neuem Trainer und ohne Ronaldo ebenfalls vor einer schwierigen Aufgabe in der Champions League, Barcelona kam jetzt schon länger nicht mehr unter die besten Mannschaften und vor Juventus muss man als FC Bayern auch keine extreme Angst haben. 

Liverpool und Manchester City sind für mich die Teams, die mit ihren Trainern und den Spielern am weitesten sind. Aber auch da muss sich keine der genannten Mannschaften verstecken. Das macht die Champions League ja so besonders. Nuancen entscheiden über den Titel. Diese Nuancen fehlten den Bayern in den letzten Jahren – besonders in der Chancenverwertung. Wenn sie endlich mal etwas abgezockter spielen, und auch das Matchglück zurück ist, traue ich ihnen alles zu.

 

Saisonprognose

90PLUS: Abschließend hätten wir gerne noch eine Prognose von Dir: Wo geht die Reise des FC Bayern in dieser Saison hin, wie schneidet man in den drei Wettbewerben ab? Und noch ein kleiner Ausblick: Wird im Sommer 2019 eine Transferoffensive folgen? 

J. Kraft: Bayern wird Deutscher Meister, holt den DFB-Pokal und kommt in der Champions League mindestens ins Halbfinale. Am Ende der Saison werde ich euch dann vielleicht ja wieder ein Interview geben, und dann davon erzählen, wie engstirnig ich doch war, als ich Kovač skeptisch gegenüber stand. Im Ernst: mit der Meisterschaft bin ich schon absolut zufrieden. Alles andere ist nicht planbar. In den K.O.-Spielen kann alles passieren.

Ich rechne damit, dass mindestens einer, wenn nicht sogar beide aus „Robbery“ den Verein verlassen. Dann wird der FC Bayern zwangsweise die hauseigene Bank plündern müssen. Wer kommt? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich den Bayern da irgendwie immer noch vertraue. Obwohl das in vielen anderen Bereichen längst nicht mehr der Fall ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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