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Julian Brandt: Zwischen Enttäuschung und Ekstase

21. April 2020 | Spotlight | BY Simon Lüttel

Im vergangenen Sommer verpflichtete Borussia Dortmund Julian Brandt für eine festgeschrieben Ablösesumme von 25 Millionen Euro von Bayer Leverkusen. Unmittelbar nach dem Transfer rief BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke die deutsche Meisterschaft als Saisonziel aus. Sowohl der BVB, als auch Julian Brandt traten in dieser Spielzeit phasenweise überragend auf, enttäuschten allerdings auch oftmals.

Julian Brandt: Perfekter Einstand, noch keine perfekte Konstanz

Die ersten Minuten für Julian Brandt im Trikot des BVB hätten kaum besser verlaufen können. Am 1. Spieltag der 57. Bundesliga-Saison gegen den FC Augsburg wurde der deutsche Nationalspieler beim Zwischenstand von 4:1 in der 68. Spielminute für Thorgan Hazard als Flügelspieler eingewechselt. Brandt traf nach einer Halbfeldflanke von Axel Witsel in der 82. Minute zum 5:1 und setzte damit den Schlusspunkt der Partie. Der Auftritt machte Lust auf mehr, dennoch sollten die folgenden Monate weder für Brandt, noch für den BVB so ideal weiterverlaufen. 

(Photo by Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

Am folgenden Spieltag traten die Dortmunder beim 1. FC Köln an. Julian Brandt musste zu Spielbeginn auf der Bank Platz nehmen, da Lucien Favre auf die 10 Feldspieler setzte, die gegen den FC Augsburg die Startformation bildeten. Die Dortmunder gerieten in der ersten Halbzeit in Rückstand und taten sich lange schwer. Beim Spielstand von 1:0 für den 1. FC Köln entschied Favre sich in der 62. Minute für einen Doppelwechsel. Für Schulz und Weigl kamen Hakimi und Brandt auf das Spielfeld. Beide Wechsel beeinflussten das Dortmunder Spiel positiv und trugen dazu bei, dass der BVB im Rhein-Energie-Stadion mit 3:1 gewinnen konnte. Der gebürtige Bremer belebte das Offensivspiel und leitete den Führungstreffer ein.

Das Startelf-Debüt für Julian Brandt folgte am 3. Spieltag. Der BVB spielte Auswärts bei Union Berlin und musste sich nach 90. Minuten mit 3:1 geschlagen geben. Von der Leichtigkeit, die beim Saisonauftakt in der Luft lag, war gegen den Aufsteiger nicht mehr viel zu sehen. Der BVB präsentierte sich ideenlos und fehleranfällig. Auch Julian Brandt enttäuschte auf dem linken Flügel in einem Spiel, in dem er auffiel.

In den folgenden Monaten wurde es unruhig bei Borussia Dortmund. Dem BVB gelang es nicht konstant zu überzeugen und auch für Julian Brandt wurde sie Situation nicht einfacher. Lucien Favre konnte in seinem 4-2-3-1 keine ideale Position für den 23-jährigen, der zweifellos die Qualität besitzt um dem BVB sportlich weiterzuhelfen, finden. Der Schweizer tätigte einige Versuche um Julian Brandt ins Spielsystem zu integrieren, doch keiner wurde mit Erfolg gekrönt.

In den ersten Monaten lief Brandt für den BVB auf dem linken Flügel, dem rechten Flügel, der Zehnerposition und phasenweise sogar im Sturmzentrum auf, doch die passende Position schien noch nicht gefunden. Resultierend daraus kam Julian Brandt oftmals nur als Einwechselspieler zum Einsatz und konnte dem Spiel des BVB noch nicht seinen Stempel aufdrücken. Den persönlichen Tiefpunkt erreichte Brandt bei der 0:4-Niederlage der Dortmunder beim FC Bayern. Dort ließ der 23-jährige nicht nur Spielfreude und Leichtigkeit vermissen, sondern sorgte bei Fans und Zuschauern sogar dafür, dass Zweifel am Einsatzwillen des Nationalspielers aufkamen.

(Photo by Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images)

Auch der BVB konnte den hohen eigenen Ansprüchen nicht immer gerecht werden und lief den eigenen Erwartungen hinterher. Im November befanden Lucien Favre und der BVB sich in einer handfesten Krise. Der Tiefpunkt wurde am 12. Spieltag in der Halbzeit gegen den SC Paderborn erreicht, als man im heimischen Westfalenstadion mit 0:3 in Rückstand geraten war. In der zweiten Halbzeit konnte der BVB den Rückstand aufholen und nahm noch einen Punkt mit. Dennoch war der Job von Cheftrainer Lucien Favre gefährdet. Nach Informationen der BILD hätte eine Niederlage gegen Hertha BSC am nächsten Spieltag die Entlassung des Schweizers zur Folge gehabt. Lucien Favre reagierte und stieg von seinem favorisierten 4-2-3-1 auf ein 3-4-3 um, welches er bereits in den letzten Spielminuten bei der Champions League-Niederlage gegen den FC Barcelona ausprobierte.

Julian Brandt: Ein Gewinner des Systemwechsels

Die Systemumstellung sorgte zwar nicht dafür, dass der BVB auf Anhieb spielerisch glänzte, brachte aber die gewünschte Stabilität. Der BVB schlug Hertha BSC mit 2:1 und somit kehrte vorerst Ruhe ins chaotische BVB-Umfeld ein. Julian Brandt stand gegen die Berliner in der Startelf und wurde im zentralen Mittelfeld neben Axel Witsel eingesetzt. Der 23-jährige überzeugte im Spiel mit und gegen den Ball. Zudem gelang Brandt die Torvorlage zum 1:0 von Jadon Sancho.

Für Brandt ergab sich durch das 3-4-3 eine neue Rolle, die im 4-2-3-1 so nicht existierte. Im 4-2-3-1 konnte Brandt in der Rolle des Flügelspielers nur situativ glänzen, im neuen System des BVB hingegen als Dreh- und Angelpunkt im Spielaufbau agieren.

In den zwei folgenden Bundesliga-Partien konnte der BVB mit einem 5:0 Heimsieg gegen Fortuna Düsseldorf und einem 0:4 Sieg beim FSV Mainz 05 sowohl auf dem Platz, als auch auf der Anzeigetafel zeigen, dass der Systemwechsel sich auszahlte. Sicherlich ist zu erwähnen, dass die Kaderqualitäten der beiden Mannschaften keinesfalls vergleichbar mit der, des BVB waren. Dennoch schien es so, als wäre die Leichtigkeit, die in den vergangenen Wochen auch gegen die Mannschaften aus dem Tabellenkeller fehlte, zurückgekehrt. Julian Brandt lieferte, wie das gesamte Offensivkollektiv des BVB, in beiden Spielen überragende Leistungen ab. Brandt brillierte mit Spielintelligenz, Technik und Leichtfüßigkeit. In diesem 3-4-3 wurde der 23-jährige zu einem essenziellen Bestandteil des Spielsystems der Dortmunder.

 (Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Im zentralen Mittelfeld ließ Julian Brandt an Ilkay Gündogan erinnern, der im Jahr 2016 den BVB in Richtung Manchester verließ. Seit dem Abgang des Nationalspielers wünschten sich viele Fans immer wieder einen Kreativspieler mit Qualität eines Ilkay Gündogan für das Mittelfeldzentrum. Es stellte sich heraus, dass Julian Brandt genau dieser Spieler sein könnte, ohne, dass es im Sommer jemand geahnt hatte.

In den letzten beiden Spielen des Kalenderjahres hingegen konnte Borussia Dortmund den Aufwärtstrend nicht weiterführen. Nach einem 3:3 gegen RB Leipzig folgte eine Auswärtsniederlage bei der TSG Hoffenheim. Die Ursachen für die Niederlage lagen viel mehr an der Unfähigkeit eine Führung über die Zeit zu bringen, als am im Oktober eingeführten Spielsystem des BVB. So führte man in beiden Partien bis zur 75. Minute und musste sich schlussendlich nur mit einem, statt möglichen sechs Punkten aus den letzten beiden Partien des Kalenderjahres zufriedengeben.

Besonders Julian Brandts Auftritt gegen RB Leipzig war symbolisch für seine ersten sechs Monate bei Borussia Dortmund. In der 34. Minute erzielte der Ex-Leverkusener nach einer makellosen Ballannahme und einer technisch anspruchsvollen Drehung am Fünfmeterraum der Leipziger das 2:0 für die Dortmunder, die in der ersten Halbzeit stark aufspielten. Einige Wochen später wurde dieser Treffer zum Tor des Monats Dezember gewählt.

Photo by Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images)

In der zweiten Halbzeit hingegen kam die Mannschaft von Lucien Favre wie ausgewechselt aus der Kabine. In der 47. Minute resultierte aus einem Patzer von Roman Bürki der Anschlusstreffer und nur sechs Minuten später legte Julian Brandt RB-Leipzig Stürmer Timo Werner mit einem katastrophalen Fehlpass das Tor zum Ausgleich auf. Somit fällt nicht nur das Fazit zur Einzelleistung von Julian Brandt gegen RB Leipzig, sondern das Fazit seiner ersten sechs Monaten in Dortmund wie folgt aus: Der 23-jährige besitzt ein riesiges Potential und könnte die spielerische Identität des BVB prägen, hat aber immer wieder Schwächephasen, in denen er entweder komplett abtaucht oder überwiegend negativ auffällt.

Blessuren und neue Konkurrenz

In der Winterpause entschieden sich die Verantwortlichen des BVB auf dem Transfermarkt aktiv zu werden. Mit Emre Can rückte am Deadline-Day des Wintertransfers ein neuer Konkurrent für Julian Brandt in das Mittelfeld des BVB, zudem wurde Stürmer Erling Haaland aus Salzburg verpflichtet.

Das 3-4-3 wandelte sich nach der Verpflichtung von Erling Haaland zu einem 3-4-2-1 mit einem offensichtlich erkennbaren Stürmer, statt einer falschen Neun. Emre Can etablierte sich im zentralen Mittelfeld neben Axel Witsel. Mit seinem körperlich robusten Spiel konnte er nicht nur den Fans, sondern auch Trainer Lucien Favre imponieren.

Julian Brandt hingegen zog sich Anfang Februar bei der 3:4-Niederlage in Leverkusen einen Anriss des Außenbandes zu. Aufgrund der Verletzung musste Brandt vier Wochen pausieren. Da auch Thomas Delaney verletzt war und Mahmoud Dahoud seit Monaten kaum eine Rolle spielt, ergab sich ein Mittelfeldduo aus Axel Witsel und Emre Can. Obwohl sich Can und Brandt stilistisch nicht ähneln, konnten beide auf der Position neben Axel Witsel, der seit seiner Verpflichtung unter Lucien Favre unumstrittener Stammspieler ist, mit guten Leistungen glänzen.

(Photo by INA FASSBENDER / AFP)

Emre Cans Robustheit und Zweikampfstärke taten dem BVB gut. Deutlich erkennbar wurde dies im Hinspiel des BVB gegen Paris St.-Germain. Emre Can überzeugte mit einer Kämpfermentalität, die in Dortmund lange von Fans und Verantwortlichen gefordert wurde.

Er konnte zwar nicht die offensiven Qualitäten eines Julian Brandt kompensieren, doch diese war gegen die Edeltechniker von Paris St.-Germain weniger gefragt. Viel wichtiger waren an diesem Abend die physischen Qualitäten des Neuzugangs, die den Pariser Edeltechnikern das Leben schwer machten.

Lucien Favre hat die Qual der Wahl

Mit dem 3-4-2-1 scheint Lucien Favre sich auf ein Spielsystem für die Mannschaft des BVB festgelegt zu haben, doch im zentralen Mittelfeld bieten sich nun zwei erfolgsversprechende Optionen. Nach der Corona-Pause wird Julian Brandt wieder fit sein und BVB-Coach Lucien Favre wird vor der Qual der Wahl stehen, ob er die kreativere und offensivere Variante mit Julian Brandt oder die robuste und defensivere Variante mit Emre Can zur Lösung im Bundesligalltag wählt. Ein Mittelfeldkombination aus Emre Can und Julian Brandt wäre ebenfalls möglich, dann allerdings auf Kosten der Qualitäten des Belgiers Axel Witsel, der auf der Bank Platz nehmen müsste. Für Julian Brandt wird es nun also vorrangig darum gehen, noch konstanter in seinen Leistungen zu werden.

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(Photo by Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images)


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