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Kovac beim FC Bayern vor dem Aus: Den Hauptschuldigen gibt es nicht

25. November 2018 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Als Uli Hoeneß gestern nach dem 3:3 des FC Bayern München gegen Fortuna Düsseldorf vor die Mikrofone der anwesenden Journalisten trat, gab es viele mögliche Szenarien. Hoeneß, der zuletzt mitteilte, Trainer Niko Kovac „bis aufs Blut“ zu verteidigen, wirkte angefressen, fast schon entsetzt. Aber gelassener, als seine Reaktion nach dem 3:3 auf der Tribüne es vermuten ließ. Die Zeit der gnadenlosen Rückendeckung ist aber vorbei. 

 

Kovac schützt sich, Hoeneß will hinterfragen

Niko Kovac ahnte dies womöglich – und schützte sich auf der Pressekonferenz selbst. Ein Trainer könne nicht viel machen, wenn die Spieler permanent solch haarsträubende individuelle Fehler fabrizieren, hieß es. Diese Reaktion ist durchaus nachvollziehbar, denn auch der Trainer merkt, dass vieles im Argen liegt. Doch zurück zu Hoeneß. Der versicherte zunächst, dass Kovac am Dienstag gegen Benfica auf der Bank sitzt. Eine langfristige Prognose wollte der Präsident aber nicht abgeben, im Hinterkopf wohlwissend, dass am kommenden Freitag die Jahreshauptversammlung ansteht.

(Photo by Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)

Man wolle zunächst eine Nacht darüber schlafen, intern gebe es aber Gesprächsbedarf, so Hoeneß. Und: „Wir müssen beim FC Bayern jetzt alles hinterfragen, warum wir so spielen, wie wir spielen. Wir können nicht sagen: Das wird schon werden. Wir müssen die nächsten Tage, vielleicht auch Wochen dazu verwenden, um die richtige Lösung zu finden. Wir müssen zu einem Ergebnis kommen. Daran müssen wir arbeiten.“ Dass man etwas mehr als ein Jahr nach der Entlassung von Carlo Ancelotti wieder an einem ähnlichen Punkt steht, hat man sich selbst zuzuschreiben. Und daran ist nicht alleine Niko Kovac Schuld.

 

Fehlende Einigkeit im gesamten Verein

Das zu lange Festklammern an der Hoffnung Jupp Heynckes wurde bereits vielfach diskutiert und ist sicher ein Punkt, in dem die Führungsebene alles andere als glücklich aussah. Ohnehin war der Prozess der Trainerfindung kein leichter, der Rekordmeister gab nach Außen ein Bild ab, dass man in den Jahren zuvor nicht kannte. Auch die Personalpolitik auf Spielerebene wurde mehrfach angesprochen, die Entscheidungen sowohl mit Ribery als auch mit Robben zu verlängern, sich selbst Baustellen zu öffnen, weil man auf Abgänge wie den von Juan Bernat nicht mit einer Verstärkung für die Breite reagiert, waren allesamt unglücklich. Mindestens.

Niko Kovac gab sich nach Außen glücklich mit dem Kader, soll intern Spieler wie Rebic und Vogt vorgeschlagen haben, von denen die Verantwortlichen wiederum nicht überzeugt waren. Die Kommunikation innerhalb des Vereins, so scheint es, hat sich seit dem Abgang von Matthias Sammer, der ein Gespür für diese Probleme hatte, sukzessive verschlechtert. Ein gutes Beispiel für die negativen Veränderungen ist abgesehen von der fast schon legendären Pressekonferenz, die der Medienschelte diente, die Aussage, die Hoeneß tätigte, nachdem Salihamidzic die Verpflichtung des jungen Alphonso Davies fixierte. Damals sagte Hoeneß nämlich, dass er den Spieler überhaupt nicht kennt. Immerhin: Zuletzt haben Hoeneß, Rummenigge und co. offenbar erkannt, dass man den Umbruch im Sommer hätte weiter vorantreiben, neue Impulse setzen müssen. Transfers für die Zukunft, „spätestens im Sommer“, wurden angekündigt.

 

Mit diesem Kader ist mehr möglich

Natürlich haben die Verantwortlichen den ein oder anderen Vorschlag von Kovac abgelehnt, aber man sollte nicht denken, dass Hoeneß und Rummenigge sich jedem konstruktiven Vorschlag widersetzt hätten. Hätte Kovac oder Salihamidzic einen Masterplan hinsichtlich der Transferstrategie gehabt, wäre dieser sicher auch umgesetzt worden. Möglicherweise hat Niko Kovac auch die „Chance FC Bayern“ ergreifen wollen und traute sich nicht auf Konfrontationskurs mit den Verantwortlichen zu gehen. Oder aber er war tatsächlich zufrieden mit dem Kader. Negativ auslegen kann man ihm beides, denn es war in den letzten, erfolgreichen Jahren stets ein Zeichen der Stärke, dass die Trainer, begonnen bei Jupp Heynckes, der 2012 große Veränderung im Kader forderte und diese auch durchsetzte, erkannten, welche Probleme bestehen.

Die Pläne der Trainer wurden zwar nicht immer vollumfänglich umgesetzt und es gab sicher Reibungspunkte, aber eine solch geringe Entwicklung im Kader wie vor dieser Saison gab es zuletzt selten. Erst recht nicht, wenn sie so dringend benötigt wurde. Und trotzdem muss mit diesem Kader mehr möglich sein. In der vergangenen Saison wurde man souverän Meister, hatte Real Madrid in der Champions League am Rand der Niederlage und zog in das Endspiel um den DFB-Pokal ein. Diese Qualität ist nicht verloren gegangen, auch wenn Robben und Ribery nicht jünger werden, weiter an Attributen, die sie einst so stark machten, eingebüßt haben. Der FC Bayern verfügt in der Spitze weiter über einen starken Kader, in der Breite hat der ein oder andere Klub vielleicht Vorteile, aber ein solches Zwischenresultat wie es nun Ende November der Fall ist, ist nicht durch den Kader erklärbar.

 

Wo blieben die Anpassungen?

Der Saisonstart war verheißungsvoll. Eintracht Frankfurt wurde im Supercup demontiert, der Ligastart war bis auf kleinere Probleme sehr gut, auch gegen Benfica in der Champions League spielte man souverän, spielte die Treffer schön heraus. Doch mit dem Spiel gegen den FC Augsburg, als man am Ende ein wenig fahrig wurde, die Kontrolle verlor und nur ein Remis dabei heraussprang, begann die Negativspirale. Und während dieser Negativspirale verschwand allmählich auch die Souveränität, die Kovac zu Saisonbeginn, vor allem während der Interviews auszeichnete. Seine Erklärungen für die schwachen Leistungen und die Fehler wurden zunehmend kritischer aufgefasst, Dinge wie man habe eben Pech, der Gegner sei effizient und man würde lediglich die eigenen Chancen nicht nutzen, sind Teil des Problems aber eben nicht der Auslöser. Es fehlte etwas auf dem Platz. Eine klare Spielidee.

(Photo by ODD ANDERSEN/AFP/Getty Images)

Dass Kovac beim Rekordmeister keinen guardiolaesken Fußball zelebrieren wird, war wohl vorab bereits jedem klar. Dass sich aber die Defensive häufig auf einem derart desolaten Niveau präsentiert, dass das letzte Ligaspiel, in dem man keinen Gegentreffer kassierte, im September auf Schalke war, ist ein Beispiel dafür, dass der Trainer die Hoffnungen, die man in ihn setzte, nicht erfüllen konnte. Die Defensive ist wackelig, die Standards sind weiterhin nicht außerordentlich gut. Und vor allem fehlten Lösungsansätze. Der Kader gab, insbesondere als die Verletzungsproblematik noch nicht so präsent war, Lösungen her. Doch Kovac zog sein 4-3-3 relativ stur durch, ließ Anpassungen vermissen. Sowohl hinsichtlich der Formation als auch im taktischen Bereich. Die Elemente, die zu Saisonbeginn funktionierten, waren schnell durchschaut. Die Gegner fanden Lösungen, der FC Bayern nicht. Vieles war von individueller Klasse abhängig und aufgrund des Ausfalls von Kingsley Coman war diese auf den mitentscheidenden Flügelpositionen schnell nicht mehr in gewohntem Maße vorhanden.

Zusätzlich ist es alles andere als vorteilhaft, wenn innerhalb der Mannschaft Unruhe herrscht. Quasi seit Saisonbeginn werden die Zeitungen Woche für Woche mit Informationen gefüttert, auch gestern wurde nur kurz nach dem Abpfiff bekannt, dass sich in der Kabine einige Spieler gegen Kovac ausgesprochen haben sollen. Es läuft also auch intern etwas falsch, schon unter Carlo Ancelotti gab es dem Vernehmen nach Spieler, die Stimmung gegen den Trainer gemacht haben und die „Maulwurf“-Diskussionen bestehen ebenfalls schon seit einem längeren Zeitraum. Auch das muss aufgearbeitet werden.

Im Endeffekt hat eben jeder seinen Anteil an der Krise. Niko Kovac ist nicht Schuld daran, dass ihm der FC Bayern zugetraut, diesen Job zu erledigen, nicht die Weitsicht hatte, um zu erkennen, dass Kovac in Frankfurt zwar Erfolge feierte, aber dieser Aufgabe unter diesen Umständen wohl nicht gewachsen ist. Es ist aber auch nicht die Schuld des Vorstandes, dass Kovac überhaupt keine Anpassungen vornahm, selbst die Defensive nicht stabilisieren konnte. Beim FC Bayern führt dieser Tage eins zum anderen. Und nur mit einer Entlassung des Trainers ist das Problem nicht vollends behoben, darüber muss man sich im Klaren sein.

 

Die schwierige Frage nach der Lösung

Bei all den Problemen drängt sich die Frage auf, warum Niko Kovac am Dienstag noch auf der Bank sitzen wird. Diese ist jedoch recht leicht zu beantworten: Man muss sich Gedanken machen. Gedanken, mit welch einer Strategie man versucht nicht nur die aktuelle Saison noch zu retten, sondern sich auch für die langfristige Planung gut aufzustellen. Und das wird Zeit in Anspruch nehmen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass derzeit viele Toptrainer auf dem Markt sind. Natürlich haben Antonio Conte und Zinedine Zidane derzeit keinen Job, beide ließen zuletzt aber verlauten, dass sie bis Saisonende nicht zur Verfügung stehen, eine Pause einlegen wollen. Inwieweit das bei einem potenziellen Angebot des Rekordmeisters gilt, sei mal dahingestellt, aber beim Italiener Conte ergab sich nicht einmal die Gelegenheit Real Madrid. Und das sagt einiges aus. Eine Lösung wie Ralph Hasenhüttl kann weder vom FC Bayern noch vom Trainer selbst, der sich einen solchen Job zuletzt selbst nicht vollumfänglich zutraute, gewollt werden.

Arsene Wenger kündigte an, dass er wieder in den Fußball zurückkehren will. Eine langfristige Lösung auf der Trainerposition kann er nicht sein. Zudem ist es nicht sicher, ob Wenger überhaupt als Trainer arbeiten will. Möglicherweise sucht er auch ein Engagement im Hintergrund, als Sportdirektor oder in einer ähnlichen Anstellung. Könnte er kurzfristig als Trainer übernehmen und langfristig in den sportlichen Entscheidungsbereich wechseln? Solche Fragen müssen beantwortet werden, Verhandlungen, so sie denn überhaupt aufgenommen werden, werden nicht binnen weniger Stunden zu einem Ergebnis führen. Eine interne Lösung ist auch nicht ideal. Peter Hermann ist kein Typ, der gerne im Rampenlicht steht.

Und ob der FC Bayern auf der Trainerposition etwas wagt, ist ebenfalls fraglich, sowohl kurzfristig als auch langfristig. Julen Lopetegui ist bei Real Madrid erst kürzlich krachend gescheitert, Leonardo Jardim verfügt zwar über Talent als Trainer, hatte zuletzt aber riesengroße Schwierigkeiten in Monaco und Andre Villas-Boas, der in seiner Karriere bereits bei Tottenham und Chelsea tätig war, dort nicht mehr als Ansätze zeigen konnte, machte zuletzt eher durch seine Teilnahme an der Rallye Dakar Schlagzeilen. Was bleibt ist die Möglichkeit einen Trainer zu verpflichten, der gegenwärtig bei einem Klub unter Vertrag steht. Aber auch das ist schwer. Und auch hier müsste eine Toplösung verfügbar werden, was schwer vorstellbar ist.

Es sind also noch zahlreiche Fragen zu beantworten. Und diese werden in den kommenden Tagen, da darf man sicher sein, intern diskutiert. Die Devise muss klar sein: Beim FC Bayern München sollte man sich Zeit lassen. Denn die nächsten Entscheidungen müssen sitzen.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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