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Nizzas laufstarke Passmaschine: Jean Seri im Porträt

27. April 2017 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Der OGC Nizza und Lucien Favre feiern in dieser Saison große Erfolge. In der Liga sind die Südfranzosen das einzige Team, das mit Monaco und Paris einigermaßen mithalten kann. Lange Zeit war man in der Hinrunde sogar Tabellenführer. Man ist die absolute Überraschung der Saison. Mitverantwortlich dafür ist ein kleiner, dynamischer Mittelfeldspieler aus der Elfenbeinküste: Jean Michael Seri. 

Betrachtet man den Kader von Nizza, dann fällt zuerst auf, dass die Mannschaft aus jungen, talentiert und älteren, erfahrenen Spielern besteht. Die Mischung im Team scheint zu passen, man hat sich bei der Kaderplanung Gedanken gemacht. Leitfiguren wie Dante oder Belhanda, extravagante Spieler wie Balotelli oder talentierte Spieler mit großem Potenzial wie Dalbert, Koziello oder Cyprien stehen im Kader. Gerade das nicht mit sehr großen Namen gespickte Mittelfeld sorgt in dieser Saison für Furore. Neben dem derzeit verletzten Cyprien sticht vor allem der 25-jährige Seri hervor.

 

Der schwere Weg nach Europa

Der in der Elfenbeinküste geborene Seri kam erst verhältnismäßig spät nach Europa. Viele talentierte Afrikaner wechseln im Jugendalter nach Europa und genießen die Vorteile in der Ausbildung. In Europa sind die Strukturen weitgehend besser, es wird mehr auf die Bedürfnisse der jungen Spieler eingegangen, die Integration wird gefördert. Hinzu kommt, dass mehr Wert auf taktische Aspekte gelegt wird, was den Spielern zugute kommt. Die finale Ausbildung im Jugendalter in Europa begünstigt also einen Durchbruch, da die Spieler meist mehr mitbringen, als nach der Ausbildung in Afrika, wo der Fokus eher auf den individuellen Fähigkeiten ruht.

(Photo by VALERY HACHE/AFP/Getty Images)

Der zentrale Mittelfeldspieler wechselte erst 2012 nach Europa, mit 21 Jahren. In der Jugend spielte er bei Africa Sports National, wechselte 2010 in die Profiabteilung des ASEC Mimosas aus der ehemaligen iberischen Hauptstadt Abidjan. 2012 ging es schließlich zur B-Mannschaft des FC Porto. Dort wollte er sich in Europa akklimatisieren und sich für größere Aufgaben empfehlen. Schon ein Jahr später wechselte er in die erste portugiesische Liga. Pacos de Ferreira verpflichtete ihn ablösefrei. Dort absolvierte er in 2 Jahren 69 Pflichtspiele, erzielte drei Treffer und bereitete 7 weitere vor. Seri wurde überwiegend im defensiven Mittelfeld eingesetzt, seine fußballerischen Fähigkeiten befanden sich noch in der Entwicklung.

 

Wechsel in die Ligue 1

Im Sommer 2015 interessierte sich dann der OGC Nizza für Seri. Nach Platz 11 in der Liga waren die Franzosen nicht in der Lage große Transfers zu tätigen und man musste perspektivisch und clever einkaufen. Der damals 23-jährige wechselte zum 1.7.2015 für eine Million Euro Ablöse in die Ligue 1. Das Ziel von Seri war klar: Er wollte sich durchsetzen und persönlich weiterentwickeln, eine neue Stufe erreichen. Die Saison 2015/16 verlief für Nizza überraschend positiv. Am Ende der Saison gelang Platz 4, der zur Teilnahme an der Europa League berechtigte. Auch Seri hatte mit 41 Spielen und 9 Scorerpunkten einen entscheidenden Anteil.

In Nizza durfte er offensiver spielen als zuletzt in Portugal. Seine Risikobereitschaft im Passspiel nahm zu, Seri wurde technisch immer besser. Es gelang ihm sich fußballerisch sukzessive zu verbessern, überdies profitierte er von besseren Mitspielern und einem funktionierenden taktischen Konstrukt. Seine Defizite wurden peu a peu behoben und die Geduld mit ihm zahlte sich aus. Lucien Favre hat bereits in der Bundesliga gezeigt, dass er in der Lage ist akribisch mit Spielern zu arbeiten und sie auf ein höheres Niveau zu manövrieren.

 

Eine herausragende Saison

Diese Saison spielt Nizza noch stärker als in der vergangenen Spielzeit. Das war ebenfalls nicht zu erwarten. Mit Germain, Ben Arfa, Pied und Mendy gingen zentrale Figuren, man musste sich in der Talentschmiede anderer Klubs bedienen. Nizza verpflichtete unter anderem Lusamba (19), Dalbert (22) und Cyprien (21). Es war also naheliegend, dass ein wichtiger Spieler wie Seri in dieser Saison noch einen Schritt nach vorne machen muss. Fußballerisch und charakterlich. Nizza wollte die gute Saison bestätigen, doch schied in der Europa League früh aus. In der Ligue 1 waren die Leistungen aber durchweg positiv, man steht derzeit mit 19 Punkten Vorsprung auf den Viertplatzierten auf Rang 3 in der Tabelle.

Jean Michael Seri spielt dabei die beste Saison seines Lebens. Ein Pluspunkt ist sicher, dass er in dieser Saison komplett verletzungsfrei blieb, außerdem seine kleinen Pausen bekam, punktuell früher ausgewechselt wurde. Der Konkurrenzkampf im Mittelfeld ist enorm groß, aber Seri stand in 30 der 34 Ligaspielen auf dem Platz. Dabei erzielte er 6 Treffer und legte 9 vor. Vor allem seine Übersicht ist noch einmal besser geworden. In einem homogenen, ausbalancierten Konstrukt darf er es sich erlauben regelmäßig nach vorne zu gehen. Dabei gelingt es ihm aber sehr gut, das Risiko abzuwägen und notfalls abzusichern oder das Tempo herauszunehmen.

 

Fabelhafte Werte

Der laufstarke Seri spielt weitgehend schnörkellös, versucht keine besonders spektakulären Tricks. Es macht dennoch Spaß ihm zuzuschauen. Auch seine ruhenden Bälle sind immer gefährlich, er tritt zahlreiche Freistoßflanken oder Eckbälle. Der nicht einmal 1,70m große Ivorer versteht es außerdem sich auf engstem Raum aus Drucksituationen zu befreien, ist pressingresistent und besitzt die nötige Handlungsschnelligkeit um sich ergebende Räume zu erahnen. Die Fähigkeit, diese Räume mit einem präzisen Pass zu bespielen, besitzt er ohnehin – auch dank Favre.

(Photo by VALERY HACHE/AFP/Getty Images)

Die Statistiken bestätigen seine Klasse außerdem. Seri spielt durchschnittlich 2,3 Schlüsselpässe pro Spiel, hat insgesamt bei 83 Pässen pro Spiel eine Passgenauigkeit von 89,7 %. Außerdem foult er im Schnitt nur 0,7-mal pro Partie. Sein Defensivverhalten ist dabei keinesfalls schwach. Er läuft zahlreiche Lücken zu, verhilft der Mannschaft zu Überzahl in Ballnähe und setzt die Gegner so unter Druck. Grätschen sollen vermieden werden, Seri führt seine zugegebenermaßen wenigen Zweikämpfe eher nicht am Boden. Sowohl bei den Assists, als auch in der Passstatistik befindet sich der 25-jährige unter den Top-3 in der Ligue1.

 

Noch ein weiterer Schritt in der Zukunft?

Der Vertrag von Jean Michael Seri bei den Franzosen läuft derzeit noch bis 2019. Zurzeit gibt es keine Anzeichen für eine schnelle Vertragsverlängerung. Spätestens 2018 könnte Seri also ein Thema bei anderen, größeren Vereinen werden. Am 19. Juli wird er 26 Jahre alt, kommt langsam in das beste Fußballeralter und hat noch einige Jahre vor sich. Sein Potenzial scheint außerdem immer noch nicht voll ausgeschöpft zu sein. Womöglich hilft ihm die mögliche Qualifikation für die Königsklasse, um noch besser zu werden und noch einen entscheidenden Qualitätssprung zu machen.

Einige Vereine in Europa könnten einen solchen Mittelfeldspieler gebrauchen, der Kreativität, Rationalität und Dynamik vereint. Lucien Favre wird auf jeden Fall in der kommenden Saison dafür sorgen, das sich Seri weiterhin wohlfühlt. Womöglich wird für die Champions League noch einmal der ein oder andere qualitativ hochwertige Transfer getätigt. Vielleicht darf Seri aber auch weiter mit Koziello, Eysseric oder Cyprien im Mittelfeld glänzen. Eines ist jedenfalls sicher: Sein Weg ist noch nicht zuende.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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