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Özils Problem ist Deutschlands Problem

2. Juli 2018 | Spotlight | BY Julius Eid

Mesut Özil muss sich mehr gefallen lassen, als jeder andere Nationalspieler. Nicht nur jetzt, nach dem blamablen Ausscheiden des amtierenden Weltmeisters, sogar nach Siegen gibt es immer einen Grund, den Mittelfeldmann zu kritisieren. Leider finden sich weder in der öffentlichen Rezeption, noch in der Berichterstattung einschlägiger Medien die, durchaus berechtigten, sportlichen Argumente an erster Stelle wieder. Viel eher wird deutlich, dass „dieser Mesut“ einfach nicht dazugehören soll.

 

Besonders im Fadenkreuz

Die größte Kritik an Özil ist und bleibt, dass er trotz zweifellos genialer Ideen, immer etwas untergeht, wenn eine Mannschaft nicht funktioniert. Der Mittelfeldmann ist ein Freigeist; jemand, der einen Ball mit der Berührung des kleinen Zehs so weiterleiten kann, sodass ein Stürmer nur noch einschieben muss. Ein „Malocher“ im klassischen Sinne war, trotz unterbewerteter Laufleistung, noch nie. Özil ist davon abhängig, dass seine Mitspieler die Freiräume, die er so außergewöhnlich schnell antizipiert, attackieren. Ist ein Offensivspiel zu eingefahren, zu statisch, kann auch er ein Spiel nicht alleine gewinnen. Doch rechtfertigt diese Tatsache das Maß an Kritik? Beileibe nicht.

Sein Spielertypus war schon immer bekannt und damit legte er eine beachtliche Karriere hin – eine größere als die meisten deutschen Spieler der Neuzeit. Auch seine Werte ragen regelmäßig heraus, eine Tatsache, welche schon lange nicht mal mehr eine Randnotiz wert ist, wenn es um die Kritik am Nationalspieler geht. Natürlich muss sich Özil Kritik nicht nur gefallen lassen, sie ist, wenn gut begründet, in gewisser Weise natürlich berechtigt. Weder Spielanteile noch Körpersprache unterstrichen in letzter Zeit den Anspruch eines erfahrenen Führungsspielers.

Alltagsrassismus und öffentliche Kritik

Doch darum scheint es kaum jemandem zu gehen. Latenter Alltagsrassismus oder sogar offener Fremdenhass, Klischees und Vorurteile bestimmen das Bild Özils in der Öffentlichkeit. Ein besonders erschütterndes Beispiel ist hierfür zum Beispiel ein auf Instagram hochgeladen Videobeitrag von Robert Geiss. Dieser spricht über eine deutsche Nationalmannschaft „die ja gar nicht mehr deutsch ist“, und kann sich auch folgenden Kommentar nicht verkneifen:

„Ich verstehe nicht, warum man Özil nicht langsam mal ausgetauscht hat. Bei Erdogan könnte der in der ersten Reihe spielen.“

Gut, das könnte man vielleicht noch damit rechtfertigen, dass Robert Geiss zum absoluten Bodensatz der (seichten, anspruchslosen) Unterhaltung zählt und nicht repräsentativ für die Meinung der meisten Deutschen steht. Doch seine Äußerungen sind nur die kulminierte Speerspitze eines Diskurses, welcher auf der Angst vor dem Fremden basiert. TV-Experten wie Mario Basler lassen jegliche Objektivität vermissen und dreschen auf den Zehner ein, als hätte er Deutschland im Alleingang den erneuten Titelgewinn verwehrt. Der TV-Sender Pro7 fordert im Nachgang des Südkorea-Spiels, in einem mittlerweile gelöschten Tweet, den Rücktritt des ein oder anderen Nationalspielers und explizit Mesut Özils.

Die Frage, ob gerade Özil, einer der besseren Kicker in einem schlechten deutschen Spiel, bei einem solchen Aufruf herausgehoben werden muss, lässt sich leicht beantworten: Nein, zumindest nicht aus sportlichen Gründen. Kommentatoren und Zeitungen nutzen jedes Spiel um bei der Nationalhymne auf ein Nicht-Mitsingen hinzuweisen. Eine generell unsägliche Scheindebatte.

Das Problem von Mesut Özil basiert jedoch nicht ausschließlich auf sportlichen Erwägungen. Özils Problem ist das Problem Deutschlands in der Neuzeit. Die Angst vor dem Fremden ist wieder enorm existent, der Wunsch nach Abschottung scheint wieder größer zu werden – daneben wird das Mitsingen der Hymne als absoluter Indikator nationaler Identifikation gesehen. Der von Özil gewonnene Integrations-Bambi von 2010 wird dann gerne außer Acht gelassen. Die Kontroverse rund um sein Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten nicht fachgemäß und umfassend diskutiert. Für viele passt sie unhinterfragt in ein ganz bestimmtes, schwarz-weißes Bild.

Der 29-jährige erfährt Kritiken und Angriffe solcher Härte und Anzahl, dass ein Rücktritt aus der DFB-Elf alles andere als undenkbar ist. In einem Alter, in dem er rein sportlich auch bei der EM noch eine große Hilfe sein könnte.

(Photo by JEWEL SAMAD / AFP)

Julius Eid

Seit 2018 bei 90PLUS, seit Riquelme Fußballfan. Gerade die emotionale Seite des Sports und Fan-Themen sind Julius‘ Steckenpferd. Alleine deshalb gilt: Klopp vor Guardiola.


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