BVB | Sechser-Problematik: Auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau
25. Februar 2024 | Spotlight | BY Steven Busch
Obwohl die Saison 2023/24 derzeit erst in die sogenannte „Crunchtime“ startet, werden bei Borussia Dortmund bereits wichtige personelle Entscheidungen hinsichtlich der Kaderplanung für die kommende Spielzeit getroffen. Im Fokus des BVB steht dabei möglicherweise ein neuer respektive progressiver Sechser. Die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau für diese neuralgische Position im Fußball gestaltet sich jedoch aufgrund unterschiedlicher Faktoren als kompliziert.
BVB – Status quo: Kapitän Emre Can, solider Back-Up Salih Özcan, aber fehlt der progressive Sechser?
Am 27. Juli 2023, wenige Tage nach der offiziellen Verkündung der Vertragsverlängerung bis 2026, teilte Borussia Dortmund per Pressemitteilung mit, dass Emre Can ab der bevorstehenden Saison 2023/24 die Kapitänsbinde vom bisherigen Amtsträger Marco Reus übernehmen würde. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke unterstrich diese Entscheidung mit den markigen Worten:
Emre Can verfügt über große nationale und internationale Erfahrung, die er als Kapitän nun voll einbringen kann. Er hat in diesem Kalenderjahr maßgeblich dazu beigetragen, dass sich unsere Mannschaft sportlich auf hohem Niveau stabilisiert hat. Emre ist der richtige Kapitän für unser Team!
Trotz dieses eindringlichen Pamphlets des omnipräsenten Vereinsbosses der Schwarz-Gelben sorgte die Auswahl des deutschen Nationalspielers (43 Einsätze/ ein Tor), trotz einer formidablen Rückrunde (!) respektive Fast-Meisterschaft 2022/23, durchaus für Stirnrunzeln im Umfeld des Klubs. Can, nach sechsmonatiger Leihe im Sommer 2020 für kolportierte 25 Millionen Euro von Juventus fest verpflichtet, war im Vorfeld dieser beinahe vom Titel gekrönten Erfolgswelle im Laufe des ersten Halbjahrs 2023, eher durch zahlreiche Blessuren sowie Stagnation aufgefallen.
Dennoch entschieden sich die Westfalen, mit dem 1,86 m großen, kopfballstarken defensiven Mittelfeldspieler einen neuen Anker beziehungsweise „Aggressive Leader“ für das prestigeträchtige Amt zu inthronisieren. Seit Saisonbeginn 2023/24 wirken die Darbietungen des gebürtigen Frankfurters im BVB-Trikot allerdings wieder auffallend wankelmütig. Vielleicht auch der zunehmenden Verantwortung in einem generell inkonstanten Ensemble geschuldet, hat Can deutlich mehr mit der eigenen Performance, negativ gefördert durch kleinere Verletzungen, denn der Anführerrolle auf dem Platz zu kämpfen.
Wiederholt streuen sich Unkonzentriertheiten ins Passspiel wie Zweikampfverhalten des 30-jährigen Profis ein. Insbesondere für einen Akteur auf der neuralgischen Position des Sechsers kann Can dem verunsicherten Champions-League-Teilnehmer, um Trainer Edin Terzic, wenig Sicherheit implementieren, geschweige denn eine verlässliche Führungsrolle einnehmen.
Neben Emre Can, der auch als Innenverteidiger durchaus von sportlicher Relevanz ist, gehört lediglich Salih Özcan als klassischer defensiver Mittelfeldspieler noch zum BVB-Kader. Wenngleich marginal passsicherer als sein Kontrahent auf dieser Position (86,2 Prozent gegenüber 86 Prozent – beide Werte nicht unter den Top-50 der Bundesliga; Stand aller Daten: 19. Februar 2024), lässt sich beim ehemaligen Kölner vor allem in Partien gegen stärkere Gegner eine gewisse individuelle, technische Überforderung nicht leugnen. Folglich muss sich der 26-Jährige häufig etwaiger Fouls bedienen (1,5 Fouls pro 90 Minuten, Platz 15 in der Beletage des deutschen Fußballs).
Für den Bundesliga-Alltag stellt Özcan einen passablen bis guten Back-Up für Borussia Dortmund dar, doch parallel zu Emre Can sind die Leistungen des türkischen Auswahlspielers inkonstant und überdies mit noch weniger offensiven Ertrag ausgestattet. Nach 57 Pflichtspielen wartet der talentierte Ringer noch auf seinen Debüttreffer im Leibchen des achtfachen deutschen Meisters.
Aus der Melange dieser Faktoren respektive der kaum zu erwartenden signifikanten Entwicklungen der beiden Protagonisten, fahndet der BVB nach einer Verstärkung für die Sechser-Position. Das entsprechende Profil ist valide umrissen: Ein zweikampfstarker Akteur mit progressivem Passspiel, Antizipationsfähigkeiten sowie der Fähigkeit, als erster Verbindungsspieler zwischen Defensive und Offensive zu agieren beziehungsweise das flügellastige Geschehen zu entlasten. Problem: Eine derartige eierlegende Wollmilchsau suchen nahezu alle europäischen Top-Klubs (beispielsweise der FC Bayern München) und ist zudem ökonomisch kaum erschwinglich. In der Folge werden einige mögliche Kandidaten – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – vorgestellt.
BVB-Nachwuchs: Kaum Kandidaten für das Profiteam, Kamara als Dauer-Rekonvaleszent
Wenn es darum geht, Alternativen für den Profikader zu finden, sollten die Funktionäre qua Gesetz, wenngleich es leider dennoch eher einer Rarität gleicht, im vereinseigenen Unterbau suchen. In der U23 des BVB, immerhin in der 3. Liga verortet, stellen die Stammhalter auf der Sechser-Position, Franz Pfanne sowie Ayman Azhil, alters- beziehungsweise leistungsbedingt keine ernsthafte Option dar. Als vielversprechendster Kandidat gilt allgemeingültig Abdoulaye Kamara. Im Sommer 2021 wurde der mittlerweile 19-Jährige ablösefrei aus der PSG-Akademie verpflichtet.
Allen Vorschusslorbeeren zum Trotz darf man den jungen Franzosen während seiner Zeit beim Champions-League-Sieger von 1997 als latent verletzungsgebeutelt deklarieren. Selbst auf drittklassiger Ebene kommt der talentierte Akteur mittlerweile nur noch sporadisch zum Einsatz. Nach der laufenden Saison 2023/24 stehen die Zeichen, trotz eines bis 2025 gültigen Kontrakts, auf Trennung. Neben Kamara gilt Rafael Lubach aus der U19 der Westfalen als großes Versprechen, doch dessen Arbeitspapier läuft im Sommer aus.
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BVB: Wieffer, Camara, Janelt, Höjbjerg, Ricci oder Mister X?
Insofern im vereinseigenen Teich keine ernsthaften Kandidaten für die Sechser-Position an Land zu ziehen sind, müssen die BVB-Verantwortlichen in anderen europäischen Ligen nach geeigneten Optionen suchen…
Mats Wieffer (Alter: 24 Jahre, Verein: Feyenoord, Vertrag bis 2027)
Als erster Kandidat für die Rolle im defensiven Mittelfeld des BVB soll Mats Wieffer vorgestellt werden. Der niederländische Nationalspieler (sieben Einsätze/ ein Tor) ist vertraglich bis 2027 an Feyenoord gebunden. Beim „Trots van Zuid“ (Stolz des Südens) agiert der 24-Jährige als omnipräsenter Antreiber der Zentrale. Mit acht Scorerpunkten in 32 Partien belegt der Lockenkopf evidente Offensivfähigkeiten. Daneben beweist der 1,88 m große Stratege aber auch regelmäßig Tugenden in puncto Robustheit sowie Tacklings (3,2 pro 90 Minute, Platz fünf der Eredivisie).
Bei den Balleroberungen pro Spiel führt Wieffer gar die Bilanz des niederländischen Oberhauses an (Ø derer zwei). Im Vergleich zu Can und Özcan fällt hingegen die Passquote, des aus der Twente-Jugend entsprungenen Profis, niedriger aus (84,7 Prozent). Da sich der progressive Sechser unter anderem bei Atlético de Madrid auf dem Radar befinden soll, würde die Mischung aus verbleibender Vertragslaufzeit respektive Nachfrage ein relativ hohes Ablösepaket veranlassen.
Mohamed Camara (Alter: 24 Jahre, Verein: AS Monaco, Vertrag bis 2027)
Seit Sommer 2022 schnürt Mohamed Camara die Schuhe für die AS Monaco. Nach einer eindrucksvollen Debütsaison muss sich der Nationalspieler aus Mali (22 Einsätze/ drei Tore) beim derzeitigen Ligue-1-Tabellenfünften auffallend häufig mit einem Bankplatz anfreunden. Dennoch überzeugt der 1,73 m große Rechtsfuß mit der höchsten Passquote (92 Prozent) aller vorgestellten Kandidaten.
Aus der RB-Vergangenheit resultierend, ist Camara auch für das von BVB-Fans so sehnsüchtig favorisierte schnelle Umschaltspiel prädestiniert. Insbesondere die präzisen Seitenverlagerungen des 24-Jährigen lassen das FußballerInnenherz höherschlagen. Zügeln muss sich der Profi mit tiefem Körperschwerpunkt noch in Sachen Disziplin. In eineinhalb Jahren im Trikot der Monegassen kassierte das Kraftpaket, welches noch auf seinen Premierentreffer für das Team des Ex-Bundesliga-Trainers Adi Hütter wartet, bereits zwölf gelbe sowie eine rote Karte.
Vitaly Janelt (Alter: 25 Jahre, Verein: FC Brentford, Vertrag bis 2026)
Der gebürtige Hamburger Vitaly Janelt mit Bundesliga-Vergangenheit beim HSV, RB Leipzig sowie VfL Bochum hat sich in seinen mittlerweile über drei Jahren beim FC Brentford einen exzellenten Ruf als Sechser auf der Insel erarbeitet. Zunächst als reiner Zerstörer im Ensemble der „Bees“ tätig, fungiert der ehemalige deutsche U21-Nationalspieler (10 Einsätze) zunehmend auch in der Rolle als Initiator etwaiger Angriffe. Bereits drei Assists im Laufe der aktuellen Premier-League-Saison belegen die lange Zeit verborgenen Offensivtalente des Mittelfeldallrounders.
Bis 2026 ist Janelt an den FC Brentford vertraglich gebunden. Unter Ex-Bundestrainer Hansi Flick gehörte der zweikampfstarke Abräumer sogar zum erweiterten Dunstkreis der deutschen Nationalmannschaft. Aufgrund seiner Vita erscheint ein Wechsel zum BVB als nicht gänzlich ausgeschlossen, wenngleich ein Transfer von England in Richtung Deutschland durchaus kostspielig wäre.
Pierre Emile Höjbjerg (Alter: 28 Jahre, Verein: Tottenham Hotspur, Vertrag bis 2025)
Ein weiterer Akteur mit Bundesliga-Historie, namentlich Pierre Emile Höjbjerg, ist der sicherlich prominenteste sowie erfahrenste Akteur in diesem Quintett. Bedingt seiner vertraglichen Situation, 2025 läuft das Arbeitspapier bei Tottenham Hotspur aus, könnte der routinierte Däne zu einem ernsthaften Kandidaten des BVB reifen. Insbesondere im Laufe der Saison 2022/23 spielte der ehemalige Bayern- und Schalke-Profi – schwierige Konstellation für die meisten AnhängerInnen der Dortmunder Borussia – eine herausragende Saison als Stratege der „Spurs“. Neun Scorerpunkte (vier Tore/ fünf Assists) in wettbewerbsübergreifend 35 Partien konnte der 1,85 m große Protagonist für den Nord-Londoner Klub verbuchen.
Derzeit muss sich Höjbjerg, der ebenso als Box-to-Box-Player über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt, dennoch vermehrt mit der Rolle des Edeljokers anfreunden – zu wenig für die Ansprüche des 73-fachen Nationalspielers seines Landes. Folglich dürfte die Ablöse in einem überschaubaren Rahmen anzusiedeln sein. Jedoch gibt es mit Olympique Lyon sowie SSC Napoli namhafte wie wirtschaftlich potente Konkurrenz hinsichtlich möglicher Intentionen des BVB.
Samuele Ricci (Alter: 22 Jahre, Verein: FC Turin, Vertrag bis 2026)
Nach Emre Can im Jahr 2020 könnte womöglich ein weiterer Sechser aus Turin in Richtung Dortmund wechseln. Allerdings nicht von Juventus, sondern vom Stadtrivalen FC Torino. Die Rede ist von Samuele Ricci, dem jüngsten, aber zugleich wohl talentiertesten Kandidaten. Seit 2022 schaltet und waltet der Shootingstar in der „Granata“-Zentrale. Aus der Schule des FC Empoli entstammend, reüssiert der 22-Jährige mit einer gehörigen Portion Verve auf der Position des defensiven Mittelfeldspielers beim Serie-A-Klub.
Mittlerweile hat es Ricci trotz seines jungen Alters bereits zu zwei Einsätzen in der „Squadra Azzurra“ geschafft. Laissez-faire schiebt der Jungspund, 2023/24 bislang mit einem Treffer und zwei Assists notiert, die Kugel durch eigenen Reihen. Ob der BVB die nötigen finanziellen Mittel aufbringen kann, beziehungsweise will, um den Senkrechtstarter an den Borsigplatz zu transferieren, bleibt abzuwarten. Des Weiteren hat die schwarz-gelbe Marke, spätestens nach dem Flop-Kapitel Ciro Immobile, in Italien keine immense Strahlkraft mehr.
Fazit
Die eierlegende Wollmilchsau wird für den BVB in puncto Sechser-Position wohl im Sommer 2024 kaum zu verpflichten sein. Aufgrund der ungewissen erneuten Qualifikation für die lukrative UEFA Champions League wird es wohl bis in die Endphase der Bundesliga-Saison 2023/24 dauern, ehe die Funktionäre Watzke, Kehl und Co. ein entsprechend notwendiges Budget einplanen können. Womöglich zu spät, um die wenigen attraktiven Optionen am Markt in Richtung Nordrhein-Westfalen bewegen zu können. Zudem haben die beiden aktuellen Kaderspieler Can und Özcan langfristige Verträge (jeweils bis 2026), sodass zunächst deren Gehalt eingespart werden müsste, um neues Personal zu verpflichten. Es bleibt spannend rund um das altehrwürdige Westfalenstadion.
(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)
Steven Busch
Die Außenristpässe eines Tomás Rosicky entfachten seinen Enthusiasmus für den Fußball und die Affinität zu den schwarzgelben Borussen aus dem Ruhrgebiet. WM-Held Mario Götze brach ihm mit dem Wechsel in den Süden der Republik einst sein Fanherz und der Glaube an die Fußballromantik schwand.