Spotlight

Wundertüte BVB: Sorgenkind oder Titelkandidat?

17. August 2023 | Spotlight | BY Damian Ozako

Spotlight | Der BVB will nach dem bitteren Ende der letzten Saison einen neuen Angriff auf die Meisterschale starten. Kann das wirklich gelingen?

BVB: Der Traum vom Titel lebt weiter

Die Vorbereitung von Borussia Dortmund hatte ein durchgängiges Motto: Kraft aus Enttäuschung ziehen. "Mir fiel es schnell leicht, mich wieder zu motivieren", teilte beispielsweise Julian Brandt mit und berichtete von einem Treffen mit Nico Schlotterbeck im Urlaub, der es ähnlich sah. "Bei mir ist es innerhalb weniger Wochen von einer absoluten Enttäuschung zu einer unfassbaren Motivation geworden", betonte der Mittelfeldspieler. Ähnliche Aussagen wurden gefühlt alle paar Tage von unterschiedlichen BVB-Profis getätigt.
Nach einem holprigen Start in die Saisonvorbereitung steigerten sich die Dortmunder von Testspiel zu Testspiel. Gegen Ajax (3:1) und im DFB-Pokal gegen Schott Mainz (6:1) gab es vielversprechende Szenen, aber auch altbekannte Schwächen zu beobachten. Dennoch versuchen die Verantwortlichen derzeit Optimismus auszustrahlen. "Wir haben das Gefühl, dass wir viele gute Dinge einleiten konnten, dass wir diese Energie wecken konnten", so Cheftrainer Edin Terzic, der nach dem Trauma der letzten Saison neues Feuer im Verein entfachen will. Der Verein tritt so offensiv auf wie schon lange nicht mehr. Zwar wissen alle Beteiligten, dass der FC Bayern München nach wie vor der große Favorit auf den Titel ist, aber unterwürfig, wie der BVB in der jüngeren Vergangenheit zu oft auftrat, gibt sich die Borussia nicht mehr. Die Schwarzgelben haben Blut geleckt, wollen endlich wieder den Titel holen, aber wie realistisch ist die Bewältigung dieser Aufgabe in der kommenden Saison?

BVB legte starke Serie hin

Für den Traum von der ersten Meisterschaft seit 2012 spricht vor allem das Auftreten nach der WM-Pause. Ja, der BVB hatte nicht gerade die reifste Spielanlage und konnte viele spielerische Probleme nicht dauerhaft lösen. Dennoch legte die Terzic-Elf eine beachtliche Serie hin. In 19 Spielen sammelte der BVB 46 Punkte und damit acht mehr als RB Leipzig und neun Zähler mehr als der FC Bayern. Dank der Rückkehr von Sebastien Haller und dem enormen Formanstieg von Donyell Malen und Karim Adeyemi stellte Dortmund in diesem Zeitraum auch die beste Offensive der Liga (58 Tore, auf Rang zwei lag der FCB mit 43 Treffern im selben Zeitraum). Auch wenn der Blick auf Social Media und die Berichterstattung rund um Dortmund oftmals etwas anderes vermitteln: diese Entwicklung ist nicht nur pures Glück gewesen. [sc name="mehr_zur_bundesliga_satz" ][/sc] Also kann es direkt weiter gehen und der BVB setzt die Bayern mit 80+ Punkten in der Bundesliga unter Druck? Nein, so einfach ist es dann letztendlich nicht. Die Verantwortlichen rund um Sportdirektor Sebastian Kehl stehen vor einer Mammutaufgabe, die definitiv nicht in aller Vollständigkeit zu lösen sein wird: Den Dortmundern fehlt es auf zu vielen Positionen noch an Kadertiefe. Haller, der Unterschiedsspieler überhaupt im System von Terzic, wird Anfang nächsten Jahres für die Elfenbeinküste beim Afrika-Cup auf Torejagd gehen. Der Cheftrainer der Borussia kündigte schon an, nach einem Back-Up zu suchen. Alternative Optionen könnten die Schwarzgelben allerdings auch auf vielen anderen Positionen noch gebrauchen. Ramy Bensebaini, der einzige nominelle Linksverteidiger im Kader, ist ebenfalls beim Afrika-Cup unterwegs, in der Innenverteidigung braucht es dringend noch einen weiteren Profi (zur Zeit ist Armel Bella-Kotchap im Gespräch), im defensiven Mittelfeld ist Salih Özcan nicht zuzutrauen, Emre Can vernünftig zu ersetzen, der wiederum selber für Aussetzer gut ist, und alle Flügelspieler außer Donyell Malen sind extrem verletzungsanfällig. Sportdirektor Sebastian Kehl hat nicht das Geld, um all diese Baustellen zu schließen.

Pragmatismus statt (genialem) Chaos

Das liegt auch daran, dass Jude Bellingham durch zwei Spieler ersetzt wurde. Marcel Sabitzer und Felix Nmecha kosteten rund 50 Millionen Euro. Während Letzterer neben diversen, kleineren Verletzungsproblemen vor allem mit Ansichten auffiel, die nicht mit dem Wertekodex des BVB übereinstimmen, verkörpert der österreichische Nationalspieler das neue Dortmund ganz gut. Der 29-Jährige löste zwar nicht die große Euphorie aus, aber fiel durch solide Leistungen in der Vorbereitung auf. Er verleiht der Terzic-Elf Struktur und Stabilität im Mittelfeld. Das mag zwar nicht aufregend sein, wird dem aber Team gut tun. [caption id="attachment_554389" align="aligncenter" width="1024"]BVB: Sabitzer sorgt für mehr Balance im Mittelfeld (Photo by Christof Koepsel/Getty Images)[/caption] Mit Bellingham und Raphael Guerreiro sind dem BVB zwar zwei begnadete Fußballer verloren gegangen, aber sie fielen auch mit schmerzhaften Nachlässigkeiten auf. Beim Engländer, der aufgrund von Knieproblemen eine recht durchwachsene Rückrunde spielte, war es sein forsches Herausrücken, das oftmals klaffende Lücken hinterließ und beim Linksverteidiger waren es fehlende Intensität und defensives Verständnis. So genial beide auch in vielen Momenten waren, sie leisteten sich zu oft krasse Aussetzer. Sabitzer und Bensebaini werden sich taktisch disziplinierter und strukturierter präsentieren. Leistungsausflüge in beide Extreme wird es mit den beiden eher nicht geben. Dafür braucht es dann aber auch umso mehr kreativen Output von Julian Brandt, Marco Reus, Nmecha sowie den Flügelspielern. Bleibt Borussia Dortmund weitestgehend von Verletzungsproblemen verschont, spricht vieles dafür, dass keine sensationelle Aufholjagd wie in der vergangenen Rückrunde notwendig sein muss, um im Titelrennen zu sein. Der BVB mag zwar nicht mehr allzu aufregend wirken, aber dafür deutlich ausbalancierter. Eine derart schwache Hinrunde, wie in der letzten Spielzeit, wäre dann unwahrscheinlich. Mit Haller und Julian Ryerson sind zwei der entscheidenden Profis der Rückrunde dieses Mal von Beginn an am Start. Malen, der eine extreme Formsteigerung hinlegte, knüpft bislang ebenfalls an den positiven Leistungen an.

Borussia Dortmund: Erfolg hängt am seidenen Faden

Das galt auch für Adeyemi, der einen guten Eindruck im Testspiel gegen Manchester United hinterließ, aber dieser fehlt nun schon wieder länger mit muskulären Problemen. Und das ist der entscheidende Punkt: Dortmund ist stets ein bis zwei Verletzungen davon entfernt, vom Titelkandidat zum Sorgenkind zu mutieren. Aufgrund dieses wackligen Fundaments ist die Terzic-Elf durchaus als Wundertüte zu bezeichnen. Bis in den Herbst hinein hat der BVB einen durchaus angenehmen Spielplan vorzuweisen. Bleiben die Schwarzgelben von gravierenden Ausfällen verschont, ist eine Serie schon fast ein Muss. Dass die Mannschaft dazu in der Lage ist, hat sie schon längst bewiesen. Je nachdem, wie die weitere Transferplanung der Borussia aussieht, können Kehl und Co. daran arbeiten, dass die Prognose in kleinen, aber entscheidenden Schritten in Richtung Titelkandidat ausschlägt. So oder so: Den Fans des BVB steht eine sehr interessante Saison bevor.

(Photo by Christof Koepsel/Getty Images)

[sc name="fanq_bundesliga_umfragen" ][/sc]

Damian Ozako

Als Kind von Tomas Rosicky verzaubert und von Nelson Haedo Valdez auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht worden. Geblieben ist die Leidenschaft für den (offensiven) Fußball. Seit 2018 bei 90PLUS.


Ähnliche Artikel