Hinter dem VfB Stuttgart liegt eine wahrliche Bilderbuch-Saison. Innerhalb eines Jahres mauserten sich die Schwaben vom Fast-Absteiger zum Vizemeister. Doch wie gehen die Cannstatter mit den gestiegenen Erwartungen um? Und können die Abgänge absoluter Schlüsselspieler aufgefangen werden? Der VfB befindet sich in jeglicher Hinsicht vor einer hochinteressanten Spielzeit.
VfB Stuttgart: Das Bundesliga-Team-to-Watch?
Hätte man Fans des VfB Stuttgart noch vor einem Jahr gesagt, dass ihre Mannschaft nicht am ersten DFB-Pokal-Wochenende teilnehmen wird, um am Samstagabend stattdessen um den Gewinn des DFL-Supercups zu spielen, wäre man von diesen berechtigterweise als völlig verrückt eingestuft worden. Doch die Partie gegen Doublesieger Bayer Leverkusen zeigte erneut auf, dass die Schwaben keineswegs zufällig dort stehen, wo sie nun mal gerade stehen. Der unter Sebastian Hoeneß eingeleitete Aufschwung ist zwar rapide, aber dennoch nachhaltig und basiert auf keinerlei Spielglück oder schicksalhaften Fügungen. Was nicht heißt, dass der VfB in diesem Jahr erneut Vizemeister werden muss. Doch zu rechnen ist mit dem Süd-Giganten allemal.
Sensationell zur Vizemeisterschaft
Der Stuttgarter Weg zur Vizemeisterschaft verlief viel zu flüssig, viel zu reibungslos, um den Klubs nur als ein One-Year-Wonder abzutun, dass über neun Monate hinweg eine Welle des Erfolgs ritt. Vom Saisonbeginn weg gehörte der VfB zu den besten Mannschaften der Bundesliga und dominierte große wie kleine Teams in absoluter Regelmäßigkeit. Ein Punkteschnitt von 2,15 pro Partie, 78 erzielte Treffer und eine Tordifferenz von +39 – in einem anderen Jahr hätte man mit Zahlen wie diesen durchaus Chancen auf den Meistertitel gehabt.
Mit einem mutigen und ballbesitzorientierten Spielansatz stürmten die Schwaben durch die Saison und zeigten dabei unter anderem Borussia Dortmund gleich dreimal (2x in der Bundesliga, 1x im DFB-Pokal) die Grenzen auf. Gegenüber der Sport Bild berichtete Mats Hummels später, er habe sich „in meiner Ehre gekränkt gefühlt, so in diesem Trikot auf dem Platz zu stehen. So unterwürfig, so fußballerisch unterlegen.“ Was einerseits als Kritik am eigenen Trainer Edin Terzic verstanden werden muss, kann andererseits aber auch als Lobeshymne auf den VfB Stuttgart gelesen werden. Was diesen nämlich von anderen Überraschungsteams der Vorjahre, sei es der VfL Wolfsburg 2020/21 oder der 1. FC Union Berlin 2022/23, unterscheidet, ist die Tatsache, seine Gegner nicht lediglich besiegt, sondern auch hergespielt zu haben.
Ein ereignisreicher Sommer
Dass solche Fabelleistungen im modernen Fußballgeschäft zwangsläufig mit dem Verlust einer Vielzahl an Schlüsselspieler einhergehen, ist ebenso tragisch wie logisch. So erging es auch dem VfB keinesfalls anders. Kapitän Waldemar Anton und Top-Torjäger Serhou Guirassy zogen ihre Ausstiegsklauseln und schlossen sich Borussia Dortmund an, während das japanische Schweizer Taschenmesser Hiroki Ito zum FC Bayern wechselte. Insgesamt nahmen die Württemberger knapp 65 Millionen durch Spielerverkäufe ein.
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Große Teile dieser Einnahmen wurden direkt wieder reinvestiert, um mit Deniz Undav einen weiteren Eckpfeiler der vergangenen Spielzeit zu halten. Nach einem wochenlang andauernden Pokerspiel mit Brighton & Hove Albion wechselte der DFB-Stürmer letztlich für die stattliche Ablösesumme von 26,7 Millionen Euro fest nach Stuttgart. Für 21 Millionen Euro wurde außerdem Ermedin Demirovic als Guirassy-Nachfolger vom FC Augsburg verpflichtet. Gemeinsam mit Undav soll der Bosnier die schwäbische Abteilung Attacke am laufen halten.
Ferner sicherte sich der VfB frühzeitig und ablösefrei die Dienste der Buli-Youngster Yannik Keitel, Justin Diehl und Nick Woltemade. Auf Leihbasis kamen FCB-Talent Frans Krätzig und EM-Star Fabian Rieder, Jeff Chabot wurde für vier Millionen Euro aus Köln geholt und soll den abgewanderten Anton im Abwehrzentrum vergessen machen. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge steht der Vizemeister zudem vor einem Transfer von Atalanta-Stürmer El Bilal Touré, der auf Leihbasis mit anschließender Kaufoption verpflichtet werden soll.
Die Frühform stimmt
Sebastian Hoeneß verfügt also über einen hochspannenden Kader, dem zwar absolute Leistungsträger abhanden gekommen sind, der zeitgleich jedoch über deutlich mehr Tiefe verfügt als noch in der Vorsaison. Diese wird auch dringend notwendig sein, spielt der VfB doch zum ersten Mal seit 2010 wieder in der Champions League.
Hoeneß sieht seine Mannschaft dafür gut gerüstet und will sich auch hinter den Abgängen seiner Top-Stars nicht verstecken. „Am Ende geht es darum, für Herausforderungen einfach gute Lösungen zu finden. Und da sind wir auf dem Weg. Der ist noch nicht abgeschlossen. Aber ich glaube, wir haben da schon ein paar ganz gute Entscheidungen getroffen. Deswegen bin ich positiv und sicher nicht mehr rückwärtsgewandt“, erklärte er im Gespräch mit dem SWR.
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Auch die Frühform der Schwaben scheint angesichts der jüngsten Ergebnisse durchaus vielversprechend zu sein. Ein Testspiel gegen Athletic Club wurde mit 4:0 gewonnen, im Supercup gegen Leverkusen zeigte man ebenfalls eine ansprechende Leistung und musste sich erst nach Elfmeterschießen geschlagen geben. Das 42-jährige Trainer-Talent möchte diese Resultate jedoch nicht zu hoch hängen. „Ich kann das gut einordnen. Wir haben eine gute Leistung gezeigt, vor allem in punkto Intensität, Aggressivität und Struktur. Aber es gab von Bilbao auch nicht die hundertprozentige Gegenwehr. Es war ein Gegner, der nicht mit seiner normalen Startelf gespielt hat“, so Hoeneß.
Die Supercup-Niederlage gegen die Werkself wurmte den VfB da schon viel eher. „Die Enttäuschung war auch am Morgen noch spürbar, keine Frage. Wir haben eine Nacht gehabt, um das so ein bisschen zu verarbeiten und haben sicher auch noch die Analyse gebraucht“, stelle Hoeneß klar. Jedoch konnte der Trainer auch dem Auswärtsspiel in Leverkusen größtenteils positive Dinge abgewinnen: „Ich habe eine gute Rückmeldung bekommen. Wir sind in bestimmten Bereichen auf dem richtigen Weg. Die Entwicklungsschritte haben begonnen. Die ersten sind vollzogen worden und das ist gut zu wissen.“
Wie lautet die Zielsetzung?
Schon nach dem ersten Bundesliga-Spiel beim SC Freiburg wird Hoeneß eine weitere Rückmeldung von seiner Mannschaft erhalten haben. Anders als noch in der Vorsaison reist der VfB allerdings nicht als Außenseiter, sondern als klarer Favorit zum Rivalen in den Breisgau. Der Umgang mit der gestiegenen Erwartungshaltung dürfte während der gesamten Saison zu einem absoluten Schlüsselfaktor werden. Es ist daher gar nicht so einfach, mit einer konkreten Zielsetzung in die neue Spielzeit zu gehen. Ein erneutes 70-Punkte-Jahr zu erwarten, wäre vermessen. Doch die beeindruckende Art und Weise, mit welcher die Cannstatter durch die Bundesliga pflügten, und die immensen Transferausgaben in diesem Sommer sorgen dafür, dass Umfeld und Medienlandschaft keinesfalls niedrige Ansprüche an dieses Team haben werden.
„Wir sind ambitioniert, ohne Frage“, stellte auch Sebastian Hoeneß unmissverständlich klar, ergänzte im selben Atemzug jedoch: „Und trotzdem ist es schon so, dass sich ein paar Dinge verändert haben. Und da müssen wir uns hier im inneren Kreis einfach auch die Zeit geben, wieder Dinge zu entwickeln.“
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Können die Abgänge von Guirassy, Anton und Ito annähernd aufgefangen werden? Wie schlagen die zahlreichen Neuzugänge ein? Findet die Konkurrenz im zweiten Jahr eine Antwort auf den Hoeneß’schen Spielstil? Und wie stecken die Schwaben die bevorstehende Dreifachbelastung weg? Fragen über Fragen, auf die wir erst in einigen Wochen eine Rückmeldung erhalten werden. So oder so steht fest: Nur wenige Bundesligisten werden in dieser Saison so spannend zu verfolgen sein wie der VfB Stuttgart.
(Photo by Christof Koepsel/Getty Images)