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Hannover 96: Auf dem Weg zum Aufstiegsfavoriten?

25. Juni 2022 | Spotlight | BY Yannick Lassmann

Spotlight | Hannover 96 enttäuschte in der abgelaufenen Spielzeit abermals. Der anvisierte Umbruch im Kader schreitet nun aber schnell voran, weshalb die Hoffnungen auf einen Eingriff ins Aufstiegsrennen wachsen.

Hannover 96: Erhöhtes Budget, viele Veränderungen im Kader

Noch am 31. Spieltag musste sich Hannover 96 mit einem möglichen Abstieg in die 3. Liga auseinandersetzen. Umso überraschender kam die Wortmeldung von Präsident Martin Kind (78), der damals öffentlich verkündete: „Der geplante Haushalt liegt bei circa 40 Millionen.“ Trotz sinkender TV-Gelder angesichts schwacher Platzierungen und dem darausfolgenden vierten Zweitliga-Jahr am Stück, fehlender Transfereinnahmen, sowie deutlich sinkender Zuschauerzahlen würden rund 17 Millionen Euro in die Profimannschaft fließen, womit den Niedersachsen im Ligavergleich wohl nur der Hamburger SV überlegen wäre.

Zunächst musste jedoch der Klassenerhalt eingetütet werden. Mit sechs Punkten aus den verbleibenden vier Partien gelang schließlich sogar der Sprung auf Rang elf, verbunden mit einem versöhnlichen Ende. Darüber hinaus suggeriert die Position eine sorgenfreie Saison, was mitnichten der Fall war. Der zumeist kurzsichtig nach Ergebnissen handelnde Kind, dessen Einmischen in den vergangenen Jahren sich nur selten als hilfreich erwies, überließ dem erst im Sommer 2021 verpflichteten Sportdirektor Marcus Mann (38) freie Hand. Dieser läutete einen größeren Umbruch ein, schreckte nicht vor der Trennung von populären Akteuren zurück. Der im Verein sehr geschätzte Trainer Christoph Dabrowski (43) erhielt keine Vertragsverlängerung, obwohl er nach dem Ende von Jan Zimmermann (42) den Punkteschnitt deutlich erhöhte und zumindest das sich anbahnende Desaster in Form eines Abstiegs in die 3. Liga verhinderte. Die zur Verfügung stehenden Gelder wusste Mann zu nutzen, eiste den auch bei anderen Klubs auf dem Zettel stehenden Stefan Leitl (44) von der Spielvereinigung Greuther Fürth los.

Stefan Leitl will die SpVgg Greuther Fürth im Sommer verlassen.

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Darüber hinaus profitierte der Manager von auslaufenden Kontrakten. Akteure wie Dominik Kaiser (33), Philipp Ochs (25), Marcel Franke (29) oder Mike Frantz (35), die in den letzten Jahren allesamt nicht durchweg überzeugten, mussten gehen. Dazu verabschiedete sich der kaum einmal sein Potenzial abrufende Linton Maina (22) in Richtung Köln. Gehalten werden – aber nicht um jeden Preis – sollten der solide Linksverteidiger Niklas Hult (32) sowie der erst im Winter aus Rotterdam geliehene Mark Diemers (28). Letztlich fiel die Entscheidung in beiden Fällen, aufgrund fehlender Einigkeit mit Spieler respektive Verein, zugunsten einer Trennung aus.

Schon bevor all diese Entscheidungen öffentlich worden, handelte Mann äußerst eifrig auf dem Transfermarkt – und zeigte einen besonders guten Riecher für ablösefreie Neuzugänge. Die Verpflichtungen von Phil Neumann (24), Fabian Kunze (23), Max Besuschkow (25) sowie Louis Schaub (27), die allesamt in der 2. Bundesliga bereits sehr gute Leistungen ablieferten und teils auch schon in der Bundesliga zum Zug kamen, wurden  noch im Mai eingetütet. Pünktlich zum Trainingsauftakt am 8. Juni stießen mit Havard Nielsen (28) und Maximilian Beier (19), dessen Leihe aus Hoffenheim um ein Jahr ausgeweitet wurde, zwei weitere angehende Stammspieler zur Mannschaft. Eine vielversprechende Perspektive könnten die sich ebenfalls Hannover 96 anschließenden Enzo Leopold (21/zuvor SC Freiburg II), Ekin Celebi (22/VfB Stuttgart II), Eric Uhlmann (19/RB Leipzig U19), Schlussmann Toni Stahl (22/Energie Cottbus) und Antonio Foti (18/Eintracht Frankfurt) haben, wenn sie sich frühzeitig dem mit Blick auf ihre vorherigen Stationen wesentlich höheren Niveau anpassen.

Hannover 96: Vieles spricht für die Mittelfeldraute

Zahlreiche Ex-Trainer dürften sich beim Blick auf ihren alten Arbeitgeber die Augen reiben. Oftmals befand sich der Kader erst vollständig beisammen, als die Saison längst lief. Exemplarisch dafür steht die vorherige Spielzeit. Im August – also weit nach Ligabeginn – stießen noch sechs Neuzugänge zur Mannschaft, die allesamt eine tragende Rolle einnehmen sollten. Tom Trybull (29) ging bereits im Januar, Gael Ondoua (26) sowie Lukas Hinterseer (31) dürften in diesem Sommer weiterziehen, was die verfehlte, keinerlei Kontinuität herstellende Personalpolitik nochmals beschreibt. Sportdirektor Mann soll in dieser Hinsicht einen Wandel herstellen. Auf dem Spielfeld soll Trainer Leitl, dem fünfeinhalb Wochen Vorbereitung zur Verfügung stehen, die Abkehr von einem abwartenden hin zu einem aktiven Spielstil vorantreiben. Dass er Wert auf die Art des Auftretens legt, unterstrich Leitl bei seiner Vorstellung: „Fußball ist natürlich ein Ergebnissport, aber wir sollten zuerst die Leistungen in den Vordergrund stellen.“ Einen ähnlichen Ansatz vertrat er bereits in Fürth, wo sich insbesondere in der Aufstiegssaison 2020/21 die Resultate zunehmend den zumeist überzeugenden Leistungen anpassten. Die Spielvereinigung sammelte damals 64 Punkte ein und erzielte 69 Tore, da sie stets nach vorne dachte. Leitl griff damals auf ein 4-4-2 zurück, wobei im Mittelfeld eine Raute gebildet wurde.

Selbigen offensiven Ansatz dürfte er wohl in Reihen von Hannover 96 wählen. Das Personal steht ihm in weiten Teilen bereits zur Verfügung. Das Tor wird  Ron-Robert Zieler (33), Weltmeister von 2014, hüten, der immer noch über dem Zweitliga-Durchschnitt hält. Als Abwehrchef fungiert weiterhin Julian Börner (31), einer der besten Innenverteidiger der abgelaufenen Spielzeit. Sein Nebenmann wird hingegen noch gesucht. Als Kandidat gilt der aus Kiel gekommene Neumann, der ebenso auf der rechten Seite einsetzbar ist. Dort stehen mit Sei Muroya (28) sowie Jannik Dehm (26) aber zumindest zwei solide Optionen zur Verfügung. Eine Baustelle gilt es, auf der Position des Linksverteidigers zu schließen, was Mann bewusst ist. Aktuell liege darauf „das Hauptaugenmerk“, wie die sich anbahnende Verpflichtung von Anderson Lucoqui (24) beweist. Die Außenverteidiger spielen in der Philosophie von Leitl eine große Rolle, sollen stets den Vorwärtsgang einschalten. Der Stern des in der deutsche Nationalmannschaft etablierten David Raum (24) ging aus bekanntermaßen unter seiner Leitung in Fürth auf.

Julian Börner im Dress von Hannover 96

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Im Mittelfeld besteht schon mehr Klarheit. Fabian Kunze, frisch aus Bielefeld verpflichtet, wird als einziger Sechser eine gewohnt robuste Spielweise mitbringen und sich hauptsächlich auf die Konterabsicherung fokussieren. Auf den Halbpositionen sollen die ebenfalls dazugestoßenen  Besuschkow und der sich im Zentrum pudelwohl fühlende Louis Schaub – zugleich einer der fußballerisch am besten veranlagten Spieler der 2. Liga – offensive Akzente setzen. Sebastian Kerk (28) wird aller Wahrscheinlichkeit nach seinen Platz hinter den Spitzen behalten. Er zählte mit 14 Scorerpunkten zu den positiven Erscheinungen des letzten Spieljahrs. Mit dem bald aus einem Achillessehnenriss zurückkehrenden Sebastian Ernst (27) steht eine hochwertige Alternative bereit, den Leitl bereits aus Fürth bestens kennt. Der frisch aus Frankfurt geliehene, vor seiner ersten Spielzeit im Profifußball stehende, Antonio Foti lauert ebenfalls auf seine Chance.

Ein genauso bekanntes Gesicht trifft der Coach, der bereits andeutete, wieder auf zwei Spitzen zurückzugreifen, im Angriff wieder. Havard Nielsen dürfte seinen Stammplatz sicher haben, da er seine Zweitliga-Tauglichkeit mehrfach nachwies und erheblichen Anteil am Fürther Aufstieg besaß. Er band sich für die kommenden zwei Jahre an Hannover 96. An der Seite des Norwegers dürfte Maximilian Beier, der in seinem ersten Profijahr überzeugte, obwohl seine Teamkollegen nur selten ein gutes Bild abgaben, wirbeln. Nicht umsonst betonte Mann: „Maxi ist ein gutes Beispiel, wofür wir stehen wollen – einen jungen, frischen Fußball.“ Als Joker könnten Hendrik Weydandt (26) und der frisch aus dem eigenen Nachwuchs aufgerückte Nicolo Tresoldi bereit stehen.

Wohin führt der Weg von Hannover 96?

Bei Betrachtung des Kaders besitzen die Niedersachsen die Fähigkeiten, um im Aufstiegsrennen mitzumischen. Die wenigen, bisherigen Stützen wurden allesamt gehalten. Hinzu kommen vielversprechende Neuzugänge, die in der Lage scheinen, die Spielidee von Leitl umzusetzen. Viel Zeit zur Verinnerlichung der neuen Abläufe bleibt allerdings nicht. Die Saison startet bereits am 15. Juli. Deshalb bremste Mann diejenigen, die einen Aufstieg bereits für realistisch halten: „Die Rückkehr ist das Ziel, aber das muss nicht nächstes Jahr sein, sondern ist über zwei, drei Jahre ausgelegt.“ Leitl wiederum stellte auch klar, dass es immer wieder schwieriger werde, den Schritt nach oben zu gehen.

Das Beispiel Hamburger SV unterstreicht diese Aussage. So verpasste er viermal – aus unterschiedlichsten Gründen – knapp die Rückkehr ins Oberhaus und verlor Jahr für Jahr an individueller Qualität im Kader. Auch in diesem Sommer wird er Stammspieler ziehen lassen müssen. Dennoch zählen die Hansestädter zu den Topfavoriten auf den Aufstieg. Fragezeichen stehen hinter den Absteigern Bielfeld und Fürth, die beide einen größeren Umbruch erleben. Zumindest erstgenannter Klub bringt aber eine gute Basis, aus in Liga zwei bereits auffälligen Akteuren, mit. Selbiges gilt für Fortuna Düsseldorf, den 1. FC Nürnberg oder 1. FC Heidenheim. Die zuletzt lange am Aufstieg schnuppernden Vertreter aus St. Pauli und Darmstadt müssen dagegen die Abgänge mehrerer Leistungsträger verkraften. Die Situation an der Tabellenspitze erscheint daher enorm offen. Womöglich ist Hannover 96, das bereits weit vor Saisonbeginn den Grundstein für eine erfolgreiche Saison legte, der große Profiteur.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Yannick Lassmann

Rafael van der Vaart begeisterte ihn für den HSV. Durchlebte wenig Höhen sowie zahlreiche Tiefen mit seinem Verein und lernte den internationalen Fußball lieben. Dem VAR steht er mit tiefer Abneigung gegenüber. Seit 2021 bei 90Plus.


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