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BVB | Hat Mats Hummels seinen Zenit überschritten?

11. Dezember 2021 | Trending | BY Simon Lüttel

Über ein Jahrzehnt zählte Mats Hummels unbestritten zur europäischen Spitzenklasse, doch in den vergangenen Monaten häufte sich die Kritik an dem Weltmeister von 2014. Wir werfen einen Blick auf die Entwicklung des Innenverteidigers und ordnen die Kritik ein.

Mats Hummels: Rasanter Aufstieg in Dortmund

Als Mats Hummels im Februar 2009 für eine Ablösesumme von etwa vier Millionen Euro vom FC Bayern zu Borussia Dortmund wechselte, rechneten die Beteiligten wohl nicht damit, dass der damals 20-Jährige im folgenden Jahrzehnt über weite Strecken zu den besten Innenverteidigern Europas zählen sollte. Die Konkurrenz in München war mit Lucio, Martin Demichelis, oder Daniel van Buyten äußerst namhaft. Jürgen Klinsmann, der damalige Trainer des FC Bayern, sah keine Möglichkeit dem jungen Hummels regelmäßige Spielzeit zu garantieren. Der  Innenverteidiger wurde bereits im Juli 2008 nach Dortmund verliehen und zeigte in den ersten Monaten vielversprechende Ansätze.

Neben seinen Führungsqualitäten, der Präsenz in Luftzweikämpfen und einer grundsätzlichen defensiven Stabilität zählte der Spielaufbau zu Hummels‘ größten Stärken. Anfang der 2010er-Jahre bildete der Ex-Münchener in einer Viererkette ein Innenverteidiger-Duo mit Neven Subotic. Im Laufe der Jahre nahm Sokratis die Rolle als Partner von Hummels in der Abwehrzentrale ein. Wirft man einen Blick auf die Qualitäten von Subotic und Sokratis, lassen sich Parallelen feststellen. Beide verfügten über einen robusten Körperbau und galten als überdurchschnittlich zweikampfstark. Im Spielaufbau wiesen beide jedoch Defizite auf. Ganz im Gegenteil zu Hummels.

Egal, ob Roman Weidenfeller oder später Roman Bürki kurze Abstöße ausführten oder der Ball in Dortmunds Defensive zirkulierte: Hummels war der gesuchte Akteur, dessen Aufgabe es war, das Spiel zu eröffnen und den höher positionierten Mitspieler den Übergang ins Offensivspiel zu ermöglichen. Eine seiner Spezialitäten war der Pass mit dem Außenriss, mit dem mehrere Ketten des Gegners innerhalb weniger Sekunden überspielt werden konnten.

(Photo by Stu Forster/Getty Images)

In Dortmund fand eine stetige Weiterentwicklung statt. Hummels´ Fortschritte waren beim BVB kein Einzelschicksal. Unter Jürgen Klopp befand sich der Verein im Aufwind und wurde vom Sorgenkind mit Potential zu einem der interessantesten Klubs des Kontinents. Mit der deutschen Meisterschaft in der Spielzeit der 2010/11, sowie dem Double in der Folgesaison ließen die Erfolge nicht lange auf sich warten. Hummels reifte zum Schlüsselspieler und übernahm ab der Saison 2014/15 die Kapitänsbinde von Sebastian Kehl. Einen Karrierehöhepunkt konnte der BVB-Profi kurz zuvor mit dem DFB-Team in Brasilien feiern. Mit der deutschen Nationalmannschaft wurde er als Stammspieler in Brasilien Weltmeister.

Unter Thomas Tuchel, dem Nachfolger von Klopp, wurde häufiger von der gewohnten Viererkette abgewichen und je nach Gegner sowie Personallage zu einer Dreier- oder Fünferkette gewechselt. Flexibilität wurde so zur gefragten Kompetenz. Hummels gelang dies ohne nennenswerte Anpassungsprobleme. Sein größtes Defizit, das Tempo in der Rückwärtsbewegung, blieb jedoch nicht immer verborgen.

Nach dem Durchbruch zurück zum FC Bayern

Als der Verteidiger zum 1. Juli 2016 für eine Ablösesumme von 38,5 Millionen zurück zum FC Bayern wechselte, war er eine feste Größe im europäischen Spitzenfußball. Anders als in Dortmund konnte der damalige Trainer Carlo Ancelotti ihm einen weiteren Innenverteidiger zur Seite stellen, der über ähnlich gute Fähigkeiten in der Spieleröffnung verfügte. Das Duo Hummels/Boateng bewährte sich bereits bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien und konnte den Titel in Rio feiern. Die Vereinigung des Duos auf Klubebene verleitete BVB-Boss Hans-Joachim Watzke zu der Aussage, dass die Bayern sich auf nationaler Ebene „unschlagbar gemacht hätten.“

Zwar konnte Hummels beim FC Bayern den ganz großen Erfolg, den Gewinn des Champions-League-Titels, nicht feiern, doch auf nationaler Ebene waren die Münchener das Nonplusultra. Mit den Erfolgen wuchs das Selbstverständnis im Spiel des strategisch cleveren Verteidigers.

Profis des FC Bayern beim Aufwärmen

(Photo by Octavio Passos/Getty Images)

Hummels zählte unter der Führung des Italieners stets zum Stammpersonal. Das änderte sich auch unter den Nachfolgern Jupp Heynckes und Niko Kovac nicht. Mit dem Kroaten geriet die Nummer 5 des FC Bayern jedoch in einen Konflikt, der letztendlich dazu führte, dass es im Sommer 2019 zur etwas überraschenden BVB-Rückkehr kam.

Gelungenes Comeback beim BVB

Während das Comeback in Schwarz-Gelb die Fanlager spaltete, gab es aus sportlicher Perspektive keine Zweifel daran, dass der Weltmeister von 2014 eine Verstärkung für die regelmäßig wackelnde BVB-Defensive darstellte. Der Rückkehrer überzeugte mit bekannten Qualitäten und profitierte von der abwartenden Spielweise von Lucien Favre, in dem die defensive Absicherung eine wichtige Rolle spielte. Der Schweizer bevorzugte einen Spielstil mit viel Ballbesitz und wenig Risiko. Dem Gegner sollten keine gefährlichen Umschaltmomente ermöglicht werden. So blieben Hummels Tempodefizite in der Rückwärtsbewegung weitestgehend im Verborgenen. Dennoch strauchelten die Dortmunder und konnten in der Saison 2019/20 nicht ernsthaft mit dem FC Bayern um die deutsche Meisterschaft konkurrieren.

Im Dezember 2020 wurde Favre entlassen und Edin Terzic übernahm interimsweise. Der BVB spielte nun wieder intensiver und forcierte ein höheres Pressing. Nach kurzen Anlaufschwierigkeiten kam die Pressingmaschinerie ins Rollen und der Interimscoach rettete die Dortmunder in die Champions League. Der DFB-Pokalsieg gegen RB Leipzig krönte die Leistungen der Mannschaft.

Hummels gelang der Drahtseilakt aus der Kombination des Agierens in einer hochstehenden Viererkette und den bekannten Tempodefiziten in der Rückwärtsbewegung. Mit 30 von 32 möglichen Einsätzen war der Defensivstratege der meisteingesetzte Akteur unter dem Interimstrainer und spielte eine Schlüsselrolle in der kurzen, aber durchaus erfolgreichen Terzic-Ära.

Defensiv-Probleme unter Rose – Hummels über dem Zenit?

Mit Marco Rose folgte im vergangenen Sommer ein neuer Trainer, der neue Anforderungen an seine Profis stellte. Der ehemalige Salzburger legt großen Wert auf ein gutes und hohes (Gegen-)Pressing. So zählen Dynamik, physische Stärke und Tempo zu den grundlegenden Anforderungen an seine Profis. Hummels Anforderungsprofil weicht vom typischen „Rose-Profi“ offensichtlich etwas ab, doch deswegen ist der 32-Jährige keineswegs abgeschrieben.

Mit einem guten Stellungsspiel, defensiver Konsequenz und Kommunikation mit den Abwehrkollegen lassen sich einige Defizite kompensieren. Während Manuel Akanji, der von Roses Spielstil aufgrund seiner Anlagen grundsätzlich profitiert, in den vergangenen Monaten aufblühte und Thomas Meunier sich stabilisierte, wurde der routinierte Hummels zum Sorgenkind. Patellasehnenprobleme erschwerten die Vorbereitung des Vize-Kapitäns und ständige Wechsel in der Defensive wirkten sich auf Stabilität des Abwehrkollektivs auf. Obwohl Neuzugang Gregor Kobel im Tor überzeugte, mussten die Dortmunder für eine Mannschaft mit Titelambitionen verhältnismäßig viele Gegentore hinnehmen.

Unter Favre waren es im Schnitt 1,26 Gegentore pro Partie, unter Terzic 1,31, während es unter der Führung Roses nun 1,64 in der laufenden Spielzeit sind. Vor allem die halblinke Abwehrseite des BVB lässt sich aktuell als Schwachstelle ausmachen. In den BVB-Spielen kommt es sowohl für die Dortmunder, als auch für die Gegner häufiger zu Umschaltsituationen. Daher ist die Konterabsicherung von elementarer Wichtigkeit. Hier kamen Hummels Defizite zuletzt häufiger zum Tragen.

Mit einer gemessenen Höchstgeschwindigkeit von 30,52km/h in der laufenden Spielzeit sind seine Partner  Akanji (34,35km/h) und Pongracic (33,07km/h) ihm einen deutlichen Schritt voraus. Letzterer konnte jedoch nur bedingt mehr defensive Stabilität bieten und sich somit nicht als fester Innenverteidiger-Partner des soliden Akanji etablieren. Dem kürzlich zurückkehrten Dan-Axel Zagadou fehlt aktuell die Spielpraxis um Ansprüche auf einen Stammplatz zu stellen.

Neben den bekannten Defiziten fiel Hummels zuletzt mit ungewohnten Nachlässigkeiten auf. Bei der 1:3-Niederlage gegen Ajax Amsterdam in der Champions League musste er bereits nach 29. Minuten aufgrund einer viel diskutierten roten Karte den Platz verlassen. Zweieinhalb Wochen später verlor Hummels in der Bundesliga-Partie gegen den VfB Stuttgart einen Zweikampf, aus welchem der Ausgleich resultierte.

Am vergangenen Samstag erwischte Dortmunds Nummer 5 erneut einen schlechten Tag. So verschätzte sich der 32-Jährige bei der 3:2-Topspiel-Niederlage gegen den FC Bayern bei einem Passversuch gegen den pressenden Lewandowski und hatte somit einen maßgeblichen Anteil am 1:1-Ausgleichstreffer des Rekordmeisters. An den folgenden zwei Treffern seines Ex-Klubs war Hummels ebenfalls direkt beteiligt, vor allem beim dritten Gegentor verursachte der Verteidiger auf vermeidbare Art und Weise den entscheidenden Elfmeter für die Bayern.

Ist Hummels nur noch Nebenakteur im Spielaufbau des BVB?

Wirft man einen Blick auf die Pass-Statistiken von Akanji und Hummels bei fbref.com, lässt sich feststellen, dass Hummels ähnlich wie damals beim FC Bayern nun einen Spieler neben sich hat, der einen ähnlich hohen Einfluss auf das Aufbauspiel nimmt. Ein Wert um die Relevanz von Innenverteidigern im Spielaufbau zu messen, sind die Progressive Distance (überspielte Distanz in Richtung des gegnerischen Tors) der Pässe. Auf 90 Minuten bezogen liegt Akanjis Wert bei 520,6 Yards, während Hummels mit 417,4 Yards im Hintertreffen liegt.

Ebenfalls relevant ist die Anzahl der gespielten Progressive Passes (progressive Pässe pro 90 Minuten). Um einen repräsentativen Wert zu erhalten, werden nur Pässe gezählt, dessen Distanz mehr als 10 Yards (=9,14m) und in den vorderen 60% des Feldes gespielt werden beziehungsweise dort ankommen. Mit 4,71 Progressive Passes/90 liegt der Schweizer auch in dieser Statistik etwas vor seinem deutschen Abwehrkollegen, der 2,71 Progressive Passes/90 vorweisen kann.

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Die Statistiken bestätigen den augenscheinlichen Eindruck, dass Hummels für das Aufbauspiel eine weniger große Rolle spielt, als er es in den vergangenen Spielzeiten tat. Dennoch bleibt festzuhalten, dass sich der Weltmeister von 2014 auf statistischer Ebene in zahlreichen Pass- und Spielaufbaustatistiken deutlich über dem Bundesliga-Durchschnitt befindet.

Um die Kritiker zu besänftigten und das Standing innerhalb des Teams nicht zu verlieren, ist eine Leistungssteigerung notwendig. Einsatzchancen wird er bis zum Jahresende sicherlich genug bekommen, schließlich fällt Abwehrkollege Akanji in den kommenden Wochen verletzungsbedingt aus. Gelingt dem Routinier keine Leistungssteigerung, ist es naheliegend, dass ihm die Konkurrenz aus den eigenen Reihen den Rang ablaufen wird.


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