Was Kimmich braucht, um (wieder) ein Schlüsselspieler beim FC Bayern zu werden
24. Januar 2024 | Spotlight | BY Manuel Behlert
Die Personalie Joshua Kimmich ist beim FC Bayern derzeit vielleicht die meistdiskutierte. Der Mittelfeldspieler ist noch bis zum Sommer 2025 an den Rekordmeister gebunden, die Zukunft scheint aktuell offen zu sein. Generell würde der Klub die Zusammenarbeit wohl gerne verlängern, aber intensive Gespräche gab es noch nicht.
Dafür in den letzten Monaten aber mal mehr mal weniger zaghafte Kritik am Spielstil und der Rolle beim FC Bayern. Ihm wurde vorgeworfen, die Führungsspielerrolle nicht vollends auszufüllen, auf dem Platz zu viel zu wollen und sich in zu viele Bereiche einzuschalten. Das mag sogar teilweise stimmen, ist aber auch ein Produkt der fehlenden Homogenität im Kader. Was für und gegen eine Verlängerung des 28-Jährigen spricht, haben wir bereits erklärt. Nun soll es um die Frage gehen, wie der Nationalspieler in München zu dem zentralen Element im Spiel werden kann, als das er sich selbst sieht.
Joshua Kimmich: Aktuell nicht unumstritten
Als Joshua Kimmich im Sommer 2015 vom VfB Stuttgart zum FC Bayern wechselte hielten die Verantwortlichen des Rekordmeisters bereits groß Stücke auf den damals noch jungen, in Teilen unreifen und rohen Spieler. Doch schnell wurde klar, dass dem Klub ein Glücksgriff gelungen sein könnte. Förderer war vor allem Pep Guardiola, der schnell erkannte, wie gut und wie vielseitig dieser Spieler ist. Er nahm ihn unter seine Fittiche, brachte ihm quasi den gesamten Werkzeugkasten, den es für eine große Karriere braucht, bei. Und das führte dazu, dass Kimmich immer mehr überzeugte. Ob als Not-Innenverteidiger, als aufstrebender Spieler hinten rechts oder im Mittelfeldzentrum. Niemand hatte Zweifel, dass ihm eine große Karriere bevorstehen wird.
Und mit kleinen Abstrichen ist das auch genau so eingetreten. Die deutsche Meisterschaft gewann Kimmich in ausnahmslos jeder Saison, die Champions League feierte er ebenfalls, als wichtiger Bestandteil des Teams. In der Nationalmannschaft blieben ihm die großen Erfolge bisher aber verwehrt. Und der Schlüsselspieler, quasi die Führungsfigur der aktuellen Bayern-Mannschaft, ist er mit seinen 28 Jahren aktuell auch nicht. Im Gegenteil, vielleicht durchlebt der Nationalspieler momentan die schwierigste Phase in seiner Karriere.
Kritik gibt es von vielen Seiten. Die Führungsspielerdebatte existiert schon seit geraumer Zeit. Viele Experten unterstellen dem 28-Jährigen, dass er eine Mannschaft nicht mitreißen kann, die Spieler neben sich gar „schlechter macht“, wie Lothar Matthäus einst urteilte. Trainer und Mitspieler widersprachen diesen Aussagen, dennoch gibt es auch rein objektiv Punkte, die angesprochen werden müssen. Dass Kimmich auf dem Platz nämlich zuweilen zu viel will, sich in zu viele Prozesse auf dem Feld, angefangen vom tiefen Aufbau bis hin zu den entscheidenden Bällen im letzten Drittel, einschaltet, steht außer Frage. Und dass darunter die Balance in seinem Spiel leidet, ebenfalls.
Der ein oder andere mag sich zudem an der Art des 28-Jährigen stören, doch das ist gar nicht der zentrale Punkt. Vielmehr sind es vereinzelte Ungenauigkeiten und Unaufmerksamkeiten in seinem Spiel, die sich häuften. Sehr schwankende Eckbälle sind ein Beispiel, aber noch nicht das problematischste. Vielmehr sind es die Aktionen vor dem eigenen Strafraum, unter Druck, die den Rekordmeister schon mehrere Male in die Bredouille brachten. Ungenaue Abspiele, zu langes Ballhalten, das dem Gegner einen Ballgewinn ermöglicht oder wiederkehrende Situationen, in denen er mit dem Rücken zum Spielfeld angespielt wird und nicht sofort eine Lösung parat hat, sind ursächlich dafür. Ein Beispiel war die frühe rote Karte in Darmstadt. An guten Tagen dominiert er die Partie, an weniger guten ist er mitunter ein Risiko. Und das darf einem Spieler mit seinem Anspruch nicht passieren.
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Kimmich: Multifaktorielle Auslöser
Dass Joshua Kimmich seit längerer Zeit sein Leistungsmaximum nicht regelmäßig auf den Platz bringen kann, steht außer Frage. Das liegt aber nicht nur an ihm und seiner Art. Er gilt als ein Perfektionist auf dem Fußballplatz, akzeptiert Niederlagen nicht, eckt auf dem Feld an, wirkt dadurch manchmal sogar übermotiviert, generell etwas „drüber“. Sicher ist die teilweise zu große Verbissenheit ein Faktor, der dafür sorgt, dass die Leichtigkeit auf dem Feld fehlt.
Doch das ist noch nicht alles, es kommt noch mehr zusammen. Seit Jahren ist der Fußballkalender aufgebläht, die Spieler müssen Pflichtspiel um Pflichtspiel absolvieren. Kimmich, der als ein verlängerter Arm des Trainers auf dem Feld gilt, spielt fast immer und will das selbst auch. Die Belastung ist aber enorm hoch, Erholungspausen oder eine normale Vorbereitung nonexistent. Dass der Körper dann darauf entweder mit Verletzungen oder zumindest nicht der vollumfänglichen Belastbarkeit reagieren kann, ist keine Überraschung. Zumal der Kader des FC Bayern nicht in der Form besetzt ist, die dem Nationalspieler regelmäßige Pausen ermöglicht.
Heißt: Auch ein nicht ganz fitter Kimmich spielt am Ende trotzdem. Weil er muss. Es ist eine Art Teufelskreis, der sich beim FC Bayern sukzessive entwickelt hat. Als Thiago Alcantara den Verein verließ dachte man beim Rekordmeister, dass sich die Dinge im Mittelfeld schon irgendwie in die richtige Richtung entwickeln. Das Gegenteil war der Fall – und das auf einer der Königspositionen im modernen Fußball. Kein Wunder, dass Trainer Thomas Tuchel seit dem Sommer 2023 so vehement nach einem Sechser ruft.
Entlastung & mehr Homogenität: Das muss Bayern für Kimmich tun
Wenn sich beide Parteien darauf einigen, die gemeinsame Zusammenarbeit weiter zu verlängern, dann müssen Rahmen geschaffen werden, die eine Verbesserung der Situation zur Folge haben. Mehrere Elemente sind dafür notwendig. Möglicherweise wird gerade die strategische und langfristige Planung des Rekordmeisters in den Gesprächen entscheidend sein. Zunächst einmal muss die Frage beantwortet werden, was für ein Spieler Kimmich für den FCB eigentlich sein soll. Ein Führungsspieler, das ist klar, aber in welchem Bereich soll er hauptsächlich die Aufgaben übernehmen? Zu den Stärken gehören die Bälle in die Spitze, die Verlagerungen, die raumöffnenden Pässe, gerade, wenn er einen gewissen Freiraum hat. Zudem läuft der 28-Jährige viel. Sprintstark ist er aber nicht, physisch haben andere Spieler Vorteile, zudem ist er kein klassischer Spielmacher.
Vielleicht müssen sich alle Beteiligten endlich eingestehen, dass bei aktueller Ausrichtung die ideale Rolle für Kimmich das Bindeglied zwischen Defensive und Offensive ist. Als solches sieht er sich in Teilen ja ohnehin schon, nur, dass er auch noch Teil der Absicherung ist, zuweilen gerade in den Räumen vor den Innenverteidigern fehlt oder zu spät da ist. Konkret: Bayern muss den Spieler unterstützen, indem der Kader optimiert wird. Einen 6er nach München zu holen dürfte für den Sommer eine Pflicht sein. So gute Ansätze Aleksandar Pavlovic auch zeigt, diese Rolle dauerhaft auf einem solchen Niveau auszuführen wie es der Rekordmeister benötigt, ist kaum machbar im aktuellen Stadium seiner Karriere. Es muss also Geld investiert werden, um einen Spieler der Marke Martin Zubimendi nach München zu lotsen.
Ob es nun ein spielerisch starker, defensiv wacher Spieler ist, der neu dazukommt oder ein physisch starker Brecher, der vieles abräumt, ist nicht einmal entscheidend. Mehr Homogenität in der Defensive, mehr Technik und Präzision im ganzen Kader ist das Stichwort, das fallen muss. Einfach gesagt: Je mehr Spieler auf dem Feld stehen, die einen Ball sauber passen, mit ihm dribbeln und auf engem Raum Lösungen finden können, desto besser ist das für eine dominant auftretende Mannschaft. Hier hat Bayern Nachholbedarf, das stört den Rhythmus des Spiels, den Kimmich eigentlich vorgeben will.
Klar ist: So wenig der Spieler alleine an seiner Situation Schuld ist, so wenig kann er alleine für das Ende der Formschwankungen sorgen. Soll Joshua Kimmich ein essenzieller Bestandteil der Bayern-Zukunft sein, muss ihn der Klub unterstützen und die Hausaufgaben machen, die man in den letzten Jahren so häufig versäumt hat. Damit eine klarere Aufgabenverteilung existiert und wieder mehr Struktur in das Mittelfeld des Rekordmeisters kommt.
(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)
Manuel Behlert
Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.